Hettche für das Juni-Heft: Feindberührung. Über die vergessene Kunst des Soldatischen; Hettche setzt mit Ernst Jünger ein, bezieht sich auf Carl Schmitt, während er vom Soldaten zum Feindbild und wieder zurück wechselt. Der “Staatsbürger in Uniform” wird demontiert als das glatte Gegenteil der durch einen Graben davon getrennten Gestalt des Soldaten. Aus diesem Anlaß nun also: Vorabveröffentlichung – samt umwerfenden Bildes am Schluß – aus Sezession 48, die morgen aus dem Druck kommt:
Uniform oder Kostüm?
von Arthur East
(pdf aus der Druckausgabe, Sezession 48/ Juni 2012)
Podiumsdiskussion über die Kampfbereitschaft der im Ausland eingesetzten Bundeswehrverbände in einer Führungseinrichtung der Bundeswehr, bestückt mit Experten aus dem In- und Ausland. Ein Gast mit langjähriger Auslandserfahrung forderte, die Bundeswehr müsse sich wieder um eine »Kultur des Kämpfens« bemühen – und stieß damit auf große Zustimmung im Publikum. Die Veranstaltung lief danach zwar nicht aus dem Ruder, geriet aber zu einem unbeabsichtigten Exkurs in die tiefenpsychologischen Abgründe der deutschen Neurose und der Deutungsmacht im Land. Ein anderer Teilnehmer nämlich, bekennender Wehrdienstverweigerer und zugleich Experte für Sicherheitspolitik, fiel dem Redner sofort ins Wort und betonte, daß eine solche Aussage nicht nur »hochproblematisch« sei, sondern auch »äußerst gefährlich«.
Auf die Frage des Moderators, ob der Redner eine Zwischenfrage erlauben und auf den Einwurf eingehen wolle, antwortete dieser, daß er den inhaltlichen Einspruch des Kollegen keinesfalls für wichtig halte, hochinteressant hingegen die Körperhaltung des Publikums, nachdem sein Plädoyer für eine »Kultur des Kämpfens« als »gefährlich« eingestuft worden sei. In diesem Moment hätten die Zuhörer wie auf Kommando die zustimmenden Signale »abgeschaltet« und eine neutrale bis erschrockene Körperhaltung eingenommen. Das bedeute, daß die Bezeichnung »gefährlich« als ernstzunehmendes Gefahrensignal verstanden worden sei:
Er, der »Sender« einer politisch inkorrekten Botschaft, sei markiert worden, und sie, die »Empfänger«, hätten ihre spontanen positiven Gesinnungsbekenntnisse sofort eingestellt und sich im Wortsinne »klein« gemacht, um nicht in Verdacht zu geraten, der gleichen unerwünschten Meinung zu sein.
Er selbst kenne diesen Reflex als eine Auswirkung der sogenannten »Herrschaft des Verdachts«: Wem Sozialprestige und Karriere lieb seien, der habe soeben verstanden, daß sich beides nicht mit zu starker Zustimmung zu einer politisch unerwünschten Äußerung vertrage. Ihn fasziniere die seltene Einförmigkeit einer Reaktion deshalb so sehr, weil er doch Angehörige einer Armee vor sich habe, deren Aufgeklärtheit und staatsbürgerlicher Pluralismus bei jeder Gelegenheit hervorgekehrt würde. Im übrigen aber bleibe er bei seiner ursprünglichen Aussage und wolle darüber hinaus folgendes harte Urteil zu Protokoll geben: Die Leitidee des »Bürgers in Uniform« habe der Bundeswehr ein Offizierkorps beschert, das – schlimmer als in mancher Diktatur, deren einige er kennengelernt habe – geistig die Machtlosigkeit uniformierter Handlungseunuchen besitze. Dies sei kein Vorwurf, sondern eine Diagnose.
Es war nach diesen Worten peinlich still im Saal: Feigheit (nicht im Gefecht, sondern aus Sorge um die Karriere in einer Institution) verhinderte eine Aussprache über diesen wunden Punkt und die ungeheuerliche Feststellung.
Im Anschluß gab es den obligatorischen Häppchen-Empfang. Dennoch geriet auch hierbei der Comment durcheinander, denn die Diskussion ging in die nächste Runde. Etliche deutsche Teilnehmer hatten sich auf dem Weg zum Speisesaal beim »Delinquenten« bedankt und vorsichtig ihre Zustimmung, zumindest nonverbal, zum Ausdruck gebracht. Um den »Ankläger« standen etwas abseits zwei Obristen und schwärmten von ihren außerordentlich positiven Erfahrungen mit Frauen in Kampfeinheiten.
Um den »Delinquenten« sammelten sich hingegen die ausländischen Teilnehmer und aus der Bundeswehr die Jüngeren, Angehörige der zwar nicht offiziell, jedoch im Jargon als »Einsatzarmee« bezeichneten Einheiten. Man sprach englisch, und die Bundeswehroffiziere hörten der von allen nationalmasochistischen Banden befreiten Diskussion über die Diskussionskultur aufmerksam zu. Der »Delinquent« erklärte die moralphilosophischen Schwächen und sicherheitspolitischen Gefahren jeglicher Denk- und Sprechverbote. Auch der inflationäre Einsatz einer »Nazi-Warnsprache« sei bedenklich. Sie basiere auf Assoziationsketten und Reflexen, die zwangsläufig zu Mißtrauen und Denunziation führten. Dies hörte einer der Obristen, und um Schlimmeres zu vermeiden, schlenderte er kauend zu der größeren Gruppe. Er sei selbstverständlich und ausdrücklich für den freien Gedankenaustausch, wolle bei dieser Gelegenheit aber noch einmal betonen, wie wichtig es neben aller freien Rede und Aussprache sei, bei solchen Veranstaltungen jeglichen Eindruck der »Kriegsverherrlichung« zu vermeiden.
Der »Delinquent« war daraufhin sprachlos – immerhin »ein Stück weit« nur, denn dann sammelte er sich und brachte den Abend zu Ende: Es sei die Generation seiner Großväter gewesen, die den Großvätern seiner heutigen Gastgeber den Krieg aus der Überzeugung heraus erklärt hätte, daß dies notwendig sei. Manchmal habe er bei Vorträgen in Deutschland das Gefühl, daß die Generation der Enkel sich nun dadurch räche, daß sie anderen mit erhobenem Zeigefinger und einem fast schon militanten Pazifismus bei jeder Gelegenheit den Frieden erklären wollte. Sie griffen dabei auch häufig Behauptungen an, die keiner aufgestellt habe.
Seine Kameraden hier würden das nicht gerne zugeben, aber sie schlössen zu Beginn von Sicherheitskonferenzen untereinander manchmal Wetten ab, welcher der anwesenden deutschen Offiziere sich als erster grundlos zum Thema »Menschenrechte« äußern werde – und zwar nicht, weil ihm die Menschenrechte wichtiger seien als den Nichtdeutschen (auch wenn dies jedesmal die implizite Unterstellung sei), sondern weil es ihm zwanghaft wichtig erscheine, der Welt zu zeigen, daß er – der Enkel grandioser Soldaten – nun der grandiose Gandhi und allen anderen moralisch überlegen sei. »Friedensjochen« laute der Spitzname, den man diesem je ersten deutschen Menschenrechtsoffizier dann für die Dauer der Tagung verleihe.
Sicherheitspolitisch spielten die Deutschen um ihren »Friedensjochen« eine peinliche Rolle. Ihre Offiziere müßten Einsatzbesprechungen in Afghanistan verlassen, weil von ihnen mit keinem Beitrag zu rechnen sei. Den hier anwesenden deutschen Soldaten könne diese Abwertung doch keinesfalls schmecken. Denn nur Feldgeistlichen könne man die Wirklichkeitsverweigerung gerade noch durchgehen lassen, als Offizier jedoch sei eine Verpflichtung auf die Realität bereits im Berufsbild angelegt: ohne sie keine Erfüllung des Auftrags.
Es sei selbstverständlich besser, kämpfen zu können und es nicht zu müssen, als kämpfen zu müssen und es nicht zu können. Er selbst könne einfach nicht verstehen, wie in einer Armee der Blick auf Sozialprestige und Karriereperspektiven einen Offizier dazu bringen könne, gesinnungspolitisch zu manövrieren und vorauseilenden Gehorsam zu praktizieren. Damit verschiebe sich der Schwerpunkt der Diskussion von der Sach- auf die Appellebene, was bedeute, daß der »Bürger in Uniform« ständig am Soldaten vorbeirede.
Natürlich könne er – und damit wolle er zu einem Ende kommen – gänzlich falschliegen, und man sehe in der deutschen Armee die Sache tatsächlich so, wie dies vorhin zum Ausdruck gekommen sei. In diesem Fall würde er ab sofort nicht mehr unter Soldaten, sondern unter Zivilisten stehen, und er habe sich dann in der Tat einer Sprache bedient, die man außerhalb einer Kaserne nur schwer verstehen könne. Wunderlich sei aber, daß sich diese Zivilisten als Soldaten verkleidet und Führungsaufgaben übernommen hätten. Die Kriegsgeschichte sei voller tragischer Ereignisse, bei denen solche Entscheidungsträger ihre Ideologie vor die soldatische Vernunft gestellt hätten. Es sei schade um das viele Blut, das von solchen Idioten vergossen worden sei.
Als Zuchtanstalt für derlei könne er das »Zentrum Innere Führung« in Koblenz ausmachen. Dort habe er einem Seminar für soldatische »Betreuungslotsen« beiwohnen müssen, in dessen Verlauf ein Stabsfeldwebel einen Hauptfeldwebel im Arm gehalten habe wie eine Mutter ihr Kind. Eine Kamera sei mitgelaufen. Ihm aber hätten die Worte gefehlt.
Bild: dpa
(Arthur East, 1970, ist Offizier der Scotts Guards im Range eines Captains/ Hauptmann. Er hat in Nordirland, dem Irak und Afghanistan gedient und ist seit seiner Verwundung als Ausbilder eingesetzt.)
H.F.
Die "Kultur des Kämpfens" schleicht doch schon längst über die Auslandseinsätze in die Truppe - Amerika sei Dank!
Das die Bundeswehr derzeit kämpft, ist für mich ein negativer Aspekt, weil die Einsatzarmee die vollständige Ablösung vom Volk mit sich bringt. Es ist für die Mehrheit Privatsache, wenn jemand zur Bundeswehr geht und stirbt, wie wenn er beim Bungeespringen gestorben wäre.
Das sich die Bw dabei auch noch lächerlich macht, weil sie das in der ganzen westlichen Welt praktizierte Vorschieben der Menschenrechte übertreibt, ist bedauerlich, aber m.E. nur Folge der Umwandlung zum Expeditionskorps, das ein Mäntelchen zum Töten braucht. Daß es das Töten verlernt, steht hingegen nicht zu befürchten.
Ein Expeditionskorps hingegen, das nur dem Kampf huldigt, wäre ein weiterer Schritt weg vom preußisch-deutschen Soldatentum in Richtung Blackwater und nicht zurück zu ihm.