Der Kaiser im Berg

pdf der Druckfassung aus Sezession 21/Dezember 2007

sez_nr_2110von Karlheinz Weißmann

Vielleicht ist das bemerkenswerteste an Camilla Kauls enzyklopädischer Arbeit über die Bedeutung des Kyffhäuser-Mythos im neunzehnten Jahrhundert (Camilla G. Kaul: Friedrich Barbarossa im Kyffhäuser. Bilder eines nationalen Mythos im 19. Jahrhundert, Atlas. Bonner Beiräge zur Kunstgeschichte, Bd 4 / I und 4 / II [Tafelband], Wien: Böhlau 2006, 914 + 110 S., geb, zahlreiche Abbildungen, 129.00 €) das Fehlen einer Floskel des wissenschaftlichen Jargons: „Konstruktion". Für die Verfasserin ist die Nation offenbar keine „Erfindung", sondern ein historisch begründetes Ganzes, das durch den Mythos zu seiner Vergangenheit in Beziehung tritt: „Die sich Ende des 18. Jahrhunderts ihrer selbst bewußt werdende deutsche Nation suchte für ihr neu erwachtes Nationalbewußtsein und als Ausdruck für die unbefriedigende Lage eines noch nicht existenten Nationalstaates nach identitätsstiftenden Vorbildern."


Camil­la Kaul wen­det sich bei ihrer Ana­ly­se die­ses Zusam­men­hangs aus­drück­lich gegen die Ten­denz, die sach­li­che Unrich­tig­keit oder die absichts­vol­le Prä­sen­ta­ti­on der Über­lie­fe­rung immer und immer wie­der zu „ent­lar­ven”. Es gehe eben nicht um „Dekon­struk­ti­on”, son­dern dar­um, die außer­or­dent­li­che Leis­tung des „kul­tu­rel­len Gedächt­nis­ses” – Ass­mann dixit – zu wür­di­gen, das einen Stoff der Geschich­te auf­nahm und in eine Per­spek­ti­ve brach­te, die Iden­ti­tät in der Gegen­wart ermög­lich­te. Iden­ti­tät ent­ste­he für das Indi­vi­du­um wie für das Kol­lek­tiv durch gro­ße Erzäh­lun­gen, die sich bevor­zugt an posi­ti­ven Ereig­nis­sen orientierten.
Hier wäre aller­dings der Ein­wand mög­lich, daß der Kyff­häu­ser-Mythos – also die Sage vom Stau­fer Fried­rich Bar­ba­ros­sa, der gar nicht auf dem Kreuz­zug gestor­ben sein soll­te, son­dern in den Berg im Thü­rin­gi­schen ent­rückt wur­de – kei­ne Hel­den­ge­schich­te im eigent­li­chen Sinn war, jeden­falls kei­ne Erin­ne­rung an einen mili­tä­ri­schen Tri­umph oder die Befrei­ung von tyran­ni­scher Herr­schaft, son­dern der Vor­stel­lung vom rex vivit et non vivit – dem „König, der lebt und nicht lebt” zuzu­ord­nen ist, jener Hoff­nung auf einen mes­sia­ni­schen Füh­rer, die vie­le Völ­ker kann­ten. Die­ser Aspekt ist der Ver­fas­se­rin eher fremd, obwohl sie sonst Auf­merk­sam­keit für die Wir­kung der „Volks­phan­ta­sie” zeigt, die schon dafür sorg­te, daß die mit­tel­al­ter­li­che Über­lie­fe­rung und der loka­le Bezugs­punkt der Kyff­häu­ser-Sage die Basis für eine Tra­di­ti­on bil­de­ten, die weit über den beschränk­ten Rah­men hinauswirkte.
Die erwähn­ten Zusam­men­hän­ge geben wie die Rezep­ti­on der stau­fi­schen Kai­ser­zeit nur den Hin­ter­grund der Unter­su­chung von Camil­la Kaul, der es um die Art und Wei­se geht, wie im neun­zehn­ten Jahr­hun­dert, dem eigent­lich natio­na­len Zeit­al­ter, die Figur Bar­ba­ros­sas im Kyff­häu­ser auf­ge­faßt und popu­lär gemacht wur­de. Der Pro­zeß läßt sich in drei Pha­sen ein­tei­len, die par­al­lel zur poli­ti­schen Gesamt­ent­wick­lung ablie­fen: Nach einer Vor­ge­schich­te, die ihren Ursprung im roman­ti­schen Früh­na­tio­na­lis­mus hat­te, setz­te eine brei­te­re Rezep­ti­on mit der napo­leo­ni­schen Epo­che ein und dau­er­te den Vor­märz hin­durch bis zur Revo­lu­ti­on von 1848, dann folg­te ein zwei­ter Abschnitt bis zur Reichs­grün­dung, schließ­lich ein letz­ter, „reichs­af­fir­ma­ti­ver”, in der Zeit nach 1871. Wich­tig ist der Hin­weis dar­auf, daß ursprüng­lich die Beschäf­ti­gung mit der his­to­ri­schen Per­son Fried­rich und der Pro­ble­ma­tik der stau­fi­schen – ghi­bel­li­ni­schen – Reichs­vor­stel­lung eine grö­ße­re Rol­le für die natio­na­le Geschichts­vor­stel­lung hat­te als der Kyffhäuser-Mythos.

Der drang nur all­mäh­lich in die Moti­ve von Dich­tung und Lite­ra­tur ein und spiel­te dann vor allem eine Rol­le für die bild­li­che Umset­zung – in Zeich­nun­gen, Gemäl­den, Plas­tik, aber auch in den „leben­den Bil­dern” von Fest­um­zü­gen – und die Ent­ste­hung einer Iko­no­gra­phie, die zuletzt durch einen hohen Grad an Stan­dar­di­sie­rung gekenn­zeich­net war: Neben dem Kai­ser mit dem lan­gen Bart, dem mit­tel­al­ter­li­chen Ornat, Kro­ne und Schwert, sind regel­mä­ßig die Raben zu sehen, die ihm bei sei­nem Erwa­chen alle hun­dert Jah­re berich­ten, wie es um Deutsch­land steht. In einem Kata­log­band zu dem Buch Camil­la Kauls sind vie­le Bele­ge zusam­men­ge­tra­gen und wie­der­ge­ge­ben, auch wenn die tech­ni­sche Qua­li­tät gele­gent­lich zu wün­schen übrigläßt.
Ein­ge­setzt wur­de das Bar­ba­ros­sa-Motiv im enge­ren Sinn sym­bo­lisch – neben ande­ren Sinn­bil­dern der Nati­on wie Ger­ma­nia, Eiche oder Adler – vor allem im Vor­märz, wäh­rend und nach der Revo­lu­ti­on auch als Zen­tral­ele­ment von Kari­ka­tu­ren, dann bevor­zugt his­to­ri­sie­rend und alle­go­risch. War der Bezugs­punkt bis zur Reichs­grün­dung die Sehn­sucht nach Erneue­rung und Stär­ke eines deut­schen Gesamt­staa­tes, sel­te­ner der Spott über die Taten­lo­sig­keit einer Nati­on, die immer auf über­mensch­li­che Füh­rer war­te­te, wur­de nach 1871 ein „genu­in der bür­ger­li­chen Natio­nal­be­we­gung ent­sprun­ge­nes Bild” so umge­setzt, daß es pri­mär der Inte­gra­ti­on der Nati­on dien­te. Die­ser Vor­gang kam sinn­fäl­lig in der Gleich­set­zung „Bar­ba­ros­sa” = „Barbablan­ca” / „Rot­bart” = „Weiß­bart” zum Aus­druck, jener Iden­ti­fi­ka­ti­on des gro­ßen Stau­fers mit dem ers­ten Kai­ser aus dem Hau­se Hohen­zol­lern, Wil­helm I. Trotz der star­ken Vor­be­hal­te in der Geschichts­schrei­bung der Zeit gegen­über der (Italien-)Politik der Stau­fer gab es offen­bar eine Anknüp­fungs­sehn­sucht, die zumin­dest das Selbst­bild domi­nier­te und der Vor­stel­lung ent­sprach, die Hohen­zol­lern hät­ten voll­endet, was die „Hohen­stau­fen” begannen.
Zeit­gleich mit die­sem Pro­zeß voll­zo­gen die eigent­li­chen Trä­ger der Natio­nal­be­we­gung – Sän­ger, Tur­ner und Stu­den­ten – eine kon­ser­va­ti­ve Keh­re, mit der sie von einer oppo­nie­ren­den zu einer staats­tra­gen­den Funk­ti­on über­gin­gen. Auf­schluß­reich sind in die­sem Zusam­men­hang nicht nur die Errich­tung des monu­men­ta­len Kyff­häu­ser-Denk­mals, das 1896 fei­er­lich ein­ge­weiht wur­de und ursprüng­lich der Ver­an­stal­tung gro­ßer Natio­nal­fei­ern als Kulis­se die­nen soll­te, oder das Bild­pro­gramm der auf­wen­dig restau­rier­ten Gos­la­rer Kai­ser­pfalz, son­dern auch das ste­reo­ty­pe Neben­ein­an­der der Kai­ser Fried­rich und Wil­helm im figu­ra­ti­ven Schmuck zahl­rei­cher Rat­häu­ser West- und Mit­tel­deutsch­lands, dem sicht­ba­ren Aus­druck eines neu­en Bürgerstolzes.
Camil­la Kaul betont zu Recht, daß Lang­le­big­keit und Wirk­mäch­tig­keit für die Plas­ti­zi­tät des Kyff­häu­ser-Mythos spre­chen. Es gehört zum Wesen des Mythos, daß er sich neben der His­to­rio­gra­phie behaup­ten kann und kei­ne fes­te Leh­re aus­bil­det, die mit ande­ren in Wider­spruch gera­ten könn­te. Anders als die wis­sen­schaft­li­che Geschichts­schrei­bung ist der Mythos eine Sinn­deu­tung. Des­halb gehör­te der Kyff­häu­ser- wie der Stau­fer-Mythos über­haupt zu den zen­tra­len Fak­to­ren im Selbst­ver­ständ­nis der deut­schen Nati­on. Die vor­lie­gen­de Unter­su­chung hat zur Klä­rung die­ses Zusam­men­hangs durch die not­wen­di­ge Aus­brei­tung des Mate­ri­als einen ent­schei­den­den Bei­trag geleis­tet. Damit ist sie vie­len ande­ren kurz­at­mi­gen Ver­öf­fent­li­chun­gen weit über­le­gen, die sich in den bei­den letz­ten Jahr­zehn­ten mit natio­na­len Mythen und Sym­bo­len, „Erin­ne­rungs­or­ten” und „Gedächt­nis­po­li­tik” befaß­ten, aber immer nur has­tig zu Inter­pre­ta­tio­nen kom­men woll­ten, ohne sich lan­ge auf­zu­hal­ten mit dem, was ist.

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