In seinem neuen Buch, Die Intelligenz und ihre Feinde. Aufstieg und Niedergang der Industriegesellschaft (Ares Verlag, Graz 2012, 544 S., 34.90 €), wirft der Leipziger Humangenetiker Volkmar Weiss einen Blick auf die Zukunft der westlichen Zivilisation. Er zeigt, daß sie mittlerweile jene Grundlagen verzehrt, die sie groß gemacht haben, mit anderen Worten: daß sie endlich ist.
In traditionellen Gesellschaften besteht ein positiver Zusammenhang von Begabung, wirtschaftlichem Erfolg und der Zahl der Nachkommen. Das galt bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts auch für Europa. Durch den zunehmenden Wohlstand, den medizinischen Fortschritt und die Renten- und Krankenversicherung hat sich dieser Zusammenhang in sein Gegenteil verkehrt. Seit gut sechs Generationen haben die intelligenteren, gebildeten und wirtschaftlich erfolgreichen Menschen deutlich weniger Kinder als die unteren Schichten der Bevölkerung. Zugleich werden die unteren Schichten durch die Aufhebung der Klassenschranken und die Durchsetzung des Leistungsprinzips immer mehr ihrer intelligenten Menschen beraubt, die sozial aufsteigen und ihr Fortpflanzungsverhalten an das der oberen Schichten anpassen. In der Praxis heißt das zum Beispiel, daß Akademikerinnen sehr viel weniger Kinder bekommen als andere Frauen. Auf diese Weise findet in den westlichen Gesellschaften seit Generationen eine Selektion gegen die Intelligenz statt, das heißt, die genetischen Grundlagen für eine gute Begabung werden immer seltener.
Dem schien lange Zeit die Tatsache zu widersprechen, daß die empirisch gemessene Intelligenz in den westlichen Ländern immer mehr zunahm. Dieser sogenannte Flynn-Effekt, eine Folge der verbesserten Umweltbedingungen auch der unteren Schichten, ist jedoch in den letzten Jahrzehnten zum Stillstand gekommen. Weiss zeigt anhand von Testergebnissen und der PISA-Daten, daß der genetische Rückgang der Intelligenz nun auch phänotypisch faßbar wird. So hat in Deutschland der durchschnittliche IQ deutlich abgenommen. Lag er vor zehn Jahren noch bei 102, so beträgt er derzeit nur noch 97. In den anderen Ländern sieht es nicht besser aus. Dies bedeutet, daß die Zahl der Hochbegabten – bei einem Durchschnitts-IQ von 100 sind das etwa fünf Prozent der Bevölkerung – abnimmt, mithin jener Anteil, der für die Bewältigung der anspruchsvolleren Tätigkeiten in der Gesellschaft, vom Wissenschaftler über den Techniker bis zum Manager, zur Verfügung steht.
Dieser gesellschaftlichen Entwicklung könnte man indes mit politischen Mitteln begegnen. Volkmar Weiss führt als ein erfolgreiches Beispiel die Förderung von Studentinnen mit Kindern in der DDR an. Solchen Konzepten entgegen steht, daß sich in den Sozialwissenschaften und in der Politik in den letzten Jahrzehnten eine egalitäre Ideologie durchgesetzt hat, die die genetische Ungleichheit der Begabungen grundsätzlich leugnet. Die alte, wissenschaftlich längst widerlegte kommunistische Vorstellung, daß Begabungsunterschiede in der Gesellschaft nur durch ungleiche Umweltbedingungen zustande kämen und bei gleicher Förderung verschwänden, hat in Frankreich während der achtziger Jahre mit der sogenannten »Soziologischen Wende« einen neuen Aufschwung genommen. Damals prägte der konstruktivistische Philosoph Michel Foucault, der zeitweise auch Mitglied der Kommunistischen Partei war, den Begriff des »Rassismus der Intelligenz«. Man dürfe sich auf Intelligenztests gar nicht erst einlassen, da die gemessenen Unterschiede selbst das Ergebnis eines »Rassismus der Eliten« seien.
Mit diesem Argument gelang es der modisch-postmodernen, konstruktivistischen Linken, in den Sozialwissenschaften ein wirksames Tabu gegen die biologische Grundlage der Intelligenzunterschiede zu errichten. Selbst in den viele hundert Seiten dicken, offiziellen Berichten über die PISA-Untersuchungen tauchen aus diesem Grund nirgends der Begriff der Intelligenz und der Gedanke auf, Leistungsunterschiede bei Schülern könnten genetische Ursachen haben. Die mit PISA dokumentierten Unterschiede erscheinen so als das Ergebnis sozialer »Ungerechtigkeit«, behebbar durch entsprechende Förderung.
Wer etwas von den Siebungsprozessen in einer demokratischen Gesellschaft versteht, weiß, daß diese Forderung illusionär ist. Die sozialen Unterschiede werden sich vielmehr sogar noch verstärken, weil die unteren Schichten durch den Aufstieg ihrer begabteren Kinder ihr noch aus der Zeit der Klassenschranken stammendes restliches Begabungspotential immer weiter einbüßen.
Der Rückgang der Intelligenz bedeutet für die Gesellschaft jedoch nicht nur, daß es immer schwieriger wird, geeignete Bewerber für anspruchsvolle Tätigkeiten zu finden, sondern auch, daß die Zahl der Sozialhilfeempfänger und die der sozial Auffälligen und Kriminellen sowie die durch diese verursachten gesellschaftlichen Probleme und Kosten steigen. Verschärft wird das durch die Einwanderung, die in erster Linie nicht etwa begabte und gut integrierbare Ostasiaten in unser Land bringt, sondern beispielsweise anatolische Türken mit einem Durchschnitts-IQ von 85 – alleine dieser Umstand behindert die Assimilation einer solchen Gruppe in eine so ausdifferenzierte und spezialisierte Gesellschaft wie die unsere.
Anders als in seinem Buch Die IQ-Falle (Graz 2000, derzeit vergriffen) bettet Weiss den Intelligenzrückgang in seinem neuen Buch in einen größeren Zusammenhang ein, der durch die energetischen Grundlagen der Zivilisation gegeben ist. Die agrarischen Gesellschaften, zu der alle Hochkulturen vor der industriellen Revolution gehörten, beruhten in erster Linie auf der Energie, die die Sonne zur Verfügung stellte, die die Äcker und Wälder beschien. Der Aufstieg der europäischen Industriegesellschaft wurde erst möglich mit der Nutzung fossiler Energieträger wie Kohle und Öl, und der in ihr gespeicherten Sonnenenergie. Erst jetzt stand genügend Energie zur Verfügung, um den zunächst kostspieligen wissenschaftlichen und technisch Fortschritt zu ermöglichen. Der Zugang zu billiger Energie ermöglichte das explosionsartige Bevölkerungswachstum in den letzten zweihundert Jahren. Die moderne Industriegesellschaft ist in existentieller Weise von der Kohle und besonders vom Öl abhängig, Energieträger, die nur in begrenztem Maße vorhanden sind und immer teurer werden. Umweltfreundliche Energien sind weit entfernt davon, eine wirkliche Alternative darzustellen, und auch die Atomkraft kann höchstens eine Übergangslösung sein, denn auch sie ist von den Uranvorkommen abhängig.
Anders als oft kolportiert, sind die Vorhersagen des Club of Rome für die »Grenzen des Wachstums« bisher in bemerkenswert präziser Weise eingetroffen. Der Club of Rome hat den Zusammenbruch der Weltwirtschaft für die Zeit ab 2030 vorhergesagt. Für den Zeitraum von 2035 bis 2050 prognostiziert auch Weiss das »große Chaos«. Die Industriegesellschaften werden aufgrund der steigenden Energiekosten nicht mehr in der Lage sein, Industrieproduktion und Sozialsysteme aufrechtzuerhalten. Die Folge: drastisch sinkender Lebensstandard, Zusammenbruch der Infrastruktur und des Gesundheitswesens und wahrscheinlich auch des staatlichen Gewaltmonopols, wozu die fortgeschrittene ethnische Fragmentierung durch die Einwanderung das Ihre beiträgt.
Die Wohlhabenden werden sich in mit Stacheldraht bewehrte und bewachte Siedlungen zurückziehen wie heute schon in Südafrika und manchen Teilen Amerikas. In den übrigen Gebieten wird es zu einer Refeudalisierung kommen, zu Überlebensstrategien innerhalb von Personalverbänden. Anders als 1945 werden die meisten Menschen nicht wissen, wie man auf Äckern und in Gärten anbaut. Ob in einigen Weltgegenden Inseln der modernen Zivilisation als mögliche Zentren eines späteren Wiederaufstiegs überleben werden, oder ob es weltweit zu einem zweiten Mittelalter mit einem Abreißen der wissenschaftlich-technischen Überlieferung kommen wird, läßt Weiss offen.
Weiss’ neues Buch ist das bisher fundierteste und informativste Buch zum Thema Intelligenz und Bevölkerungsentwicklung. Die Richtigkeit der energiepolitischen Vorhersagen ist schwer zu beurteilen. Mit 484 engbedruckten Textseiten konzentrierter Information stellt Weiss’ Buch beträchtliche Anforderungen an den Leser. Die zahlreichen langen Exkurse und Zitate erleichtern das Lesen auch nicht gerade. Man verliert leicht den roten Faden und fragt sich, wieso man jetzt gerade etwas über Brasilien, Südafrika, Böhmen im 18. Jahrhundert oder jüdische Ärzte in Berlin vor 1933 liest.
Zu wünschen wäre, daß Weiss seine wichtigsten Überlegungen noch einmal in einem schmaleren Buch präsentierte. Die jetzige Form des Buches ist ein echtes Rezeptionshindernis.