Günter Maschke – Das Geburtstagsgespräch

SEZESSION: Herr Maschke, Sie waren auf einem viertägigen Carl-Schmitt-Kongreß in Brasilien. Warum waren Sie der einzige...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Deut­sche, wenn es doch um einen Deut­schen ging, an dem sich hier­zu­lan­de die Geis­ter schei­den und über den Jahr für Jahr ein hal­ber Meter Lite­ra­tur erscheint?

MASCHKE: Unter den deut­schen Inter­pre­ten Schmitts bin ich wohl der ein­zi­ge, der meh­re­re Jah­re in Latein­ame­ri­ka (Cuba und Peru) gelebt hat und der sowohl dort als auch in Spa­ni­en und Por­tu­gal Dut­zen­de von Vor­trä­gen, Semi­na­ren und ähn­li­ches über Schmitt gehal­ten hat. Es fin­den sich dort auch ziem­lich vie­le Ver­öf­fent­li­chun­gen von mir, zum Teil direkt auf Spa­nisch ver­faßt und in Deutsch­land unbe­kannt. Ich ken­ne eine Rei­he jün­ge­rer Autoren, die sich mit Schmitt beschäf­ti­gen und ich war befreun­det mit inzwi­schen lei­der ver­stor­be­nen Freun­den Schmitts, etwa mit Álva­ro d´Ors, José Caamá­no Mar­ti­nez, Jesús Feu­yo oder Gon­za­lo Fernán­dez de la Mora. Seit meh­re­ren Jah­ren pfle­ge ich auch Kon­tak­te zu eini­gen Portugiesen.

maschke und de benoist

SEZESSION: Mit ande­ren Wor­ten – Carl Schmitt im spa­nisch-por­tu­gi­si­schen Aus­land ist fest in Maschkes Hand!

MASCHKE: Es waren Spa­ni­er und Por­tu­gie­sen, die mei­ne Teil­nah­me am Kon­greß in Uber­lán­dia anreg­ten. Wes­halb nur ich aus Deutsch­land ein­ge­la­den wur­de, weiß ich nicht, aber ver­mut­lich haben Sie recht mit Ihrer Aus­sa­ge – obwohl ich nie eine Werk- oder Denk­schul­stra­te­gie ver­folgt habe.

SEZESSION: Erzäh­len Sie etwas über den Ertrag die­ser Tagung, über die Atmo­sphä­re. Wofür inter­es­sier­te man sich? Für den Schmitt von 1932 oder auch für etwas anderes?

MASCHKE: Der Kon­greß war etwas all­zu ange­strengt und anstren­gend – ein­und­zwan­zig Vor­trä­ge in vier Tagen, dazu in unter­schied­li­chen Spra­chen. Die Atmo­sphä­re war jedoch ange­neh­mer als bei ähn­li­chen Unter­neh­men hier­zu­lan­de, dies auch des­halb, weil es so gut wie nicht um die Fra­ge ging, ob Schmitt sich 1933 falsch oder ver­ant­wor­tungs­los oder gar ver­bre­che­risch ver­hal­ten hat. Die­se bes­ten­falls dritt­ran­gi­ge Fra­ge inter­es­siert Aus­län­der nur sehr sel­ten. Was sie inter­es­siert sind die Pro­ble­me und Ideen in Schmitts Werk und wel­che Aktua­li­tät die­ses Werk heu­te in der bedroh­lich nahen­den Zukunft besitzt. Das kam beson­ders in den Refe­ra­ten von Joseph Ben­der­sky (USA) – „Schmitt und der ‚Kampf der Kul­tu­ren’ bei Samu­el Hun­tig­ton“ – und von Alain de Benoist (Frank­reich) – „Der gerech­te Krieg von heu­te und Carl Schmitt“ – zur Spra­che. Aber es man­gel­te auch nicht an Vor­trä­gen, die man der „Ein­fluß­li­te­ra­tur“ (Fried­rich Bal­ke) zuzäh­len mag: Schmitts Ver­hält­nis zu Kel­sen, zu Machia­vel­li, zu Dono­so Cor­tés, zu Blu­men­berg undsofort.

Man darf sagen, daß „für jeden etwas dabei war“. Das ist aber kei­ne Kri­tik mei­ner­seits. Ein ers­ter, dazu auch noch inter­na­tio­na­ler Kon­greß hat wohl immer eine der­ar­tig groß­zü­gi­ge „Streu­ung“. Man ver­miß­te eini­ge Schmitt-For­scher aus Argen­ti­ni­en und aus Kolum­bi­en, aber der bedeu­tends­te Ertrag des Kon­gres­ses war wohl die Grün­dung eines „Inter­na­tio­na­len Net­zes für Schmitt-Stu­di­en“ (RIES – Rede Inter­na­cio­nal de Estu­dos Schmit­tia­nos). Es spricht viel dafür, daß hier vie­le Impul­se aus Bra­si­li­en kom­men wer­den, – nicht zuletzt auf­grund der erstaun­li­chen Ener­gie des Initia­tors des Kon­gres­ses, des Phi­lo­so­phen Rober­to Bueno.

SEZESSION: Sie haben bei Karo­lin­ger jüngst eine über­ar­bei­te­te Fas­sung Ihres Buchs Der Tod des Carl Schmitt ver­öf­fent­licht. Das Buch war damals, nach dem Tode Schmitts im Jah­re 1985, eine Abrech­nung mit der Nekro­lo­gie und der Domi­nanz der Haber­mas-Schu­le. Wie ist die Lage heute?

MASCHKE: Die Lage hat sich etwas gebes­sert, weil eben die Fra­ge nach Schmitts Enga­ge­ment 1933 selbst bei uns weni­ger inter­es­siert als frü­her. Doch vie­len poli­ti­schen The­men geht man immer noch etwas aus dem Wege, – dem gerech­ten Krieg von heu­te, dem so men­schen­freund­lich daher­kom­men­den Huma­ni­ta­ris­mus und sei­nen ´Abgrün­den´, dem Betrug der par­la­men­ta­ri­schen Demo­kra­tie, auch der wun­der­sa­men Ver­meh­rung des ´ein­di­men­sio­na­len Men­schen´, um ein­mal Her­bert Mar­cu­sus Buch­ti­tel zu benut­zen. Was all­zu hef­tig gedeiht ist wohl die schon erwähn­te „Ein­fluß­li­te­ra­tur“, die „Schmitt und … “ – Lite­ra­tur. Schmitt und Agam­ben, und Ben­ja­min, und Cioran, und Esch­wei­ler, und Fou­cault, und Güters­loh usw. usf. Unstrei­tig ist ein Teil die­ser Lite­ra­tur nütz­lich und sogar not­wen­dig, – doch der weit­aus grö­ße­re Teil scheint mir nur Per­mu­ta­ti­ons-Zir­kus und feuil­le­to­nis­ti­sche oder uni­ver­si­tä­re Anknüpfungsbetriebsamkeit.

Die moder­nen geis­tes­wis­sen­schaft­li­chen Fakul­tä­ren sind heu­te Fabri­ken, in denen erbar­mungs­los pro­du­ziert wer­den muß – die Qua­li­tät und der Gebrauchs­wert der Erzeug­nis­se spie­len da eine immer gerin­ger wer­den­de Rol­le. Wenn schon „Schmitt und …“ –Stu­di­en, dann soll­ten sie auch Leu­ten gel­ten, die enge­re intel­lek­tu­el­le Bezie­hun­gen zu Schmitt unter­hiel­ten und deren The­men und Argu­men­te sich oft mit denen Schmitt deck­ten, man den­ke etwa an Paul Baran­don, Carl Bil­fin­ger, Axel Frei­herr v. Frey­tagh-Löring­ho­ven, Asche Graf Man­dels­loh, Hein­rich Rog­ge, Gus­tav Adolf Walz, Gisel­her Wir­sing, Ernst Wol­gast. Aber aus­ge­rech­net hier fin­den sich kei­ne „Schmitt und …! –Auf­sät­ze und das liegt zu einem beträcht­li­chen Teil an skan­da­lö­ser Unkennt­nis. Doch ich blei­be höf­lich und schweigsam!

SEZESSION: Aus einem Gespräch mit Ihnen habe ich die Bemer­kung in Erin­ne­rung, daß Sie Schmitt des­to weni­ger begrif­fen, je län­ger Sie sich mit ihm beschäf­tig­ten. Koket­tie­ren Sie oder ist Schmitt wirk­lich ein Labyrinth?

MASCHKE: Schmitt ist eben wie jeder wirk­li­che Klas­si­ker: viel­deu­tig und uner­schöpf­lich. „Er zieht an, stößt ab, inter­es­siert und ärgert, und so kann man ihn nicht los wer­den“ sag­te Goe­the 1818 über Stendhal und so geht es mir und vie­len ande­ren mit Schmitt. Es ist oft das nur Skiz­zen­haf­te der Text Schmitts, das so stark anregt und zur wie­der­hol­ten Lek­tü­re zwingt, – auch beim x‑ten Mal ent­deckt man etwas bis dahin Über­se­he­nes. Schmitts Werk ist eine Samen­kap­sel! – Mei­ne Bemer­kung Ihnen gegen­über war viel­leicht all­zu kokett. Schmitt sag­te mir ein­mal: „Unter­schät­zen Sie nicht den sys­te­ma­ti­schen Cha­rak­ter mei­nes Wer­kes!“ Doch ich geste­he, daß ich die­sen „sys­te­ma­ti­schen Cha­rak­ter“ bis­her nicht gefun­den habe. Ich hal­te es mehr mit einer Fest­stel­lung von José Caa­ma­no Mar­ti­nez: Schmitts Wer­ke zeich­ne­ten sich aus durch Man­gel an Solid­heit, aber auch durch gro­ße Fines­se („fal­ta de soli­dez, pero de gran fin­ura“). Nichts gegen die Solid­heit, – aber die Fines­se kommt aus höhe­ren Regionen.

Götz Kubitschek

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