Karl Albrecht Schachtschneider – Die Souveränität Deutschlands

(Rezension aus Sezession 52 / Februar 2013)

von Felix Dirsch

Nichts bevorzugen weite Teile der bundesrepublikanischen politischen Elite so sehr wie die Abtretung von Hoheitsrechten nach Brüssel.

Meist wird davon aus­ge­gan­gen, daß die Euro­päi­sche Uni­on die ihr über­tra­ge­nen Auf­ga­ben­fel­der bes­ser erle­digt als ent­spre­chen­de natio­na­le Ein­rich­tun­gen. Wel­che Fol­gen hat es, wenn die staat­li­che Sou­ve­rä­ni­tät in Euro­pa »längst ad absur­dum« geführt sei, wie Ende 2011 der amtie­ren­de Finanz­mi­nis­ter bekundete?

Dann regie­ren ande­re Mäch­te, jeden­falls nicht die Insti­tu­tio­nen, die vom Grund­ge­setz der Bun­des­re­pu­blik vor­ge­se­hen sind. In sol­chen Fäl­len kann man von ver­fas­sungs­wid­ri­ger Fremd­be­stim­mung sprechen.

Vor einem der­ar­tig exis­ten­ti­el­len Hin­ter­grund soll­te jeder, dem am Wohl­erge­hen Deutsch­lands gele­gen ist, dank­bar sein, wenn eine nam­haf­te Stim­me wie die des eme­ri­tier­ten Erlan­ger Staats­rechts­leh­rers Karl Albrecht Schacht­schnei­der sich gegen eine wei­te­re Aus­höh­lung der eige­nen Sou­ve­rä­ni­tät aus­spricht. Die Stu­die des Juris­ten ist in fünf Abschnit­te geglie­dert: Vor­be­grif­fe, das heißt Über­le­gun­gen aus der Staats­leh­re; Sou­ve­rä­ni­tät; frei­heit­li­che Sou­ve­rä­ni­tät; Deutsch­lands Sou­ve­rä­ni­tät; Sou­ve­rä­ni­täts­ver­let­zun­gen der euro­päi­schen Inte­gra­ti­on. Der Ver­fas­ser holt weit aus. Er berück­sich­tigt die Refle­xio­nen der neu­zeit­li­chen Staats­phi­lo­so­phen, ins­be­son­de­re die sei­nes Lieb­lings­den­kers Imma­nu­el Kant, eben­so wie aktu­el­le Sou­ve­rä­ni­täts­leh­ren. Abge­se­hen vom pau­scha­len Abkan­zeln Carl Schmitts, das des­sen Lebens­leis­tung in toto nicht gerecht wird, ist Schacht­schnei­der wohl recht zu geben, wenn er ein Desi­de­rat der Staats­leh­re bemän­gelt: Sie habe es ver­säumt, eine Sou­ve­rä­ni­täts­dok­trin zu ent­wer­fen, die aus der Frei­heit und Auto­no­mie der Bür­ger flie­ße. Kri­tisch steht Schacht­schnei­der dem rea­len Par­tei­en­staat gegenüber.

Im Haupt­teil lie­fert der Autor, der einer brei­te­ren Öffent­lich­keit als Klä­ger gegen den Ver­trag von Lis­sa­bon wie auch gegen die EU-Ret­tungs­po­li­tik bekannt gewor­den ist, detail­lier­te Nach­wei­se der EU-Ein­grif­fe in die natio­na­le Sou­ve­rä­ni­tät. Dazu zäh­len unter ande­rem die mas­si­ve Tan­gie­rung der Sub­si­dia­ri­tät durch den Brüs­se­ler Zen­tra­lis­mus, die »sou­ve­rä­ni­täts­wid­ri­ge Wäh­rungs­uni­on« und die ver­schie­de­nen Maß­nah­men der EZB (ESM, »Haus­halts­dik­ta­tur« etc.).

Schacht­schnei­der ver­weist mit Nach­druck dar­auf, daß die EU nur exis­tie­re, um Deutsch­land ein­zu­bin­den und (in nicht gerin­gem Maß deut­sche) Steu­er­gel­der in teils schwin­del­erre­gen­der Höhe umzu­ver­tei­len. Ein oft zu hören­des Argu­ment, Deutsch­land kön­ne sei­ne Pro­duk­te in der Euro­zo­ne zu güns­ti­gen Kon­di­tio­nen ver­kau­fen, schwächt der Gelehr­te deut­lich ab. Bereits die WTO-Mit­glied­schaft der EU-Län­der mache einen zoll­frei­en Han­del möglich.

Es lie­gen der­zeit kaum Abhand­lun­gen vor, die auf einem der­art pro­fun­den Niveau bele­gen, wie sehr die bis­he­ri­gen Inte­gra­ti­ons­schrit­te der EU grund­le­gen­de Ver­fas­sungs­prin­zi­pi­en von Demo­kra­tie, Rechts- und Sozi­al­staat berüh­ren und eine »EU-Dik­ta­tur« am Hori­zont auf­leuch­ten las­sen. Eine Pflicht­lek­tü­re für jeden poli­tisch Interessierten.

Karl Albrecht Schacht­schnei­der: Die Sou­ve­rä­ni­tät Deutsch­lands. Sou­ve­rän ist, wer frei ist, Rot­ten­burg: Kopp 2012. 384 S., 19.95 €

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