solange sie Versorgung garantiert. Insofern kann sie gleichfalls als Politik gewordener Utilitarismus der Konsumenten und Besitzstandswahrer gelten. Konservativ – im Wortsinn – ist das durchaus, aber große Ideen hat solch ein Prinzip nicht nötig. Krisenmanagement und Sicherstellungen reichen aus.
Angela Merkel hat offenbar recht. Deutschland geht es gut, es steht bombastisch da. Zieht man die ca. 25 Prozent Nichtwähler und die Salonprotestler der Linken ab, sind die Menschen zufrieden. Positiv angeschaut kann man das als Anzeichen von Stabilität mitten in all den Krisen deuten, kritisch dafür, daß Deutschland die politische Krähwinkel-Nation bleibt, die es in der Mitte Europas – abgesehen von wenigen, dafür aber extrem radikalen Phasen – immer wahr. Mindestens die CDU-Gartenzwerge bekommen morgens den Hintern hoch und gehen gleich den Rentnern von der Linken zur Wahl.
Dem Spitzenkandidaten der SPD eignete durchaus eine markante Persönlichkeit, geschärft um ein paar Atavismen und ausgezeichnet durch rhetorische Fähigkeiten. Man konnte ihm die Botschaft der letzten Wochen abnehmen. Kein Leisegeiger, kein Täuscher, nicht nur Rampensau. Vielleicht war er gar der einzig kantige Typ in diesem Wahlkampf, aber gerade das, Typik!, gefällt den Leuten nicht. Mag sogar sein, den Leuten ist einer, der Sätze bilden kann, immer verdächtig. Gysi bildet ja auch Sätze, nur seit Jahren dieselben, so daß sich seine Dauer-Pointen, seine akkumulierten Zahlenbeispiele und sein “Ja, wo leben wir denn?!” verbrauchten. – Wendestimmung? Die letzte relative Kehre vollzog Gerhard Schröder mit seiner Agenda-Politik, der Deutschland tatsächlich die wirtschaftliche Fitneß im Vergleich zu anderen verdankt. Dafür wurde er abgewählt.
Angela Merkel – das Phänomen! Sie erscheint in Rede und Aktion so angenehm nullig und ist von so farblosen Effendis umgeben, daß ihre Partei in all der faden PH-Neutralität offenbar zum Projektionsraum aller möglichen Vorstellungen von Sicherheit, Wohlstand und Perspektive taugt. Deshalb ist wieder so erfrischt die Rede von der “Volkspartei”. Eigentlich störte diese CDU der ominöse und dauerhektische Koalitionspartner nur, weil er arrogante Klientelpolitik betrieb, die an liberale Traditionen in Deutschland kaum anknüpfen konnte.
Problematischer noch: Die Führungstruppe der FDP besteht mit Rösler, Döring, Homburger u. a. mittlerweile aus so skurrilen Typen, daß die Wähler ihnen einfach nichts mehr abnehmen. Dabei verfügt Rainer Brüderle ohne Zweifel über Kompetenz, reiht sich aber in diese Karikaturenreihe ein; und Frau Leutheusser-Schnarrenberger, die vielleicht letzte klassisch Liberale, ist schlau genug, sich aus dem Kabarett ihrer Parteiführung herauszuhalten und auf ihr Fach zu beschränken. Selbst der einst so vital-dreiste Westerwelle wurde längst zum zahmen Vorruheständler und darf endlich aus seinem ungeliebten Amt scheiden. Häme hat die FDP dennoch nicht verdient. Mit ihr fehlt der Republik ein politisches Segment, daß die AfD nicht zu füllen vermag. – Jetzt kommt Lindner, der geduldig genug war und den richtigen Zeitpunkt schon erspürt haben wird.
Auch bei den Grünen hängt die relative Niederlage vor allem am Personal. Was immer man von der Programmatik dieser Partei hält: Es müßte damit im Bereich des sich alternativ verstehenden Neubürgertums und bei den Bio-Jüngern mehr zu mobilisieren sein. Aber insbesondere die Intellektuellen finden Roth, Trittin, Özdemir in deren Auftritten unangenehm bis peinlich. Nur: Wer will deren Job? Gerade die Grünen entwickelten eine so weltverbesserische Kindergeburtstags- bzw. Kirchentagsmentalität, die nachdenkliche Menschen abstößt; und sie folgen einem Menschenbild, das außerhalb der Gesamtschule der Siebziger nun mal mit der Wirklichkeit kollidiert.
Über die Linke braucht man nicht nachdenken. Sie erkennt soziale Exklusionsprozesse richtig. Wo sie aber an der Macht war und ist, kann sie diesen nicht entgegenwirken, weil sie – ganz unmarxistisch – ihren Frieden mit dem System gemacht hat und auch nur noch einkaufen möchte.
Und die AfD? An der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern ist kein Achtungserfolg, sondern eine echte Niederlage. Die euphorisierten Akademiker und Währungsrechner träumten sich vorher auf zehn Prozent. Weil sie den Wähler nicht kennen und weil der eben nicht akademisch reagiert, sondern unter Muttis Fittiche will. Über den eigenen Haushalt hinaus rechnet der Kleinbürger nun mal nicht. Er möchte seine Kredite bedienen können. Das bekommt er noch hin. Fertig.
Auch über eine politische Rechte braucht man nicht nachdenken. Diese Rechte gibt es meßbar nicht.
Was bleibt? Jetzt, da wir auf die nächste Große Koalition warten, könnte immerhin tatsächlich Wendestimmung einsetzen. Denn wo wäre noch Opposition möglich? Nicht in der fleischigen Mitte, sondern nur noch von außen, aus den subversiven Nischen, aus der Kultur, aus dem radikalen Intellektualismus. Alle anderen sind nämlich versorgt. Und unter sich warm untergebracht.
(Bildnachweis: Abode of Chaos)
Karl Eduard
Leider hat der Autor außer acht gelassen, daß Deutschland dauersediert ist. Also unter Drogen steht.