Dabei trifft offenbar besonders die deutschsprachige Erstauflage von Jean Raspails Sieben Reiter verließen die Stadt den ein oder anderen wunden Punkt. Zeugnisse dieser Verwirrung finden sich nicht allein in Kommentarspalten dieses Netz-Tagebuchs, sondern ebenso bei Amazon-Kundenrezensionen und in der Blauen Narzisse.
Es gilt zu zeigen, warum eben genau diese Bücher aufgelegt werden mußten und nichts „Offensichtliches, Greifbares“ – wie von einem, dessen Bekannte ohne „Hilfestellung“ mit dem Werk „nicht viel anfangen“ konnten, erbeten.
Der eminenteste Vorwurf an die edition nordost betrifft die vordergründige thematische Ausrichtung.
Jedoch hat es mich etwas irritiert, daß zwei von vier angekündigten Titeln nun wieder den Zweiten Weltkrieg zum Thema haben […]. Daß mit den »Sieben Reitern« auch ein dritter Titel seine Charaktere im Wesentlichen über ihre militärischen Dienstgrade definiert, macht den Gesamteindruck der Reihe nicht gerade besser.
heißt es dazu in einem Kommentar bei Sezession im Netz. Benjamin Jahn Zschocke schrieb im Blaue-Narzisse-Blog:
Irgendwann […] begann ich zu ahnen, warum ich keinen Zugang finde: Der Krieg fällt nicht in meinen Erfahrungshorizont. […] Die Fragen des Alltags – die konservatives Handeln, Gestalten, Fühlen und Denken aus sich heraus mehr als alles andere bestimmen – bleiben unbeantwortet.
Man muß kein Literaturwissenschaftler sein, um zu wissen, daß derartiges Mauern gegenüber einem Werk allein aufgrund der zugrundeliegenden Zeit und/oder des Themas die Aufnahmefähigkeit gegenüber den sublimen Inhalten verdirbt, noch ehe man über den Buchumschlag hinaus ist. Noch viel schwerer wiegt die verblüffend geringe Bereitschaft, das Gelesene weiterführend zu interpretieren – auch und gerade im Hinblick auf die von Zschocke aufgeworfenen „Fragen des Alltags“.
Denn eine „Kriegsschnurre“ ist eben nicht nur eine ebensolche, und „Bildungsromane“ sind Müll, waren es schon immer. Das Vorurteil, zu Ende gedacht, läuft darauf hinaus, der „durchschnittliche Szene-Leser“ (Zschocke) lese etwa einen Fernau aufgrund von dessen Dienstzeit in der Waffen-SS. An vergangener Glorie müsse und wolle man sich berauschen, derart aufgeladen die Panzerschlacht von Kursk am Tresen doch noch gewinnen, deshalb lese man nur Bekanntes, und die Kunst bliebe dabei auf der Strecke. Nun ist diese Elegie eines ästhetischen Fundamentalismus ebenso fehl am Platze wie das Nachsinnen über die literarische Abbildung spätmoderner Lebenswirklichkeit – wieso sollte man denn die menschliche Agonie, durch die man sich des Tages unweigerlich quält, in Momenten der Ruhe auch noch schriftlich verewigt suchen?
In der Kritik am Kriegssujet der edition nordost entblößt sich die reine Konsummentalität, deren schneller Blick, gierig, nur an der Oberfläche haften bleibt. Dabei ist es keine Kunst, zu durchschauen, daß das verbindende Topos der ersten vier nordost-Bände mitnichten Krieg oder Soldatentum, sondern der Kampf an sich ist – nicht mehr und nicht weniger. Nicht gegen „den Russen“ mit Hauptmann Pax oder „die Roten“ als militanter Anhänger der CasaPound (Tatsächlich hat sich noch niemand beschwert, daß Wer gegen uns? ebenfalls ein kriegerisches Buch sei; wie kommt das? Weil es an Uniformen fehlt?), sondern zuallererst mit sich selbst, eigener Angst, Bequemlichkeit, auch Hoffnung und Sehnsucht.
Das tägliche Ringen jedes Einzelnen ist skiamachein, Kämpfen mit Gespenstern. Wie man dabei steht, ist eine Frage der Haltung; eben des Stils, den Günter Scholdt in seiner Laudatio auf das 50. Heft der Sezession beschwor und dessen Verfestigung eine rechte Belletristik dienen kann:
Autoren transportieren gesellschaftliche Einsichten auf leicht faßliche, anschauliche Weise. […] Daß heute vielfach der Irrglaube herrscht, der Geist stehe links, ist eine Folge des Umstands, daß wir fahrlässigerweise vom Kampfplatz »Kultur« gewichen sind.
Nun also der Kampf, oder vielmehr: der Kämpfende als Archetyp. Nicht um den konkreten Wehrmachtssoldaten, den Grafen Silvius von Pickendorff oder einen einzelnen römischen militanto geht es im Roman-Kleeblatt, sondern um den Gestus des Streitenden, um das Finden und Bewahren von Haltung im Angesicht existentieller Bedrohung. Kann dies der 1930 von Werner Best aus der Taufe gehobene „heroische Realismus“ sein?
Dagegen ist die Bejahung des Kampfes auf verlorenem Posten für eine verlorene Sache das Kriterium der neuen Haltung: auf den guten Kampf kommt es an, nicht auf die »gute Sache« und auf den Erfolg. So entsteht aus realistischer Bejahung der Wirklichkeit eine heroische Sittlichkeit; deshalb mag, als terminologische Parallele zu den Bezeichnungen »utopisch-rationalistische« und »moralisch-idealistische« Grundauffassung, die den Nationalismus tragende innere Haltung als heroisch-realistische gekennzeichnet werden.
Nun ist diese, Nietzsches amor fati eng anverwandte, Anschauung beileibe nicht nur an Stahlbäder und Schützengräben gekoppelt, sondern schwingt in den Auseinandersetzungen des Menschen mit seiner spätmodernen Existenz ebenso mit.
Besonders exemplifiziert findet sich die Situation des „Kampfes auf verlorenem Posten“ in Raspails Sieben Reitern. Hier hat der Untergang des Abendlandes bereits stattgefunden, die Jungen haben sich unter dem Einfluß von Droge und Seuche gegen die Alten erhoben, und die zu Staub zerblasene Alte Welt ist mitnichten einem reinigenden kataklysmos zum Opfer gefallen, auf den eine palingenesis folgen könnte. Pickendorff und seine Mitstreiter ziehen einem unsichtbaren Feind entgegen, der sie von überallher anfallen kann: Denn ihre Welt selbst ist der Feind geworden.
Daß der kleine Trupp nach und nach dezimiert wird, ist denn auch stets den insgeheimen Sehnsüchten der Individuen geschuldet, mithin ihrem Verhaftetsein in den „guten alten Zeiten“, das sie gefangenhält und der apokalyptischen Realität gegenüber abschirmt. Während der eine dabei stirbt, tritt der andere das Erbe seiner Ahnen an – mit ungewissem Ausgang. Das heroisch-realistische Element bestimmt das Buch, denn allen Reitern ist wohlbewußt, daß ihre Reise ohne Wiederkehr sein wird; gleich zu Beginn bricht ihr Ausgangspunkt weg. Doch die diffuse Suche nach einem Ausweg aus der Katastrophe wird weitergeführt.
Wir werden suchen müssen; jenseits dessen, was wir kennen und dessen, was wir nicht kennen. Zuerst innerhalb unseres eigenen Landes und dann auch außerhalb unserer Grenzen. Was geschieht um uns herum? Was ist die Bedeutung von alledem?
spricht der Markgraf eingangs zum Oberst. Persönliche Zweifel angesichts der Resultate des Imperativs „Erkenne die Lage!“ werden fortgeschoben, Fahnenflucht ereignet sich nur im Angesicht eines Hoffnungsschimmers.
Das unbestimmte Szenario, dessen zeitliche wie räumliche Grenzen Raspail bewußt verwischt hat, läßt denn auch eine Vielzahl von Schlüssen des Lesers zu. Allein über die Anzahl der Protagonisten ließe sich nächtelang sinnieren, umgibt doch die Sieben in den meisten Kulturen besondere Mystik (siehe übrigens auch Wer gegen uns?). Die Reiter reihen sich jedoch nahtlos in das Œuvre des Autors ein.
Daß das Ende letztlich derart niederschmetternd ausfällt, als ein Finger, der die hoffende Erwartung des Lesers ausdrückt wie einen Zigarettenstummel, ist in letzter Instanz nur folgerichtig – und ein großes Ausrufezeichen für den Leser, noch einmal gut darüber nachzudenken, was er gerade gelesen hat und wie er dazu in Beziehung steht.
Nach Alex Kurtagic braucht es zum Erfolg „einen Inhalt, der dem Stil Substanz gibt, und einen Stil, der dem Inhalt eine Form gibt“. Fernaus und Raspails nordost-Bände haben beides. Der Erfolg wäre in diesem Kontext das Aufmerken des Lesers und die Verfestigung seiner Haltung. Das vermögen, trotz ihres Alters (das zumindest Amazon-Kunden unbekannt zu sein scheint!), Hauptmann Pax (1954) und Sieben Reiter verließen die Stadt (1993) sehr wohl.
„Am Handeln sollt ihr sie erkennen!“, heißt es im Nachwort zu Fernaus Werk, und dies wird gerade im Zusammenhang des Kämpferischen deutlich. Nicht ohne Grund hat selbst ein empfindsames Gemüt wie Fernando Pessoa in seinen Mitteilungen aus dem „Interregnum“ nur eine letzte Bastion und ordnenden Faktor gegen den wuchernden Verfall und die Erosion aller Gewißheiten ausgemacht: „Wir müssen an eine Kraft appellieren, die einen sozialen, traditionellen Charakter besitzt, und die daher nicht zufällig und desintegrierend ist. Es gibt nur eine Kraft mit diesem Charakter: Es ist die bewaffnete Macht.“
Die edition nordost bilden keine Soldatenschmöker, sondern stilistische Wegweiser durch das Irrsal dieser verworrenen Zeit, hin zu einem Gestus, der uns geziemt.
Benjamin Jahn Zschocke
Till Röcke hat heute "Hauptmann Pax" ausführlich bei uns besprochen: https://www.blauenarzisse.de/index.php/rezension/item/4240-stosstrupp-solitaer