Vergleichbar sensibel gestaltet sich auch die Nomenklatur um jene Alten, die so – auch in Abgrenzung zu den älteren Alten, den Greisen – nicht genannt werden wollen. Da sie – es geht konkret um die Jahrgänge nach der Flakhelfergeneration, um die Geburtskohorten 1936–1950 – längst als zahlungskräftige Konsumentenzielgruppe entdeckt wurden, hat der Markt eine Vielzahl klangvoller Namen für sie entworfen: Generation 55+, Junge Alte, Best Agers, Golden Oldies, Silver Surfer, wobei letzteres wiederum die Frauen ausschließen dürfte: Damen ohne grauabdeckende Koloration sind eine aussterbende Spezies.
Den Begriff „Senior”, so raten Marketingexperten, gelte es tunlichst zu vermeiden, er lasse Abwertung vermuten, klinge nach Altersheim und Rommérunde. Tabu auch: Rentner / Ruheständler (denn jetzt beginnt der Spaß doch erst!) sowie, möglichst auch privat nicht, Oma und Opa (Assoziation: Strickstrumpf, Pantoffel, beigebraune Klamotte, Erwartungshaltung der Kinder bezüglich Enkelbetreuung). Daß er seine Power, Potenz und Progressivität betont und gleichzeitig als rohes Ei behandelt zu werden wünscht, gehört zu den herausragenden Kennzeichen des Best Agers. Empfehlung der Verkaufsstrategen: „Die Bedürfnisse älterer Menschen müssen berücksichtigt, dürfen aber nicht direkt angesprochen werden.” Wer solches beherzigt, kann kräftig mitverdienen: Was früher für die Enkel gespart wurde, gönnen sich die Best Agers heute zunehmend selbst für einen Lebensabend, der nun zur entspannten Lebensmitte geworden ist. Die dreißig Millionen Deutschen über fünfzig bestimmen heute über mehr als vierzig Prozent des frei verfügbaren Kapitals, das sind sechshundert Milliarden Euro jährlich.
Höchst akribisch, in verschiedene Rubriken unterteilt, sammelt das Kölner „Büro gegen Altersdiskriminierung” jeden Witz, jede Werbebotschaft, jede toilettenfreie S‑Bahn („eine Zumutung für Ältere!”) und jede Zeitungsmeldung, die unter den Tatbestand des ageism fallen könnte, etwa:
Ein 65jähriger Mann möchte ein Segelschiff erwerben. Der Mann bezieht eine hohe monatliche Pension und er hat schuldenfreien Immobilienbesitz. Den Kaufpreis der Summe kann er komplett in bar aufbringen, möchte aber lieber ein Drittel der Summe, das sind 50.000 Euro, finanzieren. Er wendet sich deshalb an die Baufinanz-Bayern. Nach erfolgter Bonitätsprüfung erhält er folgenden Vordruck: „Aufgrund Ihres relativ hohen Alters können wir Ihren Antrag nur bearbeiten, wenn es in ihrem persönlichen Umfeld Personen gibt, die erheblich jünger als Sie sind und über ein gutes persönliches Einkommen verfügen. Diese Person(en) brauchten nicht Eigentümer ihrer Immobilie werden, sondern müssen nur als Mitantragsteller für das beantragte Darlehn auftreten.”
Das Büro gegen Altersdiskriminierung merkt dazu an: Wir haben Justizministerin Zypries diesen Fall bekannt gemacht, um unsere Forderung nach Schutz vor Altersdiskriminierung zu untermauern.
Wer die zahlreichen Fälle kennt, in denen jungen Menschen unter ähnlichen Kapitalvoraussetzungen die Kreditwürdigkeit (zum Zwecke des Hausbaus, zur Firmengründung) abgeschlagen wurden (etwa weil einige Kinder zu versorgen sind, weshalb ein horrender monatlicher Selbstbehalt angenommen wird, oder weil man in einem konjunkturschwachen Bundesland lebt), dürfte ob der existentiellen Tragweite des obigen Falles müde lächeln.
Es scheint gerade das Ausmaß an öffentlichkeitswirksam behaupteter Diskriminierung ein geeigneter Gradmesser dafür zu sein, wie wenig eine Personengruppe tatsächlich diskriminiert wird. Wer bereits die tatsächlich allfälligen Berechnungen zur überalterten Gesellschaft (politisch korrekt: unterjüngten), zur Rentenmisere und den hoffenden Pflegekosten unter „Altersrassismus” (Frank Schirrmacher) rechnen mag, dem hat man Lasten und Kosten seines Empfängerdaseins noch nicht wirklich um die Ohren gehauen. Weit und breit ist Bernd W. Klöckner mit seinem Buch Die gierigen Alten der einzige, der das Kind wirklich bei seinem beängstigenden Namen nannte. Dazu paßt, daß 1996 die Bezeichnung „Rentnerschwemme” zum „Unwort des Jahres gekürt wurde – dies, obgleich dieser Terminus vor dessen „Prämierung” in keiner Quelle überhaupt nachweisbar war.
Nein, es soll hier nicht um Rentensystem, Pflegeversicherung, den Zuwachs an Alten und die sogenannte „Generationengerechtigkeit” an sich gehen. Zahlenschlachten liefern sich andere, allerorten. Kurt Biedenkopf hat schon recht, wenn er die allseits beklagte demographische Misere schlicht als „Ausdruck eines millionenfachen Plebiszits” auffaßt. Es geht um die innere Verfaßtheit: um die moralische Verkommenheit unserer Best Agers.
Klar, wer von „Generation” spricht, redet pauschal. Immer. Zunächst: Best Agers wird hier als Schimpfwort gebraucht. Wer sich getroffen fühlt, möge bellen! Nie in der Schußlinie sind: die treusorgenden Großeltern, die rührigen Ehrenamtlichen, die durch Schicksalsschläge auf der Strecke Geblieben, auch diejenigen, die in der allgemeinen Fettlebe der reichen BRD-Zeit Würde mittels Konsumdistanz bewahrten und solches an ihre Kinder und Enkel weiterzugeben vermochten und vermögen. Gemeint hingegen sind alle, die – großgeworden auf den Schultern der Trümmerfrauen – bloß an ihr eigenes, fettes Leben denken und ihr „Nach mir die Sintflut” anstimmen.
„Wo wenig Klasse ist, ist viel Generation”, schrieb Gustav Seibt einmal. Den Kollektivsingular einer Lifestyle-Generation – wohlgemerkt scharf zu trennen von den Erlebnisgenerationen, die früher waren und die hier aufs deutlichste ausgespart werden – haben sich diejenigen, um die es geht, selbst zu verdanken: In ihrer Ägide, die unter den Vorzeichen des sich etablierenden Massenkonsums und dem Aufstieg des kleinen Mannes steht, ist die klassenlose Gesellschaft leibhaftig geworden. Bürger, Bauer, Arbeitsmann sind zu einer weltoffenen, konturlosen und verantwortungsscheuen Konsumgemeinschaft verschmolzen. Allgemeiner Wohlstand und der in jeder Hinsicht sättigende Komfort einer beispiellos langen Friedenszeit hat die alte Gültigkeit von Milieus weitgehend absorbiert. Ob Hausfrau, Täschnerin, Schalterdame oder Frau Professor: beim Power-Walking im Park, probates Mittel gegen jedwedes Zivilisationszipperlein, kreuzen sich ihre Wege.
Im Kursbuch Die Dreißigjährigen (Dezember 2003) beschreibt der Schriftsteller David Wagner, Jahrgang 1971 seine „unsympathischen, ewig jungen Eltern”: Sie habe
„der fluktuierende Jugendwahn so im Griff, daß sie keine Großeltern sein wollen. Sie wollen jetzt lieber in Ruhe ihr beschissen kaviarlinkes Milieu pflegen, sich früh pensionieren lassen und Golf spielen. Scheint, als empfänden sie ihr Alter und ihr nicht mehr nur Elternsein als Kränkung. Ich habe sie plötzlich alt gemacht. Die Rolle der Alten, die ewige Großelternrolle, wollen sie noch lange von ihren Nazi-Eltern verkörpert sehen. Die sie, auch wenn sie längst tot sind, als Schreckgespenster weiterleben lassen, hegen und pflegen, um sie dann immer mal wieder als Einschüchterungsapparate auftreten zu lassen. Tut mir leid, das hat auf mich keine große Wirkung mehr. Mir persönlich sind meine Großeltern – die waren nie von einem so selbstüberzeugten, mir ekelerregendem Gutsein durchdrungen – auf verführerische Weise sympathischer als meine Eltern.”
Die Generation der Best Agers frühstückt bis heute von einer reich gedeckten Tafel des Lebens. Den Appetit mag man ihr gönnen, sie hat ja beim Decken des Tisches den Altvorderen eine wenig (immerhin begann bereits 1966 durch Entgrenzung des Sozialstaats der Aufschwung zu bröckeln) mitgeholfen, allein: Sie hat keine Manieren. Die hat sie wohl erworben von jenen, die ihr als Nazis oder Mitläufer galten, hat dann aber versäumt oder bewußt unterlassen, sie weiterzugeben, und nun beginnt das große Rülpsen. Best Agers, das sind jene, die Krieg und Nachkrieg gerade miterlebt, aber nicht durchgekämpft haben, die unter ungeheurer Ressourcenverschwendung und Schuldenanhäufung vom Wirtschaftswunder – das wesentlich die Eltern für sie zauberten – profitierten und einen monströsen Schuldenberg hinterlassen haben.
Den Enkeln bleiben schwer genießbare Reste als Nachtisch. Die Speerspitze unserer Best Agers flitzte seit 1968 durch die Institutionen, der große Rest hielt nichts von Revolutionen. Gültiger und zu schützender Wert war allein der des Kontos. Erzieherischer Auftrag, Auseinadersetzung mit dem Geist der zeit, der seit den Siebzigern durch Schulden, Universitäten und Fernsehkanäle wehte. Fehlanzeige. Der Wohlstand hat sie korrumpiert. Schon damals, als man die Wegwerfgesellschaft mit ihren pflegeleichten Produkten und er Billigware aus Übersee freudig begrüßte und etablierte (Segen und Rarität sind Großmütter, die heute Enkelsocken stopfen und Bettwäsche flicken) und heute erst recht, wo der ältlichen Kegel- oder Tippgemeinschaft der Städtetrip nach Sevilla (Neckermann gibt einen Best Ager-Rabatt von 5 Prozent) angemessener erscheint, als der Gruppenausflug per Bus an den Chiemsee.
Gewohnt scharfsinnig hat Gerd-Klaus Kaltenbrunner 1978 die Herausbildung jener damaligen Elterngeneration als „papierne Existenzen”, als „Momentpersönlichkeiten” konstatiert. Jene Großeltern, die heute keine sein wollen, haben weithin schon als Eltern versagt. Der Aufgabe, ihre Kinder „erfolgreich auf das ihnen bevorstehende Leben wissensmäßig und moralisch vorzubereiten”, haben sie sich entzogen, indem sie an „die Stelle elterlichen Einflusses zweckhaft organisierte ‚Sozialisations’-Einrichtungen, den Umgang mit Gleichaltrigen und die anonym-diffuse Wirkung der Massenmedien” haben treten lassen. Dies alles habe (wir schreiben 1978!) mehr als Störfaktor empfunden werden; und neue können sich unter diesen Bedingungen kaum bilden. … Die Chancen, im Laufe des Älterwerdens automatisch auch weiser zu werden, sind rückläufig.” Kaltenbrunner zitiert bestätigend Alexander und Margarete Mitscherlich, die vermuten, daß Väter ernsthaften Gesprächen auch deshalb auswichen, „weil sich in ihnen ein starker Wunsch regt, im Kind, im Sohn, einen Freund zu haben, der ihnen, den Vätern, in ihrer eigenen Richtungslosigkeit Hilfe bietet”. Das betriebswirtschaftliche Stichwort der „flachen Hierarchien” ist heute längst endgültig in der familiären Sphäre angekommen. Das äußerst sich selten in solidarischem, zukunftsweisendem Miteinander, sondern bleibt im Normalfall auf der Konsumentenebene stecken: ein gemeinsamer Botox-to-go-Termin beim Kosmetikinstitut für die Best Agerin mit der Schwiegertochter („Gönn ich mir und spendier ich dir”) – warum nicht?
Gewiß, Generationenkonflikte sowie die Unordnung von Alt und Jung gehören seit Jahrtausenden zum Wesen des Menschen. Schon Platon nannte es ein Kennzeichen des Verfalls, „wenn ein Vater sich gewähnt, dem Knaben ähnlich zu werden. … Der Lehrer zittert dann in einen solchen Zustand vor seinen Schülern und schmeichelt ihnen. … Die Alten setzen sich unter die Jugend und suchen es ihr gleichzutun an Fülle des Witzes und lustigen Einfällen, damit es nicht den Anschein erwecke, als seien sie mürrisch.”
Nun ist generell wenig von Kindern zu halten, die den Grund für das eigene Versagen beharrlich in den Versäumnissen und Fehlern ihrer Eltern suchen. Was aber, wenn die Flaute der Verantwortlichen eine kollektive ist, wenn sie anhält und ihr Soll vererbt hat: per unverdienter Besitzstandswahrung, per pädagogischem Bankrott, per ästhetischer Zumutung. Im ärgsten Fall bildet der Best Ager einen Typen ab, den man gern Zombie heißen würde, ließe man sich damit nicht allzusehr auf das ebendort vorgefundene Niveau herab:
Ehepaar in der öffentlichen Sauna, er 59 (es ging nebenbei um die Ausrichtung der Party zum 60.), sie vielleicht etwas darunter. Beide Beamte, er frühpensioniert, sie kurz davor. Er ganz offensichtlich am Schimanski-Vorbild sozialisiert, Ring im Ohr, eine Menge Fäkales lautstark im Mund, sie: pinkgesträhnt und röschentätowiert. Zwischen den Saunagängen tippen beide SMS und berichten sich von der stattgefundenen Kommunikation. Offenkundig geht es um die Tochter, die studiert – was sonst? – und um Hilfeleistung für einen Umzug ersucht. Gesprächsfetzen: „Nee, da kannse betteln oder schimpfen wiese will, das ist ihr Bier.” „Wenn wir für vier Monate auf der Insel sind, dann sind wir für vier Monate auf der Insel! Als kostenloser Möbelpacker zu gehen, das hab ich nicht mehr nötig!” „Nee, eben, haben wir nicht. Das ist unser Leben, das musse begreifen. Da lassen wir uns nicht unter Druck setzen.” Reihum Nicken der umsitzenden Gleichaltrigen: Ja, auch wir hatten Schaff genug! Er, von der Woge der Zustimmung getragen, dennoch etwas überraschend herausplatzend: „Meine Alte läßt sich auf Malle nämlich straffen. Kost’ die Hälfte von hier”. Kurze Stille, verdutzte Gesichter, dann doch wieder zustimmendes Gemurmel. Ist doch nichts dabei. Wieso auch.
Extremes Beispiel sittlicher Verrohung, kaum verallgemeinerbar? Mitnichten. Den Jargon der Bild mit entsprechender Themenkonzentration pflegt nicht mehr nur die Schicht der Hilfsarbeiter. Der Plöbel hat längst Einzug gehalten auf Posten, die er maximal verwaltet, doch selten ausfüllt, anschließendes Seniorenstudium keineswegs ausgeschlossen. Die Demokratisierung der Bildung, der Massentourismus zu den Pyramiden oder nach Delphi, das populäre Interesse an Gauß und Humboldt (durch Kehlmann) oder an Häretikern (durch Dan Brown) besagt genausowenig wie die Teilnahme der Wohnzimmerrunde am TV-Wissenspuiz.
Ein Narr, der den Alten das Altern vorhielte, den Verfall, die Kraftlosigkeit, auch das Häßliche, das mit solchem Prozeß natürlicherweise einhergeht. Das Ärgernis ist die umgreifende Würdelosigkeit des Vorgangs. Über Lotti Huber dereinst und Prinz Ferfried heute zerreißen sie sich den Mund, subkutan wirken beide als Prototypen. Der Versandbuchhändler Amazon listet deutlich mehr Produkte zum Themenbereich Sex im Alter (meist mit dem Wort „Tabu” im Titel) als etwa zum Stichwort Familiengründung auf.
Apropos sexuelle Libertinage: Sage keiner, die sei uns allein durch die 68er, gewissermaßen die S‑Klasse unter den Best Agers, mundgerecht geschnitten worden. Die Druchschnitts-Feministin unter den heute 55–70jährigen hütete ihren Leib vermutlich sogar sorgsamer als die Masse der Tante Gretes und Hildegards, die dereinst zwar nicht lauthals „Mein Buch gehört mir” proklamierten, aber die Pille als Glücksfall konsumierten und Abtreibung als Ernstfall praktizierten. Sexuelle Aufklärung wurde den zwischen 1960 und 1980 Geborenen über die elterlich offiziell geächtete Bravo vermittelt oder mit der Pillen- oder Zäpfchenpackung, die eines Tages ohne Worte auf dem Jugendzimmertisch – Preßspan mit Buchenachbildung – lag, vollzogen. Und in den Swingerclubs zum frohen Pärchentausch, die seit den frühen Neunzigern wie Pilze aus dem Boden schossen, vergnügten sich mitnichten zuvörderst die 89er oder die koksende New Economy, sondern die heutigen Best Agers, die damals noch kein Viagra brauchten.
Gerhard P. läßt sich von Freunden Gerri nennen und, das ist ihm wichtig, Gary schreiben. Jahrgang 1941, ehemals Büroangestellter, seit sechs Jahren im Vorruhestand. „Wohlverdient” sagt er, und, zwinkernd, „Unruhestand”. P. hat wechselnde Lebensgefährtinnen, mit seiner Ex führt er einen zehrenden Rechtsstreit, mit seinen beiden Söhnen hat er sich aus anderen Gründen überworfen, zur Tochter und dem Enkel in der benachbarten Großstadt hält er losen Kontakt, gelegentliche Telefonate, zwei, drei Besuche pro Jahr. Seine Passion seit einem knappen Jahrzeht gilt dem Inline-Skaten, das Hobby teilt er mit der aktuellen „Partnerin”. Hand in Hand gleiten sie allabendlich durch den Ort. Zwei dabei zugezogene Verletzungen haben ihn im letzten Jahr bezüglich seiner Fitneß deutlich zurückgeworfen – ärgerliche Krankenhausaufenthalte mit kleinen OPs – doch nach einer Rehabilitationskur geht’s nun wieder. P. duzt mich, er ist doppelt so alt wie ich, vielleicht setzt ihn das in das Recht der intimen Anrede. Wenn das hippe Pärchen mir und den Kindern begegnet, äußern beide regelmäßig, sie fanden es voll cool, wie „du das so managst mit den Kids.” Ich lächele zurück, das ist das einfachste. Aus der Nachbarschaft ist bekannt, daß P. Mißverständnisse schnell vor Gericht bringt.
Schirrmacher spricht von einem evolutionären Debüt; nie zuvor habe es irgendwo mehr Alte als Junge gegeben; habe, wie heute, der Anteil der biologisch nicht mehr Reproduktionsfähigen den der Fruchtbaren überwogen. Verläßt man den engen Kreis des homo sapiens, so hat die Relation Tradition in der Naturwelt. Hier dominiert die Anzahl der parasitären Arten deutlich die der nichtparasitären Leistungsbringer. Hinter Zahlen, wonach in den alten Bundesländern nur jeder fünfte, in den neuen gar bloß jeder zwanzigste bis zu seinem fünfundsechzigsten Lebensjahr arbeitet, mögen bisweilen traurige Schicksale stehen. Nichtsdestotrotz beziehen die 65–69jährigen in ihrer Gesamtheit dreißig Prozent mehr Einkommen als ihre Altersgenossen vor zwanzig Jahren, während der Großteil der unter 39jährigen mit einem vergleichsweise gesunkenen Einkommen leben muß. Im Gegenzug leidet – nur ein Beispiel! – ein knappes Viertel der Best Ager neben ungezählten anderen so bedauerlich wie kostspieligen Krankheiten an altersbedingter Makula-Degeneration. Eine Sehschwäche, mit der Alte seit je leben und die im Greisenalter zur Erblindung führen kann. Ein neues, hochwirksames Medikament, das gerade seiner Kassenzulassung harrt, würde einen fünfstelligen Betrag pro Jahr und Patient verschlingen. Allein damit wäre das Gesundheitssystem relativ schlagartig ruiniert. Doch wer könne eine Vorenthaltung jener Arznei ethisch verantworten, wo bereits die Frage nach der Opportunität von künstlichen Hüftgelenken vor Jahren die Best Ager auf die Barrikaden ihrer Selbstgerechtigkeit trieb? Das Sinnbild der „Drohne” speist sich aus zweierlei: der Unproduktivität und der angemaßten Privilegiertheit.
Daß sich zum Lebensende häufig gleichsam ein Kreis zu schließen scheint, jenes Bild vom Greis, der in seiner Zahnlosigkeit und Pflegebedürftigkeit einem Säugling gleicht, ist seit jeher geläufig. Neu ist die, lebenszeitlich ebenfalls spiegelbildliche, Annäherung des Best Agers an den Teenager. Flausen und Marotten einer Umbruchsphase, den maßstablosen Luxus der Nichtsnutzigkeit gönnen sich beide Lebensalter. Augenfällig wird dies im Symbol der Basecap: die wird von der Erwerbsgeneration kaum getragen, während sie für Heranwachsende und den klassischen Frührentner gleichermaßen als beliebteste Kofpbedeckung gilt. Die puerile Harmlosigkeit solcher Individuen wächst sich nur durch ihre Massenhaftigkeit zur Bedrohung aus. „Die Eltern fressen ihre Kinder”, prognostizierte schon vor Jahren der Trendforscher Peter Wipperamnn. Was also tun? Man muß unwillkürlich an Bruno denken, jenes räuberische Grußwild, daß im Frühsommer durch Medien und alpine Wälder geisterte. Bären seien ungefährlich, hieß es, aber gegenüber Problembären seien Maßnahmen zu ergreifen. man erwog also, ihn in ein Reservat zu sperren. Daß hieße, ihn kontrolliert sich selbst zu überlassen. Andere forderten die ultimative Konsequenz. Der Kulturhistoriker Wolfgang Schivelbusch äußterte einmal ähnliches, anthropomorph gewendet: „Denkbar ist, daß der Appell zum süßen und ehrenvollen Sterben einmal anstatt militärisch an die Jungen gerontologisch an die Alten gerichtet – und sofern genügend sozialer und moralischer Druck vorhanden ist – ähnlich konformistisch befolgt werden könnte wie 1914.”