oder weltanschauliche Kantenschere interessant – auch auf der persönlichen Ebene ist sie für Überraschungen gut. In unserem Fall sind es Leute, die wir im Verlauf unserer langjährigen Verlagsarbeit, im Wandervogel, beim Militär oder auf einer der mittlerweile zahllosen Veranstaltungen des Instituts für Staatspolitik (IfS) kennengelernt haben und von denen wir eines nicht erwartet hätten: parteipolitisches Engagement. Mit zweien von ihnen – Björn Höcke (Thüringen) und Stefan Scheil (Rheinland-Pfalz) haben wir ein Doppelinterview geführt, dessen 1. Teil wir heute veröffentlichen.
SEZESSION: Björn, wir kennen uns nicht erst seit gestern, will sagen: nicht erst, seit Du nun die AfD in Thüringen als Fraktionsführer im Landtag und als Vorsitzender des Landesverbandes führst und dadurch zu einer Person immensen öffentlichen Interesses geworden bist. Ich hätte diesen Schritt nie bei Dir vermutet. Wie kommts?
HÖCKE: Der Leidensdruck, der sich in Anbetracht einer grundsätzlich falsch angelegten Politik in diesem Land aufgebaut hat, wurde irgendwann unerträglich. Im eigenen Kind transzendiert man sich. Die Vaterschaft lehrt einen wie nichts anderes, den Kopf zu heben und die Augen auf den Horizont zu richten. Die Zukunft gerät in den Blick – die nach dem eignen Dasein. Eine interessengeleitete, also vernunftbasierte Politik hat die Aufgabe, die Zukunftsfähigkeit des Staates zu sichern und das zu unterlassen, was selbige gefährdet. Wird die von den Altparteien eingeschlagene Marschrichtung nicht deutlich korrigiert, stehen schon mittelfristig unser Volksvermögen, unsere staatliche Integrität und unser Weiterbestand als Träger einer Hochkultur auf dem Spiel.
SEZESSION: Du bist Gymnasiallehrer, läßt Deine Stelle natürlich jetzt ruhen. Warst Du auf ihr nicht im Herz jener Einrichtung, die für die Tradierung der Hochkultur und ihre permanente Renaissance steht?
HÖCKE: Ich habe meine Tätigkeit als Lehrer immer als Beruf erlebt, hatte also stets das Gefühl, meine Person wirkmächtig einbringen. Manchen pädagogischen Bezug konnte ich aufbauen und über ihn Selbst- und Weltaneignung einleiten. Ich mußte aber auch beobachten, wie die Gelingensbedingungen für den Bildungs- und Erziehungserfolg sich jedes Jahr verschlechterten. Die Dauerrevolution im deutschen Bildungswesen unterläuft seit Jahrzehnten das Hauptziel von Schule, nämlich den gemeinschaftlichen und leistungsorientierten sowie zu Lebenstüchtigkeit motivierenden Erwerb von Wissen und Können.
Kein Jahr vergeht ohne pädagogische Innovation im Bereich der inneren und äußeren Schulentwicklung, die die so notwendige pädagogische Kontinuität verunmöglicht, Lehrer und Schüler in ihrer Handlungssicherheit beeinträchtigt und zu einer Vernutzung von endlicher Arbeits- und Lebenszeit führt. Die in den letzten Jahren verstärkt zu beobachtende Nivellierung, Trivialisierung und Ökonomisierung der staatlichen Bildungs- und Erziehungsinstitutionen vom Kindergarten- bis zur Hochschule drängten mich immer öfter zum offenen Widerspruch. Die Wut im Bauch wuchs über eine Politik, die nicht in Generationen sondern Legislaturperioden denkt. Diese latente Wut nahm mir mehr und mehr die Unbeschwertheit im Umgang mit den Schüler. Es wurde Zeit, die Stimme zu erheben.
SEZESSION: Herr Dr. Scheil, ich kenne und schätze Sie als akribischen, nüchternen Wissenschaftler, aus Ihrer Feder sind in meinem Verlag und in dieser Zeitschrift Bücher und Beiträge vor allem zur Diplomatiegeschichte rund um die Weltkriege erschienen. Nun sind Sie mit einem hervorragenden Ergebnis für die AfD in den Kreistag gewählt worden und arbeiten sich in die Regionalpolitik ein. Wie paßt das zusammen?
SCHEIL: Nun, das sind zwei Bereiche, die zunächst recht wenig miteinander zu tun haben. Das eine ergibt sich aus der Verantwortung des Wissenschaftlers, wie ich sie sehe, nämlich objektiv zu arbeiten und dabei auch unbequeme und vielleicht sogar unerwünschte historische Tatsachen zu ergründen. Solche Fakten gibt es im Umfeld der Weltkriege in Hülle und Fülle. Vieles habe ich aufgedeckt und lasse gern noch weiteres folgen.
Der Einstieg in die Partei- und Regionalpolitik ergab sich wie für wohl die meisten anderen in der Partei aus dem intensiven Eindruck, daß politisch etwas geschehen muß, was aus dem existierenden Parteienspektrum nicht geleistet werden kann. Es ist nicht zuviel gesagt, daß sich hier ein Verantwortungsgefühl für das deutsche Volk meldet. Es organisiert sich auf verschiedenen Ebenen und kristallisiert an dem aktuellen Politikversagen in der Eurokrise, der Energiewirtschaft oder der Bevölkerungspolitik. Da das nicht dauerhaft Erfolg haben kann, wenn eine Partei nicht auch überall vor Ort präsent ist und sich in dem Dickicht aus Parlamenten, Kuratorien, Stiftungen, Verbänden, Beiräten, Kommissionen usw. auskennt, das wie Blei auf dem Land liegt, habe ich mich entschlossen, hier vor Ort einzugreifen.
Beiden Bereichen ist allerdings eins gemeinsam: Es liegt ein Versagen von etablierten Strukturen vor. Weder war die akademische Geschichtswissenschaft in der Bundesrepublik in der Lage, ein zutreffendes Bild über die Weltkriegsära zu entwickeln, noch haben die etablierten Parteien das Volkswohl als zentrales Ziel im Auge behalten. Stattdessen hat man uns in eine Situation hineinmanövriert, in der das Licht auszugehen droht – und nicht nur das elektrische.
SEZESSION: Wie sähe denn eine Politik aus, in der das Volkswohl das zentrale Ziel ist?
HÖCKE: Vielleicht sollte man sich zunächst fragen, wie ein Politiker beschaffen sein müßte, der dem Volkswohl dienen kann.
SEZESSION: Wir können gerne zunächst danach fragen, und wenn mich nicht alles täuscht, müßten Sie beide nun sich selbst beschreiben …
HÖCKE: Ein Politiker, der dem Volkswohl diente, müßte zweifellos ein volksnaher Politiker sein. Für den Pädagogen August Hermann Franke war Erziehung “Liebe und Vorbild – und sonst nichts”. Ich greife das auf und sage: Volksnahe Politik fußt auf der Fähigkeit, Liebe zum vertretenen Volk zu empfinden und ihm als Vorbild dienen zu wollen.
SEZESSION: Lieben Sie das deutsche Volk?
SCHEIL: Ja, der Begriff “Liebe” kommt der Sache wohl wirklich am nächsten. In seinen vielen Schattierungen gilt das allerdings, wie Leidenschaft, Respekt, Sorge, Distanz, Stolz und anderes mehr. Daß es zum deutschen Sein keine einfache Liebesbeziehung gibt, müssen wir hier ja wohl nicht extra erörtern. Der damalige Bundespräsident Gustav Heinemann hat auf die gleiche Frage die berühmte Antwort gegeben: “Nein, ich liebe meine Frau”. Ich persönlich glaube, daß diese Antwort bei ihm nicht ganz ehrlich war. Aber sie hat mit ihrer Absicht, die Liebe zu Volk und Land aus der Politik zu entsorgen, einen verhängnisvollen Tonfall vorgegeben, der überwunden werden muß.
HÖCKE: Ja, dieser Zungenschlag muß überwunden werden. Die Liebe zu unserem Volk gründet im Gefühl der Nähe, die im Gegenüber das Eigene erkennt. Sie wird gespeist durch das Wissen um das Herkommen aus der Zeit und den Gelingensbedingungen der Gegenwart. Ein gelebter politischer Bezug nährt nicht nur den Willen, das Volk zu vertreten, sondern auch den Wunsch, selbiges in seinen Anlagen zu entfalten. Im Wahlkampf habe ich stets ein neues, auf den preußischen Tugenden fußendes Dienstethos für Politiker eingefordert. Liebe zu empfinden und Vorbild sein zu wollen, ist den allermeisten Berufspolitikern weltenfern gerückt, sie besitzen als Teil einer technokratisch veranlagten Funktionselite keine Volksnähe mehr und sind deshalb nicht in der Lage, eine Politik zu machen, die am Volkswohl orientiert ist.
SEZESSION: Den idealen Typus eines am Volkswohl orientierten Politikers haben wir jetzt skizziert. Worauf hätte sich seine Politik zu richten?
HÖCKE: Eine am Volkswohl ausgerichtete Politik hat zuvorderst darauf zu achten, daß eine politische Entropie, die letztlich zu einem “politischen Wärmetod” führt, vermieden wird. Das heißt, die Entwicklung muß notwendig offen gehalten werden, politische Endzustände sind nicht anzustreben. Daraus resultiert, daß eine am Volkswohl orientierte Politik dezidiert antiideologisch ausgerichtet sein muß. Das ist deshalb von besonderer Bedeutung, weil durch die technischen Möglichkeiten und die wirtschaftlichen Interdependenzen ein entfalteter Globalisierungstotalitarismus erstmals als reale Option angesehen werden kann. Daher muß der Verteidigung der ethnokulturellen Diversität höchste Priorität eingeräumt werden. Sie scheint mir – nebenbei bemerkt – auch die Grundlage echter ökologischer Politik zu sein.
SCHEIL: Ich will dies ergänzen: Eine am Volkswohl orientierte Politik muß in meinen Augen zunächst einmal ganz pragmatisch bei der Herstellung verfassungsgemäßer Zustände ansetzen. Das heißt, es äußert erstens das deutsche Volk seinen politischen Willen künftig wie im Grundgesetz vorgesehen ”in Wahlen und Abstimmungen”, und dieser Wille wird dann zweitens von der Politik respektiert und umgesetzt. Die politische Praxis in Deutschland und der EU sieht seit Jahrzehnten anders aus. Dort wird in exklusiven Zirkeln und Netzwerken eine Politik formuliert, die dann Stück für Stück umgesetzt wird. Selbst der Parlamentsabgeordnete erfährt das teilweise nur noch aus der Zeitung. Das gilt eigentlich für alle Politikfelder. Diese Politik kommt jeweils nicht aus dem Volk, noch arbeitet sie für das Volk. Sie wird ihm aufgenötigt, mit all den Mitteln, die aufgrund von Regierungsmacht, Verbandslobbyismus und Medienherrschaft zur Verfügung stehen. Und sie wird selbst dann fortgesetzt, wenn Meinungsäußerungen, Wahlniederlagen oder sogar Volksabstimmungen eindeutig zeigen, daß es für diese Politik keine demokratische Mehrheit gibt.
HÖCKE: Volkswohlorientierte Politik bedeutet in diesem Sinne das Eintreten für das Selbstbestimmungsrecht als Ausfluß der Volkssouveränität und als Pendant zur unantastbaren Menschenwürde auf der Individualebene. Das Selbstbestimmungsrecht wahrt die Dignität der Völker.
SEZESSION: Sie beschreiben hier einen politisch-administrativen Komplex, der den Wählerwillen, das Gemeinwohl und den eigentlichen Zukunfts- und Lebensentwurf unseres Volkes infrage stellt. Ist die AfD dafür angetreten, diesen Komplex aufzubrechen? Ist eine andere Politik möglich?
(mit den Antworten auf diese Frage setzen wir im 2. Teil fort)
Martin
Da meint wohl einer, bei den "Rechtsintellektuellen" mal so richtig glänzen zu müssen.
Angenehm dagegen die bisherigen Äußerungen von Herrn Dr. Scheil - Da merkt man, dass man es hier mit einem erfahrenen Wissenschaftler zu tun hat, der es nicht nötig hat, zu rabulieren und der einfach eine klare Sprache spricht. Wenn man in jüngster Zeit mitbekommen hat, was die versammelte Linke bis hin zur CSU aus Anlass der Verleihung des Preises der Kronauer Stiftung an Herrn Dr. Scheil aus ihm für einen rechten "Revisionisten" und "Geschichtsverfälscher", also "schlimmen" Menschen, machen wollte, wird der Verbleib von Herrn Scheil und auch die Möglichkeit für Leute wie ihn, über die AfD auch Ämter und Posten zu bekommen, eine Art Lackmustest für die Glaubwürdigkeit der AfD und deren Wählbarkeit für Konservative darstellen. Bislang war die AfD bei den Wahlen ja eher ein "Right-Wing Buster".
Bin jetzt schon gespannt, was daraus aufgeblasen wird und wie dann die Führung der AfD darauf reagiert.