Björn Höcke, und dem AfD-Kreistagsabgeordneten und Autor dieser Zeitschrift, Stefan Scheil, veröffentlichten. Höcke ist seither damit beschäftigt, seine Landtagsfraktion in Erfurt ans Tagesgeschäft heranzuführen und Scheil hat ein quellensattes Buch über die Bewertung der Kriegschuldfrage nach dem I. Weltkrieg veröffentlicht (das wir sehr empfehlen). Nun also ist Teil 2 des Gesprächs fertig:
SEZESSION: Sie beschreiben hier einen politisch-administrativen Komplex, der den Wählerwillen, das Gemeinwohl und den eigentlichen Zukunfts- und Lebensentwurf unseres Volkes infrage stellt. Ist die AfD dafür angetreten, diesen Komplex aufzubrechen? Ist eine andere Politik möglich?
SCHEIL: Es wird gar nicht anders gehen, als diesen Komplex aufzubrechen. Dankenswerterweise hat die SPD-Generalsekretärin Fahimi gleich am Tag nach dem Erscheinen des ersten Teils dieses Interviews in der Frankfurter Allgemeinen einen Aufruf für “ein breites gesellschaftliches Bündnis, von der SPD und anderen politischen Parteien, über die Gewerkschaften, die Kirchen, Industrie- und Sozialverbände, Stiftungen und NGOs” gegen die AfD veröffentlicht. Das ist ja nichts anderes als die ausdrückliche Beschwörung der Einheit des eben beschriebenen Komplexes. Damit sind zugleich die Aufgaben und die Fronten noch einmal klar benannt.
Eine andere Politik ist möglich, sie wird aber seit Jahrzehnten blockiert. Es gilt nicht die demokratische Offenheit, sondern vielfach die schon vor vierzig Jahren von Helmut Schelsky angeklagte “Priesterherrschaft der Intellektuellen”, wobei unter “Intellektuellen” auch Schelsky schon die kleinen Zirkel verstand, die ganze Länder, Gesellschaften und Völker umbauen oder auch abbauen wollten. Das trifft sich dann mit großindustriellen und finanziellen Interessen, die “Grenzen” als störend empfinden und es gern sehen und fördern, wenn sie intellektuell abgebaut werden.
HÖCKE: Ich kann mich hier grundsätzlich der Bewertung von Herrn Dr. Scheil anschließen, möchte aber noch folgendes ergänzen: Der politisch-administrative Komplex existiert als ein autopoietisches und selbstreferentielles System im Sinne Niklas Luhmanns. Und ohne Zweifel gibt es auch international operierende kleine Zirkel als Subsysteme des politisch-administrativen Komplexes, die gemeinsam und gezielt die beschriebenen globalen Transformationsprozesse einleiten und moderieren
Im Gegensatz zu den Letztgenannten ist das “breite gesellschaftliche Bündnis”, dem Fahimi das Wort redet, kein weltanschaulich-monolithischer Block. Die gemeinsame Schnittmenge der “Bündnispartner” ist doch recht überschaubar. Zieht man die bigotte, zur Schau getragenen Hypermoral und den korrespondierenden Ritenkanon ab, bleibt nicht viel.
SEZESSION: Du meinst also, daß sich das Scheitern der organisierten, breit angelegten Diffamierungsmechanismen, das wir etwa im Fall Sarrazin verblüfft erlebten, nun im Falle der AfD wiederholen könnte?
HÖCKE: In der Tat. Ich habe in den letzten Wochen zahlreiche Gespräche mit sogenannten Repräsentanten des öffentlichen Lebens geführt. Viele sprachen im kleinsten Kreis sehr offen und entfalteten Lagebeurteilungen, die sich deutlich von der verordneten Realitätsverweigerung der wichtigsten Meinungsführer in diesem Land unterschieden. Es sind also in erster Linie die Statusinteressen, die den “hypermoralischen Block” zusammenhalten. Auch bei der teilnehmenden Intelligenzija sehe ich nicht nur Überzeugungstäter, sondern das schon von Benn kritisierte “hündische Kriechen vor den politischen Begriffen”. Ich halte das Fundament folglich nicht für sehr tragfähig. Die beharrliche Arbeit einer wissenden, politisch klug operierenden und willensstarken Opposition kann hier vieles bewirken. Zumindest in Teilen sehe ich dieses Potential bei der AfD.
SEZESSION: Aber die AfD ist eine Partei, und wir wissen aus der Geschichte, der Literatur – Max Weber – und eigener Anschauung, daß jede Partei binnen weniger Jahre zurechtgehobelt wird oder verschwindet …
HÖCKE: Was ist die Alternative in einer parteienbasierten parlamentarischen Demokratie? Die AfD hat ihren Ursprung in einer Bürgerbewegung, der Wahlalternative 2013. Nach den ernüchternden Erfahrungen einer Kooperation mit den FW in Niedersachsen zur Landtagswahl führte kein Weg mehr an einer Parteigründung vorbei. Der Einzug in die Landtage erlaubt uns den Aufbau professioneller Strukturen, die zunächst in den drei Ländern die Phase der permanenten Selbstausbeutung beendet. Das Medieninteresse verstetigt sich, es stehen Gelder zur Verfügung, die uns meinungsbildende Arbeit ermöglichen. Allerdings gebe ich unumwunden zu, daß das Zeitfenster der AfD sehr klein ist.
Mit jedem der von der Partei lebt, mit jedem Mandatsträger, den die AfD stellt, wird der grundsätzliche Erneuerungswille weiter erlahmen. Ich setze viel Hoffnung auf den programmatischen Prozeß, der jetzt mit der Gründung der Landes- und Bundesfachausschüsse begonnen wird. In diesem Rahmen steht auch die Formulierung einer Vision “Thüringen und Deutschland 2030” auf der politischen Agenda. Hier kommen wir an der Diskussion der großen Themen nicht vorbei – das macht Hoffnung.
SCHEIL: Ich schließe mich Herrn Höcke an. Eine andere Politik ist ohne weiteres möglich. Die Mehrheit der Bevölkerung hat andere Interessen und kann die Basis dafür bilden. Es gibt auch überhaupt keinen sachlichen Grund, warum eine deutsche Regierung die vielfachen Vertragsbrüche im europäischen Recht hinnehmen sollte und warum die schleichende Entmündigung der deutschen Parlamente hingenommen wird. Oder nur ein Beispiel auf praktischer Ebene: Es gibt auch keinen Grund, warum für alle erkennbar die Verkehrs-Infrastruktur vor sich hin rottet und die zuständigen Verbände den Investitionsstau inzwischen mit 130 Milliarden beziffern, während der Finanzminister mit der nachgerade dümmlichen Behauptung durch die Lande zieht, er lege einen ausgeglichenen Haushalt vor. Wer die Substanz derart verkommen läßt, der macht Schulden, auch wenn er es buchungstechnisch zu verstecken versucht. Hier und an vielen anderen Stellen können neue Prioritäten gesetzt werden, die den schleichenden Eindruck korrigieren, das Land sei am Verfallen.
Zu der Annahme, daß jede neue Partei bald verschwindet, gibt es gerade in Deutschland mit den Grünen ein schlagendes Gegenbeispiel. Was immer man davon halten mag, deren großer gesellschaftlicher und politischer Erfolg läßt sich kaum bestreiten. Allerdings haben sie dabei manche Themen abgelegt und sind heute weniger denn je eine Naturschutzpartei als eine Lobby bestimmter Industrien und “bunter” Organisationen. Sicher wird sich die AfD ebenfalls wandeln, wobei in letzter Zeit eher das patriotische Element stärker wurde. Aber die Substanz wird bestehen bleiben.
SEZESSION: Herr Dr. Scheil, es wird Sie nicht überraschen, daß ich den Erhalt der Infrastruktur vor dem Hintergrund der demographischen Katastrophe und der rasant voranschreitenden Überfremdung für einen Nebenkriegsschauplatz halte. Aber Sie sprachen vorhin einen sehr wichtigen Punkt an, indem Sie neben die Auflösung nationaler Grenzen den „intellektuellen Abbau von Grenzen” stellten. Mir scheint, dies sei die große, meistenteils nicht wahrgenommene, jedoch äußerst wirkmächtige Gefahr: die Liberalisierung aller Lebensbereiche bei gleichzeitiger Selbstaufgabe aller Eigenarten, Besonderheiten, Hierarchien, Ordnungsgefüge.
SCHEIL: Man sollte den Einfluß nicht unterschätzen, den die stete Erfahrung des Verfalls der Infrastruktur auf das Bewußtsein der Bevölkerung hat und damit auch auf die Beantwortung der an sich kuriosen, aber selbst hier im vergleichsweise reichen Südwesten oft gehörten Frage, ob man es “heute noch wagen” könne, in Deutschland Kinder in die Welt zu setzen. Insofern ist das meines Erachtens ein wichtiger Teil des Problems, das aber, da haben Sie Recht, durch die Aufgabe tragfähiger Ordnungen verschärft wird.
Es gab und gibt jedoch auch keinen Anlaß zur Selbstaufgabe der deutschen Kultur, indem man jede denkbare kulturelle Ausdrucksform innerhalb der Bundesrepublik für gleichrangig erklärt, wie es die mulikulturelle Ideologie durchsetzen will. Das wird ja teilweise noch von offenem Haß und Verachtung für Deutschland und die Deutschen übertroffen. Es hat sich in der SPD niemand aufgeregt, als das Parteimitglied Ute Sacksofsky, Inhaber einer Juraprofessur in Frankfurt, die Ansicht zum besten gegeben hat, daß es “um die Weitergabe deutschen Erbgutes nach der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft nicht mehr gehen kann”.
Im Gegenteil wurde die Frau kurze Zeit später ein prominentes Mitglied im Wahlkampfteam der SPD in Hessen, obwohl die Wortwahl in dieser biologistischen Fortschreibung – obendrein nichtexistenter – historischer Kollektivschuld auf nachgeborene Generationen schlechthin ein extrem rassistisches Weltbild zum Ausdruck bringt. Frau Sacksofsky gehört mit diesem Anliegen noch zum oben genannten “Komplex”. Es ist meiner Ansicht nach kein inhaltliches Problem, die moralische und intellektuelle Verkommenheit dieser Leute vorzuführen. Man muß lediglich Öffentlichkeit erzwingen. Hierfür kann Parteipolitik einen großen Schub bedeuten.
HÖCKE: Institutionen wie SEZESSION oder IfS waren federführend daran beteiligt, die von Herrn Dr. Scheil angesprochene “moralische und intellektuelle Verkommenheit” führender Protagonisten des politisch-administrativen Komplexes aufzudecken. Die Gefahr ist erkannt, jetzt muß sie gebannt werden.
Mein Mandat setzt mich frei zur Politik. Es soll eine konservative Politik sein. Als Konservativer setze ich Identität gegen Globalismus, Ordnung gegen Auflösung und Differenzierung gegen Gleichschaltung. Diese Grundprinzipien geben mir Orientierung für die politische Bewertung der gesamten Lebenswirklichkeit. Als Politiker muß ich jetzt daran gehen “Beträge von hohem Wert in Kleingeld unter die Leute zu bringen” (Bismarck). Das gelingt nur, wenn man als Politiker bereit ist, gekonnt zu vereinfachen und Botschaften ins Land zu senden, die die Menschen auch gefühlsmäßig erreichen.
SEZESSION: Was bleibt dabei – entschuldige – von deiner Intellektualität übrig? Ein Politiker muß hundertmal dieselbe Wahlkampfrede halten und die Differenzierung der Positionierung unterwerfen.
HÖCKE: Für AfD-Politiker ist es vielleicht besonders schwer, das zu akzeptieren, weil unsere Partei mit dem Anspruch angetreten ist, Theorie, Empirie und gesunden Menschenverstand gegen die Ideologie in die Politik einzuspeisen und dem Hype mit bürgerlicher Besonnenheit zu begegnen. Aber vielleicht ist der Widerspruch gar kein wirklicher. Vielleicht ist die Zeit für einen neuen Politikertypus gekommen. Für einen, der dadurch das so unerläßliche Charisma entfaltet, daß er auf der Basis der Vernunft und des Verstandes seiner Liebe zum Eigenen und zum Immergültigen gefühlsstark Ausdruck verleihen kann. Das Auftauchen einer solchen Persönlichkeit könnte viel bewegen.
SEZESSION: Das bedeutet: Diese Person ist noch nicht aufgetaucht, und wenn sie auftauchte, dürfte sie keinesfalls dem von Olaf Henkel verkörperten liberalen Flügel der Partei angehören, oder? Wie weltanschaulich ernst ist die Auseinandersetzung innerhalb der Partei?
HÖCKE: Ich bin der festen Überzeugung, daß es diese Person schon gibt. Als noch nicht gesetzte Partei katalysiert die AfD permanent nicht nur Inhalte sondern auch Personen und deren Entwicklung zu politischen Persönlichkeiten. Was man wohl ausschließen kann, ist, daß sie aus dem Milieu der Technokraten oder Besitzstandswahrer kommt.
SCHEIL: Warum nicht? Wenn ich mir unsere Parteiführung ansehe, dann sind wir personell bereits durchaus gut besetzt. Besonders Bernd Lucke hat in meinen Augen genau die Portion und die Art Charisma, die derzeit in Deutschland gebraucht wird. Viele Debatten und Veranstaltungen haben gezeigt, daß er sowohl nach innen führen, als sich auch nach außen gegen den politischen Gegner durchsetzen kann. Umrahmt wird er von einer ganzen Reihe eloquenter Personen, die alle auf ihre Art Individualisten sind und doch genügend Gemeinsamkeiten aufweisen. Dazu haben sich bereits und werden sich weitere Persönlichkeiten gesellen, die aus den Ländern heraus mit hervorragenden Wahlergebnissen ausgestattet sind.
Insofern würde ich auch die Bedeutung von weltanschaulichen Differenzen nicht überschätzen. Es herrscht breiter innerparteilicher Konsens darüber, daß eine weitere, bloß wirtschaftsliberale Partei nicht das ist, was in Deutschland gebraucht wird.
HÖCKE:. Ich kann mir insgesamt nur schwer vorstellen, daß es für diese Gegenwart eine liberale Vision geben kann.
SCHEIL: Mag sein. Dennoch ist die innerparteiliche Debatte sowohl offen als auch kompromißbereit. Das ist eine immer wieder bestätigte persönliche Erfahrung. Vor dem Landesparteitag hier in Rheinland-Pfalz Anfang November wurde ein entsprechender weltanschaulicher Konflikt nach allen Regeln der Kunst geradezu herbeigeschrieben und beschworen. Nichts davon fand statt. Sachdifferenzen wurden durch ruhig vorgetragene Argumente und Beschlüsse erledigt.
Die skandalhungrige Presse mußte sich schließlich darauf stürzen, daß laut Kassenbericht ein paar Quittungen aus 2013 im Wert von wenigen hundert Euro nicht eindeutig zuzuordnen waren. Das zeigt sowohl die Erbärmlichkeit der Berichterstattung als auch das Fehlen wirklich scharfer Gegensätze in der Partei. Ein breites Spektrum an Haltungen unter den Mitgliedern ist im Gegenteil ein Vorteil, wenn ein Grundkonsens vorliegt. Die AfD ist deshalb jetzt eine „kleine Volkspartei”, so Lucke zurecht. Sie soll eine große werden, und sie hat alle Möglichkeiten dazu.
HÖCKE: So ist es. Gegenwärtig geht es auf dem Weg dorthin weniger um weltanschauliche Divergenzen als um die Beantwortung der Frage, wie grundsätzlich man sich geben sollte. Also: Wie viel Andersartigkeit verträgt die Partei und was läuft der politischen Klugheit zuwider? Ich meine, daß die AfD selbstverständlich auch unkonventionelle Meinungen im parteiinternen Meinungsbildungsprozeß zulassen muß. Ich befürchte auch nicht, daß die Partei sich zu einer Spielwiese für Sektierer und Sonderlinge entwickelt. Ich habe nur wenige Auftritte solcher Menschen erlebt. Und bei aller Höflichkeit und bürgerlichen Zurückhaltung, die den meisten AfD-Mitgliedern zu eigen ist, hat es dann irgendwann eine deutliche Grenzsetzung durch das Publikum gegeben. Die Mehrheit der Mitglieder befindet sich in einem Suchprozeß. Sie verbittet sich den erhobenen Zeigefinger der Führung genauso wie die Agitation monomanisch fixierter Persönlichkeiten.
SEZESSION: Also ist alles auf Konsens und Ruhe angelegt und nicht auf die vielleicht sogar schockierende Formulierung einer echten Alternative, die ein Henkel gar nicht wollen kann?
HÖCKE: Die von Dir angesprochene weltanschauliche Auseinandersetzung wird es um das TTIP geben. Hier sehe ich die AfD vor einem wirklichen Lackmustest. Ich hoffe, daß die Diskussion sachlich geführt wird. Ich freue mich aber auch auf diese Auseinandersetzung, weil deren Tiefgang durch die Existenz der beiden Flügel garantiert ist. Letztlich geht es um die Frage, welche Art von Globalisierung wir wollen. Ich sage: Respice finem – Bedenke das Ende! Und jetzt sind wir wieder bei der am Volkswohl orientierten Politik…
Rumpelstilzchen
Sezession at its best.
Das ist ein spannendes Interview. Danke.
Könnte man das in Papierform bekommen ?
Diesem Beitrag korrespondiert zeitgleich ( !) ein Beitrag in der FAZ über die Entfremdung und Erniedrigung der Russen.
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/entfremdung-und-erniedrigung-die-russen-verlieren-den-bezug-zur-realitaet-13262683.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2
Das Gefühl des Zerfallens ist wohl ein globales Phänomen.
Als Reaktion darauf "Antipolitik" .
Der November 14 hat es in sich .
Vieles deutet auf einen Paradigmenwechsel hin.