SEZESSION: Der Verlag, der soeben Ihren Erinnerungsband Mein Leben ins Deutsche übertragen hat, verkündet implizit, daß die Identifikation Alain de Benoists als Vordenker der Nouvelle Droite (ND) ein ewiges Mißverständnis übelmeinender Akteure wäre. Nach der Lektüre Ihres Werkes meine ich: Sie sind der Vordenker. Aber Sie haben sich innerhalb der letzten zehn Jahren vom ND-Vordenker zu einem „Stichwortgeber“ über die Grenzen der politischen Lager hinweg entwickelt, ohne eine “Schule” zu bilden. Können Sie Ihr Wirken rund um das Phänomen Nouvelle Droite erläutern?
ALAIN DE BENOIST: Sie haben Recht damit, daß ich mich – anders als Maurras – niemals in einer Meister-Schüler-Verbindung inszeniert habe. Es gibt Maurrasisten, Freudianer, Marxisten, aber es gibt kein „Benoististen“, was bedeutet, daß es nie mein Ehrgeiz gewesen ist, „Schüler“ zu haben – genauso, wie ich mich selbst nie als der Schüler des einen oder anderen Autors gesehen habe. Ein guter Schüler endet im übrigen stets dabei, seinen Lehrmeister zu „töten“! Mehr als nach Schülern zu suchen, habe ich immer versucht, Mitarbeiter und Freunde zu gewinnen, die mit mir in die gleiche Richtung arbeiten. Wie sollte ich mich also bezeichnen? Ich schätze den Ausdruck spiritus rector, aber in Frankreich verwendet ihn niemand. „Ideologe“ oder „Theoretiker“ sind die großen Wörter. Sagen wir, daß ich ein Intellektueller bin, der mit Leidenschaft Ideengeschichte betreibt, und der versucht, den Sinn für den historischen Moment zu erfassen, in dem wir leben.
Ich habe außerdem immer versucht, ein persönliches Denken auszudrücken, das nicht das bloße Abbild eines anderen ist (deshalb beschreibe ich mich in meinen Erinnerungen auch als ein „Einzelgänger“). Ich verstehe unter persönlichem Denken, selbst zu denken. Jene, die keinen persönlichen Gedanken haben, beschränken sich darauf, zu wiederholen, was sie gelesen oder gehört haben, um daraus einen kleinen Katechismus zu machen, was uninteressant ist. Selbstverständlich zitiere ich oft Autoren oder Werke, die zu meinem Denkensweg beigetragen haben, oder die ich interessant finde, aber die Synthese, die ich daraus ziehe, gehört nur zu mir. Ein Intellektueller, der dieser Bezeichnung würdig ist, schreibt, was er denkt, nicht „das, was er denken muß“. Deshalb ist es für einen Intellektuellen sehr schwierig, im Namen eins kollektiven „Wir“ zu sprechen. Wenn er dies tut, verstümmelt er sich selbst. Die „Parteiintellektuellen“ sind immer Nullen.
SEZESSION: Wenngleich Sie nach den Erfahrungen der 60er Jahre (Europe-Action, FEN, MNP) freilich keine Partei gründeten, so formierte sich um Ihre Person doch eine neue Bewegung…
ALAIN DE BENOIST: Tatsächlich war es so, daß sich um meine Arbeiten und die Veröffentlichungen, die ich gegründet oder begleitet habe (Nouvelle Ecole, éléments, Krisis), eine Strömung formierte, der man ab 1979 den Namen „Nouvelle Droite“ gegeben hat. In Frankreich hat dieser Ausdruck einen präzisen Sinn. Er verweist ausschließlich auf die Zeitschriften, die ich soeben genannt habe, sowie auf eine Vereinigung, das Groupement de recherche et d’études pour la civilisation européenne (GRECE, dt: Forschungs- und Studiengruppe für die europäische Zivilisation). Ganz anders verhält es sich in Deutschland, wo der Ausdruck „Neue Rechte“ gewöhnlich von einigen Publizisten gebraucht wird, um eine Menge von Zeitungen oder von Organisationen aufzuzählen, die untereinander keine klare Beziehung aufweisen, und noch weniger mit den Ideen der französischen Nouvelle Droite. Ein solches Amalgam, das sich zumeist aus der einfachsten Propaganda speist, hat keinen Sinn. Die „Neue Rechte“ in Deutschland – das ist eine Art Phantom.
Ich habe auch unzählige Male betont, daß mich selbst die Bezeichnung «Nouvelle Droite» (die ja noch nicht einmal eine originäre Selbstbezeichnung ist) nie wirklich zufriedengestellt hat, und zwar aus mindestens drei Gründen. Erstens besitzt sie einen unmittelbar politischen Klang, während die Denkschule sich immer einer „metapolitischen“ Arbeit verschrieben hat, das heißt: einer geistigen, theoretischen, philosophischen und kulturellen Arbeit (ich selbst bin Beobachter und nicht Akteur des politischen Lebens). Zweitens schließt sie diese Geistesströmung in eine Kategorie ein, in die „Rechte“, die ich sowohl für zu restriktiv als auch für vollkommen veraltet finde, insofern die Spaltung Links-Rechts heute keinen Sinn mehr ergibt (das ist also ein Analysewerkzeug, das jeden Wert verloren hat). Drittens ist dieser Ausdruck eine Quelle für Mißverständnisse, insofern er in verschiedenen Ländern genutzt wird, um Geistesströmungen zu klassifizieren, die keinerlei Verbindung dazu aufweisen, was in Frankreich unter diesem Ausdruck verstanden wird (es reicht hier aus, den Fall der englischen oder amerikanischen „New Right“ zu erwähnen).
SEZESSION: Sie schreiben, daß Sie das liberale Bürgertum als „unreformierbar“, „unhaltbar“, geradezu als den „Hauptfeind“ betrachten. Inhaltliche Beliebigkeit und ideologische Abschwächung sind demnach ebenso Teil der bürgerlichen Welt wie die Notwendigkeit beständiger Kompromisse.
ALAIN DE BENOIST: Es besteht kein Zweifel für mich, daß der Liberalismus der Hauptfeind ist. Ich dachte so bereits zur Zeit des sowjetischen Kommunismus (der letztlich nur ein Staatskapitalismus war), und ich denke es noch heute, zu einem Zeitpunkt, an dem die liberale Ideologie in einem globalen Maßstab gewissermaßen die Hauptideologie geworden ist, deren drei Pfeiler Kapitalismus, Religion der Menschenrechte und Marktgesellschaft sind.
Was ist Liberalismus? Das ist die Ideologie, die ihren Ursprung in der Philosophie der Aufklärung besitzt (aber deren Wurzeln viel weiter zurückreichen), die das Individuum und seine „natürlichen“ Rechte als die einzigen normativen Instanzen des Lebens in der Gesellschaft ansehen, was darauf hinausläuft, das Individuum zur alleinigen Quelle der Werte und der Lebenszwecke zu erheben, die es auswählt. Dieses Individuum wird für sich betrachtet, jenseits jeden sozialen oder kulturellen Kontexts. Deshalb erkennt der Liberalismus keine eigenständige Stellung von Gemeinschaften, Völker, Kulturen oder Nationen an.
SEZESSION: Das klingt stark nach Konservativer Revolution.
ALAIN DE BENOIST: Arthur Moeller van den Bruck hat schon 1922 festgestellt: „An Liberalismus gehen die Völker zugrunde.“ Im Liberalismus hat das Individuum Vorrang, sei es, daß man aufgrund einer mythischen Vorstellung annimmt, daß es dem Sozialen in einem prä-historischen Naturzustand vorausgegangen ist, sei es, daß man ihm ein einfaches normatives Primat zuspricht (das Individuum ist das, was am meisten zählt). Der Mensch nimmt sich also als Individuum wahr, ohne seine Beziehung zu anderen Menschen inmitten einer primären oder sekundären Sozialität bedenken zu müssen. Er ist ein Subjekt, das nur sich selbst gehört, Schöpfer seiner selbst aus dem Nichts, motiviert allein durch seine Sonderinteressen, unterm Strich ein Homo oeconomicus, da er als egoistisches Wesen begriffen wird, das einzig und allein auf die Maximierung seines rationalen Vorteils gemäß seiner persönlichen Interessen aus sei. Das soziale Leben erschöpft sich also in nichts anderem als in dem Utilitarismus und der Axiomatik des Eigeninteresses. Es ist nichts weiter als eine Angelegenheit von individuellen Entscheidungen und interessensgeleiteten Wahlen.
Sie werden nebenbei merken, daß der Liberalismus selbst die Spaltung Links-Rechts transzendiert, da es immer eine liberale Linke und eine liberale Rechte gegeben hat. Historisch gesprochen hat sich der wirtschaftliche Liberalismus (das heißt der Kapitalismus) besonders rechts manifestiert, während der gesellschaftliche Liberalismus sich besonders links manifestiert hat. Es macht Sinn, daß diese zwei Liberalismusformen heute dazu neigen zu fusionieren.
Literaturhinweise:
- Alain de Benoist: Mein Leben. Wege eines Denkens, 432 S., 24.95€.
- Michael Böhm: Alain de Benoist. Denker der Nouvelle Droite, 160 S., 5 €.
- Zudem hat der Verlag Antaios auf seiner Netzseite einen Bücherschrank eingerichtet, der alle derzeit in deutscher Sprache erhältlichen Bücher Benoists versammelt.
Ein gebürtiger Hesse
Schönes Interview. Was kann man sich besseres wünschen, als wenn jemand diese ganz grundlegenden Dinge so klar und einfach ausspricht, wie Benoist es hier tut? Merci bien! Freue mich auf Teil 2.
Aber: stimmt das, daß die JF den - doch ausgesprochen etablierten - Ruf Benoists als Vordenker der Nouvelle Droite in Zweifel zieht? Ist da mal wieder "Droite" das Wort des Anstoßes, und geht man diesmal so weit, nicht mehr nur sich selbst, sondern auch andere, mit deren Federn man sich weiter schmücken möchte, zu distanzieren? (Im Übrigen wäre "distanzieren" DAS Unwort des Jahres 2014 für die JF, nicht anders als für die Partei ihrer Wahl.)