Alain de Benoists „Mein Leben“ erschienen – Ein ideengeschichtliches Kurzportrait

Meist wird Alain de Benoist als „Vordenker der Nouvelle Droite“ oder der „Neuen Rechten“ vorgestellt. Das mißfällt dem französischen Denker, denn er plaziert seit einiger Zeit seine philosophischen Reflexionen jenseits der Einordnungen in „rechts“ und „links“. Dennoch: Benoist hat die "Neue Rechte" auch in Deutschland maßgeblich inspiriert, wie der soeben in seiner deutschen Fassung erschienene autobiographische Gesprächsband Mein Leben. Wege eines Denkens verdeutlicht. Benoist, der im vergangenen Jahr seinen 70. Geburtstag feierte, zieht in diesem 2012 als Mémoire vive publizierten Buch Bilanz. Grund genug, sich auf einen kursorischen tour d'horizon durch Benoists Ideenentwicklung zu begeben.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Hin­ter Benoist liegt heu­te bereits ein hal­bes Jahr­hun­dert poli­ti­scher und meta­po­li­ti­scher Arbeit. Sei­nen Ein­tritt in die Poli­tik voll­zog Benoist, als er sich 1960, ein Jahr vor sei­ner Imma­tri­ku­la­ti­on an der Sor­bon­ne, zuguns­ten des fran­zö­si­schen Alge­ri­ens aus­sprach. Er geriet vor­über­ge­hend ins Umfeld der „Action Fran­çai­se“ und stieß mit 16 Jah­ren auf die anti-uni­ver­sa­lis­ti­schen wie anti-ega­li­tä­ren Ideo­lo­ge­me des Maît­re der alten Rech­ten, Charles Maur­ras. Der jun­ge Benoist zähl­te damit von Beginn an zu den Außen­sei­tern sei­ner Gene­ra­ti­on. Doch merk­te er rasch, daß die bes­ten Tage der roya­lis­ti­schen AF vor­bei waren (das waren sie wohl schon vor 1934) und daß deren anti­quier­ter Ges­tus sei­nem revo­lu­tio­när-anti­bür­ger­li­chen Lebens­ge­fühl ent­ge­gen­stand; eine wich­ti­ge­re Rol­le für die bio­gra­phi­sche Ent­wick­lung Benoists nahm der Bund um die Zeit­schrift Euro­pe-Action ein.

In ihm tra­fen sich jun­ge, teils mili­tan­te Akti­vis­ten jen­seits der „klas­si­schen“ rech­ten Strö­mun­gen. Unter ihnen zu fin­den waren faschis­ti­sche Intel­lek­tu­el­le wie Luci­en Reba­tet, vor­ma­li­ge Waf­fen-SS-Frei­wil­li­ge wie Marc Augier de Saint-Loup, neu­heid­ni­sche Natio­nal-Sozia­lis­ten wie der nor­man­ni­sche Autor Jean Mabi­re; vor allem aber jün­ge­re Ehe­ma­li­ge der Alge­ri­en-Trup­pe „Orga­ni­sa­ti­on Armée Secrè­te“ (OAS), der Stu­den­ten­ver­ei­ni­gung „Fédé­ra­ti­on des étu­di­ants natio­na­lis­tes“ (FEN), bei der Benoist seit 1961 Mit­glied war, und vor­ma­li­ge Mit­glie­der der „Jun­gen Nati­on“ und der „Natio­na­lis­ti­schen Par­tei“. Füh­ren­der Kader der Bewe­gung war Benoists Freund Domi­ni­que Ven­ner. Die­ser wur­de 1962 aus der Haft ent­las­sen und ver­trat einen akti­vis­ti­schen, „sol­da­tisch“ ver­stan­de­nen Natio­na­lis­mus, bevor er sich aus der Poli­tik zurück­zie­hen und den his­to­ri­schen Arbei­ten zuwen­den soll­te. Aber auch ein Fabri­ce Laro­che misch­te bei den „euro­päis­ti­schen“ Rech­ten mit. Die­ser Laro­che war u. a. Redak­teur der Wochen­schrift Euro­pe-Action-Heb­domad­ai­re – und ein Pseud­onym von Benoist.

Benoist ver­ach­te­te – wie das Gros der Akti­vis­ten – Mas­sen­kul­tur und Mate­ria­lis­men, erblick­te im Ega­li­ta­ris­mus ein Ver­häng­nis, lehn­te die als deka­dent emp­fun­de­ne Spieß­bür­ger­lich­keit ab und pfleg­te den Kult einer dyna­mi­schen Eli­te. Aber auch ande­re Prä­gun­gen sorg­ten für eine anti-par­la­men­ta­ri­sche und anti-demo­kra­ti­sche Welt­an­schau­ung: Gegen die neue Zeit, die mit der Preis­ga­be Alge­ri­ens ihr schwa­ches wah­res Gesicht gezeigt habe, stell­ten die euro­päi­schen Natio­na­lis­ten heroi­sche Prin­zi­pi­en des Kamp­fes. Benoist und sei­ne Mit­strei­ter lasen Hen­ry de Mon­t­her­lant, Pierre Drieu la Rochel­le, Mau­rice Bar­rès, sie dis­ku­tier­ten über Ven­ners Natio­na­lis­mus-Schrift Für eine posi­ti­ve Kri­tik. Sie bewun­der­ten die mili­tan­te Roman­tik der deut­schen Frei­korps sowie der OAS, der Benoist sein ers­tes Buch über­haupt widmete.

Benoist folg­te folg­te zwar in vie­len Punk­ten der damals sze­ne­üb­li­chen Ver­qui­ckung von Natio­na­lis­mus, ras­si­schen Gedan­ken und Euro­pa-Ide­al, setz­te aber immer wie­der eige­ne Akzen­te. Ein Bei­spiel hier­für ist die 1966 publi­zier­te Schrift „Was ist Natio­na­lis­mus?“, in der er, neben eini­gen ras­se­theo­re­ti­schen Ele­men­ten, eine euro­päi­sche Psy­cho­lo­gie skiz­zier­te, die auf dem Tra­gi­schen, dem Wil­len, der Rea­li­tät und auf Ver­ant­wor­tung basier­te. Er blieb im Gan­zen mit die­ser Schrift zwar im Rah­men des bio­lo­gisch fun­dier­ten Natio­na­lis­mus Ven­ners und Mabi­res, zeig­te aber schon, daß er sich auch für Wer­te und Nor­men, ja für phi­lo­so­phi­sche Betrach­tun­gen über­haupt interessierte.

Unter ande­rem wur­de er bereits in die­sem Zeit­raum auf­merk­sam auf Lou­is Rou­gier, einen Ver­tre­ter des logi­schen Empi­ris­mus und Lieb­ha­ber der hel­le­nisch-römi­schen Anti­ke. Von Rou­gier, der spä­ter För­de­rer der wis­sen­schaft­li­chen Pres­ti­ge­zeit­schrift Nou­vel­le Eco­le wird, über­nahm Benoist anti-uni­ver­sa­lis­ti­sche Impul­se für sei­ne chris­ten­tums- und demo­kra­tie­kri­ti­sche Sicht sowie Begeis­te­rung für die sei­ner Ansicht nach orga­nisch gewach­se­nen, hier­ar­chi­schen Ord­nun­gen des anti­ken Europas.

Die­se Ein­sich­ten ver­ar­bei­te­te Benoist neben den Euro­pe-Action-Schrif­ten in zahl­rei­chen wei­te­ren Peri­odi­ka der dezi­diert revo­lu­tio­nä­ren pro­eu­ro­päi­schen Rech­ten, so etwa auch im neu­fa­schis­ti­schen Peri­odi­kum Defen­se de l’Occident von Mau­rice Bar­dè­che, und ver­stärkt in ita­lie­ni­schen Orga­nen – ähn­lich wie Ernst Nol­te erfuhr und erfährt Benoist spe­zi­ell in Ita­li­en Wert­schät­zung, ver­fügt über eine respek­ta­ble Leser­schicht und refe­riert dort sowohl an Uni­ver­si­tä­ten wie auch vor non­kon­for­men Zir­keln; einer sei­ner ita­lie­ni­schen Dis­kus­si­ons­part­ner ist Gabrie­le Adi­nol­fi, der wie­der­um lan­ge in Frank­reich lebte.

Zwi­schen 1965 und 1968 ver­such­ten sich die Jun­g­eu­ro­pä­er auch an Wahl­be­tei­li­gun­gen; vor allem dar­an gin­gen sie schließ­lich zugrun­de. Neben dem Aus­blei­ben von elek­to­ra­len Erfolgs­er­leb­nis­sen und inter­nen Strei­tig­kei­ten – über die Fra­ge nach der Hal­tung zum Chris­ten­tum oder dem gesun­den Ver­hält­nis zwi­schen Mili­tanz und Theo­rie­ar­beit – geriet die Bewe­gung auch in finan­zi­ell kaum zu bewäl­ti­gen­de Kri­sen. In die­ser deli­ka­ten Situa­ti­on wur­de das Grou­pe­ment de recher­che et d’étu­des pour la civi­li­sa­ti­on euro­pé­en­ne („Stu­di­en­grup­pe für die euro­päi­sche Zivi­li­sa­ti­on“) gegrün­det. GRECE war ein bewußt gewähl­tes Akro­nym, das die geis­ti­ge Ori­en­tie­rung des Klubs an der klas­si­schen Anti­ke unter­strei­chen soll­te. Die Denk­fa­brik wur­de nicht, wie bis heu­te häu­fig kol­por­tiert, als Reak­ti­on auf die Mai-Unru­hen der 68er in Paris gegrün­det, son­dern bereits im Janu­ar 1968.

Benoist und sei­ne Mit­strei­ter aus ver­schie­de­nen Zir­keln des Natio­na­lis­mus (vor allem aber aus den Rei­hen der FEN) hiel­ten die alten Struk­tu­ren der Rech­ten eben­so für ver­krus­tet wie den par­la­men­ta­ri­schen Betrieb und mach­ten die fort­dau­ern­de Fixie­rung auf his­to­risch ver­lo­re­ne Schlach­ten wie das Alge­ri­en-Dilem­ma für den man­geln­den poli­ti­schen Erfolg ver­ant­wort­lich. Wei­ter wur­de bean­stan­det das Feh­len einer lang­fris­tig ange­leg­ten poli­ti­schen oder meta­po­li­ti­schen Stra­te­gie, der Man­gel an kon­kre­ten Ziel­set­zun­gen, der völ­li­ge Ver­zicht auf eine wis­sen­schaft­lich abge­si­cher­te Theo­rie sowie das Igno­rie­ren des kul­tu­rel­len Umfel­des als poli­ti­schem Kampf­feld. (Auch vom poli­ti­schem Akti­vis­mus als sol­chem nahm Benoist Abstand und wird in Mein Leben fest­stel­len, daß der rei­ne Akti­vist dazu nei­ge, kri­ti­sches Den­ken wie ein Gläu­bi­ger zu ver­drän­gen. So lan­de er im Sek­tie­rer­tum. Gleich­wohl sei die Pha­se des radi­ka­len Akti­vis­mus eine lehr­rei­che Zeit für poli­tisch Den­ken­de; eine Schu­le, die Benoist nicht mis­sen will, sie gar als eine der bes­ten über­haupt ansieht und jeden bemit­lei­det, der die­se Erfah­rung nicht machen durfte.)

Das Ziel Benoists – und des GRECE all­ge­mein – war dem­zu­fol­ge ein voll­kom­me­ner Erneue­rungs­pro­zeß der Rech­ten auf ideen­ge­schicht­li­cher, meta­po­li­ti­scher und sozi­al­wis­sen­schaft­li­cher Basis. Die frü­he Welt­an­schau­ung die­ser sich jetzt um GRECE for­mie­ren­den Nou­vel­le Droi­te ent­stand aus der inten­si­ven Beschäf­ti­gung mit Den­kern aller Rich­tun­gen, wobei unter vie­len Vor­rei­tern sicher­lich die Klas­si­ker der fran­zö­si­schen Rech­ten um Joseph de Maist­re, Mau­rice Bar­rès, Maur­ras, die nicht­mar­xis­ti­schen Sozia­lis­ten wie Pierre-Joseph Proudhon, die Syn­di­ka­lis­ten um Geor­ges Sor­el und Édouard Berth, sowie nicht zuletzt die moder­ne Ver­hal­tens­for­schung und Sozio­lo­gie zu nen­nen sind. Die Den­ker der Kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on kamen erst weni­ge Jah­re spä­ter ent­schei­dend hin­zu. Der bis­her weit­ge­hend theo­rie­lo­sen jun­gen Rech­ten soll­te also eine kohä­ren­te Dok­trin erar­bei­tet wer­den, die nicht vom Gefühl – Königs­treue –, nicht vom Res­sen­ti­ment – Kolo­ni­al­nost­al­gie und Alge­ri­en­schmach –, nicht von ver­lo­re­nen Schlach­ten – Vichy, Kol­la­bo­ra­ti­on – getra­gen wer­den woll­te, son­dern die auf den Erkennt­nis­sen der moder­nen Wis­sen­schaft zu beru­hen hatte.

Alain de Benoist nahm in der Zeit zwi­schen 1968 und 1975 Abstand von den meis­ten Theo­re­men der Euro­pe-Action-Zeit (und will – über­spitzt gesagt – heu­te bei­spiels­wei­se auch lie­ber einen prak­ti­zie­ren­den Mus­lim als Nach­barn als einen Skin­head) – ande­re ent­wi­ckel­te und sys­te­ma­ti­sier­te er wei­ter. Dazu zähl­ten demo­kra­tie­s­kep­ti­sche Über­le­gun­gen in Anknüp­fung an „indo­eu­ro­päi­sche“ Aris­to­kra­tie-Model­le. Inspi­riert wur­de die­se Auf­fas­sung von der indo­eu­ro­päi­schen For­schung, wel­che in der Nou­vel­le Droi­te, man den­ke an Jean Hau­dry, emsig betrie­ben wur­de. Die zeit­ge­nös­si­sche Demo­kra­tie, vor allem deren Grund­pos­tu­la­te Frei­heit und Gleich­heit, wur­de als regel­recht „uneu­ro­pä­isch“ emp­fun­den. Aber auch anti­ka­pi­ta­lis­ti­sche, dem „Krä­mer­geist“ ent­ge­gen gerich­te­te Ideen wur­den for­mu­liert. Das Ziel war eine „Kul­tu­rel­le Revo­lu­ti­on der Men­ta­li­tä­ten“, also nichts ande­res als anti­ke Tugen­den und Leit­bil­der mit sozi­al­bio­lo­gi­scher Unter­füt­te­rung der moder­nen Anthro­po­lo­gie in die Gegen­wart zu über­füh­ren, um für eine Rück­be­sin­nung auf die Prin­zi­pi­en einer hier­ar­chisch geord­ne­ten Gesell­schaft sowie für die „Umwer­tung aller Wer­te“ im nietz­schea­ni­schen Sin­ne zu kämpfen.

Die­se auch im Wort­sin­ne radi­ka­len Ideen wur­den mit einer beson­de­ren Ver­ve ver­tre­ten und sorg­ten spä­tes­tens dann für offe­ne Feind­schaft, als es Benoist und Co. von 1978 bis 82, mit dem soge­nann­ten Som­mer der Nou­vel­le Droi­te 79 als Höhe­punkt, gelang, gewis­se Pos­ten in Main­stream-Publi­ka­tio­nen rund um das Figa­ro-Maga­zi­ne zu erlan­gen. Die fol­gen­de aggres­si­ve Pres­se­kam­pa­gne sorg­te aber für den wei­test­ge­hen­den Rück­zug der neu­rech­ten Leit­wöl­fe in die eige­nen Zir­kel und Publi­ka­tio­nen. Auch in der Bun­des­re­pu­blik wur­de von Zeit bis FAZ gegen Benoist geschos­sen. Die Angrif­fe beschränk­ten sich nicht auf lin­ke Medi­en, son­dern kamen auch aus der kon­ser­va­ti­ven Ecke, etwa aus Wil­liam Schlamms Zeit­büh­ne.

Ein guter Freund Benoists, Armin Moh­ler, sah in der feh­len­den Rücken­de­ckung für Benoists Trup­pe durch ande­re kon­ser­va­ti­ve Strö­mun­gen ein klas­si­sches Bei­spiel dafür, daß Libe­ral­kon­ser­va­ti­ve grund­sätz­lich bei jeder anti­fa­schis­ti­schen Kam­pa­gne frü­her oder spä­ter in die Knie gehen: „Sie hof­fen, sich ret­ten zu kön­nen, wenn sie die etwas kon­se­quen­te­ren Rech­ten eil­fer­tig den Wöl­fen zum Fraß vor­wer­fen“. An ande­rer Stel­le frot­zel­te Moh­ler: „Man hat oft das fata­le Gefühl, die Libe­ral­kon­ser­va­ti­ven sei­en mehr mit ihrer Abgren­zung gegen rechts als mit dem Kampf gegen die Lin­ke beschäftigt.“

Mit die­ser Fest­stel­lung hängt auch zusam­men, daß Benoist frap­pie­ren­der­wei­se zeit­le­bens bei lin­ken wie rech­ten Theo­re­ti­kern Anstö­ße sucht, indes nie bei sol­chen der eta­blier­ten „Mit­te“. Will man Benoists ori­gi­nel­le Welt­an­schau­ung über­haupt mit dem Schub­la­den-Den­ken erfas­sen, ist sie noch am ehes­ten als anti­li­be­ra­le Links-Rechts-Syn­the­se zu inter­pre­tie­ren. Über­haupt ist das dezi­diert Anti­li­be­ra­le die größ­te Kon­stan­te in Benoists mehr als 50jähriger geis­ti­ger Ent­wick­lung; Par­tei­en und der Par­la­men­ta­ris­mus als sol­cher sind für ihn kei­ne Opti­on. Es hat dabei nichts mit „Mimi­kry“ zu tun, daß Benoist Mit­te der 80er Jah­re die Wen­dung zur direk­ten, orga­ni­schen, mit­wir­ken­den Demo­kra­tie voll­zog und alte Zöp­fe radi­kal rech­ter Strö­mun­gen abschnitt. Der Volks­ver­tre­tung im west­li­chen Stil weist er indes wei­ter­hin nur den Sta­tus „Not­be­helf“ zu, die das demo­kra­ti­sche Prin­zip nicht gänz­lich abde­cke. Stets müs­se auf die Kor­rek­tur durch die Umset­zung der par­ti­zi­pa­ti­ven Demo­kra­tie, d. h. der direk­ten oder orga­ni­schen Demo­kra­tie, gesetzt wer­den. Das Ziel blei­be die „akti­ve Staats­bür­ger­schaft“ in einem gemein­wohl­ori­en­tier­ten Verbund.

Im Vor­wort zur 2001 erschie­ne­nen élé­ments-Text­samm­lung Schö­ne ver­netz­te Welt, die im ers­ten und eigent­li­chen deut­schen Stamm­ver­lag Benoists, dem Gra­bert-/Ho­hen­rain-Ver­lag, vor­liegt, spricht er dem der­zei­ti­gen Sys­tem ab, wei­ter­hin demo­kra­tisch zu sein. Was blei­be, sei­en Libe­ra­lis­mus und die herr­schen­de Ideo­lo­gie der Ware, ver­klei­det in einem huma­ni­tä­ren Dis­kurs. Gegen den „Haupt­feind“ Libe­ral­ka­pi­ta­lis­mus müs­se mehr kon­kre­te Demo­kra­tie gefor­dert wer­den. In sei­nem pro­gram­ma­ti­schen Text „Wider die kapi­ta­lis­ti­sche Ord­nung“, der in Frank­reich 2009 als Geleit­wort zu einer Auf­satz­samm­lung der natio­nal­re­vo­lu­tio­nä­ren Zeit­schrift Rébel­li­on erschien, und der 2012 in der Edi­ti­on JF als Anhang zu Benoists Am Ran­de des Abgrunds publi­ziert wur­de, ergänz­te Benoist die­se Aus­sa­gen zur nicht­de­mo­kra­ti­schen Ver­faßt­heit des libe­ra­len Wes­tens: Die Ent­kopp­lung zwi­schen poli­ti­scher Klas­se und Volk habe aus dem Finanz­bür­ger­tum als der domi­nan­ten Gesell­schafts­schicht eine neue Olig­ar­chie gemacht. Die­se regie­re in Ein­klang mit der „Dik­ta­tur des Über­wa­chungs­staa­tes“. Benoist bilan­ziert: „Inso­fern ist die Demo­kra­tie nicht län­ger die­je­ni­ge poli­ti­sche Ord­nung, die ihr legi­ti­mes Macht­mo­no­pol aus der Sou­ve­rä­ni­tät des Vol­kes herleitet“.

„Sou­ve­rä­ni­tät des Vol­kes“ ist dabei kei­ne Flos­kel Benoists. Er ist längst kein Anti­de­mo­krat mehr – blieb aber Anti­li­be­ra­ler und wur­de mehr und mehr Anti­ka­pi­ta­list. Benoist for­dert gezielt den Gesell­schafts­auf­bau von unten, was wie­der­um sicher damit zusam­men­hängt, daß die Herr­schafts­ver­hält­nis­se und ‑struk­tu­ren, ins­be­son­de­re auf glo­ba­ler Ebe­ne, immer unkla­rer und damit ungreif­ba­rer wer­den. Als Den­ker des Kon­kre­ten setzt Benoist dem­ge­gen­über auf die Basis­de­mo­kra­tie als erfahr­ba­re Rea­li­tät für die Men­schen vor Ort.

Ein wei­te­rer aktu­el­ler Schwer­punkt Benoist gilt der Bear­bei­tung der mit dem „NWO“-Kom­plex ver­quick­ten Fra­ge, wie es zu ver­hin­dern wäre, daß Gel­de­li­ten allein die Poli­tik gestal­ten, wie folg­lich der moder­ne, wesens­ge­mäß anti­de­mo­kra­ti­sche Finanz­ka­pi­ta­lis­mus zu zügeln ist. Benoist fokus­siert sich immer stär­ker auf öko­no­mi­sche Pro­blem­stel­lun­gen und gibt Ant­wor­ten, die – erneut – jen­seits von „rechts“ und „links“ (ob „neu“ oder „alt“) fir­mie­ren, wenn er die Ein­he­gung der „Geld­herr­schaft“ von unten eben­so for­dert wie den „Abschied vom Wachs­tum“, das For­mu­lie­ren einer neu­en Kon­sum­kri­tik sowie einen neu­en Umgang mit Kapi­ta­lis­mus und glo­ba­ler Öko­no­mie ange­sichts des klaf­fen­den Abgrunds. Benoist stellt damit nichts weni­ger als die “Sys­tem­fra­ge”. Es ver­wun­dert nicht, daß auch der 70jährige Benoist kei­ne Freun­de in den Rei­hen libe­ral­kon­ser­va­ti­ver Besitz­stands­wah­rer und Alt­her­ren­ver­bän­de sucht, ja sie ver­ach­tet und – für deut­sche Kon­ser­va­ti­ve sicher­lich unge­wohnt – im Gegen­zug die anti­bür­ger­li­che, sozi­al­re­vo­lu­tio­nä­re Arbeit radi­ka­ler Jugend­grup­pen wie der „Orga­ni­sa­ti­on socia­lis­te révo­lu­ti­on­n­aire euro­pé­en­ne“ (SRE) aus­drück­lich begrüßt und bis heu­te unterstützt.

Ein geis­ti­ger Schwenk in Rich­tung „Mit­te“ ist von Alain de Benoist daher auch im Alter nicht zu erwar­ten. Dafür spre­chen nicht nur aktu­el­le Publi­ka­tio­nen wie der vor weni­gen Wochen in einer Fest­schrift für Rolf Kosiek publi­zier­te Auf­satz wider trans­at­lan­ti­sche Ver­net­zun­gen oder die star­ke Ori­en­tie­rung am lin­ken Anti­li­be­ra­lis­mus eines Jean-Clau­de Michéa, son­dern auch die ver­tief­te Beschäf­ti­gung mit den fran­zö­si­schen Non­kon­for­mis­ten der 1930er Jah­re sowie ent­spre­chen­de Bezug­nah­men auf Édouard Berth und Thier­ry Maul­nier. Der Links-Rechts-Über­win­der Maul­nier sah schon in der Zwi­schen­kriegs­zeit den Libe­ra­lis­mus als pri­mä­ren Feind und streb­te nicht weni­ger als die ganz­heit­li­che Über­win­dung des Kapi­ta­lis­mus an. Maul­niers unor­tho­do­xe Kri­tik an Finanz­we­sen, Ban­ken­ver­sa­gen und nicht zuletzt des­sen Absa­ge an von oben auf­ge­zwun­ge­ner Staats­bü­ro­kra­tie wird in den kom­men­den Jah­ren wohl eher an Aktua­li­tät hin­zu­ge­win­nen, denn his­to­risch erle­digt zu sein.

Die­ser lan­ge Weg, den Alain de Benoist seit 1959 zurück­leg­te – etwa von der Erneue­rung von oben mit­tels neu­er Aris­to­kra­tie zur Erneue­rung von unten mit­tels par­ti­zi­pa­ti­ver Demo­kra­tie – zeigt, wie undog­ma­tisch und geis­tig fle­xi­bel er stets auf Ver­än­de­run­gen in Poli­tik, Öko­no­mie und Gesell­schaft reagiert. Er sucht nie­mals Applaus eines wie auch immer kon­sti­tu­ier­ten „eige­nen Lagers“, ver­zich­tet auf jed­we­den Dog­ma­tis­mus, holt sich Ideen dort, wo es sinn­voll und hilf­reich erscheint, und ver­liert doch nicht sei­ne eige­ne Kon­stan­ten aus dem Blick. Auch dies wird bei der Lek­tü­re der „Leben­di­gen Erin­ne­rung“ deut­lich, die ab heu­te in deut­scher Über­set­zung lie­fer­bar ist und ein beacht­li­ches Pan­ora­ma eines unheim­lich viel­schich­ti­gen Den­kens bietet.

Lite­ra­tur­hin­wei­se:
+ Alain de Benoist: Mein Leben. Wege eines Den­kens, Ber­lin: Edi­ti­on JF 2014, 432 S., 8 Bild­sei­ten, 24.90 €
+ Autoren­por­trait Alain de Benoist
+ Stu­die zu Alain de Benoist bei Antaios
+ Bücher­schrank Alain de Benoist (mit allen deutsch­spra­chi­gen lie­fer­ba­ren Titeln Benoists)

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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