Vorsicht: Wertkonservative!

aus Sezession 65 / April 2015

von Hans-Thomas Tillschneider

George Orwell hat in seinem Roman 1984 der Erkenntnis Ausdruck verliehen, daß die Sprache von Diktaturen Begriffe benötigt, die ihr genaues Gegenteil bedeuten können. »Wertkonservativ« wäre so ein Begriff. Ursprünglich in der Umwelt- und Friedensbewegung der 1970er Jahre als Gegenbegriff zum verpönten »Strukturkonservativismus« der damaligen CDU geprägt, wurde er irgendwann von denen, gegen die er sich gerichtet hat, übernommen.

»Wert­kon­ser­va­tiv« hat die CDU seit­dem die Auf­ga­be all ihrer Prin­zi­pi­en legi­ti­miert, und »wert­kon­ser­va­tiv« wird sich schließ­lich auch noch das vol­le Adop­ti­ons­recht für gleich­ge­schlecht­li­che Part­ner­schaf­ten als ein kon­ser­va­ti­ves Pro­jekt entpuppen.

»Kon­ser­va­tiv« war einst Ersatz­wort für das geäch­te­te »rechts«. Nun ersetzt »wert­kon­ser­va­tiv« kon­ser­va­tiv. Der AfD-Euro­pa­ab­ge­ord­ne­te Bernd Köl­mel hat bei sei­ner Bewer­bungs­re­de für die Lis­te zur Euro­pa­wahl im März 2014 in Aschaf­fen­burg mit dem Satz reüs­siert, er sei nicht erz­kon­ser­va­tiv, son­dern wert­kon­ser­va­tiv. Nach eben jener Logik wird zwar frü­her oder spä­ter »wert­kon­ser­va­tiv« das glei­che Schick­sal erei­len, aber eben das küm­mert den ech­ten Wert­kon­ser­va­ti­ven wenig. Indem er sich so nennt, hat er doch schon sei­nen Wil­len zum Zurück­zu­wei­chen vor einem Zeit­geist bekun­det, der auf sei­nem Weg durch die Spra­che ver­brann­te Begrif­fe hinterläßt.

Sobald das kon­ser­va­ti­ve Prin­zip um das Prin­zip des Wer­tes ermä­ßigt wird, scheint es nichts oder zumin­dest nur noch sehr viel weni­ger wert zu sein. Wer »wert­kon­ser­va­tiv« sagt, der sagt damit: Es gibt das ent-wer­te­te, wert-lose, rei­ne Kon­ser­va­tiv­sein und dane­ben das wert-vol­le, die­sen Begriff des­halb auch vor sich her­tra­gen­de Wert­kon­ser­va­tiv­sein. Der Fall ist klar, und mehr müß­te gar nicht gesagt wer­den. Aber die Sache reicht tie­fer, wes­halb es sich doch lohnt, ein paar Wor­te zu verlieren.

Carl Schmitt ent­wi­ckelt in sei­nem Auf­satz Die Tyran­nei der Wer­te (1960) eine Kri­tik des Wert­den­kens über­haupt, die an den Wer­ten bemän­gelt, daß sie gera­de die Ori­en­tie­rung, die sie vor­gau­keln, nicht geben kön­nen. »Ob etwas Wert hat und wie viel, ob etwas wert ist und wie hoch, läßt sich nur von einem – gesetz­ten – Stand­punkt oder Gesichts­punkt aus bestimmen.«

Der Wert, das wuß­te schon Sauss­u­re so gut wie Marx, bestimmt sich allein durch sei­ne Rela­ti­on zu ande­ren Wer­ten. Wert an sich ist nichts. Wert ist etwas nur durch sei­ne Stel­le in einem Sys­tem von Bezie­hun­gen. Der Wert hat kei­ne Sub­stanz, und er ändert sich stän­dig. Jede Ver­än­de­rung in sei­nem Sys­tem ver­schiebt das gesam­te Gefü­ge der Rela­tio­nen. Ver­än­dert sich ein Wert, ver­än­dern sich alle Wer­te mit. Der Wert hat kein Sein, son­dern eine höchst vola­ti­le Gel­tung. Er ist nicht, son­dern er ist in Kraft – oder auch nicht.

Der Wert beruht auf Wer­tun­gen, die ihrer­seits auf Inter­es­sen ver­wei­sen, die sich in ste­tig wan­deln­den Kon­tex­ten immer wie­der neu und also immer wie­der anders gel­tend zu machen suchen. Wer­te sind Aus­le­gungs­sa­che, und als sol­che sind sie unver­meid­bar und immer schon am Werk, egal wie wir uns dazu ver­hal­ten. Ein Erfolgs­re­zept der abend­län­di­schen Kul­tur wie­der­um scheint dar­in zu lie­gen, daß sie die­ses stän­di­ge Schwan­ken der Wer­te erkennt und aner­kennt. Das stän­di­ge Rela­ti­vie­ren, zu deutsch: In-Bezie­hung-Set­zen, ist ihr Charakteristikum.

Anders als im Islam, wo zumin­dest im ortho­do­xen Den­ken die Aus­le­gung die Auf­ga­be hat, den äuße­ren Buch­sta­ben­sinn – oder was man dafür hält – gegen den Angriff der Kon­tex­te durch den Wan­del der Zei­ten hin­durch fest­zu­hal­ten, beruht die abend­län­di­sche Aus­le­gungs­kul­tur auf der Annah­me, daß kano­ni­sche Tex­te von der Bibel bis zum Grund­ge­setz stän­di­ger Neu­aus­le­gung bedür­fen, um in Gel­tung, das heißt wert- und sinn­hal­tig, zu blei­ben. Der äuße­re Wort­sinn gilt jeweils nur für sei­ne Zeit. Ver­än­der­te Umstän­de ent­wer­ten ihn, ist er doch nichts als Rela­ti­on. Sobald der Text auf eine neue Zeit ange­wen­det wer­den soll, bedarf er des­halb der Neu­aus­le­gung, die den Wort­sinn über­steigt und sich dadurch recht­fer­tigt, daß allein so dem Text zu neu­er Wert­gel­tung ver­hol­fen wer­den kann.

Wir begeg­nen die­ser Ein­stel­lung im Neu­en Tes­ta­ment, in den Umdeu­tun­gen der Berg­pre­digt. Jenes »Ihr habt gehört, daß gesagt ist ›Du sollst nicht ehe­bre­chen‹. Ich aber sage euch: Wer eine Frau ansieht, sie zu begeh­ren, der hat schon mit ihr die Ehe gebro­chen« ist nicht nur eine gesin­nungs­ethi­sche For­de­rung, es ist auch die wert­be­zo­ge­ne Rela­ti­vie­rung einer über­lie­fer­ten und in ihrem äuße­ren Sinn als über­lebt erkann­ten Vor­schrift, die neu in Wert gesetzt wer­den muß. So deu­ten wir unse­re Geset­ze, unse­re hei­li­gen Tex­te und unse­re Tra­di­tio­nen: im Abse­hen auf etwas, was hin­ter dem Wort zu ste­hen scheint – ein von dem Zeit­um­stän­den abs­tra­hier­ter Sinn­wil­le, ein sich durch­hal­ten­des Prin­zip der Aus­le­gung, das alles Sag­ba­re zwangs­läu­fig übersteigt.

Wir fin­den die­se Vor­stel­lung in Augus­tins Leh­re vom ver­bum inte­ri­us, vom »inne­rem Wort«, das prin­zi­pi­ell immer mehr umfaßt als das jeweils geäu­ßer­te Wort. Und wir begeg­nen ihr in der pla­to­ni­schen Ideen­leh­re. Das­je­ni­ge, was stän­di­ger Umwer­tung bedarf, um sich zu erhal­ten, ist wie die Idee hin­ter den Dingen.

Doch ist das kei­ne Kon­struk­ti­on? Fin­den wir hin­ter den ver­schie­de­nen Umwer­tun­gen und Aus­le­gun­gen tat­säch­lich einen fes­ten Halt oder ist es nicht die Illu­si­on einer Kon­ti­nui­tät? Was ist das, wor­auf bei der Umdeu­tung Bezug genom­men wird? Ist da über­haupt etwas, wor­auf sich Bezug neh­men läßt? Ist es nicht die rei­ne Belie­big­keit, die sich nur ein­bil­det, über einen Halt zu ver­fü­gen, weil sie sich immer am sel­ben Begriff oder Text festmacht?

Die Ant­wort scheint mir im Wider­stand zu lie­gen, den jede Umdeu­tung über­win­den muß. Um noch als Aktua­li­sie­rung des Prin­zips hin­ter den Wer­tun­gen und eben nicht als belie­bi­ge Deu­te­lei zu gel­ten, muß sie sich in Bezug set­zen zu den ver­gan­ge­nen Aus­le­gun­gen. Sie kann nicht belie­big ver­fah­ren und ver­schiebt, ist sie erfolg­reich, am Ende den Deu­tungs­rah­men nur – sie setzt ihn nicht neu. So erweist sie der Tra­di­ti­on Respekt.

Daß wir eben so kon­stru­ie­ren und nicht anders, daß wir nicht am Äuße­ren fest­hal­ten, son­dern auf einen Sinn und Zweck hin­ter Tex­ten und Tra­di­tio­nen abse­hen und sie von dort her ver­än­dern, begrün­det die Dyna­mik und Anpas­sungs­fä­hig­keit unse­rer Kul­tur. Deu­ten heißt immer schon Umdeuten.

Jene erz­kon­ser­va­ti­ve Hal­tung, die an dem Buch­sta­ben haf­tet und ihn um nichts in der Welt preis­gibt, die Tra­di­tio­nen als genau fest­ge­leg­te Ritua­le ver­steht und sie bis ins kleins­te Detail zu repro­du­zie­ren sucht, jene Hal­tung ist unse­rer Kul­tur so fremd, daß über­haupt kei­ne Gefahr besteht, wir könn­ten jemals in eine der­ar­ti­ge Star­re gera­ten. Nicht stän­dig umzu­deu­ten erschie­ne uns als Ver­stoß gegen das Leben selbst.

Eher droht uns Gefahr aus der ande­ren Rich­tung. Wer ein Prin­zip gera­de nicht neu in Gel­tung set­zen, son­dern ein für alle­mal erle­di­gen will, auch der wird vor­ge­ben, ihm durch aktua­li­sie­ren­de Umdeu­tung nur wahr­haft gerecht wer­den zu wol­len, es an die ver­än­der­ten Zeit­um­stän­de anpas­sen und so sei­ne Gel­tung sichern zu wol­len. Die Poli­tik ist reich an Bei­spie­len dafür, und wie ich mei­ne, gehö­ren die meis­ten Fäl­le des Gebrauchs von »wert­kon­ser­va­tiv« hier her.

Es ist eine Grat­wan­de­rung, die wir immer­wie­der meis­tern müs­sen: die fal­sche Beru­fung auf die Not­wen­dig­keit des Umdeu­tens von der rich­ti­gen, der auf­rich­ti­gen unter­schei­den. Das Wert­kon­ser­va­tiv­sein hilft hier nicht wei­ter. Auch und gera­de der Kon­ser­va­ti­ve akzep­tiert den Wan­del der Tra­di­ti­on, so lan­ge sie sich wan­delt und nicht gewalt­sam gebro­chen wird, sei es durch eine tech­no­kra­tisch-mani­pu­la­ti­ve Poli­tik, sei es durch revo­lu­tio­nä­re Erup­ti­on. Der Kon­ser­va­ti­ve lehnt nicht den Wan­del ab, son­dern die Mani­pu­la­ti­on, nicht das leben­di­ge Wach­sen und Wer­den, son­dern den tech­no­kra­ti­schen Ein­griff, die Steue­rung, das Gesellschaftsexperiment.

Es ist daher kei­ne Prä­zi­sie­rung, wenn wir das kon­ser­va­ti­ve Prin­zip mit dem Begriff des Wer­tes ver­bin­den, son­dern es ist red­un­dant und ent­wer­tet das, was Kon­ser­va­tiv­sein aus­macht, in einer dop­pel­ten Rela­ti­vie­rung. Sie löst das Bemü­hen, der Tra­di­ti­on immer wie­der neu Gel­tung zu ver­schaf­fen, auf in die rei­ne Belie­big­keit eines »Alles ist möglich«.

Wes­halb die­se Ermä­ßi­gung und Rela­ti­vie­rung von etwas, das Maß­hal­ten und Umsich­tig­keit schon in sich schließt? Geschieht dies etwa, um ein Gebun­den­sein an die Tra­di­ti­on vor­zu­täu­schen, hin­ter dem in Wahr­heit der Vor­satz steht, sich an gar nichts mehr gebun­den zu füh­len? Ver­birgt sich hin­ter der Rela­ti­vie­rung des Wert­kon­ser­va­ti­ven nicht der Vor­satz, um kei­nen ech­ten Bezug zur Tra­di­ti­on mehr zu rin­gen, son­dern nur so zu tun, als bemüh­te man sich darum?

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Kommentare (17)

Monika

20. Mai 2015 11:39

"Jene erzkonservative Haltung, die an dem Buchstaben haftet und ihn um nichts in der Welt preisgibt, die Traditionen als genau festgelegte Rituale versteht und sie bis ins kleinste Detail zu reproduzieren sucht, jene Haltung ist unserer Kultur so fremd, daß überhaupt keine Gefahr besteht, wir könnten jemals in eine derartige Starre geraten. Nicht ständig umzudeuten erschiene uns als Verstoß gegen das Leben selbst."

Ein sehr schöner Beitrag....Danke

Im Nachlass meiner kürzlich verstorbenen Mutter fand ich ihr Poesiealbum.
Deren Mutter, also meine Oma schrieb dort am 5. Dezember 1940:

Sei wie das traute Jesuskind,
So lieb, so rein und hold gesinnt,
das Kind ging auf der Tugendbahn
war seinen Eltern untertan

Im Matthäusevangelium lese ich dieser Tage ob aufwühlender Familienzwistigkeiten sehr häufig.
Dort auch ( Mt 12,46-50)

Einer aus der Menge sagte zu Jesus: "Deine Mutter und deine Brüder stehen draußen und wollen dich sprechen."
Jesus antwortete ihm: " Wer ist meine Mutter ? Wer sind meine Brüder ? "
Dann streckte er seine Hand über seine Jünger aus und sagte: " das hier sind meine Mutter und meine Brüder."
"Denn wer tut, was mein Vater im Himmel will, der ist mein Bruder, meine Schwester und meine Mutter."

Diese Freiheit von archaischen und starren Familienbeziehungen ( durch Umdeutung) ist nur im christlichen Kulturkreis möglich.
Weswegen mir vor einer Islamisierung des Abendlandes nicht bange ist.
( allerdings: illegale Masseneinwanderung ist ein anderes Thema)

Der Autor der Hirnhunde bezeichnete das Mattäusevangelium übrigens als das wichtigste Buch für diese Zeit. Im besten Sinne wertkonservativ.

Meier Pirmin

20. Mai 2015 15:29

Der Begriff hat trotz allem sein Potential und passt zum Beispiel zum sog. rechten Flügel der SPD, auch sind alle, die bei der Fristenlösung immerhin da und dort, wie einst Willy Brandt, noch ein schlechtes Gewissen andeuten, vergleichsweise "wertkonservativ". Auch ist es vernünftigerweise noch nie darum gegangen, Traditionen um ihrer selbst willen zu erhalten. Auch Kritiker der Orthographiereform, Befürworter der alten Sprachen in der Bildung, Sympathisanten für altmodischen Anstand und Sitte kann man in einem gewissen Sinn als "wertkonservativ" gelten lassen. Es handelte sich eher um ein rechtes als um ein linkes Schlagwort, selbstredend um eine Entschuldigung dafür, dass man da und dort noch einen konservativen Eindruck machen könnte.

donna_alta

20. Mai 2015 20:46

Danke für den Text, den ich nun mehrfach gelesen habe. Ich meine, ihn langsam zu durchdringen.

Den Begriff "wert-konservativ" hätte ich vor dem Lesen des Textes als das Erhalten (Konservieren) "alter, traditioneller" Werte verstanden und auf solche aktuelle Themen wie Ehe, Familie, Sprache, Musik, Nation usw. bezogen, die es in unserer Zeit mit Kraft und Mut gegen den Werteverfall zu verteidigen gilt.
Es ist also eine Bewegung, Auseinandersetzung, Aktualisierung des

Prinzips hinter den Wertungen

, die in Beziehung gehen muss zu vergangenen Auslegungen.
Ich verspüre jedoch in alltäglichen Gesprächen oder gar in der Kirche oder Politik nicht einmal den vorsichtigen Versuch, sich derartigen, sehr tiefgründigen Gedanken auszusetzen. An welcher Stelle ist denn z.B. der Begriff der Familie aus dem Rahmen gefallen und als Wert verloren gegangen? Hinter der Bezeichung "Regenbogenfamilie" ist das Prinzip für mich nicht mehr erkennbar, weil sich alles in Beliebigkeit aufzulösen scheint. Doch die Kirche z.B. feiert sich mit dieser Anbiederei an den Zeitgeist als modern und zeitgemäß.

@Monika
Sie schreiben:

Im Matthäusevangelium lese ich dieser Tage ob aufwühlender Familienzwistigkeiten sehr häufig.

Sie können es auch hören, eine herausragende Interpretation:

https://www.youtube.com/watch?v=jm1os4VzTgA

Geistliche Musik hilft mir gegen Seelenschmerz, Ihnen vielleicht auch!

Monika

20. Mai 2015 21:49

"Ich bin nur ein Mensch auf der Suche nach Worten, die längst schon gefunden sind, die im Matthäusevangelium schon alle dastehen, in perfekten logischen Sequenzen, schärfer, als Wittgenstein es je gekonnt hätte, eine erschöpfende Analyse dessen, warum wir falsch sind und warum wir dadurch schuldig werden vor allem und vor jedem, nämlich bloß kraft unseres wahrheitsfernen Tuns. Eine literarische Form dafür zu finden ist sehr schwer, ich glaube, man kann keine Form dafür finden, daß wir falsch sind, keine ernste, denn eine Form, die sich vom Einverständnis des Lesers verabschiedet, ist keine Form, sondern für den Leser eine Zumutung, wie ja auch das Matthäusevangelium. Das größte philosophische Werk des Abendlandes.

Andreas Maier

"Ob etwas Wert hat und wie viel, ob etwas wert ist und wie hoch, läßt sich nur von einem -gesetzten -Standpunkt oder Gesichtspunkt aus bestimmen"

Carl Schmitt

Wert bestimmt sich durch seine Relation zu anderen Werten.

Das ist wahr. Im Neuen Testament ist dieser gesetzte Standpunkt die Reich Gottes Botschaft Jesu Christi.
Die Reich Gottes Botschaft relativiert alle anderen Werte.
Das Gleichnis vom Schatz im Acker und von der Perle ( Mt 13,44) zeigt dies auf:
"Auch ist es mit dem Himmelreich wie mit einem Kaufmann, der schöne Perlen suchte. Als er eine besonders wertvolle Perle fand, verkaufte er alles . Was er besaß, und kaufte sie."

Was Reich Gottes formal und inhaltlich meint, beschreibt das Buch von Rudolf Schnackenburg m. E. immer noch am besten.

https://wuerzburgwiki.de/wiki/Rudolf_Schnackenburg

Es geht weder um eine normative Ethik ( du sollst) noch um eine autonome Moral ( du kannst).
Sondern um höchste Freiheit in Bindung.
@ Donna alta
Danke für den Musikhinweis

Andreas Walter

20. Mai 2015 23:31

Mit der Bibel wäre ich vorsichtig, genauso wie mit dem Koran. Ich kenne jede Menge Menschen die sich selbst als christlich, bibeltreu, gläubig und was auch immer in diese Richtung selbst bezeichnen und das dann auch wirklich glauben zu sein, die jedoch weder danach leben, was in seiner letzten Konsequenz auch gar nicht (oder nur mir?) möglich ist, und selbst wenn man sie dann mit ihren Verfehlungen konfrontiert sie diese erstmal weit von sich weisen, nicht einmal wahr haben wollen. Wirklich gläubige Menschen sind mir im Leben bisher nur ganz, ganz wenige begegnet. Echter Glaube, vollendetes Gottvertrauen, entrückte Glückseligkeit ist in etwa so selten, dass man selbst in einer vollen Kirche oft nicht einen Einzigen dieser Unbeschreiblichen trifft. Ich sage das, weil ich es weiß, selbst wenn ich trotzdem auch noch regelmässig immer wieder vom Glauben abfalle, ich auch immer wieder aus der Gewissheit heraus-falle. Was ich zum ko..... finde, zugleich aber auch schön. Ich muss dann immer weinen, im Angesicht von so viel Liebe, solch einem Erbarmen, solch einer Gnade. Es gibt nichts, was mich mehr tröstet, sich schöner anfühlt, mir mehr Frieden schenkt und (mir fast) jegliche Furcht nimmt. Wie muss das wohl erst sein, frage ich mich dann, wenn man sich dem ganz in die Arme hineinfallen lassen kann, sich einfach hineinfallen lässt. Ein Traum, wenn da nicht .... mein Urvertrauen schon als Kind erschüttert worden wäre.

Matthäus 5:1-11

Theosebeios

21. Mai 2015 11:45

Angesichts der Tatsache, dass sich (z.B. in England) manche als Konservative bezeichnen, die damit eher die geschmeidige Anpassung an das politisch Erfolgversprechende verbinden, ist die von Bernd Kölmel vorgenommene Selbstbezeichnung nicht von vornherein verfehlt. Die Gefahr, mit Altkonservativen der CDU verwechselt zu werden, besteht kaum noch. Das von einem Mitkommentator angesprochene Potential des Begriffs "wertkonservativ" besteht darin, den Vorrang der Werte gegenüber Normen zu betonen. Das ist bzw. war ein typisches Merkmal der alten Mitte, für die die bürgerlichen Werte Fleiß, Ordnungsliebe, Leistungsbereitschaft, Heimatliebe etc. noch eine besondere Bedeutung hatten.
Entscheidend ist freilich, um welche Werte es sich handelt und wie die konkreten Umstände beschaffen sind. Von Nächstenliebe zu predigen und "Flüchtlinge" auf eigene Faust aus dem Mittelmeer retten zu wollen, ist alles andere als konservativ. Auch der Wertkonservative erkennt in der Bewahrung des gesunden Menschenverstands den höchsten (individuellen) Wert. Ohne ihn lässt sich alles andere nicht zureichend beurteilen.
Die Fragen am Ende Ihres Textes lassen einen eher stirnrunzelnd zurück. Sie insinuieren da eine grundsätzliche Haltung oder Absicht anhand einer semantischen Begriffsanalyse. Das geht zu weit.

Hartwig

21. Mai 2015 21:14

Ich werde von meiner Frau gern als konservativ, manchmal auch als wertkonservativ verkauft. Sie möchte gern, das ich als der wahr genommen werde, für den sie mich hält: loyal, integer, ein guter Mann und Familienvater. Wenn ich mich dann selbst als rechts zeihe, so sind alle Zuschreibungen dahin. Ein Rechter ist einer, der sich, bzw. mit dem man sich unmöglich macht.
Mittlerweile ist auch diese Phase überwunden ...

Stil-Blüte

22. Mai 2015 04:14

Der Schlips, die Krawatte 'wertkonservativ'? Eher ein Symbol (nicht umsonst wird beim Weiberfastnacht dieses Utensil abgeschnitten).

Aber: der Herrenanzug: An Hand des Anzugs - bei den Damen wurde er seltsamerweise doppeldeutig 'Kostüm' genannt -, könnte man eine besonders langlebige Kulturgeschichte des Wertkonservativen entfalten, weil sie von vollkommener Funktionalität u n d Schönheit zeugt. Ohne alle Qualitätsmerkmale aufzuzeigen, möchte ichmich alleine auf die diskreten Taschen beziehen:

Bundhose: 2 Gesäßtaschen, oft mit Verschluß, Laschen, zum Zuknöpfen (Diebstahl unmöglich), 2 tiefe Seitentaschen, oft noch eine kleine Tasche darüber, früher für die Taschenuhr, heute für Kleingeld, am Rücken verstellbar (Zu- oder Abnehmen)
Weste: Brusttasche, kleine diskrete Bauchtaschen
Jacket: Futtertasche innen, oft mit zwei 'Etagen' (unangreifbar für die 'Brieftasche', auch Manuskripte finden darin Plastz), 2 Seitentaschen; eine linke (damit die rechte Hand gut zugreifen kann) Brusttasche für das Taschentuch oder den Fahrschein oder, um den großen Schein zu zücken.

Warum in Gottes Namen Milliarden Männer (inzwischen auch Frauen) auf der weiten Welt, unabhängig von Religion, Kultur, Nationalitüät verwaschene, ausgewaschene, kaputte, ausgebeulte, unzweckmäßige (Taschen sind viel zu eng), zu jeder, ja zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit und in jedem Alter - beginnt neuerdings mit zwei Jahren und endet im hohen Alter - Arbeitshosen tragen, obwohl der Hängebauch raushängt, der Bund zwickt, das Gemächt in Mitleidenschaft gezogen wird, nie die richtige Beinlänge stimmt und deshalb ausfranst...und...und..., warum also die Jeans der meistverkaufteste standardisierte Artikel der Welt ist Und sooo häßlich! Ein schwere Neurose! D e r sichtbarste Angriff auf das wertkonservative Selbst-Verständnis, selbst verschuldet.

Naja.

Nordlaender

22. Mai 2015 11:02

@ Stil-Blüte

"warum also die Jeans der meistverkaufteste standardisierte Artikel der Welt ist Und sooo häßlich!"

Ähnlich wie eine verschlurfte weltamerikanisch-jugendliche Körpersprache transportiert diese Demokratenhose halt den unverzichtbaren Subtext: "Ich bin wie Du."
Sogar die Umbenennung unseres Erdenballes hat die Nietenbüx bewirkt:
"Blauer Planet".

Stil-Blüte

22. Mai 2015 23:14

Zum x-ten Male, bevor ich einen Beitrag abschicken wollte greift mich ein Niemand an und mein Beitrag verschwindet im Nirgendwo. Wem ist das auch schon so ergangen?

Dziadowa Kłoda

23. Mai 2015 10:37

Wenn »konservativ« einst das Ersatzwort für das geächtete »rechts« war und nun »wertkonservativ« "konservativ" ersetzt, ergeben sich drei Fragen:
- gab es etwas, was durch "rechts" ersetzt worden ist?
- was wird wohl "wertkonservativ" ersetzen?
- und wenn sich die Wortform änderte, wie denn beschreibt man den (immer gleichen?) Inhalt?

Jefreiter

23. Mai 2015 21:48

In der Bundeswehr gibt es ein ähnliches Problem: SiPol. Das ist eigentlich eine Tarnung für militärische, Wehrsport treibende Kameradschaften an pazifistischen Hochschulen. Mangels Reflexion über diesen Begriff hat er sich aber verselbständigt und ist mittlerweile auch bei unakademischen Kameradschaften als Mädchen für alles anzutreffen: Historisches, Waffenkundliches, Geographisches, Technisches aller Art. Manche alten Kameraden, die einst als Genossen in der NVA gedient haben, erinnert SiPol an partei-ideologische Zwangsveranstaltungen des SED-Staates.

Man sollte die Begriffe, die man verwendet, unbedingt beherrschen. Sonst macht man sich nicht nur dümmer als man ist, man läuft auch Gefahr, daß Kameraden, die diesen Artikel nicht gelesen haben und auch LTI und MKH's Lexikon nicht kennen, unkontrolliert mit SiPol um sich schießen und irgendwann tatsächlich anfangen beim Kommando "SiPol!" über die NATO oder die militärischen Geistesblitze von Partei-Pappkameraden oder gar der Flinten-Uschi zu grübeln...

Urwinkel

25. Mai 2015 12:31

Eine Antwort gefällig?

- und wenn sich die Wortform änderte, wie denn beschreibt man den (immer gleichen?) Inhalt?

Vorher etwas an die hysterische Stil-Blüte: Ihr Beitrag zum modischen Dreiteiler war sensationell und ist angekommen.

Aber zur Sache: Inhalt bleibt Inhalt. Wer auf das Zwitschern der Schwalben hört, ab und zu mal baden geht, ist konservativ. Und jetzt kommt der Knaller: In einem knappen Monat feiern wir die Sommersonnenwende.

Andreas Walter

25. Mai 2015 17:44

@ Stil-Blüte

Ja, das passiert manchmal, nicht nur hier. Ärgerlich, wenn man sich so viel Mühe gibt und auch Zeit nimmt es ja in Anspruch, das Schreiben. Vor dem Absenden, Senden, Abschicken daher immer kurz alles markieren und mit Kopieren, copy, in den Zwischenspeicher des Rechners laden. Da aber auch nicht jeder Beitrag veröffentlicht wird empfehle ich jedem grundsätzlich die Früchte seiner Arbeit und seines Geistes auch noch anderweitig bei sich zu Hause auf dem Rechner nach Themen geordnet abzuspeichern. Vieles was manchmal recht kompliziert ist zu vermitteln möchte man ja nicht jedes mal neu erarbeiten oder die Quellen und unterstützenden Netzverweise, Links, jedes mal dazu auch neu suchen. Auch die speichere ich darum mittlerweile als druckbares PDF auf meinem Rechner, denn vieles im Netz hat nur eine begrenzte Halbwertszeit und manches Unbequeme wird auch bewusst wieder entfernt, sobald es zu populär, bekannt wird. Eben ähnlich vorgehen wie bei der Erstellung eines Buches oder einer Diplom- oder Doktorarbeit, die man ja auch "verteidigen", mit Fakten und Quellenverweisen untermauern muss, um zu überzeugen, um die Deutungshoheit zu erlangen oder zurückzuerobern.

Also: Alles mit der Maus markieren, auf Bearbeiten gehen und Kopieren drücken.

Hubert Weißgerber

27. Mai 2015 01:55

Was mir durch dieses Bild klar geworden ist:
https://www.youtube.com/watch?v=rMRuQTloBuc

Stil-Blüte

30. Mai 2015 05:38

@ Andreas Walter
Ein Dankeschön für diesen Tipp!

Stil-Blüte

31. Mai 2015 20:56

@ Urwinkel

'an die hysterische Stil-Blüte'

Durchschaut! Nichts liegt einem Hysteriker näher als nicht nur gesehen, sondern durschaut zu werden!

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