vor dem Gasthof „Grüne Tanne“ in Jena, füllte sich in jener Stadt das altehrwürdige Volkshaus mit bunten Mützen jedweder Couleur. Die drei Jenaischen Burschenschaften, jene Nachzöglinge der einst revolutionären Kräfte von 1815, hatten zu diesen besonderen Feierlichkeiten in die Universitätsstadt geladen.
Wer das Volkshaus in Jena kennt, der weiß um seine beeindruckende Schönheit und Eleganz. Im Treppenaufgang des Foyers erinnert eine Büste des großen deutschen Komponisten Wilhelm Furtwängler an die künstlerische Herrlichkeit, die diesem Ort einst innewohnte.
Doch die großen Zeiten sind längst vorbei. Wer sich hier weniger an Furtwängler und mehr an die bundesrepublikanische Zukunftsmusik erinnert fühlt, geht nicht fehl. Ein Blick auf das Burschenschaftliche offenbart aber gleichzeitig, was es mit Furtwängler gemein hat: Die großen Töne und Noten der Vergangenheit werden nur noch in wenigen Enklaven innerhalb der Hybris der Moderne vernommen, gar gelebt.
Was sich jedenfalls anläßlich des großen Jubeltages in Jena ereignete, lohnt der Betrachtung. Denn es ist stellvertretend, ja geradezu unheimlich exemplarisch für unsere Zeit. Das Gros der deutschen Männerbünde, die Fackelträger des nationalen Aufruhrs, haben Schwert und Manifest gegen Parteibuch und Grundgesetz getauscht. Sie sind nicht länger der stechende, verletztende Dorn in Gesäß und Auge der repressiven Wasserköpfe der Nation. Vielmehr sind sie eingewachsen, längst aufgesogen und politisch kalkulierbar.
Im Zuge der Feierlichkeiten in Jena wurde diese politische Kalkulation und Vereinnahmung durch den Staat, die allmächtige und immer währende Republik der Toleranz und Vielfalt, besonders deutlich. Als bejubelter Festredner des Abends wurde Alexander Graf Lambsdorff begrüßt. Just jener FDP-Politiker, dessen romantisch-pompöses Familienwappen nur noch durch seine geradezu fanatische Begeisterung für alles Westliche in dieser Welt übertroffen wird.
Und so war es an Lambsdorff, zum feierlichen Kommers anläßlich der Zweihundertjahrfeier der Urburschenschaft der bunt gemischten Corona zu verkaufen, daß die Zukunft des deutschen Volkes – pardon: der deutschen Bevölkerung – zwingend an eine Zusammenarbeit mit dem Westen, der NATO und der Europäischen Union gebunden sei. Übertroffen wurde diese Absurdität nur noch durch die wenig später folgende Ausführung, Deutschland und ganz Europa würden durch TTIP maßgeblich profitieren. Burschen heraus, die transatlantische Pflicht ruft!
Es verwundert kaum, daß Lambsdorff als stellvertretender Präsident des Europäischen Parlamentes und Mitglied der Atlantik-Brücke e. V. die entsprechenden Worte finden konnte, um jene feierliche Veranstaltung in Jena, dem einstigen Hort der Revolution, ad absurdum zu führen. In einem Jubelsturm aus Zustimmung und Standing Ovations vergehend, feuerte Lambsdorff aus allen Rohren. Salven des BRD-Sprechs, also Toleranz, Vielfalt, Demokratie, Verantwortung und Freiheit – natürlich Freiheit! –, schossen wie der letzte Hauch der Burschenherrlichkeit durch den festlichen Saal.
Dem Ruf der Querschläger folgend, stürmten doch einige Anständige zu den Türen und suchten den Schutz des verlassenen Foyers. Darunter immerhin auch eine meßbare Anzahl einer ausrichtenden Burschenschaft. Augen und Ohren zu, ein Bier und eine Zigarette später wird der Spuk schon vorbei sein. Im Festsaal selbst herrscht ausgelassene Parteitagsstimmung. Die Träger des urburschenschaftlichen Nachlasses beklatschen Lambsdorff und berauschen sich am Gefühl, wenigstens für diesen einen Abend wieder in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein. Endlich wieder dabei – die Bundesrepublik als geistige Heimat!
Am Vortag, bei einer Festakademie, hatten bereits verschiedene Politiker und gesellschaftliche Vertreter ihre Grußworte entsendet. Darunter auch der Oberbürgermeister der Stadt Jena, die CDU-Fraktion im thüringischen Landtag und – siehe da! – der linke Ministerpräsident Bodo Ramelow. Stolz wurden die Grußworte verlesen, die überwiegend grauen Häupter quiekten vor Entzückung. In der Gesellschaft wieder angekommen zu sein, akzeptiert zu werden und sogar Zuspruch von offiziellen Stellen dieser Republik zu erhalten – chapeau! Was dieser Zuspruch für eine Burschenschaft in den Traditionslinien von 1815 bedeutet?
Dann, zurück auf dem Kommers, das „Burschenschafterlied“:
Was erstritten unsre Ahnen,
halten wir in starker Hut;
Freiheit schreibt auf eure Fahnen,
für die Freiheit unser Blut!
Und weiter:
Vaterland, du Land der Ehre,
stolze Braut mit freier Stirn!
Deinen Fuß benetzen Meere,
deinen Scheitel krönt der Firn.
Laß um deine Huld uns werben,
schirmen dich in unsrer Hand;
dein im Leben, dein im Sterben,
ruhmbekränztes Vaterland!
Wie viele der anwesenden Bundesrepublikaner tatsächlich ihr Leben für das Vaterland geben würden, darf mit Recht unkommentiert bleiben. Oder: Sind die deutschen Gefallenen am Hindukusch gemeint? Jene Leben, die im Namen des Exportweltmeisters Deutschland und seiner wichtigen westlichen Verbündeten ausgehaucht wurden? Graf Lambsdorff wäre Interpret. Ferner: Was ist mit denen, die durch ausländische Gewalt Opfer im eigenen Land wurden?
Sind Jonny K. und Daniel S. bedauerliche Einzelfälle dieser freiheitlichen Republik? Darüber hinaus wollte man an diesem Abend fragen: Wann beginnt der burschenschaftliche Kampf um die eigenen Städte? Wer wird die europäischen Grenzen verteidigen, wenn es immer mehr werden, die in den Kristallpalast drängen?
Die entscheidenden Fragen unserer europäischen Zukunft bleiben an diesem besonderen Jubelfest unbeantwortet. Selbst die Frage danach scheint ungebeten, verbietet sich in Gesellschaft. Das klare, freie Wort hat seinen Platz verloren. Im Volkshaus geht es zu wie im Staat: Die Maske ist entscheidend, nicht das Gesicht. Doch diese Fragen müssen sich nicht nur die Herren an diesem Abend in Jena gefallen lassen. Sie betreffen alle Männerbünde, die sich auf 1815 berufen. Wo sind die mutigen Männer unserer Zeit?
Pseudo-Gutmensch
Tja, wenn man bei der Sache primär nur Netzwerke und satte, egozentrische Karriere im Auge hat, dann ist diese Richtung eindeutig konsequent ...
Unbedingt rein in eine Verbindung wg. Netzwerk - aber keinstenfalls konservativ. Oft genug gehört.
Konservatismus und Karriere widersprechen sich eben heutzutage hierzulande weithin.