Unter den liberalen Islamkritikern ist der 1955 geborene Politikwissenschaftler Michael Ley eine der scharfsinnigsten Federn. Seine jüngste Streitschrift schließt nahtlos an seinen düsteren Zukunftsausblick Die kommende Revolte (2012) an.
Im Gegensatz zu vielen Liberalen hat Ley seinen Böckenförde gelesen: »Der freiheitliche, säkulare Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann« – und die er aufs Spiel setzt, wenn er Bevölkerungsgruppen aufnimmt, deren kulturelle Prägungen diesen Voraussetzungen schroff gegenüberstehen. Der Islam sei essentiell eine »politische Religion«, die antreten wird, um die Früchte der abendländischen Regression zu ernten.
Der Gefahr des »Zivilisations-Crash« setzt Ley die »Rückbesinnung auf die Grundlagen der europäischen Kulturen« entgegen: der »nationalen, ethnischen, religiösen und kulturellen Vielfalt und den europäischen Werten des Humanismus und der Aufklärung.« Europa bleibe die Wahl zwischen einer »Reconquista« seiner Zivilisation oder eben seinem »Selbstmord«. Demgegenüber sägen insbesondere linke Intellektuelle im Namen des Götzen »Diversität« an den Fundamenten der europäischen Identität und verklären das »Fremde«, auf mitunter bizarre Weise: »Die ausschließliche Selbstkritik und die zwanghafte Xenophilie sind Ausdruck einer schweren kollektiven Neurose und zeugen von einer nicht mehr zu überbietenden politischen Narretei.«
Ley hofft, dem Islam mittels Religionskritik die Zähne ziehen zu können. Dabei beruft er sich auf eine Richtung der Islamwissenschaft, die heute etwa von Karl-Heinz Ohlig vertreten wird: demnach hätte ein Prophet Mohammed nie gelebt und wäre der Koran wesentlich auf syrisch-aramäische, christliche Quellen zurückzuführen. Offen bleibt, was die islamische Welt von einer solchen Dekonstruktion ihrer Kraft- und Identitätsquellen für einen Gewinn hätte, vor allem angesichts der fatalen Folgen, die der »Tod Gottes« für die europäische Zivilisation hatte.
Wenn der Agnostiker Ley »die Herausbildung einer selbstbewußten europäischen Zivilreligion, einer wehrhaften Bürgerreligion auf der Grundlage der Menschenrechte« als ideales Modell preist, muß gefragt werden, ob hier nicht mit historisch überholten Posten gerechnet wird, deren »Mystik« – frei nach Péguy – schon lange verpufft ist, und die sich immerhin angesichts eines Glaubens, der imstande ist, Märtyrer hervorzubringen, behaupten müßten. Das bestehende Dilemma des Abendlandes hat Yeats 1919 in seinem apokalyptischen Gedicht The Second Coming gültig formuliert: »The best lack all conviction, while the worst / Are full of passionate intensity.«