In einem im Februar 2009 geführten Interview mit der Sezession lehnte der Gründer der Wochenzeitung Junge Freiheit, Dieter Stein, diese Schublade, in die er selbst bis heute gesteckt wird, vehement ab: Ihre Deutung liege in den Händen der politischen Gegner, der linken Politikwissenschaftler und der Verfassungsschutzbehörden, und deshalb sei sie als Selbstbezeichnung völlig unbrauchbar geworden.
Weißmann dagegen bekräftigte im selben Interview, was er bereits 2006 in dem Gesprächsband Unsere Zeit kommt geäußert hatte: Auch wenn »Neue Rechte« nur ein »Hilfsbegriff« sei, »wie jedes andere politische Etikett«, gäbe es nach wie vor kein besseres, um die eigene Position zu markieren. Eine »neue Rechte« in seinem Sinne sei weder nostalgisch noch klassengebunden, sondern »an der Wirklichkeit orientiert, bereit und fähig, die Lebensmöglichkeiten der Moderne wahrzunehmen, aber nüchtern, mit einem Gespür für deren besondere Gefahren.« Überhaupt sei der Begriff nützlich, um sich von den Bloß-Konservativen abzusetzen, wider das ganze »Gerede« über »Werte«, »das noch nie zu irgend etwas geführt hat«, und die Verengung des Konservativen auf bürgerliche »Besitzstandswahrung«: »Da erkläre ich allerdings entschieden meinen Dissens und möchte nicht verwechselt werden, was auch immer freudig akzeptiert wird, wenn ich erkläre, daß ich nicht nur konservativ bin, sondern rechts.«
Unausweichlich bleibt schließlich, daß die politische Zuweisung von ›links‹ und ›rechts‹ in der Kontroverse nicht nur der eigenen Defiition unterliegt, sondern polemisch erfolgt. Wer das nicht versteht, sondern panisch die Markierung ›rechts‹ abstreifen will, hat schon kapituliert. (Karlheinz Weißmann: Die Nation denken; in: FAZ vom 22. April 1994)
In seinem Essay Das konservative Minimum (2007) zielte Weißmann in diesem Sinne darauf ab, dem Konservatismus die Zähne zurückzugeben, ihn gar »als Kampfbegriff zu etablieren«. Er leitete seine »Kampf-Ansage« mit einer Anekdote über einen alten Bekannten ein, der als »guter Gatte und Vater und als gemachter Mann« kurz vor dem Ruhestand folgende Auffassung von einer »konservativen Existenz« hatte: man »müsse die Macht der Verhältnisse anerkennen, und das heiße unter den obwaltenden Umständen: betreibe deine Karriere, versuch nicht anzuecken, halte dich an die Moral der Väter und erzieh deine Kinder anständig.« Man »müsse doch zugeben, daß das ewige Opponieren sinnlos gewesen sei. Zuletzt komme alles von selbst ins Gleis«, was sich etwa daran zeige, daß noch jeder Revoluzzer zum Philister gealtert sei.
Weißmann erteilte seinem Gegenüber eine deutliche Absage: Entscheidend sei nicht, ob nun auch die Linken verspießerten, sondern der Substanzverlust, die Dekadenz, »daß in diesem Land seit dreißig Jahren Bestände vernutzt werden, die sich kaum wiederherstellen ließen.« Von dieser Perspektive aus müsse man auch die Pseudokonservatismen beurteilen, die hin und wieder Konjunktur hätten: etwa das »Wert«- und »Kultur«-Konservative oder die »neue Bürgerlichkeit« der gehobeneren Feuilletons.
Auf den Punkt brachte Weißmann seine Thesen in seinem 2009 publizierten Konservativen Katechismus: »Prüfe kritisch, ob es sich nicht nur um typbedingtes Phlegma oder altersbedingte Resignation handelt. Es gibt auch eine verbreitete Neigung, Faulheit und Konservatismus zu verwechseln, oder fehlende Anstrengungsbereitschaft weltanschaulich aufzuhübschen.« Konservatismus sei eben nicht »Ruhebedürfnis«, Routine oder Alterserschlaffung, sondern ein stetiger Einsatz für das Leben schlechthin: »Insofern es dem Konservativen darum geht, etwas Lebendiges – seine Kultur, seine Nation,seine Religion, seine Familie – zu erhalten, kann er sich das Nachlassen nicht erlauben.«
Weißmanns publizistische Anstrengung zielt auf ein authentisches Rechtssein. Die Beschränkung auf das »Nationale« reicht nicht aus: Man müsse die Option für die Nation auf die Grundlage einer »skeptischen Anthropologie« stellen. Die Essenz des rechten Denkens lasse sich etwa auf drei klassische Überzeugungen herunterbrechen: »1. Der Mensch ist ein riskiertes Wesen; 2. Der Mensch ist auf Ordnung angewiesen; und 3. Die Existenz des Menschen ist eine historische.« Eine fundierte rechte Weltanschauung ruht nach Weißmann also auf drei Säulen: auf dem Wissen darüber, was der Mensch ist, was die Nation ist und wer oder was die Rechte mitsamt ihren vielfältigen Denkfamilien ist. Anders gesagt: Wer sind wir und woher kommen wir, als »Mängelwesen« Homo sapiens, als Deutsche und als Rechte?
Weißmanns Bücher, Aufsätze und Vorträge sind umfassende Versuche einer Klärung dieser Fragen, zugleich Bestandsaufnahmen eines historisch-politischen Erbes, verknüpft mit aktuellen Standortbestimmungen. Damit zeigte er sich als dezidierter Nachfolger seines Mentors Armin Mohler, der mit seiner einflußreichen, von Weißmann auf den neuesten Stand gebrachten Dissertation Die konservative Revolution in Deutschland 1918–1932 ähnliche Ziele verfolgte.
Um das Mobilisierende seiner Schriften vollauf zu goutieren, muß man freilich auch die Lust am Wissen und Vielwissen in sich tragen, empfänglich sein für die Funken eines pädagogischen Eros und einer nationalen Erziehung. Wissen ist Macht und Bewußtseinsbildung ist Ermächtigung. Der promovierte Historiker Weißmann hat die deutsche Geschichte oder die Geschichte der Rechten und ihrer Ideen niemals bloß im Sinne eines »nice to know« aufbereitet, sondern stets als spiritus rector einer »Traditionskompanie«, mit dem Anspruch, ein Selbstbewußtsein, eine Identität und eine Kontinuität in Erinnerung zu rufen, zu festigen, zu formen und weiterzuentwickeln, dabei aber niemals die wissenschaftliche Strenge preiszugeben.
Weißmanns Studien über Die Zeichen des Reiches. Symbole der Deutschen (1989), Druiden, Goden, weise Frauen (1991), Mythen und Symbole (2002), Männerbund (2004) oder auch Das Hakenkreuz (2006) näherten sich ihren Thematiken nüchtern und sachlich, ohne sie zu entzaubern. Ähnliches gilt für das unter seiner maßgeblichen Beteiligung entstandene Staatspolitische Handbuch: Die bisher erschienenen Leitbegriffe (I), Schlüsselwerke (II), Vordenker (III) und Deutsche Orte (IV) erschließen die weiten Felder der rechten Denk- und Wahrnehmungstradition.
Weißmanns Arbeiten zielen auf eine Wiedereinübung der eigenen Perspektive ab. Das gilt zum einen für die Deutschen in ihrer Gesamtheit, die sich längst nur mehr mit den Augen der Sieger beider Weltkriege wahrnehmen können, ohne diesen Umstand überhaupt zu bemerken. Zum anderen geht es Weißmann auch stets um die Souveränität, sich selbst einen Namen als politisches Tier geben zu können, und dies nicht anderen zu überlassen. In der Bundesrepublik ist ein Rechter vergleichbar mit einem Käfer, der sich von seinen Feinden jagen und einsortieren lassen muß und nur wenig Deutungshoheit über sich selbst besitzt, geschweige denn eine vernehmbare eigene Stimme. Die landesübliche Literatur zur Rechten stammt überwiegend von linker und »antifaschistischer« Seite und ist in der Regel äußerst wertungs- und meinungsfreudig.
Es ist eine Wohltat, neben diesen Kram ein Buch wie Weißmanns Alles, was recht(s) ist (2000) zu stellen, in dem man auf ganz andere Art belehrt und angeregt wird! Daß es dabei durchaus legitim ist, sich das persönliche Rechts-Sein maßzuschneidern, bezeugte Weißmann mit seiner eigenen Person: »Ich bin eben ein Rechter nach eigener Façon«, ihm fehle im Gegensatz zu vielen Rechten »die Herkunft aus einer entsprechenden Tradition«. Weißmann wählte seine historische Verortung dezidiert: deutsch, national, preußisch, protestantisch. Frei nach einem legendären Katalog der rechten Strömungen aus der Zeitschrift Éléments umriß er seinen Claim: »Parole: Geheimes Deutschland! Hauptfeind: Die Dekadenz. Köpfe: Friedrich Nietzsche, Ernst Jünger, Arnold Gehlen, Armin Mohler. Referenzepochen: Das Ottonische und das Staufische Reich, Preußen im 18. Jahrhundert, die deutschen Erhebungen von 1813, 1944 und 1953. Idole: Heinrich I., Friedrich II., Friedrich der Große, Stein, Gneisenau, Bismarck, Stauffenberg.«
Geheimes Deutschland! Mit dieser poetischen Formel aus dem George-Kreis, die den »Kern«, das »Wesen« und damit den »Fortbestand« der Nation anspricht, kommt durchaus ein Schuß »romantischer Dünger« (Götz Kubitschek) in das an Arnold Gehlen und seinem »kalten« Realismus orientierte Denken Weißmanns. Denn das »spezifische Pathos« der Nation (Max Weber) ist nicht etwas, das sich mit bloßem »Realismus« und einem Blick in die »Wirklichkeit« von selbst einstellt. Es bedarf dazu eben doch einer Art von Beschwörung und Vergegenwärtigung. Vielleicht rührt von dorther Weißmanns Liebe zur Heraldik und zum magisch-verdichteten Emblem.
Götz Kubitschek berichtete im Vorwort zu Unsere Zeit kommt über einen seiner ersten Eindrücke des Redners Weißmann. Ein Vortrag, der sich um die nationale Frage drehte, mündete in eine »gewaltige« Beschwörung: »Er ließ an den Hörern den historischen Zug der Deutschen vorbeiziehen, nannte Kaisergeschlechter, Bauernführer, Siedler, Künstler, Denker, Epochen, alles selbstverständlich und vor allem ohne Relativierung. Als er auf die Epoche des Dritten Reichs zusteuerte, hielt der Saal den Atem an. Und Weißmann rief die Frontsoldaten, die Männer des 20. Juli, die KZ-Häftlinge, die letzten Verteidiger der Ostgrenzen, die Vertriebenen und die Spätheimkehrer auf; ließ dann, ohne die Abfolge zu unterbrechen, die Arbeiter des 17. Juni 1953 folgen, um mit denen zu enden, die die Mauer eingerissen hatten.« Wer Weißmann als Vortragenden erlebt hat, wird sich die Suggestivkraft dieses Auftritts unschwer ausmalen können. Er erinnert an eine Szene aus Hans-Jürgen Syberbergs Parsifal-Verfimung, in der Parsifal und Gurnemanz durch einen höhlenartigen Gang schreiten, der an einem bunten Aufzug von Flaggen aus der deutschen Geschichte vorbeiführt, immer tiefer hinab in die Vergangenheit. Die erste Flagge, die Parsifal passieren muß, als gelte es, eine abschreckende Schwelle zu überschreiten, ehe man ins Herz des Geheimen Deutschlands gelangt, ist eine Hakenkreuzfahne.
Diese Feuerprobe mußte auch Weißmann bestehen. Daß ihm dies allzu gut gelang, führte letztlich zu seiner Verbannung aus der Arena der »salonfähigen« Debatten. Anfang der neunziger Jahre, mit dem Rückenwind der Wendezeit, hatte der brillante junge Akademiker noch gute Chancen, von einem breiteren Publikum gehört zu werden. Sein 1992 im Ullstein-Verlag erschienenes Buch Rückruf in die Geschichte wurde zur Programmschrift der »Neuen demokratischen Rechten«, die sich um die Publizisten Rainer Zitelmann, Heimo Schwilk und Ulrich Schacht kristallisierte. Entscheidende Impulse gab dabei der Essay »Anschwellender Bocksgesang« (1993) von Botho Strauß, jener zentrale Text, der auch den Sammelband Die selbstbewußte Nation (1994) inspirierte und neben Weißmann Namen wie Ernst Nolte, Hartmut Lange, Peter Gauweiler, Eberhard Straub oder Michael Wolffsohn versammelte.
Im selben Jahr beteiligte sich Weißmann auch als Autor an der kurzlebigen Aufsatzreihe »What’s right?« der FAZ, die als Pendant einer früheren Serie mit dem Titel »What’s left?« konzipiert war. In Wahrheit wollte man wohl gar nicht so genau wissen, was »rechts« wirklich sei oder sein könnte, schon gar nicht von einem intelligenten Rechtsintellektuellen selbst. Sichtbar wurde eine geradezu hysterische Angst, der Autor wolle in Wahrheit noch schlimmere Dinge in den Diskurs »schmuggeln«, als er zugebe. Ein aus dem Kontext gerissenes Zitat von Weißmann, in dem er die Rechte zur »politischen Mimikry« aufrief, diente jahrelang als Beleg für diesen Verdacht, der als Herrschaftsinstrument auch seine praktischen Seiten hatte.
Wir wollten im übrigen keine Mehrheiten gewinnen, sondern unsere intellektuelle Selbständigkeit erhalten und eine Grenzlinie zu den Opportunisten und den Gegnern ziehen. Unter dem Aspekt der ›Anschlußfähigkeit‹ war das natürlich unklug, aber wann wäre eine prinzipielle Alternative je zustande gekommen durch Klugheitserwägungen? (Wie wichtig ist ein Begriff? Ein Gespräch mit Karlheinz Weißmann und Dieter Stein über die politische Bezeichnung ›Neue Rechte‹)
1995 erschien dann Weißmanns voluminöses Werk Der Weg in den Abgrund. Deutschland unter Hitler 1933 bis 1945 als Band 9 der Propyläen Geschichte Deutschlands. Auf Initiative Rainer Zitelmanns, zu diesem Zeitpunkt Cheflektor bei Ullstein-Propyläen, ersetzte Weißmann den etablierten Historiker Hans Mommsen, der mit der Abgabe seines Manuskripts etliche Jahren in Verzug war. Als bekannt wurde, daß ein »Rechter« mit einer Darstellung des heikelsten Abschnitts der deutschen Geschichte beauftragt worden war, setzte eine wüste Medienkampagne ein, in deren Verlauf Weißmanns Buch zum »Skandal« hochgeschrieben und als rechtes »Kuckucksei« diffamiert wurde, zum überwiegenden Teil von Autoren, die es gar nicht gelesen hatten oder kaum zu einem sachlichen Urteil befähigt waren.
All dies war, nüchtern betrachtet, ein Versuch der Zensur und ein Stück »Sittengeschichte der BRD« (Lothar Höbelt), anhand dessen man immerhin eines ablesen konnte: Die metapolitischen Koordinaten hatten sich bereits so weit verschoben, daß schon als »gefährlich« und potentiell »rechtsextrem« galt, wer mit der Historisierung der NS-Geschichte Ernst machte. Ein entdämonisierter und kontextualisierter Nationalsozialismus eignet sich weitaus weniger gut als politische Waffe, weshalb ein Werk wie dieses wohl nicht zu Unrecht als Angriff auf den Status quo empfunden wurde. Irritierend war natürlich auch, daß sich sein Verfasser dem obligat gewordenen Tonfall der nationalen Selbstverwerfung verweigerte. Propyläen beugte sich dem Druck und stampfte die Restauflage des Buches ein.
Immerhin hatte Weißmann demonstriert, daß eine ernstzunehmende Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich gerade von einem rechten Standpunkt her möglich war. Da nun aber alle Wege in den Mainstream endgültig verbaut waren und Weißmann aus politischen Gründen keine Chancen mehr auf einen akademischen Lehrstuhl hatte, galt es, auf eigene Faust Alternativen zu schaffen. 1999 skizzierte er in einem Interview mit der Jungen Freiheit die »Vision« eines rechtskonservativen Bildungsinstituts, das eine »intellektuelle und moralische Reform« des Landes vorbereiten und »Forschung, Information und Orientierung« anbieten könnte. Das im Jahre 2000 zusammen mit Götz Kubitschek gegründete und mittlerweile von Erik Lehnert geführte Institut für Staatspolitik (IfS) arbeitet und wirkt in diesem Sinne.
Weißmann trug damit auch die Fackel der alten Garde der konservativen Nachkriegsintelligenz weiter, die sich einst um die Zeitschrift Criticón geschart hatte: Mohler, Caspar von Schrenck-Notzing, Bernard Willms, Hellmut Diwald, Robert Hepp oder Hans-Joachim Arndt. Der bereits erwähnte Gesprächsband mit dem programmatischen Titel zeigte ihn eher untypisch finster dreinblickend vor einem Regal mit Büchern zum Zweiten Weltkrieg, in der Rolle des Lehrmeisters, der an den Ernstfall gemahnt. Auf die Frage, wer denn »die richtigen Leute mit den richtigen Vorstellungen« seien, wer also imstande sei, Bindungen zu schaffen und Institutionen zu führen, antwortete er mit erfrischendem Selbstbewußtsein: »Wir!«
Indes: Dieses »Wir«, das vor allem aus den ungleichen Dioskuren Weißmann und Kubitschek bestand, fand im vergangenen Jahr nach langer, fruchtbarer Zusammenarbeit sein Ende. In einer strategischen Auseinandersetzung zwischen Junger Freiheit und Institut entschied sich Weißmann für den stärkeren Part und verließ das IfS. Seine Autorschaft für die JF hat er ausgedehnt, aber auch dort haben sich inzwischen einige Vorzeichen geändert, die man gerade mit der Lektüre von Weißmanns früheren Schriften im Hinterkopf äußerst kritisch betrachten muß.
Denn die Junge Freiheit, das einstige Mutterschiff der Neuen Rechten Deutschlands, ist im Jahre 2015 durch eine seltsame Schizophrenie gekennzeichnet, die nicht nur ihre eigenen Ausdrucksmöglichkeiten erheblich eingeschränkt, sondern dem gesamten konservativen Meinungslager geschadet hat.
Diese Entwicklung hat vor allem mit dem Aufstieg der Alternative für Deutschland seit dem Jahr 2013 Fahrt aufgenommen. Die AfD wurde von vielen enttäuschten Konservativen als potentielles Vehikel betrachtet, das ihrem Anliegen endlich eine parteipolitische Vertretung würde geben können – als eine Art Trojanisches Pferd auf dem Weg ins Establishment. Jedoch: Muß sich nicht jeder, der mitspielen will, anpassen? Und sitzt er nicht spätestens dann in der Falle, wenn er die Bereitschaft zeigt, den Sprachgebrauch des Gegners zu übernehmen?
Besonders bei der Höcke-Gruppe sind Hasardeure einer ›Rechten‹ am Werk, die keinen Ruf zu verlieren haben und denen es gleichgültig ist, ob sich die AfD durch einen Rechtsruck und die Aufgabe des liberalen Flügels an den Rand des diskutablen politischen Spektrums manövriert. (Dieter Stein: Merkel stellt den Sekt kalt; in: Junge Freiheit vom 28. April 2015)
Im Widerspruch zu seiner langjährigen Blattlinie schlug sich Dieter Stein nicht auf die Seite des konservativeren Flügels der AfD, für den Alexander Gauland und die Verfasser der »Erfurter Resolution« um Björn Höcke stehen, sondern setzte mit geradezu messianischer Inbrunst auf Leute wie Bernd Lucke oder Hans-Olaf Henkel, die aus ihrer strikten Ablehnung jeglicher »rechter« oder »rechtspopulistischer« Tendenzen keinen Hehl machen. Wenn ein Bernd Lucke ab und zu noch von »Konservativen« spricht, die in der Partei willkommen seien, dann ist hiermit eindeutig jene Schwundstufe gemeint, die von Weißmann so scharf zurückgewiesen wurde und wird.
Dieter Steins Rede von den braven Konservativen im Gegensatz zu den indiskutablen »Rechten« speist sich wohl eher aus dem Motiv, den Luckes die eigene Harmlosigkeit und Anpassungsfähigkeit zu signalisieren: ein Kapitulations‑, kein Kampfbegriff. In einem Artikel vom 28. April 2014 bangte Stein um den Erhalt der Partei unter Luckes Führung, als ginge es um das eigene Leben, wobei er die Schuld für die Krise »rechten Hasardeuren« in die Schuhe schob – die jedoch in Wahrheit nichts anderes wollen und sagen, als das, was die Junge Freiheit jahrelang gewollt und gesagt hat.
Und was wäre denn wirklich mit dem Sieg der Lucke-Fraktion gewonnen, für die Konservativen ebenso wie für Deutschland? Hier sind Stockholm-Syndrom-artige, fixe Ideen am Werk, die mit »Realpolitik« nichts mehr zu tun haben. Die Folge ist eine geistige Verbiegung und Inkongruenz, eine wachsende Unaufrichtigkeit gegenüber der eigenen Aufgabe und der jahrelang treuen Leserschaft. Wirkliche Debatten, wirkliche Alternativen, wirklich ernsthafte Auslotungen des »Substanzverlustes« werden dadurch erheblich behindert. Denn leider ist heute fast alles, was problematisiert werden muß, nur mehr von rechts ansprechbar, weil von links verursacht.
Trotzdem hat Stein weiterhin einige rechte Urgesteine im Marschgepäck, teils aus Gewohnheit, teils wohl aus Orientierungslosigkeit. Inzwischen hat die AfD als «Kantenschere« die eigenen Ränder demonstrativ beschnitten und diverse Bauernopfer dargebracht, um nach außen hin »respektabler« zu wirken. Die Junge Freiheit hat entlang dieser Parteilinie ihren Resonanzraum ohne Not nach allen Seiten verknappt. »Die Alternative wird kaum als Alternative funktionieren, wenn ihre Spitze sich den Snobismus der Altparteien gönnt, das heißt immer ein gutes Stück weiter links als die Basis steht«, warnte Weißmann in der JF. Das läßt sich ohne Abstriche auf das Verhältnis zwischen Dieter Stein und seiner Leserschaft ummünzen.
Im Doppelinterview mit der Sezession im Jahr 2009 sagte Weißmann: »Wir stehen also vor dem Problem, daß es entweder gar keine Möglichkeit der Selbstbezeichnung gibt, eine unscharfe – konservativ – oder eine trennscharfe – rechts. Es geht um die Alternativen Kapitulation, Kollaboration oder Guerilla. Da bin ich dann zugegebenermaßen für Guerilla – also den kleinen Krieg; dazu gehört Beweglichkeit, Deckung nutzen, Angriffslust und selbstverständlich Provokation des Gegners.« Wenn Weißmann immer noch so denkt, dann muß man sagen: Innerhalb des deutlich zur Kapitulation und Kollaboration neigenden Publikationsrahmens der JF kann er sich nicht mehr lange wohlfühlen.
Mr. Kurtz
Hier ist die Fahne, hier eile hin oder "Anschlußfähigkeit" an größere Strömungen und Organisationen - das war ja von jeher die Alternative. Selbst ein Nepumuk Vogel hat es kurzzeitig mit Anschlußfähigkeit bei der Strauß-CSU versucht, was legitim war.
Einen Königsweg hat noch niemand aufgezeigt, insofern sollte man milde sein im Urteil über den jeweils anderen Weg. Abgesehen von den grundsätzlichen Schwierigkeiten, den "Erfolg" überhaupt zu bemessen.
So wie die Dinge heute liegen, bei fortgeschrittener Umvolkung und einem links-liberal eingesperrten öffentlichen Meinungsklima ist die Antwort für mich allerdings klar: sezession. Mit dem gesellschaftlichen Mainstream existieren keine Schnittmengen mehr, an die man anknüpfen könnte.