… in Frack und Zylinder auf weiß bandagierten Rössern mit geflochtenen Mähnen die hohe Kunst der Dressur auf. Atemberaubende Formationen wurden vorgeführt. Die Pferde an der Kandare, die Reiter kerzengerade und mit todernsten Mienen. Als musikalische Untermalung der Volten und Pirouetten erklang leichte Klaviermusik von Richard Claydermann. Zum Ende der Stunde dann der Höhepunkt: Im starken Trab wurde durch kreuz und quer durch die Bahn gewechselt, in raschemTempo ein wohlgeordnetes Durcheinander, so daß den Zuschauern der Atem stockte. Claydermann schwieg dann. Jetzt ertönte Militärmusik, Sonntag für Sonntag das gleiche Stück.
Erst viel später (ehrlich gesagt erst, als der Dosengemüsefabrikant Bondelle den Marsch verjingelte) erfuhr ich, daß es Johann Strauß’ Radetzkymarsch war. Nichts könnte den Schauder einer oberflächlichen Herrlichkeit besser bezeichnen als diese inoffizielle Hymne von Österreich-Ungarn. Vordergründig: Schmissig, forsch, dynamisch, prunkvoll. In den Untertönen: ganz nahe der Überzeichnung, immer grad so die Kurve ins Lächerliche kratzend.
Ein Jahrhundert nach Strauß hat Joseph Roth aus eben diesem Wechselbild einen Roman gemacht, den berühmten Radetzkymarsch (1932) eben. Ich bin sicher, Kubitschek hat ihn seinerzeit nur deshalb nicht auf seine Liste der lesenswerten deutschen Romane gesetzt, weil er die Österreicher literarisch nicht anzuschließen wagte.
Seit langem lechzt das deutsche Feuilleton nach dem neuen großen Roman, nach einem der das gesellschaftliche Panoptikum der gegenwart mit grandioser Beobachtungsgabe vereint: Der Radetzkymarsch gäbe ein hervorragende Schablone dazu ab!
Heute vor 70 Jahren starb Joseph Roth (an Suff – wie’s so vielen hellsichtig-Sensiblen beschieden ist), und wer den Radetzkymarsch bereits kennt & schätzt (wie sonst?), sollte sich das eben neu erschiene Hörbuch „Das Spinnennetz” zu Gemüte führen: Wie Leutnant Theodor Lohse aus dem ersten Weltkrieg ins Nichts fällt und sich von dort aus rechtsradikalen Geheimbünden mit Draht zu Hitler anschließt.
Wohlgemerkt, das hat Roth, Sozialist, Monachrist, Katholik und Jude in Personalunion, 1923 aufgeschrieben, es erschien drei Tage vor Hitlers Putschversuch.