70. Todestag Joseph Roth

Frühe achtziger Jahre: Jeden Sonntag nach der Kirche gings zum sogenannten Musikreiten. Da führten Herren und Damen ...

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

… in Frack und Zylin­der auf weiß ban­da­gier­ten Rös­sern mit gefloch­te­nen Mäh­nen die hohe Kunst der Dres­sur auf. Atem­be­rau­ben­de For­ma­tio­nen wur­den vor­ge­führt. Die Pfer­de an der Kan­da­re, die Rei­ter ker­zen­ge­ra­de und mit tod­erns­ten Mie­nen. Als musi­ka­li­sche Unter­ma­lung der Vol­ten und Pirou­et­ten erklang leich­te Kla­vier­mu­sik von Richard Clay­der­mann. Zum Ende der Stun­de dann der Höhe­punkt: Im star­ken Trab wur­de durch kreuz und quer durch die Bahn gewech­selt, in raschem­Tem­po ein wohl­ge­ord­ne­tes Durch­ein­an­der, so daß den Zuschau­ern der Atem stock­te. Clay­der­mann schwieg dann. Jetzt ertön­te Mili­tär­mu­sik, Sonn­tag für Sonn­tag das glei­che Stück.

Erst viel spä­ter (ehr­lich gesagt erst, als der Dosen­ge­mü­se­fa­bri­kant Bond­el­le den Marsch ver­jin­gel­te) erfuhr ich, daß es Johann Strauß’ Radetz­ky­marsch war. Nichts könn­te den Schau­der einer ober­fläch­li­chen Herr­lich­keit bes­ser bezeich­nen als die­se inof­fi­zi­el­le Hym­ne von Öster­reich-Ungarn. Vor­der­grün­dig: Schmis­sig, forsch, dyna­misch, prunk­voll. In den Unter­tö­nen: ganz nahe der Über­zeich­nung, immer grad so die Kur­ve ins Lächer­li­che kratzend.

Ein Jahr­hun­dert nach Strauß hat Joseph Roth aus eben die­sem Wech­sel­bild einen Roman gemacht, den berühm­ten Radetz­ky­marsch (1932) eben. Ich bin sicher, Kubit­schek hat ihn sei­ner­zeit nur des­halb nicht auf sei­ne Lis­te der lesens­wer­ten deut­schen Roma­ne gesetzt, weil er die Öster­rei­cher lite­ra­risch nicht anzu­schlie­ßen wagte.

Seit lan­gem lechzt das deut­sche Feuil­le­ton nach dem neu­en gro­ßen Roman, nach einem der das gesell­schaft­li­che Pan­op­ti­kum der gegen­wart mit gran­dio­ser Beob­ach­tungs­ga­be ver­eint: Der Radetz­ky­marsch gäbe ein her­vor­ra­gen­de Scha­blo­ne dazu ab!

Heu­te vor 70 Jah­ren starb Joseph Roth (an Suff – wie’s so vie­len hell­sich­tig-Sen­si­blen beschie­den ist), und wer den Radetz­ky­marsch bereits kennt & schätzt (wie sonst?), soll­te sich das eben neu erschie­ne Hör­buch „Das Spin­nen­netz” zu Gemü­te füh­ren: Wie Leut­nant Theo­dor Loh­se aus dem ers­ten Welt­krieg ins Nichts fällt und sich von dort aus rechts­ra­di­ka­len Geheim­bün­den mit Draht zu Hit­ler anschließt.

Wohl­ge­merkt, das hat Roth, Sozia­list, Mona­ch­rist, Katho­lik und Jude in Per­so­nal­uni­on, 1923 auf­ge­schrie­ben, es erschien drei Tage vor Hit­lers Putschversuch.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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