Sezession: Sehr geehrter Herr Dr. Dr. v. Waldstein, wie Sie bereits in der autobiographischen Einleitung zu Ihrem Buch feststellen, ist die Einsicht in die Bedeutung der Metapolitik keineswegs eine Neuentdeckung. Spätestens mit dem Erscheinen der franzöischen Nouvelle Droite und ihrer enormen geistigen Ausstrahlung innerhalb Europas (und inzwischen selbst in den Vereinigten Staaten) wird von etlichen Gruppen und zahllosen Einzelnen an einer »Kulturrevolution von rechts« gearbeitet – viel mehr noch aber davon geträumt.
Nun ist Ihr Buch auf mehr als eine bloße Bestandsaufnahme ausgelegt. Wenn es eine genuin rechte Metapolitik zum gegenwärtigen Zeitpunkt überhaupt gibt: Welche Impulse möchten Sie setzen, um sie nach den vergangenen rund 45 Jahren der geistigen Kärrnerarbeit auf eine neue Ebene zu heben?
v. Waldstein: Jenseits der ausgetretenen Pfade des Habermas’schen Diskurses, dem wirklich nichts Prickelndes mehr innewohnt, gibt es heute kaum etwas Spannenderes als den Kosmos der rechten Ideenwelt.
Sich diesen Kosmos – von der faszinierenden Aura der Konservativen Revolution bis zu den neuesten Erkenntnissen der Evolutionsforschung – geistig anzueignen, bleibt der Anspruch einer rechtsintellektuellen Elite, die morgen die notwendigen (Ein-)Schnitte vornehmen will. Die Aufgabe des politischen Schriftstellers ist es dabei, die geistigen Kräftefelder immer wieder neu zu vermessen und politischen Ordnungsangeboten die nötige Attraktion zu verschaffen. Wenn man als Autor vom Glück verfolgt wird, gelingt es einem dabei, einige – gerade junge – Leser entscheidend zu prägen.
Bernard Willms hatte mir sein movens, das politiktheoretische Feld zu beackern, einmal wie folgt erklärt: »Bücher schreibt man in der Hoffnung, daß sie von den richtigen Leuten gelesen und verstanden werden.«
Sezession: Von den zahlreichen weitläufig bekannten Beispielen erfolgreicher linker und liberaler Metapolitik ausgehend, die Sie in Ihrem Büchlein anführen, müßte die logische Folgerung lauten, dem homo bundesrepublicanensis sei der Irrglaube auszutreiben, er lebe »im richtigen Staat« – in dem das Diktum Noam Chomskys gilt, es stehe »dem Volk frei zu denken, daß es regiert; wenn es nur nicht versucht, sich in die eigenen Angelegenheiten ›einzumischen‹«.
Wie erfolgreich kann ein solches Vorhaben in “alternativlosen” Zeiten sein, in denen das blanke Durchwursteln mit der höchstoffiziösen Parole »Wir schaffen das!« zur Staatsräson erhoben wird? Und welche Konsequenzen könnte eine – nur allzu verständliche – vermehrte Unruhe im Wahlvolk für das staatliche Handeln haben?
v. Waldstein: Um Mißverständnisse zu vermeiden: Der Bundesbürger lebt durchaus im richtigen Staat. Im falschen Staat lebt indes der Deutsche, der sich dem Gedächtnis seiner Ahnen und der Zukunft seiner Kinder und Enkel mehr verbunden fühlt als den Eintagsfliegenwellnessbefindlichkeiten vieler seiner Zeitgenossen.
Diese freizeitentfesselten Figuren schienen bis Mitte des Jahres nach dem bekannten Motto »Nach uns die Sintflut« zu leben, während sie seit Sommer 2015 ihre seltsame Existenz offenbar nach dem neuen Motto »Mit uns in die Sintflut« fortzusetzen beabsichtigen.
Die Gretchenfrage wird sein, ob es angesichts der jetzigen elementaren Bedrohung gelingen kann, den Bundesbürger – in einer Art politischer Geschlechtsumwandlung – wieder zu einem Deutschen rückzumendeln.
Wenn das geschähe, wenn also der homo non bundesrepublicanensis als geistige Gestaltungskraft an Einfluß gewönne, sollten sich die »Wir schaffen das«-Apologeten schon einmal auf ganz andere Dinge einstellen als »vermehrte Unruhe im Wahlvolk«.
Sezession: Ihre Analyse der strukturellen Defizite politischer (Rechts-)Parteien ist geeignet, dem Leser jede Hoffnung auf eine parlamentarische Lösung der immensen Probleme, mit denen sich Deutschland konfrontiert sieht, auszutreiben.
Welche Funktion kann nun planmäßige metapolitische Arbeit in einer solchen Notlage haben? Legt sie das Fundament für die Arbeit parteiförmiger Zusammenschlüsse neuen Zuschnitts, kann sie einen “Druck nach oben” formieren, um die etablierten Parteien vor sich herzutreiben, oder geht es vielmehr tatsächlich um die “Einschleusung” von Begriffen in den politischen Diskurs, die linke Politologen spätestens seit dem Mauerfall überall ausmachen?
v. Waldstein: Daß das Parlament nur noch als – Demokratie simulierende – Herrschaftsfassade dient, hinter der apokryphe Mächte den Gang der Dinge bestimmen, konnte man in der vergangenen Woche beim “Durchwinken” des völkerrechtswidrigen Bundeswehreinsatzes zur Optimierung der (weiteren) Bombenverwüstung Syriens wieder einmal nachgerade lehrbuchartig beobachten. Für den politischen Ideengeschichtler ist diese Erkenntnis freilich spätestens seit Carl Schmitts Parlamentarismuskritik von 1923 eine bare Selbstverständlichkeit, über die kein Wort mehr zu verlieren ist.
Die Aufgabe metapolitischer Arbeit besteht ja gerade auch darin, den Handlungswilligen von solchen Illusionen, von solchen Fehlvorstellungen über die Zugangswege zu tatsächlicher politischer Macht zu befreien. Nur wer diesen Gemeinschaftskundemüll gründlich entsorgt hat, eröffnet Perspektiven, wie wirkliche tektonische Verschiebungen der vollständig verkrusteten Herrschaftverhältnisse der BRD ins Werk gesetzt werden könnten. Dabei scheint mir nach dem Komplettversagen der Pseudoeliten in Politik, Medien, Wirtschaft etc. der wachsende “Druck von unten”, wie er etwa in der DDR spätestens ab Frühjahr 1989 aufgebaut wurde, das entscheidende energetische Element für echte Veränderungen.
Das schließt nicht aus, daß Wahlantritte – ebenso wie die Gründung von Nichtwählerinitiativen, die gezielte Wahlboykotts organisieren und publizistisch befeuern – im Rahmen eines ausgefeilten Gesamtkonzepts im Einzelfall sinnvoll sein können. Wesentlich bleibt indes, daß sich die Köpfe des geistigen Widerstands von den Hamsterrädern eines hohlen parteipolitischen Aktionismus fernhalten.
Sezession: Ihr vielleicht nachdrücklichster Rat an all jene, die in sich bereits den Willen und die Bereitschaft zur Dissidenz gefunden haben, ist der »Mut zur Provokation« Hand in Hand mit einem »Ende der Distanzeritis«. Daß es in der gegenwärtigen Lage unseres Landes ums Ganze geht und man sich – mit Günter Maschke – den »Luxus« gar nicht leisten kann, sich »innerhalb der Rechten von irgendwelchen Leuten öffentlich zu distanzieren«, liegt auf der Hand.
Wo genau liegt der metapolitische Wert der direkten Aktion, abgesehen vom Erregen öffentlicher Aufmerksamkeit und der verstärkten Durchsetzung eines widerständigen Gemeinschaftsgefühls?
v. Waldstein: Angesichts der Geschehnisse in unserem Land in den vergangenen vier, fünf Monaten bin ich noch mehr als zu der Entstehungszeit meines Metapolitik-Vortrages (Mai/Juni 2015), der der jetzigen kaplaken-Buchveröffentlichung zugrunde liegt, davon überzeugt, daß das hiesige etablierte Politsystem aus sich heraus unter keinen Umständen mehr reformierbar ist. Wenn die Deutschen denn eine Zukunft haben und demokratische Verhältnisse für die eigene Nation wiederherstellen wollen, werden sie nicht umhinkommen, die eigenen Reihen zu schließen und den federführenden BRD-Mandarinen, die die Verfassung mit Füßen treten und das eigene Volk zu verabschieden sich anschicken, den politischen Fehdehandschuh hinzuwerfen.
Die Zeiten vermeintlich filigran gesponnener “Berührungsfelder” mit der Machtelite in Medien und Parteienoligopol sind aus meiner Sicht ebenso vorüber wie die Ära der Wahloptionen zugunsten angeblich kleinerer Übel. Ganz im Hegel’schen Geiste eröffnet sich jetzt ein dialektisches Schachbrett, auf dem sich die Feinde des Volkes und die Verteidiger der Nation unversöhnlich und ohne irgendeine Aussicht auf “Kompromisse” gegenüberstehen.
Durch zahllose erfolgreiche Widerstandsaktionen haben die Deutschen, insbesondere in Mitteldeutschland, in den vergangenen Monaten deutlich gemacht, daß es bald um mehr gehen könnte als nur um Provokation eines über weite Strecken apathisch und hilflos wirkenden Regimes. Auch die Lückenpresse (M. Klonovsky) wirkt derzeit – wie schon vor knapp einem Jahr auf dem Höhepunkt des seinerzeitigen PEGIDA-Protests in Dresden – erfreulich nervös. Und wenn man in diesen Wochen aufmerksam den halbgar-lavierenden Verlautbarungen des bayerischen Ministerpräsidenten zur sog. “Flüchtlings“krise lauscht, überkommt einen bisweilen die Vorstellung, daß die Zeitspanne bis zu dem Auftauchen der ersten BRD-Kerenskijs möglicherweise kürzer bemessen ist als es derzeit erscheinen mag.
Als jemand, der das zweifelhafte Vergnügen hat, das bundesdeutsche Elend in einem ca. 40 Jahre lang währenden Horrorfilm zu verfolgen, glaube ich, daß das Jahr 2016 in der Tat tiefgreifende Umwälzungen, positiv wie negativ, bringen könnte. Vielleicht wird das kommende Jahr tatsächlich zu einem “Jahr der Entscheidung” in Spengler’schem Geiste. In dieser Situation bleibt es die Pflicht jedes verantwortungsbewußten Deutschen, seinen Teil zur Rückgewinnung nationaler Selbstbestimmung beizutragen.
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Thor v. Waldstein: Metapolitik. Theorie – Lage – Aktion, reihe kaplaken, Bd. 46, Schnellroda 2015. 68 S., 8,00 Euro – hier bestellen!
Ein gebürtiger Hesse
In einem "Best of" der in der Sezessions-Sphäre dieses Jahr erschienenen Texte rangiert Thor von Waldsteins "Metapolitik" ganz weit oben. So groß die Freude war, ihn vorort, im Juni bei dem IfS-Jubiläum zu hören, so weitreichend und instruktiv wirkt er auf einen, wenn man ihn nun lesen und wiederlesen kann. Und genau das - die innige Aneignung - empfiehlt sich, denn er hat echten Lehrbuch-Charakter und gibt einem all das komprimiert an die Hand, was man im täglichen argumentativen Umgang benötigt. Eine "Beigabe", wie sie das obenstehende schöne Gespräch darstellt, macht denen, die das Buch schon kennen, Lust es wieder hervorzuholen, und anderen, es kurz vor Weihnachten noch zu bestellen (vielleicht gleich in mehreren Exemplaren, um sich und auch Freunden ein fulminantes Geschenk zu machen).
Man kann es kaum erwarten, von Waldstein bei der nächsten IfS-Akademie einen neuen Vortrag halten zu hören.