ist am selben Tag noch online gestellt worden, und zwar zunächst unter der Überschrift “Die braune Spinne im Netz”, aber das hat man dann nach ein paar Stunden durch “Die rechten Fäden in der Hand” ersetzt. Es reisten also der Herr Bender und der Herr Bingener von der FAZ zum Gespräch an, und ich weiß nicht, warum es so kam:
Nach der dritten Frage, die Herr Bingener stellte, war klar, daß aus diesem Gespräch nichts Gedeihliches würde erwachsen können. Die Fragen nämlich waren keine. Oft schon haben Kositza und ich mit Leuten stundenlang geredet, die gänzlich anderer Meinung waren als wir, die auch weltanschaulich einen ganz anderen Fluß hinunterrudern als wir – und trotzdem konnte man sich unterhalten, konnte sprechen, zuhören, heftig argumentieren und etwas von dem offenlegen, was man durchdacht hat.
Frage und Antwort eben, aber so war das nicht mit Bender und Bingener. Da war das Fragen von Anfang an und am Ende bloß noch: Unterstellung, Klischees abklopfen, ein Fahnden nach ein paar Haltegriffen für eine im Kopf bereits fertiggestellte Reportage, und deswegen mag es sinnvoll sein, das “Stück” der beiden Stück für Stück durch- und auseinanderzunehmen, obwohl mich derlei so sehr ermüdet. Denn, Grundgütiger, so sind sie halt, die beiden Herren: Stets präpariert mit ein paar Versatzstücken, die man leicht mit Bildung verwechseln kann, und dann das ständige Dazwischenhusten von Halbwissen für eine besonders gewitzte Form der Gesprächsführung haltend.
Beispiel: Wir kamen gleich auf einige unserer Referenzdenker zu sprechen. Ich nannte für die großen Bögen Jünger, Heidegger, Schmitt, dann natürlich Mohler, Kaltenbrunner, Willms, Diwald, aber auch unsere eigenen Leute: Hinz, Lichtmesz, Kleine-Hartlage, Weißmann, dann ergänzte Kositza Sloterdijk, Paglia, Friedrich, Klonovsky – aber Bingener fiel nichts Besseres ein, als dazwischenzuraunen, Heidegger habe jüdische Professoren ans Messer geliefert und Schmitt des Führers Recht fundiert.
Auf die spätere Frage von Kositza übrigens, wie Bingener denn, wenn “Heidegger gar nicht geht”, Protestant sein könne angesichts von Luthers unbändigem Judenhaß, antwortete der nur: “Das war wohl eher Katharina von Bora.”
Prost, nicht wahr? Was soll man in einem solchen Moment tun? Ich warf mein langes Nachdenken über die Engagements Schmitts, Heideggers, Benns in die Waagschale, referierte Schmitts auf v. Schleicher gezirkelte Rettungsversuche der Präsidialrepublik vor der Übernahme durch radikale, totalitäre Kräfte Ende ′32, hier nachzulesen, und verwies darauf, daß Benn und Heidegger aus Einsicht ab 1935, Schmitt dann (eher widerwillig) ab 1936 keine Rolle mehr gespielt hätten – weit vor jener Zeit also, als der NS seine Knochenmühle ankurbelte.
Aber: Ein FAZ-Bingener wäre keiner, wenn er nicht Recht behalten wollte. Jünger, Schmitt, Heidegger – das sei nun, ob ich es wahrhaben wollte oder nicht, die geistige Wegbereitung gen Auschwitz, und sei nicht unser Widerstandsgeschreibe und ‑gerede auch die Wegbereitung hin zu den brennenden Asylheimen?
Gut, in solchen Momenten muß man den Leuten relativierend kommen, ohne auf den Blödsinn mit der Wegbereitung überhaupt einzugehen: Man muß die eigene, bis zur Harmlosigkeit gesteigerte Friedfertigkeit herausstreichen und ins Verhältnis setzen zu denen, die 1968ff jedes noch so brutale Menschenexperiment beklatschten. Wer sitzt heute in den Redaktionsstuben ganz weit oben, war schon mal Außen- oder Umweltminister und zog damals mit Plakaten und Parolen von Ho Tschi Min, Mao und Lenin durch die Straßen – zu einem Zeitpunkt also, als diese “Revolutionsführer” ihre Massenverbrechen schon begangen hatten? Ich wurde sogar konkret, nannte Joscha Schmierer, der es als einer der Chefs des Kommunistischen Bundes Westdeutschlands (KBW) 1980 fertiggebracht hatte, Pol Pot nach Kambodscha eine Solidaritätsadresse zu senden – da hatte dieser Kerl schon beinahe ein Fünftel seines Volkes umgebracht.
Schmitt, Heidegger, Benn also, nochmals: Hat man sie je Solidaritätsadressen an Reinhard Heydrich, Heinrich Himmler oder Martin Bormann senden sehen? Und wie ist es mit Edgar Julius Jung oder Jochen Klepper oder Ernst Jünger? Wäre unser Volk nicht einen ganz anderen Weg gegangen, hätte man auf die Köpfe der KR gehört? Wie war das mit dem konservativen Widerstand gegen die Gesellschaftsexperimente des NS? Wie mit dem konservativen Dilemma, für Deutschland kämpfen zu wollen, aber zugleich für Hitler zu müssen?
Darüber sprachen wir mit Bender und Bingener auf dem Balkon, bis es zu kühl wurde und wir kurz (auf ausdrücklichen Wunsch der Redakteure, die das aufgrund des 3sat-Films für schwer authentisch hielten) in den “dreckigen Ziegenstall” wechselten, wo einem “Kot” an den Schuhen klebenbleibt, wenns dumm läuft, und “Putz von der Wand fällt”, und wo man sich, wenn man Milch raffen will, übers Euter der Ziege hermachen muß.
Im FAZ-Beitrag kann ich die ausführliche Diskussion nur in einer lückenhaften Zusammenfassung finden:
Kubitschek will das Gedankengut der Konservativen Revolution in die Parteidebatte einspeisen: antiliberale, antiparlamentarische und antiwestliche Konzepte, die eine fundamentale Abkehr vom Weg bedeuten, den Deutschland nach 1945 eingeschlagen hat. Exponent jener Konservativen Revolution, in Schnellroda meist nur „KR“ genannt, war der sogenannte „Kronjurist des Dritten Reiches“, Carl Schmitt. Den Autor des berüchtigten Aufsatzes „Der Führer schützt das Recht“ zitiert Kubitschek am häufigsten.
Fürs Protokoll: Es ging im Gespräch fast ausschließlich um den Text “Legalität und Legitimität” von Schmitt aus dem Jahre 1932, dessen Lektüre man leider bei jungen FAZ-Autoren nicht mehr voraussetzen kann (wie überhaupt viel zu wenig Lektüre absolviert wird – ein Mangel an Demut, eine Unbescheidenheit am falschen Fleck). Es war dann Herr Bingener, der als die Quintessenz seines Weltwissens über Schmitt den Führer-Aufsatz kurz auftischte, schade: Eigentlich hätte ich fragen sollen, ob er wisse, worum es in diesem Text aus dem Jahr 1934 gehe, aus welchem Anlaß er geschrieben worden sei und was überhaupt “Kronjurist” bedeute. Egal.
Es ging dann in unserer Bibliothek weiter, und das ist vielleicht die Stelle, über die ich mich am meisten ärgere. Die Lückenpresse schreibt:
Im Rücken von Götz Kubitschek stehen seine Bücher. Die Memoiren von Leni Riefenstahl, „Preußische Soldaten“ von Rudolf Thiel, die „Edda“ natürlich und dicht daneben ein Buch des Rechtsextremisten Karl-Heinz Hoffmann, bekannt durch seine gleichnamige, 1980 verbotene Wehrsportgruppe.
Da hat man doch glatt die Regalmeter Hölderlin, Goethe, den Frisch, den Stifter, den Jahnn, den Mosebach, den Eichendorff, George, Hesse, Schiller, Klopstock, Hamsun, Kracht, Kleeberg, Krausser, Goetz, v. Salomon, Vosganian, Werfel, Boyle undundund übersehen, und das, was neben der Edda steht: die deutschen Heldensagen, Schwabs Sagen des klassischen Altertums, die Ilias und die Odyssee auf Griechisch (hatte ich bis zur 13.) und in der unnachahmlichen Übersetzung von Schadewaldt. Es folgt ein Regalbrett Märchen, undsoweiter.
Und wenn ich mal zusammenzähle, was Kositza allein in den vergangenen fünf Jahren an Belletristik in der Sezession besprochen hat (derzeit liegen die neuen Romane von Julie Zeh und Jean Echenoz auf ihrem Schreibtisch): Lückenpresse halt, dieses FAZ-Duo.
Eigentlich könnten wirs dabei belassen. Kositza hat sich empört über die mangelnde Lust der Redakteure, etwas ihnen ganz Neues an Lebensvollzug, intellektuellem Raum und Denk-Milieu gut und gründlich zu beobachten und niederzuschreiben. Aber noch eine Passage:
Zum Beispiel ist Kubitschek der Meinung, dass Deutsche mit ausländischen Wurzeln keine Deutsche sind, wenn sie nicht bereit wären, für Deutschland zu sterben. „Loyal ist, wer bereit ist, für das Land, in dem er lebt, in den Krieg zu gehen und sich erschießen zu lassen“, sagt Kubitschek. Im Übrigen sei deutsch, wer von deutschen Eltern abstamme. In der Zusammenfassung lautet seine Position: Gegen Ausländer hat er nichts, solange sie nicht in großer Zahl nach Deutschland einwandern. Kommen sie doch, haben die Deutschen das Recht, aktiv Widerstand zu leisten, wie im Februar im sächsischen Clausnitz.
Eigentlich hatte ich mit Bezug auf einen FAZ-Artikel von Armin Nassehi argumentiert. Jener war dort bei der Definition gelandet, daß Deutscher sei, wer hier lebe. Ich sagte, daß dies nicht hinreiche, sondern daß es einen Kranz von Kriterien gebe, die entweder gegeben seien oder einen deutlich höheren Anspruch an einen Neu-Deutschen stellten. Gegeben sei das Deutsche, wenn man deutsche Eltern habe. Nicht mehr deutsch sein zu wollen, bedeute dann, sich bewußt in ein anderes Land zu begeben und sich zu assimilieren, aufzugehen also in den nicht-deutschen Zusammenhängen und identitätsstiftenden Vorgaben der neuen Heimat. Derlei könne in Frankreich und Polen rascher gelingen als in Thailand oder Schwarzafrika. Binsenweisheiten, nicht wahr?
Dann das Nicht-Gegebene: Deutsch werden zu wollen sei die Grundvoraussetzung für jede glückende Einwanderung, die nicht von vornherein auf Zeit angelegt sei. Und der Nachweis werde eben nicht ganz und gar im normalen Leben erbracht, sondern – wie so oft – im Ernstfall. Deutsch geworden sei, wer sich im Zweifelsfall loyal verhalte, also ganz und gar auf die deutsche Seite schlage und nicht zurückgreife auf Bindungen der Herkunft. Konkret: Der deutsch-türkische Polizist verhaftet den türkischen Kriminellen und läßt ihn nicht aufgrund einer nicht abgelegten Herkunftsloyalität wieder laufen.
Zwei Kriterien also, die Nassehis “deutsch ist, wer hier lebt” als nicht hinreichend kennzeichnen, und es gibt noch weitere Kriterien, natürlich. Bender und Bingener aber waren nicht Willens oder in der Lage, diesen Kontext auszuführen, sondern formulierten stolz die Überleitung zur nächsten Passage:
Dunkelheit legt sich über Schnellroda.
Denn jetzt kommt sie, die Stelle, an der das Gespräch beinahe scheiterte: Was sei das, deutsch? Ich begann das auszuführen, also über etwas zu sprechen, das man auch knapp als “nicht restlos rational sagbare Seelenlage” zusammenfassen könnte (tat ich!), und dieses Sprechen über den Identitätskern ist stets ein sprechendes Entwickeln, ist kein Präsentieren von fertigen Stanzen. (Erst dann ist übrigens ein Gespräch eines, wenn es aus zugeneigter Entwicklung entsteht.)
Aber wieder mußte Herr Bingener seiner kindischen Neigung nachgeben, mit sinnlosen Einwürfen sich der eigenen Bedeutung zu vergewissern. Und da platzte mir der Kragen, wirklich. In der FAZ liest sich das so:
Das Gespräch steht am Rande des Abbruchs. Kubitschek droht mit Rauswurf. In seinem Haus soll über Deutschland nicht anders als in den Erhabenheitsformeln einer radikalisierten Spätromantik gesprochen werden. „Diese Sehnsucht nach dem Totalen, nach dem Risslosen, nach Etzels Saal, nach dieser Treue bis in den Tod, die eben nicht ausweicht, um weiterzuleben, sondern stehenbleibt, bis es nicht mehr geht“, auch das ist nach Kubitschek deutsch. Wer anders denkt, lernt die autoritäre Seite von Kubitscheks Persönlichkeit kennen. Den Hausherrn, der auch in der Vergangenheit schon Journalisten aus seinem Rittergut geworfen hat und sie als „arme und glücklich lebende BRD-Würstchen“ verhöhnt, als Leute, die „keinen grundsätzlichen Respekt haben können“ und denen „ihr kleines Ich und ihre Bindungslosigkeit und ihre Wahlbereitschaft und Wahlmöglichkeit das Nonplusultra ist“. Ob das nicht eine autoritäre Haltung sei? „Soll ich Ihnen mal zeigen, was autoritär ist?“, fragt Kubitschek. Eine Weile geht das Gespräch noch weiter, dann verabschiedet man sich voneinander.
Dazu nur ein paar Fußnoten: Mit Rauswurf drohte ich nicht, und rausgeworfen haben wir noch nie einen Journalisten, noch nicht einmal den Andreas Speit von der Antifa – auch er durfte einen Kaffee trinken und seine Klischee-Beobachtungen machen.
Aber es ist schon so: Dem Herrn Bingener wurde es ungemütlich, er konnte es nicht fassen, daß es einen Punkt gab, an dem die Kommunikation abbrach. Er fragte zuletzt sogar, wie ich mich dabei fühle, so autoritär zu sein. Autoritär zu sein, das bedeutete in diesem Fall: die Tür zu einem Seelen- und Seins-Raum, die ich einen Spalt weit geöffnet hatte, rasch wieder zuzuschlagen. Was wäre dahinter für Bender und Bingener zu sehen gewesen? Letztlich ein lebenslanges Rätseln über Hölderlins Schlußverse aus der Hymne “Germanien”:
Doch in der Mitte der Zeit
Lebt ruhig mit geweihter
Jungfräulicher Erde der Äther,
Und gerne, zur Erinnerung, sind
Die unbedürftigen, sie
Gastfreundlich bei den unbedürftgen
Bei deinen Feiertagen,
Germania, wo du Priesterin bist
Und wehrlos Rat gibst rings
Den Königen und den Völkern.
Das “Wehrlose” als ungeheure Stärke, als ratende Souveränität, als … aber nein: Tür zu, derlei ist nichts für Bender und Bingener, die ja sogar im Bücherregal den halben Meter Hölderlin übersahen und irgendwann in ihrem Leben noch aufdecken werden, daß Heidegger, die alte Nazisau, über “Germanien” sogar eine Auslegung verfaßte. Wie das alles zusammenhängt! Fäden, Spinnen, Netzwerke. Und wir mittendrin!
Nordlaender
"Da hat man doch glatt die Regalmeter Hölderlin, Goethe, den Frisch, den Stifter, den Jahnn, den Mosebach, den Eichendorff, George, Hesse, Schiller, Klopstock, Hamsun, Kracht, Kleeberg, Krausser, Goetz, v. Salomon, Vosganian, Werfel, Boyle undundund übersehen"
Oh weh, mit dem übersehenen Goethe haben die FAZkes aber Punkte verschenkt. Ich sage nur: "Der Jahrmarkt zu Plundersweiler".
Gewinnen tun die Kultisten um IHN - den Leibhaftigen, Untotesten aller Zeiten - allerdings immer. Denn auch wenn hier partiell exkulpiert wird (Schmitt, Heidegger), so wird doch das Hauptthema der Matrix, also die zwölf Jahre, gründlich bedient.
Trotzdestonichts eine vortreffliche Reklame für Sie und die sezession. Bin mir ganz sicher, daß viele Leser der FAZ so neugierig werden.