des menschlichen Geistes, auf denen andere Regeln gelten als jene des Verstandes. Das bedeutet jedoch nicht, daß es hier ausschließlich um das Irrationale geht – auch Emotionen können eine sehr rationale Seite haben.
Im Zeitalter der Massendemokratie greift die Politik nicht allein auf individualpsychologische Analyse- und Beeinflussungsinstrumente zurück, sondern vor allem auf das Instrumentarium der Massenpsychologie, dessen sich bekanntlich auch die Werbung erfolgreich bedient. Stoßrichtung ist in beiden Fällen nicht das sozial atomisierte Individuum, Stoßrichtung ist immer die Masse.
Das einzelne Ich unterwirft sich den massenpsychologischen Methoden – nahezu unabhängig von den kommunizierten Inhalten, allein auf den Stil horchend – bereitwillig, denn es will nichts anderes, als dazuzugehören. Das Ich will nicht länger das vereinzelte, verlorene Etwas im großen Nichts sein. Das hat der von mir auch heute noch geschätzte Herbert Marcuse 1963 recht klar herausgearbeitet:
„Das Schrumpfen des Ich, sein verringerter Widerstand den anderen gegenüber, erscheint in den Weisen, in denen es sich beständig den ihm auf außen aufgenötigten Losungen offenhält. Die Antenne auf jedem Haus, das Transistorradiogerät an jedem Strand, die Musikbox in jeder Bar und jedem Restaurant sind ebensoviele Verzweiflungsschreie – nicht allein gelassen, nicht von den Großen getrennt zu werden, nicht zur Leere oder zum Haß oder den Träumen des eigenen Selbst verurteilt zu sein. Und diese Schreie ziehen die Nachbarn mit sich, und selbst die, welche noch ein eigenes Ich haben oder wünschen, sind verdammt – eine ungeheure gefangene Zuhörerschaft, von der die große Mehrheit am Rattenfänger sich erfreut.“
Nicht getrennt zu sein, nicht verurteilt zu sein zu Haß oder gar den Träumen des eigenen Selbst – das fühlt sich gut an. Dieses „Es fühlt sich einfach gut an“ taucht in Verbindung mit „Es fühlt sich richtig an“ in vielen privaten und wohl auch öffentlich geführten Diskussionen seit dem Sommer 2015 vermehrt auf – es fühlt sich gut und richtig an, die Grenzen zu öffnen. Es fühlt sich gut und richtig an, für Zuwanderung gleich aus welchen Gründen zu sein. Es fühlt sich gut und richtig an, gegen rechts zu sein.
Gefühle können freilich täuschen. Vor allem kann das Gefühl täuschen, daß Politik mit dem Herzen oder aus dem Bauch heraus gemacht wird – zumal dieses Gefühl von jenen, die solche Politik tatsächlich machen und die massenpsychologischen Signale aussenden, kaum geteilt wird (selbst dann nicht, wenn sie sich wie Merkel zu emotional wirkenden Flüchtlingsselfies hergeben). Auf der Ebene des Machens geht es um Rationales – so irrational es aus Sicht kritischer Analytiker auch erscheinen mag.
Nun ist es aber so, daß die fühlende Masse ihrerseits großen Einfluß auf die Politik ausüben kann – jedenfalls zu Wahlzeiten. Die das vermeintlich Gute und das Richtige fühlende Masse denkt und handelt dabei nicht rational, sie übersieht Kausalitäten, verkennt Ursachen und Wirkungen, ignoriert Offensichtliches bewusst zugunsten guter und richtiger Gefühle. Man kommt ihr also nicht auf rationalem Wege bei, will man sie beispielsweise zu einem anderen Wahlverhalten bewegen.
Im Gegenteil: Geister, die rational und klug und auf unabweisbare Fakten gestützt argumentieren wie ein Sarrazin oder ein Schachtschneider, werden seitens der fühlenden Masse und ihrer politischen bzw. medialen Meinungsführer der Kaltherzigkeit und Unmenschlichkeit gescholten. Dies sogar zu Recht, denn als rationale Analytiker bedienen sie den Verstand, nicht das Gefühl. Dieses allein aber gilt heute als das Menschliche – das, was die Conditio humana ausmacht.
Der Verstand ermöglicht nicht die Teilhabe am großen Wohlfühlen, sondern verweist auf die nüchternen Tatsachen, analysiert und schlussfolgert nach Regeln der Logik. Man wird also davon ausgehen müssen, daß man, wenn man die Masse beeinflussen möchte (und man müsste dies wollen, wenn man die Verhältnisse zu ändern wünscht), vorrangig an die emotionale Ebene zu appellieren hat.
Ein nicht unbeträchtlicher Teil der widerständigen Szene tut dies bereits seit langem und mit Hingabe. Hier allerdings werden ausschließlich negative Gefühle gepflegt, denn es geht um die Erzeugung und Bestätigung von Ängsten. Das mag seinen Zweck erfüllen, solange es darum geht, das Vertrauen in den Machthaber erodieren zu lassen; es versagt aber vollständig dort, wo es darum geht, ein neues Zugehörigkeitsgefühl, eine neue Untrennbarkeit, ein neues Selbst, ein neues Wohlgefühl zu erzeugen – Ängste bieten nicht das Glück der Identifikation.
Man kann und muß durchaus die heute gelebte flüchtlingsbezogene Gefühlsduseligkeit in seinem „Es fühlt sich gut an“ angreifen, darf aber dann selbst nicht mit leeren Händen dastehen. Genau das aber ist der Fall – man bietet die Kameradschaft des Dagegen, die Härte eines möglichen Kampfes, die Gefahren und Risiken einer Ausgrenzung durch die Großen. Und genau deshalb hat die Masse weniger Angst vor Islam, Terror und Globalisierung als vielmehr vor jenem diffusen, irgendwie abweisendem „Rechts-sein“.
Rechts bedeutet in der öffentlichen Wahrnehmung Hartherzigkeit, Kälte und Gefühllosigkeit – da fühlt sich aus Sicht der Nichtrechten eben leider überhaupt nichts gut oder richtig an, sondern ziemlich unmenschlich. Die emotionale Ebene müsste also seitens der Rechten bedient werden – es muss ein anderes „Es fühlt sich gut an, es fühlt sich richtig an“ her. Emotionen müssen endlich sprechen – zur Identifikation einladende positive Emotionen, die auf allen sozialen Ebenen ansteckend wirken (im modernen Jargon: „viral“). Doch wie könnte das aussehen?
Dabei geht es nicht um das Wohlgefühl im Inneren der eingeschworenen rechten Gemeinschaft. Es müsste ein größeres, umfassenderes Wohlgefühl her, das auch für jene verlockend erscheint, die sich politisch irgendwo in einer gefühlten Mitte verorten. Das Gefühl von selbstverständlicher Sicherheit (also nicht die Sicherheit einer Alarmanlage oder einer Pfefferspraydose) wäre so ein konsensfähiges großes Gefühl; ebenso das Gefühl selbstverständlicher, fragloser Identität.
Die Rechte hat – im Gegensatz zur zu Globalisierungshelfern verkommenen Linken – dieses Potenzial durchaus. Doch wie macht man dies sichtbar? Auch scheinbar Nebensächliches wie Humor und Witz können hierbei nützlich sein, Unverkrampftheit, Lockerheit, Ungeniertheit und Unbekümmertheit. All das macht auf eine verstörende Weise anziehend.
Ich kann mich jedenfalls noch gut erinnern, wie ich Anfang der Siebziger als zehn- oder elfjähriger Sproß aus halbwegs gutem Hause Zeuge dieser sommerlichen Szene wurde: Auf dem sorgfältig getrimmten Parkrasen meines norddeutschen Heimatstädtchens hatte sich eine Horde Hippies niedergelassen – schreiend bunt gekleidet, mit Gitarre, man war fröhlich, unbeschwert, musizierte und war ansonsten recht harmlos.
Ob bewußt oder zufällig – direkt neben dem „Betreten des Rasens verboten“-Schild hatte man es sich im Schatten eines alten Baumes gemütlich gemacht. Ein älterer Herr mit Hut und Spazierstock betrachtete die Szene zunächst sprachlos, fuchtelte alsdann erregt mit seinem Stock in der Luft herum: „Könnt ihr denn nicht lesen? B‑e-t-r-e-t-e‑n v‑e-r-b-o-t-e‑n!“ „Aber guter Mann“, so kam es munter aus der Gruppe zurück, „wir betreten doch nichts, wir sitzen hier nur“. Anwesende Passanten lachten jedenfalls oder waren amüsiert – die Zeit sinnloser Verbote war, so schien es, erst einmal vorüber (bis einige der Hippies dann Jahrzehnte später selbst an Einfluß gewannen, ich weiß).
Derartiges hat sich damals oft zugetragen und reichte bis hin zu Fritz Teufels herablassendem “Wenn’s denn der Wahrheitsfindung dient” als Antwort auf die richterliche Aufforderung, sich zu erheben. Auch ich Knirps fand die respektlose Rasenszene damals ziemlich lustig und fühlte mich fortan stets mehr zu schrägen Gesellen jeder Art hingezogen als zum verstockten Bürger. Also – - – das Ganze jetzt bitte von rechts. Mit Humor. Und ohne Scheu vor angemaßten Autoritäten. Das wäre dann nicht nur ein Rollentausch, das wäre angewandte Psychologie.
Winston Smith 78699
"alle miteinander ..."
Idealisierte rechtsextreme Gemeinschaft völkischer Siedler, gezeigt von Peter Weir in "Witness". Humor ist da erstmal keiner sichtbar, aber siehe, wie andere innerhalb von teils extrem konservativen oder restriktiven Umfeldern das hinbekommen: der Ostblockwitz, der jüdische Witz, Radio Erewan, "Zeller Zeitung". Als sei der bessere Humor erst unter Spannung gegeben. Beim Bau der Scheune werden sehrwohl gute Witze gemacht und geht es lustig zu, aber eben nicht vor der Kamera. Oder in der Kirche, Schule, Militär: richtig Spaß macht erst das Verbotene. Vor den Hippies waren die Wandervögel und was weiß ich, und die waren genauso lustig, traten es nur nicht so mit Fotos im Internet breit. A propos "breit": zu der Zeit war noch alles aus Hanf, man rauchte Knaster, kannte den Wermut und andere Rauschtoxine. Betuchtere konsumierten natürlich Exotisches. Es ging wild und auch lustig zu bis zu saturnalischen Exzessen, gegen die eine heutige Fastnacht wie ein Bibelkreis daherkommt, hier Golowin über Absinth. Jedoch des Schreibens mächtig waren eben der Dorfpfarrer und der Amtmann. Als halbe Wahrheit ist die Strenge der konservativen Welt von gestern eine Lüge.