für den künftigen Kriegsverlauf angesehenen Schlacht um die Metropole Aleppo. Auf der einen Seite kämpfen die Streitkräfte der regulären syrischen Armee mit ihren Verbündeten bei russischer Luftunterstützung, während auf der Gegenseite ein Konglomerat aus sunnitisch-dschihadistischen Banden mit Waffen aus dem Westen und Finanziers aus den Golfstaaten zum Angriff übergehen möchte.
Aleppo ist also Schauplatz eines seit 2011 immer weiter eskalierenden Krieges, der Syrien zum »Brandherd« werden ließ. Die Lage ist dabei für Beobachter kaum noch zu überschauen, weder militärisch noch politisch oder strategisch. Wer mischt mit, wie wird desinformiert, wie geht es weiter mit Syrien? Eine Tagung der »Gesellschaft für Internationale Friedenspolitik e. V.« (GIF), die in Bad Sooden-Allendorf stattfand, ging am 22. und 23. Oktober genau diesen (und vielen weiteren) Fragen auf den Grund. Die Veranstaltung, die mit etwa 150 Gästen gut besucht war, zeichnete sich insgesamt durch ein hohes Niveau der Vorträge aus, wobei es einige besonders verdienen, hervorgehoben zu werden.
Schwester Hatune Dogan
Die Nonne aus einem nordrhein-westfälischen Kloster wurde 1970 in der Südosttürkei – unweit der syrischen Grenze – in eine christlich-aramäische Großfamilie geboren; 1985 erfolgte aufgrund Morddrohungen sunnitischer Nachbarn die Flucht nach Deutschland. Ihr Weg führte in einen syrisch-orthodoxen Orden, sie machte mehrere Ausbildungen, studierte Theologie und Geschichte und engagierte sich in der Armenhilfe in Indien; 2010 erhielt sie das Bundesverdienstkreuz. Ihre 2003 gegründete, karitative »Hatune Foundation« verfügt heute über 5000 ehrenamtliche Helfer, die sich insbesondere um verfolgte Christen, konkret: notleidende Mädchen und Frauen, im Nahen Osten kümmern.
Dementsprechend referierte Schwester Hatune über »Die Lage der Christen in Syrien und im Irak«. Ihr mit viel Leidenschaft vorgetragener Beitrag machte klar: Die Lage ist katastrophaler als angenommen. Massenvergewaltigungen, Entführungen, Morde sind an der Tagesordnung. Schwester Hatune bemängelt die fehlende europäische Beschäftigung mit diesem Elend, denn gerade »aus christlicher Sicht darf man nicht schweigen, was im Nahen Osten passiert«, so ihr Plädoyer. Statt dessen schaue die westliche Welt weg und stütze konsequent die falschen Kräfte.
Grundsätzlich stark zu vernehmen waren ihre aus eigenem Erleben genährten Vorbehalte gegenüber dem sunnitischen Islam. Die Nonne aus Warburg verwies wiederholt auf Suren, die von gläubigen Muslimen als Tötungsbefehle gegen Minderheiten (Christen, Alawiten, Aleviten, Schiiten usw. usf.) verstanden werden. Ihre zugespitzte These »Mohammed war ISIS!« begründete sie mit einem kurzen Streifzug durch die historische (salafistische) Christenverfolgung im Nahen und Mittleren Osten. Heute, wo mit dem »Islamischen Staat« und vergleichbaren Terrorstrukturen wie der Nusra-Front eine neue Dimension antichristlicher Gewalt erreicht wurde, müsse endlich etwas getan werden.
Unverständlich für sie ist dabei die Gleichgültigkeit der Christen Europas angesichts des sukzessiven Genozids an christlichen Minderheiten, ebenso unverständlich die europäische und insbesondere die bundesdeutsche Flüchtlingspolitik: »Europa hat die Wölfe hereingelassen und die Schafe vor der Tür stehen lassen«, so ihr enttäuschtes Fazit.
Aktham Suliman
Der 1970 geborene Journalist Aktham Suliman ist bekannt aus einigen Talkshows: Er war es, der den führenden arabischen Nachrichtensender Al-Dschasira 2012 verließ, da er die tendenziöse und unverantwortliche Syrien-Berichterstattung nicht mittragen wollte. Der studierte Politikwissenschaftler, der in Damaskus geboren wurde und derzeit in Berlin lebt, sprang für die deutsche Syrienexpertin Karin Leukefeld ein, die aus unbekannten Gründen der Tagung fernblieb. Sein Vortrag »Krieg und Chaos. Eine arabische Sicht« zeichnete sich durch Sachverstand und gekonnt gesetzte Ironie gleichermaßen aus.
Suliman betonte die sozioökonomischen Ursachen des Syrienkonflikts und relativierte insofern die rein religiös orientierte Kritik seiner Vorrednerin: »Im Krieg geht es nicht um Religion, sondern um Interessen.« Wie diese Interessen seitens der letzten verbliebenen Weltmacht USA und ihrer Verbündeter eingesetzt werden, um in Syrien und den Nachbarländern hegemonial zu agieren, machte er anhand zahlreicher Beispiele vom 11. September bis in die Gegenwart deutlich.
Ob der Krieg nach Europa komme, sei keine hypothetische Frage mehr. Der Krieg sei längst in Brüssel, Paris oder auch in Chemnitz angekommen; nur sei die Front eben einstweilen noch ruhig. Die salafistische Gefahr, die nun auch den Westen bedroht, wurde vorher dabei gekonnt eingesetzt, um das stabile syrische Gefüge zu zerstören. Die sogenannte Freie Syrische Armee (FSA) – Lieblingsthema der westlichen Politik und ihrer Presse – sei dabei nicht nur heute ein Phantom, sondern war es von Beginn an. Der langjährige Al-Dschasira-Korrespondent gab zu: »Wir haben die FSA erfunden!«
Ohnehin sei die Macht der Medien im Ringen um den Nahen Osten unvorstellbar verwerflich; man müsse sich nur die unterschiedliche Wahrnehmung in Europa bezüglich zweier derzeit beginnender Operationen vergegenwärtigen: Im irakischen Mossul, wo US-Kräfte die lokalen Verbände gegen den dschihadistischen IS stützen, handle es sich um eine »Befreiung« der Millionenstadt, während die Befreiung Aleppos von anderen, dem IS aber verwandten dschihadistischen Allianzen als brutale »Belagerung« durch Assad und Putin verkauft werde. Wie so oft entscheiden also die westlichen Kräfte je nach Interesse vor Ort, ob eine Islamistenmiliz »gut« oder »böse« sei.
Vital Burger
Der dritte Referent in diesem Samstagsblock war Vital Burger. Der Vizepräsident der schweizerischen Wirtschaftskammer sprach in seiner Rolle als Vorsitzender des »Freundeskreises Schweiz–Iran« über die iranische Sicht auf den Syrienkrieg. Sein visueller Rundgang durch die Vielfalt des Landes gewährte einen ersten Einblick in die Geschichte und Gegenwart 7000 Jahre persischer/iranischer Kultur.
Burger ging kundig auf die Interessen der einzelnen Akteure im Syrienkrieg ein und betonte insbesondere die zunehmende Aktivität der Volksrepublik China, die nicht nur ökonomische Interessen vertrete, sondern der es überdies an einer Eliminierung der sunnitisch-uigurischen Terroristen gelegen sei, die in Syrien für Angst und Schrecken sorgen und womöglich eines Tages in ihre Heimat in Westchina zurückkehren könnten, wo sie eine erhebliche Gefahr darstellen würden.
Zur Rolle des Iran vermißte man indes einige präzise Fragestellungen: Burger verwies zwar auf die Bedeutung der Mittelmeeranbindung für Teheran, stellte unterschiedliche Transitstrecken vor, und hob die geostrategische Lage Syriens als einen Aspekt der iranischen Syrien-Solidarität hervor (neben der schiitischen Perspektive und dem Blockdenken bezüglich Saudi-Arabien/Arabistan).
Indes wäre es gerade interessant gewesen, zu erfahren, welche Widersprüche in der iranischen Politik angesichts der Intervention in Syrien auftreten: Immerhin sterben zahlreiche iranische Freiwillige auf dem Schlachtfeld und auch im iranisch-theokratischen Establishment gibt es durchaus vereinzelten Widerspruch zur Rettungsaktion für einen dezidiert säkularen Herrscher. Gewiß: Das sind Minderheitenpositionen, aber auch über diese Antagonismen innerhalb des Iran zu berichten wäre aufschlußreich gewesen.
Diskussion Schwester Hatune, Suliman, Burger
Im Anschluß an Vital Burger gab es eine offene Diskussionsrunde mit den drei Referenten, moderiert vom GIF-Mitglied Oberstleutnant a. D. Jochen Scholz. Neben einigen Wortmeldungen aus dem Auditorium meldete sich mit Dr. Salem El-Hamid ein Referent des Folgetags. Der Generalsekretär der Deutsch-Syrischen Gesellschaft hob hervor, daß die Darstellung eines Religionskriegs nicht zulässig sei. Das Zusammenleben aller Religionen und Konfessionen habe in Syrien in den letzten Jahrzehnten funktioniert; Syrien sei schließlich wie ein Mosaik, bei dem jeder einzelne Bestandtteil zum großen Ganzen zählt. Erst die von außen gestützte Radikalisierung der (sunnitisch-wahabitischen) Sektierer habe zur religiösen Prägung des Konflikts geführt.
An Schwester Hatune richtete Scholz die Frage, wer denn den Christenmord im Nahen Osten decke – es seien schlechterdings nominell »christliche« Staaten des Westens, die die Region destabilisierten und für die Eskalation der Lage sorgten. Eine Frontstellung Christentum versus Islam würde daher die wahren Frontverläufe verschleiern. Dieser Ansicht sekundierte ein Teilnehmer, der das Feindbild Islam als »Köder« zur Ablenkung bezeichnete. Immerhin sei die Syrisch-Arabische Armee (SAA) das Musterbeispiel für Solidarität jenseits sektiererischer Linien: Sunniten, Alawiten, Drusen, Christen, Schiiten oder auch Atheisten kämpfen gemeinsam für die Zukunft Syriens in einem säkularen Nationalstaat, der allen Syrern dieselben Möglichkeiten bieten solle.
Deutlich wurde hier auch eine wichtige Konfliktlinie innerhalb der (heterogen zusammengesetzten) Tagungsteilnehmer, denn es ging immer wieder um die Frage: Wird hier Religion mißbraucht oder ist Religion der Motor des Konflikts? Einig war man sich weitgehend darin, daß die neokonservativ-kulturalistischen Deutungsmuster à la Samuel Huntington zunehmen. Auf der Strecke bleibt dabei die entscheidende Analyse sozioökonomischer und geopolitischer Zusammenhänge. Ein dogmatisches Verständnis des syrischen Krieges als »Religionskrieg« mache es aber unmöglich, die entsprechenden Hintergründe faßbar zu machen. Man konzentriere sich auf fundamentalistische Hardliner des IS und verkenne – geopolitisch – langfristigere Pläne der USA eines »Neuen Mittleren Ostens« oder Hegemoniebestrebungen der Golfstaaten wie auch der neoosmanisch agierenden Türkei, während man – geoökonomisch – die wirtschaftlichen Interessen der beteiligten Mächte hinter dem Schleier der Religion belasse.
Das wird nicht zuletzt in der komplizierten Schlacht um Aleppo deutlich – eine Stadt, die im übrigen mehrheitlich sunnitisch und Assad-loyal zugleich ist. Mit dieser Wiege der menschlichen Zivilisation beschäftigte man sich Sonntag in einem herausragenden Beitrag des syrischen Analysten Kevork Almassian.
(Teil 2 des Tagungsberichts folgt.)
Anselm Urban
Danke für den ausführlichen Bericht!