vor Soldaten, die „ihr Leben für ihr Mutterland, für die Freiheit Europas und für das Glück von uns heutigen Deutschen“ opferten.
Merkwürdig ist nicht, daß Steinmeier das tut, sondern daß es bislang noch nicht vorgekommen sein soll. Also wieder ein geschichtspolitischer Tabubruch, der dazu dient, geschichtsklitternd die Unterschiede zwischen Siegern und Besiegten zu verwischen. Daß Stalins Soldaten für die „Freiheit Europas“ gefallen seien, ist eine Formel, die aufgrund ihrer völligen Haltlosigkeit vor zwanzig Jahren noch Anstoß erregt hätte.
Vielleicht erinnert sich noch jemand an das Jahr 2004, als Kanzler Schröder erst an den Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Landung in Normandie teilnahm, um wenig später den Gedenkfeiern zum Warschauer Aufstand beizuwohnen.
Die Junge Freiheit wähnte den Kanzler auf der „Sonnenseite der Nachkriegsordnung“ und schrieb damals:
Erst Normandie, dann Warschau: Gerhard Schröder ist bei Feiern der einstigen Kriegsgegner ein gerngesehener Gast. Sein Auftritt in Warschau auf der Gedenkveranstaltung zum 60. Jahrestag des Warschauer Aufstandes hat die Erwartungen der Gastgeber voll erfüllt: Der Kanzler hat sich in allen strittigen Fragen den polnischen Standpunkt zu eigen gemacht. Die Heimatvertriebenen stellt diese neue deutsch-polnische Eintracht auf Regierungsebene vor eine ungewohnte Situation. Sie stehen jetzt ganz allein auf politischer Flur – auch die Union als einstige Schutzmacht versagt ihnen die Unterstützung.
Helmut Kohl hatte während seiner Amtszeit eine Teilnahme an den D‑Day-Feierlichkeiten noch mit dem Satz abgelehnt, es sei
für einen deutschen Bundeskanzler kein Grund zum Feiern, wenn andere ihren Sieg in einer Schlacht begehen, in der Zehntausende Deutsche elend umgekommen sind.
Die Junge Freiheit sah in diesem Paradigmenwechsel
ein deutliches Zeichen, daß Deutschland dabei ist, ein voluntaristisches Geschichtsbild zu verinnerlichen, in dem es als die mythisierte Verkörperung des Bösen fungiert, das von gütigen Siegern erlöst werden mußte.
Das kommt – drastisch gesprochen – einem geistigen und geschichtspolitischen Nachvollzug der bedingungslosen Kapitulation von 1945 gleich. Natürlich kann ein Kanzler die Mystifikationen der Sieger nicht unwirksam machen. Er könnte aber dazu eine Position beziehen, die deutlich zu erkennen gibt, daß geschichtliche Wahrheit und politische Kräfteverhältnisse nicht dasselbe sind.
Nun hat nicht nur Steinmeier einen Kranz in Berlin niedergelegt, sondern auch der Co-Chef der einzigen deutschen Oppositionspartei hat das getan, allerdings in Moskau „zum Gedenken an die Opfer des Überfalls Deutschlands auf die Sowjetunion“.
Die Pressemitteilung der AfD zitiert Chrupalla mit den Worten:
Es hat mich tief bewegt, dass ich am 80. Jahrestag des Überfalls des nationalsozialistischen Deutschlands auf die Sowjetunion einen Kranz am Grabmal des unbekannten Soldaten niederlegen konnte, um der unzähligen Opfer zu gedenken, die dieser furchtbare Krieg nicht zuletzt auf russischer Seite gefordert hat. Ich bin davon überzeugt, dass eine wirkliche Versöhnung als Grundlage für eine gemeinsame Zukunft unserer beider Völker nur gelingen kann, wenn wir uns vorbehaltslos den Schrecken der Vergangenheit stellen.
Auch hier müssen wir das bereits vom Co-Fraktionschef Gauland gebrauchte Narrativ vom Überfall auf die (friedliebende) Sowjetunion vermerken, das nicht zuletzt Putin selbst in recht umtriebiger Weise propagiert.
„Vor genau 80 Jahren, am 22. Juni 1941, überfielen die Nationalsozialisten, nachdem sie ganz Europa erobert hatten, die UdSSR“, schreibt Putin in der Zeit. Weiter heißt es:
Wir sind stolz auf den Mut und die Standhaftigkeit der Helden der Roten Armee und der Arbeiter daheim, die nicht nur die Unabhängigkeit und Würde ihres Vaterlandes verteidigten, sondern auch Europa und die ganze Welt vor der Versklavung retteten. Ungeachtet jüngster Versuche, die Kapitel der Vergangenheit neu zu schreiben, lautet die Wahrheit, dass der Sowjetsoldat seinen Fuß nicht auf deutschen Boden setzte, um sich an den Deutschen zu rächen, sondern um seine edle und große Befreiungsmission zu erfüllen.
Für die Bild-Zeitung war diese Geschichtsklitterung Anlaß genug, auf ihren Seiten ausnahmsweise einmal der historischen Wahrheit etwas Platz einzuräumen, wenn sie auf den Kriegsbeginn hinweist.:
Der begann für Moskau am 17. September 1939, als die Rote Armee nur wenige Tage, nachdem die deutsche Wehrmacht Polen überfallen hatte, von Osten her in Polen einmarschierte. Es war der Hitler-Stalin-Pakt (den man in Putin-Land nicht ungestraft nennen darf), mit dem die Sowjetunion in den Zweiten Weltkrieg eintrat. Nach Polen (die Ostgrenze ist noch immer die, auf die sich Hitler und Stalin geeinigt hatten) war noch Finnland dran und dann das Baltikum.
Auch wenn es nicht die Liebe zur Wahrheit, sondern der Haß auf Putin ist, der dem Bild-Autor die Feder führt, ist dieser Hinweis doch beachtlich, weil damit deutlich wird, daß die Mitschuld der Sowjetunion am Zweiten Weltkrieg keine rechte Verschwörungstheorie ist. Gleichzeitig wird damit noch einmal der geschichtspolitische Paradigmenwechsel deutlich, den nicht nur die BRD-Eliten vollzogen haben, sondern mittlerweile auch Teile der Rechten.
Diejenigen, die nicht vom „Überfall“ sprechen und sich kritisch gegenüber solchen Anbiederungsversuchen verhalten, gelten dann nicht nur als Ewiggestrige, als Geschichtsrevisionisten oder schlimmeres, sondern müssen sich von den neuen rechten Pragmatikern vorhalten lassen, die außenpolitischen Zeichen der Zeit nicht erkannt zu haben und mit dem Beharren auf ihrer Position den Transatlantikern in die Hände zu spielen.
Nun ist es für eine Oppositionspartei, zumal eine wie die AfD, zweifellos schwer, ein außenpolitisches Profil aufzubauen. Es steckt daher eine gewisse Logik darin, sich quer zur offiziellen Außenpolitik der Bundesrepublik zu bewegen, weil die ausgefahrenen Wege von den Mächtigen kontrolliert werden und dort maximal der berühmte Platz am Katzentisch bleibt.
So hatte und hat Trump in der AfD eine große Fangemeinde, die sich spätestens bei der Frage der Nord Stream 2‑Gasleitung in Widersprüche verstricken mußte. Die Regierung von Polen erfreut sich großer Zustimmung, obgleich Polen in penetranter Weise Reparationsforderungen gegen Deutschland erhebt und dessen Vasallenstatus gegenüber den Amerikanern eigentlich jedem Nicht-Transatlantiker Zurückhaltung auferlegen müßte. Letztere sehen in Putins Rußland die Gelegenheit aus der amerikanischen Gefangenschaft auszubrechen und bemühen sich daher, einen Fuß in die Tür Moskaus zu bekommen.
Daß diese Bemühungen von Erfolg gekrönt sein werden, ist nahezu ausgeschlossen. Daß eine geschichtspolitisch so konsequent handelnde Regierung wie die Rußlands jemanden ernst nehmen könnte, der seine eigene Geschichte derart flexibel handhabt, wie es die Deutschen tun, ist unwahrscheinlich. Daß man als willfähriger Statist den Russen Avancen machen und damit den Transatlantikern Paroli bieten könnte, ist eine Vorstellung, die ihren Platz in der Paartherapie hat, aber nicht in der Weltpolitik.
Muß man also unbedingt am 80. Jahrestag des Kriegsbeginns zwischen Deutschland und der Sowjetunion nach Moskau fahren, wohl wissend, daß man dort keine deutsche Sicht der Dinge wird vortragen können? Kann man nicht irgendwann anders reisen? Wie interpretieren Polen, Ungarn, Rumänien, die baltischen Staaten undsoweiter diesen Besuch und diese Wortwahl?
Es ist zu befürchten, daß die Verwässerung der geschichtspolitischen Haltung in Bezug auf Stalin und die Sowjetunion als ein Signal verstanden wird: Mit der AfD sei außenpolitisch im Sinne deutscher Interessen nicht mehr zu rechnen. Um so leichter dürfte den Gegnern die Einhegung fallen, innen- und außenpolitisch.
kikl
Die Geschichte des zweiten Weltkrieges ist das heilige Dogma der Bundesrepublik Deutschland. Das Dogma lautet - ohne starke Übertreibung: Deutschland und die Deutschen sind an Allem schuld. Wer dieses Narrativ in Frage stellt, dem wird das Leben in Deutschland zur Hölle gemacht.
Es ist kein Zufall, dass genau dieses Narrativ von den Siegermächten im Wege der "Umerziehung" bzw. "reeducation" den Deutschen eingetrichtert wurde, ist es doch genau das, was jeder Sieger in die Geschichtsbücher schreibt. Der Besiegte ist schuldig und hat seine gerechte Strafe erhalten. So lange wir aus diesem Gedanken-Gefängnis nicht ausbrechen, sind wir geistig versklavt.
Geschichtspolitik besteht im Regelfall darin, die Geschichte derart umzuschreiben, dass das Narrativ den Interessen der Mächtigen entspricht. So handhaben es die Russen aber auch die Polen, Briten, Franzosen und Amerikaner.
Erstaunlich an der deutschen Geschichtspolitik ist nicht, dass sie verlogen ist, sondern dass sie die Geschichte im Sinne der Siegermächte des zweiten Weltkrieges umschreibt. In einem souveränen Staat wäre das unmöglich.
Ich wünsche mir jetzt nicht, dass im Interesse Deutschlands Geschichtslügen verbreitet werden, so wie es Putin, Biden, Macron,... in aller Regel tun. Ich wäre schon zufrieden, wenn die historische Wahrheit über den zweiten Weltkrieg ausgesprochen würde von unseren Politikern. Wenn die Wahrheit zu Heikel ist, dann mögen sie schweigen anstatt sich zu unterwerfen.