Kaltenbrunner den Fragebogen der Wochenzeitung Junge Freiheit. Für diejenigen, die sein Werk noch kennen, war es ein überraschendes Signal, daß er sich zur Beteiligung an der Häppchenkultur eines Fragebogens hinreißen ließ: Seine beiden letzten Werke nämlich, Johannes ist sein Name (1993) sowie Dionysius vom Areopag (1996), umfassen 490 und 1380 Seiten, und einen langen Atem benötigt, wer in diese Tiefen der Mystik hinuntersteigen möchte. Die Antworten auf den Fragebogen also das seit langem erste profane Zeichen aus Kaltenbrunners Klause bei Freiburg.
Wohin verschwand Kaltenbrunner (geboren 1939 in Wien) und von woher kam er? Er kam aus dem Zentrum der deutschen Rechten und verschwand in ein Haus am Ende eines Schwarzwalddorfs. Er trug den Ruf eines belesenen, wortgewaltigen Publizisten der Konservativen, der Traditionen bewahrte, Themen setzte und Fragestellungen auf den Punkt brachte. Kaltenbrunner schrieb die Vorworte zu der von ihm über ein Jahrzehnt herausgegebenen Reihe Initiative des Herder-Verlags mit der Selbstsicherheit eines Mannes, der weiß, daß sich in ihm Traditionslinien kreuzen. Neben den dickleibigen Bänden Europa. Seine geistigen Quellen in Portraits aus zwei Jahrtausenden ist es vor allem diese Reihe Initiative – gruppiert um das Schlagwort einer »Tendenzwende von rechts« –, die in jede Bibliothek gehört (man kann sie sich im Internet zusammenkaufen). Kaltenbrunner markierte mit dieser Reihe seinen Standpunkt eines an der Vernunft, am Durchdachten orientierten Konservativen.
Daß diese Betonung des besseren Arguments einhergehen kann mit einem dringlichen Ton, bewies Kaltenbrunner in den vielen Artikeln für Criticón und in den Büchern, die er herausgab oder selber schrieb. Eine Kostprobe aus dem Jahr 1974: »Der Hauptfeind der bürgerlichen Gesellschaft ist nicht der orthodoxe Marxismus, der inzwischen ohnehin schon eine konservative Physiognomie angenommen hat, sondern der nur auf dem Boden der bürgerlich-liberalen Gesellschaft überhaupt mögliche Nihilismus. Daß große Teile des liberalen Establishments diesen Nihilismus nicht als Feind, sondern als ›eine neue Gelegenheit für glänzende Geschäfte‹ (Irving Kristol) ansehen, ist eines der krassesten Symptome für die konstitutionell opportunistische und prinzipienlose Haltung einer bürgerlichen Gesellschaft, die aufgrund der von ihr praktizierten Maximen unfähig ist, Selbstverwirklichung mit Selbstzerstörung nicht zu verwechseln.«
Kaltenbrunner gehört zu der seltenen Spezies, die nicht nur selber denken und irgendwo mitmachen, sondern eigene Projekte aufziehen möchte. Er stieg mit hohem Einsatz in den Kampf um den Bestand von Volk, Nation, rechter Weltsicht und konservativem Lebensstil ein. Zwar hielt auch er den irrationalen Siegeszug der Neuen Linken nicht auf, aber er bewahrte die Flamme und wurde durch die Wende von 1989 doch in einem entscheidenden Punkt bestätigt. Dennoch scheint gerade diese Wende einigen rechten Streitern die Kraft geraubt oder Enttäuschung bereitet zu haben – jedenfalls gingen Männer wie Bernard Willms und eben Gerd-Klaus Kaltenbrunner von Bord. Lag es daran, daß man nach einer kurzen Erwartungsspannung (wie während der Ouvertüre vor dem noch geschlossenen Vorhang) vom Bühnenbild total enttäuscht war und überall den alten Trott zu konstatieren hatte?
Kaltenbrunner jedenfalls zog sich zurück und äußerte sich nicht mehr politisch. Er hat über diesen Rückzug nie Auskunft erteilt, auch nicht auf Nachfrage. So bleiben die Fragen stehen: Ist er gegangen, weil jeder, der heute noch im Oberflächengeschäft der Politik tätig ist, seine Zeit vergeudet? Ist er gegangen, weil er sah, daß selbst sein nicht geringer Einfluß als Herausgeber und Publizist nichts austrug? Oder fragen wir falsch, und Kaltenbrunner hatte einfach alles gesagt, was er politisch zu sagen hatte?
Wir wissen es nicht. Kaltenbrunner jedenfalls wird am 23. Februar siebzig Jahre alt – wir gratulieren herzlich!