des Standards, entsprechend eingefärbt. Der Erfolg der Linksliberalen wie der besagten Zeitung liegt im klugen Marketing: wer die dazugehörigen Meinungssets adaptiert, darf sich intelligent, aufgeklärt, “weltoffen”, moralisch und sonstwie auf der “richtigen” Seite stehend dünken; wer sich mit dem Standard blicken läßt, zückt seinen Intellektuellenausweis.
Diese Prätentionen geben dem Unfug, den die Linksliberalen zu verzapfen verstehen, erst ihre richtige Würze. Als schlagendes Beispiel dafür kam mir neulich ein an sich unbedeutender Kommentar des langjährigen Standard-Chefredakteurs Gerfried Sperl (Jahrgang 1941) unter. Anlaß gab der Sommerlochschocker des “Batman”-Attentäters James Holmes, der während einer Filmvorführung 12 Menschen tötete und 58 verwundete. Der Artikel ist ein lehrreiches Genrestück über die Beschaffenheit der rosaroten Gehirnwindungen.
Sperl beginnt mit einer den amerikanischen “liberals” abgeguckten Klage über das Waffenbesitzrecht in den USA, das im Zuge “der religiös verbrämten Gewaltideologie des Präsidenten George W. Bush” dahingehend verschärft worden sei, daß das klassische Recht auf Selbstverteidigung zum Recht auf “Recht auf private Präventivschläge” ausgeweitet worden sei: “Die amerikanische ‘Zivilgesellschaft’ ist seither bewaffnet bis an die Zähne.”
Ob das nun eine tatsächlich so signifikant neue Entwicklung ist, wage ich zu bezweifeln. Ebenso, daß die “privaten Präventivschläge” (was immer das sein soll) angestiegen wären oder gar als “Recht” wahrgenommen würden. Jim Goad wies zudem im Takimag darauf hin, daß die friedliche Schweiz eine der höchsten Schußwaffenbesitzerquoten der Welt hat, während Mexico trotz strengerer Waffengesetze eine mehr als dreimal so hohe Mordrate aufweist als die USA. An den Waffen allein kann es also wohl nicht liegen, daß Amoklauf und school shootings als amerikanische Spezialitäten gelten, die sich freilich im Zuge der Globalisierung (=Amerikanisierung) auch in Europa ausbreiten.
Sperl stellt sich nun die Frage, warum Barack Obama zum “Batman”-Amoklauf “geschwiegen” hat. Sperl erklärt sich das damit, daß der Präsident offenbar nicht an wunde Punkte der US-Gesellschaft zu rühren wagt. Was diese nun genau seien sollen außer den Waffenbesitzgesetzen und ‑quoten, deutet er nur raunend an. Das hört sich dann so an:
Der Attentäter selbst, neben Pistolen auch mit Sturmgewehr im Gewaltgepäck, wurde selbst von europäischen Medien (z. B. “Spiegel online”) sofort im Sinne einer Biertischdiagnose als “Wahnsinniger” bezeichnet. Und eine Woche nach der Tat berichteten US-Zeitungen von Besuchen Holmes’ bei einer Psychotherapeutin, ohne von ihr eine Bestätigung eingeholt zu haben.
Also schön: ein junger Mann, nach Berichten ohne Freunde und ohne soziales Netzwerk, hinterläßt kurz vor seinem Austicker eine bizarre Spur auf einer Sex-Dating-Seite, färbt sich die Haare clownsorange, massakriert im Kampfanzug ein Dutzend beliebiger Menschen in einem Blockbuster-Kino, stellt sich der Polizei mit den Worten “Ich bin der Joker”, und läßt bis dato nicht die leiseste Begründung für seine Tat durchblicken. Keinerlei politisches Manifest oder privates Bekenntnis, nichts. Der Täter behauptet nun, er leide an “Amnesie” und könne sich an nichts erinnern.
Hm. Da kann ja nur der berüchtigte reaktionäre “Biertisch” auf die dumpf-abwegige Idee kommen, daß es sich hier um die Tat eines “Wahnsinnigen” handelt! Aber schon naht das Licht der linksliberalen Aufklärung, um uns daran zu erinnern, daß hier natürlich wieder nur “die Gesellschaft” schuld sein kann:
Wie beim (mutmaßlichen) norwegischen Massenmörder Anders Breivik wird versucht, den Täter von der Gesellschaft, in der er gelebt hat, zu isolieren – ohne über ein Beweismittel zu verfügen.
Und nun kommt die zentrale These: Holmes und Breivik würden nur deshalb ohne viel Federlesens zu Verrückten erklärt, weil sie einen quasi positiv diskriminierenden Schutz der Gesellschaft genießen würden, womit deren impliziter Rassismus mal wieder deutlich zutage träte (das ist nun fast schon originell):
Hätten Holmes oder Breivik eine arabische Abstammung, wäre den Journalisten nie in den Sinn gekommen, die Attentäter als Fall für die Nervenklinik zu beschreiben. Abgesehen davon, dass Islamisten in der Regel keine Psychiater oder Psychologen aufsuchen: Diese Art von Gewalttätern wird sofort mit Religion und Herkunftsvolk identifiziert, der Islam ganz allgemein als mitverantwortlich bezeichnet, und sei es auch nur in Form der Aufforderung, islamische Funktionäre und Imame hätten sich sofort von jeglicher Art der Gewalt zu distanzieren.
Ganz in der Tradition seines Vorgängers hätte Obama nach dem “Batman”-Massaker nicht geschwiegen, wäre Holmes vor seiner Tat vom Protestantismus zum Islam übergetreten. Er hätte zwar nicht wie Bush zu einem Kreuzzug aufgerufen, aber er hätte verschärfte Sicherheitsmaßnahmen verfügt. Und die Moslems von Colorado wären sofort gefilzt und überwacht worden. Um seine Wiederwahlchancen offenzuhalten, hätte Obama das tun müssen (wenn er innerlich nicht ohnehin schon “umgedreht” ist).
Für nichtmuslimische Täter gilt also nicht nur die individuelle Schuld, sondern auch noch der “Verdacht” einer reduzierten, weil krankhaft geschwächten Verantwortung. Muslimische Täter sind nicht nur persönlich voll verantwortlich. Ihr engeres und weiteres Umfeld ist mitschuldig.
Das gilt nicht nur für die USA, sondern auch für Europa. Siehe Norwegen.
Ich versuche das mal zu entwirren: 1. Sperl erhebt den Vorwurf, daß Holmes und Breivik “von der Gesellschaft”, in der sie “gelebt” haben, “isoliert” werden, ohne daß deren Mitverantwortung betrachtet werde. 2. Sperl erhebt den Vorwurf, daß moslemische Terroristen nicht von der Gesellschaft, in der sie gelebt haben, isoliert werden und deren Mitverantwortung behauptet werde. Ha.
Wie rollt man so einen heillosen clusterfuck auf? Kann es sein, daß es “den Journalisten” angesichts von islamischen Terroristen weniger aus Rassismus oder ähnlichen Vorurteilen nicht “in den Sinn” kommt, von klinischer Pathologie zu sprechen, weil diese in der Regel einen klar definierten politischen und ideologischen Hintergrund haben, vor allem aber die Täter selten als Einzelgänger handeln, sondern in der Regel im Verbund mit weitläufigen terroristischen Netzwerken?
Kann es sein, daß es hier einen deutlich auffallenden Unterschied zwischen islamischen Terroristen und “einsamen Wölfen” aus der amerikanischen Killerfolklore wie Charles Whitman, George Sordini, Cheung Hu-Cho und eben James Holmes gibt, die völlig auf eigene Faust und ohne jegliche politische Motivation agierten?
Gibt es außerdem keine gravierenden Unterschiede zwischen dem sichtlich verwirrten und sprachlosen Holmes und dem hochartikulierten, hochideologisierten Breivik, der seine Gerichtsverhandlung bewußt als Bühne für seine “Message” und narzißtische Selbstinszenierung nutzte? Zwischen Holmes, der seine Opfer nach dem Zufallsprinzip wählte, und Breivik, der eine ganz bestimmte politische Zielgruppe attackierte?
Und vor allem: es ist keineswegs so, daß “die Journalisten” beflissen gewesen wären, Holmes oder Breivik allzu rasch in die Gummizelle zu winken. Eine solche Geschichte muß man melken, soviel es eben geht. Jim Goad bemerkte, daß seit dem Massaker in Denver ganz Amerika auf den den Beinen sei, um krampfhaft einen Schuldigen zu finden – wie schon im Fall Jared Loughner vor einem Jahr. Dabei gab es schier nichts, was bisher nicht genannt wurde: Actionfilme, Waffenlobbies, Waffengesetze, Anti-Staatsparanoia, “Hate Speech”, die Tea Party, die Occupy-Bewegung, der Kapitalismus, das Christentum, der Haß auf “judäo-christliche Überzeugungen” und so weiter und so fort. Goad dazu trocken:
They’ve obviously ruled out the shooter.
Der unendlich komplexere Fall Breivik wurde nun in der Tat “von der Gesellschaft, in der er gelebt hat” isoliert – aber einem ganz anderen Sinne, als sich Sperl das wohl vorstellt. Denn Breivik lebte in einer “Gesellschaft” die von einer linken, politisch-korrekten Politik gesteuert wird, deren Ideologie nahezu uneingeschränkt die Massen- und Mainstreammedien, Universitäten und den öffentlichen Raum beherrscht. Man hatte allerdings auch rasch ein “enges und weiteres Umfeld” gefunden, das man nun nach Herzenlust beschuldigen und diffamieren konnte: die “Counterjihad”-Bewegung und allgemein die multikulturalismus- und islamkritische Rechte.
Dieser saftigen politischen Chance stand eine psychiatrische Diagnose Breiviks eher im Weg (auch wenn sie dialektisch insofern versatil ist, als mit ihr die gesamte “Counterjihad”-Bewegung als Fall für die Klapsmühle dargestellt werden kann). In der Tat bleibt die Frage, ob Breivik pathologisch oder nicht, zurechnungsfähig oder nicht ist, weiterhin umstritten. Bis dato gab es mehrere widersprechende Gutachten. Der aktuelle Stand entspricht meinem eigenen Urteil von Anfang an: daß er “an einer Persönlichkeitsstörung leide, aber zurechnungsfähig sei” (Wikipedia).
Linke entlasten gerne andere Linke, Moslems und Einwanderer, indem sie Tatbestände “isolieren” und den Blick auf das bloß Individuelle lenken. Das ist aber bloß eine Frage der taktischen Perspektive. Gegenüber der Seite, die sie angreifen und bekämpfen wollen, sind sie bekanntlich nicht gerade zögerlich, sofort die weitgefaßtesten “Mitschuld”-Klammern aufzumachen und die wildesten Anklagen zu erheben. Davon abgesehen tendieren sie aufgrund ihrer Ideologie generell dazu, “die Gesellschaft” (und damit ist immer ihre eigene gemeint) für kriminelle Untaten verantwortlich zu machen, während Rechte oder Konservative eher dazu neigen, die Eigenverantwortlichkeit des Individuums zu betonen.
Daß aber gerade bei dem Auftauchen von pathologischen Massenmördern und Terroristen, die ja in der Regel nach einem öffentlichen Effekt gieren, beide Faktoren, das Individuum und die Gesellschaft, in der es lebt, eine Rolle spielen, sollte allerdings jedem über die Schlagzeilen hinausdenkenden Menschen klar sein. Terrorismus und Amoklauf sind gewiß ernste gesellschaftliche Krisensymptome. Von links her sind sie allerdings nur sehr eingeschränkt in den Griff zu kriegen.
Meinungsmacher wie Sperl erinnern mich immer wieder daran, daß es heute die ehrenvollste Aufgabe der Nicht-Linken ist, dicke Bretter zu bohren, die Stränge des Knäuels zu sortieren und präzise Differenzierungen vorzunehmen. Und ich meine, daß die momentan beste und vielschichtigste Auseinandersetzung mit diesen Dingen in meinem Bonus-Essay zu dieser Anthologie der Edition Antaios zu finden ist.