Milieu nennen könnte, miteinander ins Gespräch zu bringen. Islamkritiker und Neue Rechte, um nur diese beiden Fraktionen zu nennen, sind nun einmal in unterschiedlichen Gedankenwelten zuhause.
Es konnte nicht – und sollte auch gar nicht – ausbleiben, daß bei einer solchen Gelegenheit gegensätzliche Standpunkte aufeinanderprallen, daß auch sichtbar wird, wie unterschiedlich die Sprachen sind, die beiderseits gesprochen werden. Das muß kein Schaden sein; die Klärung der Standorte ist vielmehr die Voraussetzung dafür, sinnvoll miteinander kommunizieren zu können.
Der Disput zwischen Karlheinz Weißmann und Michael Stürzenberger über die Frage, ob der Islam unser Feind ist, war insofern ein guter Anfang und hat die Verschiedenheit der Ausgangspositionen deutlich gemacht: Während Weißmann den Konflikt zwischen den Völkern Europas und den Einwanderern, nicht nur Muslimen, die in Massen nach Europa drängen, vor allem als ethnischen Konflikt deutet, bei dem es aus der Sicht der Einheimischen um die Wahrung der eigenen Identität als Volk geht, sieht Stürzenberger vor allem den Konflikt zweier Ideologien: hier der liberalen westlichen Werte, dort einer totalitären Gewaltideologie, die bereits die Muslime selber unterworfen habe, und von der man sie befreien müsse, und zwar sowohl hier als auch in ihren Herkunftsländern. Diese Ideologie, so Stürzenberger, sei das Haupt-Integrationshindernis; würden die Muslime ihr abschwören, so stünde ihrer Integration in westliche Gesellschaften, einschließlich der deutschen, nichts im Wege.
Martin Lichtmesz hat Stürzenbergers liberale Position einer messerscharfen Kritik unterzogen, deren pointierte Formulierungen wiederum Stürzenberger derart verärgert haben, daß er in seiner Replik völlig übers Ziel hinausgeschossen ist und Lichtmesz Neigung zu nationalsozialistischem Gedankengut unterstellt hat. Es ist aber nicht nur Verärgerung, die darin zum Ausdruck kommt, sondern vor allem Unverständnis: Vom Standpunkt einer liberalen Ideologie, wie Stürzenberger sie vertritt, ist eine konservativ-antiglobalistische Position ohne einige theoretische Zwischenschritte schlechterdings unbegreiflich. Vielleicht hat Martin Lichtmesz unterschätzt, wie wenig seine Sprache bereits von Rechtsliberalen verstanden wird, die sich selbst keineswegs als Teil des Mainstreams verstehen.
Da ich auf meinem langen Weg von links nach rechts auch eine ganze Weile bei der rechtsliberal-prowestlichen Position von Stürzenberger und PI Station gemacht habe, bevor ich auch aus deren Inkonsistenz (wie vorher aus der der Linken) Konsequenzen ziehen mußte, ist mir die Sprache der liberalen Islamkritik und die der antiglobalistischen Rechten gleichermaßen vertraut. Ich versuche mich daher als Dolmetscher:
Stürzenberger hat in der Debatte mit Weißmann zu Recht die Gewalttätigkeit der islamischen Ideologie als auch des als Vorbild verehrten Propheten Mohammed hervorgehoben. Er hat – ebenso zu Recht – eine Parallele zwischen dieser Ideologie und dem beobachtbaren Verhalten von Muslimen aufgezeigt, sich dafür aber sowohl von Weißmann als auch von Lichtmesz den Vorwurf unhistorischer Argumentation zugezogen. Ein Aspekt, den bemerkenswerterweise sowohl Stürzenberger als auch Weißmann in ihrer Debatte übersehen haben, ist aber, daß das islamische Wertesystem weniger als bewußt bejahte Ideologie, sondern als ein System von kulturellen Selbstverständlichkeiten in den Köpfen von Muslimen existiert: Das islamische Wertesystem verinnerlicht man durch Sozialisation, nicht durch Koranlektüre; es besteht, wie das Wertesystem anderer Kulturen auch, aus tausenden von zumeist ungeschriebenen Regeln und Wertvorstellungen, die einer Gesellschaft erst ermöglichen zu funktionieren. Bewußt bejahte politische Ideologien machen nur einen winzigen Bruchteil dieser Systeme aus.
Der Vorwurf unhistorischer Argumentation ist daher in der Sache falsch: Eine Ideologie, die vierzehn Jahrhunderte lang gelebte Wirklichkeit gewesen ist, ist bereits dadurch ein historisches Phänomen, und es ist keineswegs unhistorisch, diese Ideologie als Wurzel des Verhaltens ihrer Anhänger dingfest zu machen.
Hätte Stürzenberger diesen notwendigen Zwischenschritt getan, so hätte er zwar diesen Vorwurf zurückweisen können; er wäre dann aber schwerlich zu seiner eigenen Schlußfolgerung gekommen, die Islamisierung Europas dadurch aufzuhalten, daß er die Muslime vom Islam befreit, sie also – mit welchen Mitteln auch immer – zwingt, dieser Religion, zumindest aber ihren illiberalen, gewalttätigen und totalitären Aspekten abzuschwören. Er hätte die Möglichkeit ins Auge fassen müssen, daß eine solche Massenkonversion objektiv unmöglich ist, weil sie für jeden Einzelnen eine so grundlegende und bis ins innerste Selbst gehende Umkehr und Besinnung erfordern würde, daß sie zwar Einzelnen möglich ist, aber nicht großen Massen von Muslimen. Sich neu zu erfinden, ist schmerzhaft.
Einige Beispiele:
+ Für das Christentum gilt Selbstkritik als Tugend (“Richtet nicht…”, “Was siehst du den Splitter im Auge deines Bruders…”), weswegen selbst militante linke Atheisten Kritik am Islam dadurch zurückweisen, daß sie auf die scheinbar fragwürdigen Seiten der christlichen Religion, also der des eigenen Kulturkreises verweisen. Sie sind sich offenbar aufrichtig nicht der Ironie bewußt, die darin liegt, daß sie das Christentum unter Rückgriff auf eine Argumentationsfigur kritisieren, die ihnen gar nicht in den Sinn käme, wenn sie nicht in eine christlich geprägte Gesellschaft hinein sozialisiert worden wären. Kann man sich vorstellen, daß Muslime eine solche Ethik übernehmen und verinnerlichen, nur weil sie dem Islam abschwören und sich zum Grundgesetz bekennen?
+ Gewalt gilt im Islam als prestigeträchtig, nicht nur (aber auch) weil sie vom Propheten praktiziert wurde. Eine abstrakte Ächtung von Gewalt kennt der Islam nicht, kann er auch nicht kennen, weil er unter anderem ein Rechtssystem ist, das regelt, wer gegen wen unter welchen Voraussetzungen Gewalt anwenden darf und dieses Recht nicht dem Staat vorbehält. Würde sich am Sozialprestige von Gewalt irgendetwas ändern, wenn jemand vom Islam abfällt?
+ Für Muslime gilt das Verbot, sich mit “Ungläubigen” verbrüdern, was unter anderem bedeutet, daß es als zutiefst unsittlich angesehen wird, sich einem nichtmuslimischen Volk anzuschließen. Würde sich an dieser Einstellung etwas ändern, wenn sie dem Islam abschwören? Nach bisherigen Erfahrungen eher nicht: Selbst militante und engagierte türkischstämmige Islamkritiker wie Seyran Ates sträuben sich dagegen, sich als Deutsche zu sehen. Wenn aber selbst solche Menschen es nicht fertigbringen, sich einfach “Deutsche” zu nennen: wer dann?
Gerade dieser letzte Punkt führt uns zum Kern dessen, was ich die innere Inkonsistenz liberaler Ideologie genannt habe: Für Stürzenberger, so jedenfalls verstehe ich ihn, ist das Grundgesetz in einer Weise identitätsprägend und so maßgeblich für das, was man als “deutsch” zu verstehen hat, daß allein die Bejahung des Grundgesetzes, sofern sie aufrichtig ist, einen Muslim (oder welchen Einwanderer auch immer) dazu qualifiziert, Deutscher zu werden und als solcher angesehen zu werden. Unwillkürlich stutzt man: Wenn nämlich das Grundgesetz und die Loyalität dazu definiert, was deutsch ist, heißt das dann, daß ein Deutscher, der das Grundgesetz ablehnt, dadurch aufhört, Deutscher zu sein? Wird ein Deutscher, der sich in Warschau niederläßt und sich zu polnischen Verfassung bekennt, dadurch automatisch Pole?
Die Inkonsistenz besteht darin, eine Verfassung, also ein System von Rechtsprinzipien, das naturgemäß auf andere Länder übertragbar ist, zur Definition einer Identität heranzuziehen, also von etwas, das definitionsgemäß nicht übertragbar ist.
Ein Bekenntnis zum Grundgesetz impliziert ein Bekenntnis zur Demokratie. Dieses wiederum impliziert aber zwangsläufig das Bekenntnis zu dem Demos (dem Volk), um dessen Verfaßtheit es geht, oder es ist bedeutungsloses Gerede. Demokratie ist kollektive Selbstbestimmung und setzt ein Kollektiv voraus, das als Bezugspunkt politischer Solidarität seiner Angehörigen gilt. Demokratie und Nationalstaat sind daher nicht nur historisch, sondern vor allem logisch Zwillinge. Demokratie ohne Nationalstaat kann es nicht geben. Wer Einwanderern das Bekenntnis nur zum Grundgesetz abverlangt, aber nicht zum deutschen Volk, wird am Ende (bestenfalls, wenn überhaupt) mit einer “Demokratie” wie im Libanon dastehen, wo “demokratische” Institutionen noch gut genug zum Management ethnischer Konflikte sind, aber keinesfalls zur Verwirklichung eines Volkswillens, einfach deshalb, weil es so etwas wie ein Volk dort nicht gibt, höchstens Völker, die zusammengepfercht sind.
Solche geteilten Loyalitäten sind nicht etwa ein theoretisches Problem: Ein türkischstämmiger deutscher Staatsbürger, der sich für den Fortgang von Masseneinwanderung aus der Türkei einsetzt, hat dabei offenkundig nicht die Interessen des deutschen Volkes im Auge, sondern ethnische Partikularinteressen, die er vielleicht ideologisch verbrämt, die aber als solche deutlich erkennbar sind, und deren Verwirklichung unser Land ruiniert; ein etwaiges Bekenntnis zum Grundgesetz ändert an diesem Sachverhalt auch dann nichts, wenn es aufrichtig gemeint ist.
Es gibt nun einmal Dimensionen der menschlichen Existenz, die der Willensentscheidung des Einzelnen weitgehend entzogen sind, und dazu gehören die in der kindlichen Sozialisation verinnerlichten Wertmuster, einschließlich des Gefühls von Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit, von vorhandenen oder nicht vorhandenen Solidaritätspflichten, von Vorstellungen über Recht und Unrecht, wahr und unwahr, legitim und illegitim. Mit dieser Feststellung stellt man freilich zugleich ein Axiom linker und liberaler Ideologie in Frage. Im Kern würde deren Kritik an der hier entwickelten Position lauten, damit würde die Selbstbestimmung des Menschen in Frage gestellt. Frei und selbstbestimmt, dies ist der Kern, zumindest aber der logische Fluchtpunkt des Gegenarguments, sei der Mensch nur dann, wenn er frei nicht nur über das verfügen könne, was er tut, sondern auch über das, was er ist. Wenn ein solches selbstbestimmtes Identitätsmanagement aber, wie wir Konservativen behaupten, objektiv eine Unmöglichkeit ist, dann kann die “Befreiung” von gewachsenen sozialen Kollektividentitäten nicht zu mehr Selbstbestimmung führen. Der Mensch, der von solchen Bindungen, und seien es die an den Islam, “befreit” wird, ist nicht einer, der frei über sich selbst verfügt, sondern einer, über den frei verfügt wird!
Wenn die Bindungen, die soziale Solidarität ermöglichen, zerstört werden, steht der Einzelne als atomisiertes Individuum Kräften gegenüber, die naturgemäß stärker sind als er, und gegen die er sich nicht wehren kann. Und wenn das Normen- und Wertesystem einer Gesellschaft zerstört wird, dann treten an die Stelle der zerstörten nicht etwa “westliche” Werte, sondern überhaupt keine.
Dies ist der Grund, warum wir es vehement ablehnen, den Islam in seinen Stammländern als Basis der gesellschaftlichen Ordnung zu zerstören und die Muslime dort mit westlichen Werten zwangszubeglücken (ebenso wie wir es ablehnen, uns in unserem eigenen Land von Muslimen zwangsbereichern zu lassen). Der Islam ist vor allem eine Gesellschaftsordnung, und er ist wie jede über lange Zeiträume funktionierende Gesellschaftsordnung eine von vielen möglichen Antworten auf die Frage, wie Menschen es schaffen, geordnet zusammenzuleben. Die Antwort unterscheidet sich von unserer, aber eine evolutionär bewährte Antwort ist sie trotzdem, und sie kann nicht willkürlich durch eine andere ersetzt werden: Dazu sind solche Systeme viel zu komplex und zu vielschichtig und brauchen zu viel Zeit zum Wachsen. Wenn Muslime überall dort, wo sie wählen dürfen, ausgerechnet die Islamisten wählen, hat dies weniger mit Fanatismus zu tun als mit dem Wunsch, die normativen Grundlagen ihrer gesellschaftlichen Ordnung zu festigen, und wer ihnen dies austreiben will, wird es kaum anders tun können als mit brutaler Gewalt.
Vor neunzig Jahren konnte Kemal Atatürk noch sagen, es gebe überhaupt nur eine Zivilisation, nämlich die westliche, und der Islam sei ein stinkender Leichnam. Heute könnte kein türkischer Politiker, und wäre er noch so kemalistisch, irgendetwas in dieser Art äußern; nicht nur, weil er damit sein Leben riskieren, sondern vor allem, weil niemand es verstehen würde.
Wenn Muslime auch im Westen es ablehnen, sich zu integrieren, dann hat dies zwar auch, aber beileibe nicht nur mit dem Islam zu tun: Muslimische Völker haben jahrhundertelange Erfahrung darin, Schwächen bei nichtmuslimischen zu wittern und auszunutzen. Was sie von der Integration abhält, ist der nur zu berechtigte Eindruck, damit ein sinkendes Schiff zu betreten. Die Muslime haben doch Augen im Kopf: Sie sehen, daß das deutsche Volk altert und schrumpft; daß wir uns einen Sport daraus machen, uns in Gesten der Selbstverachtung zu überbieten; daß die Familien zunehmend instabil werden – die Scheidungsstatistiken sprechen eine deutliche Sprache. Warum sollten sie sich auf einen schmerzhaften Prozeß der Assimilation einlassen, wo sie doch wissen, daß sie nur lange genug zu warten brauchen, um selbst diejenigen zu sein, die die Spielregeln diktieren, und dann uns zur Assimilation zu zwingen? Weil wir ihnen sagen, wie schlimm der Islam ist? Selbst wenn sie das glauben würden – was sie selbstredend nicht tun werden: Es würde sie nicht interessieren.
Was den Völkern Europas fehlt – und zwar so offensichtlich fehlt, daß es auf der Gegenseite buchstäblich jedes Kind weiß – ist der Wille zur Selbstbehauptung. Selbstbehauptungswille hat aber mit dem Bekenntnis zu “westlichen Werten” oder zum Grundgesetz allenfalls insofern zu tun, als solche Bekenntnisse den Willen zum Ausdruck bringen, im eigenen Land die Spielregeln zu bestimmen. Wer Muslime zur Assimilation zwingen will, wird dies nicht dadurch erreichen, daß er ihnen irgendwelche Bekenntnisse abnötigt, sondern allein dadurch, daß er ihnen unmißverständlich klarmacht, daß sie niemals die Spielregeln in unserem Land bestimmen werden, weil wir uns von ihnen nicht in die Minderheit drängen lassen. Das bedeutet Einwanderungsstop, drastische Erhöhung der eigenen Geburtenrate und das Bekenntnis zur Selbstbehauptung als Volk.
Wer das nicht will, wird die Islamisierung nicht bekämpfen können; wer sie bekämpfen will, muß im Gegenzug fragen, warum Masseneinwanderung stattfindet, warum die Geburtenraten weit unter dem Bestandserhaltungsniveau liegen, und warum es um den Überlebenswillen des eigenen Volkes so schlecht bestellt ist. Er darf nicht vor der Frage nach Verantwortlichen zurückschrecken; erst recht darf er nicht zögern, heilige Kühe zu schlachten. Wie ich es vor einem Jahr auf PI in meinem Essay “Liberale und konservative Islamkritik” geschrieben habe:
Transzendenz, der Zusammenhang, der über die Existenz des einzelnen Menschen hinausgeht, hat viele Facetten: als Generationenzusammenhang, den man mit den eigenen Kindern fortsetzt, als Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, die durch ein Volk oder eine Religion gestiftet sein kann, oder durch beides, als Bewusstsein der Verantwortung vor Gott. Man wird schwerlich behaupten können, dass diese Zusammenhänge noch die Lebensauffassung unserer Gesellschaft prägten. Die maßgeblichen politischen Ideologien, und hier gerade der Liberalismus mit seinem Denken vom Individuum und seinen Freiheitsansprüchen her, kann solche Transzendenz nicht begründen und wird dazu tendieren, ihre Erscheinungsformen zu bekämpfen.
Eine Gesellschaft, die Kinderkriegen nicht mehr als natürliche Bestimmung des Menschen ansieht, sondern als bloß ein mögliches „Lebensmodell“ unter vielen; die Abtreibung für ein Menschenrecht hält; die wechselnde Lebenspartnerschaften und demgemäß Patchworkfamilien für völlig normal hält; die Homosexualität nicht nur duldet, sondern geradezu propagiert; die Frauen für „unterdrückt“ hält, wenn sie nicht Karriere machen; kurz und gut: die die Frage, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit ein Volk als Solidargemeinschaft überhaupt überleben kann, und die jede Pflicht und jede Bindung zugunsten der individuellen Selbstverwirklichung hintanstellt und jeden verteufelt, der es anders sieht: Eine solche Gesellschaft hat schon aus demographischen Gründen keine Überlebenschance.
Wer den Islam hauptsächlich deshalb kritisiert, weil Muslime das alles ablehnen und selbst nicht praktizieren, kann ihn kritisieren, solange er will – nein, nicht solange er will: Er kann ihn genau so lange kritisieren, bis die Moslems zahlenmäßig stark genug sind, ihm das Maul zu stopfen.
Die Haltung, die hinter der liberalen Islamkritik steht, lautet letztlich, den westlichen Liberalismus für das Nonplusultra der Geschichte zu halten und dabei nicht nur die vielen Menetekel zu übersehen, mit denen die Wand geradezu übersät ist, sondern an die liberalen Werte mit einer Inbrunst zu glauben, die diese Werte spätestens dann ad absurdum führt, wenn in ihrem Namen gebombt und gemordet wird, und dies geschieht spätestens dann, wenn man den Liberalismus so weit auf die Spitze treibt, daß man in seinem Namen traditionelle und naturgemäß nichtwestliche, nichtliberale Ordnungen, Strukturen und Loyalitäten gewaltsam zerstören zu dürfen glaubt, d.h. wenn man ihn zur Religion erhebt, die neben sich nichts duldet.
Dieser Glaube war die ideologische Basis für den dreißigjährigen Krieg, der nach Winston Churchills zutreffenden Worten von 1914 bis 1945 gegen Deutschland geführt wurde, der also nichts mit irgendwelchen Verbrechen der Nationalsozialisten zu tun hatte, und der schon lange vor Hitler, nämlich im Ersten Weltkrieg, mit den brutalstmöglichen Mitteln, einschließlich der systematischen Aushungerung der deutschen Zivilbevölkerung, geführt wurde; noch nach dem Waffenstillstand von 1918 wurde er fortgeführt und kostete eine Million deutscher Zivilisten das Leben. Man muß weiß Gott kein Rechtsradikaler und auch nicht, wie Stürzenberger meint, ein Amerikahasser sein, um Ländern und Ideologien, durch die und in deren Dienst mutwillig Kriegsverbrechen dieses Ausmaßes gegen das eigene Volk – aber fürwahr nicht nur gegen dieses! – begangen wurden, mit einer gewissen Reserve gegenüberzustehen.
Was wir am Liberalismus kritisieren, ist sein Denken in abstrakten und universalistischen Postulaten; ein Denken, das schon deshalb unangemessen sein muß, weil die Wirklichkeit stets konkret, niemals universalistisch und niemals ein Postulat ist. Der Versuch, die soziale Wirklichkeit solchen Postulaten anzupassen, wird immer darauf hinauslaufen, Menschen umzuerziehen und ihre Gedanken und Gefühle zu kontrollieren. Was wir am Liberalismus kritisieren ist mithin, daß er nicht liberal ist, sondern in dem Maße, wie er den Boden der Realität verläßt, zur utopistischen Heilslehre verkommt, die mindestens potenziell genauso totalitär ist wie ihr marxistischer Kontrahent.
Ernstfall
MKH hat den mutmaßlichen Standpunkt von PI bzw. die Gedanken dahinter besser formuliert als PI selbst.
Wenn man die Diskussion von der Verkürzung auf den Text des Korans auf die Identitätsfrage verlagert, stellt sich allerdings die Frage, ob das Grundgesetz, das Stürzenberger dem Koran gegenüberstellt, wirklich die eigene (deutsche) Gegenidentität zu islamischer Identität verkörpert, oder ob die Berufung darauf nicht ebenso ein Lückenbüßer ist wie die Berufung auf eine "proamerikanische" und "proisraelische" Positionierung.
Auch wenn bei PI die kulturelle Inkompatibilität islamischer Identitätskonzepte erkannt wird, bleibt man dort häufig an diesem Punkt stehen und stellt nicht die notwendige Folgefrage, was denn die deutsche Identität ist, zu der der Islam inkompatibel ist, und auf deren Grundlage man sich gegen den Islam oder andere Herausforderungen behaupten könnte.
Das Umfeld von PI hat aber immerhin den ersten Schritt getan, und man sollte darauf nicht mit Abgrenzung und Verurteilung oder gar Herablassung reagieren, sondern mit dem Aufruf, auch den zweiten Schritt zu tun und den ganzen Weg zu gehen.