Mir hat der Auftritt Stürzenbergers vor allem einen Erkenntnisgewinn über den bestürzenden geistigen Zustand mancher Teile der “Islamkritik” gebracht. Er hat sich mit Leidenschaft auf ein Spezialgebiet eingeschossen, das er in einer zum Teil grell verzerrten Weise präsentiert, die mich an Kurt Hillers Bonmot von der “Vorspiegelung wahrer Tatsachen” erinnern läßt.
Eine Teilwahrheit wird hier mit lautem Getöse zum Horrorpopanz aufgeblasen, der den Blick auf eine Lageanalyse eher verstellt als freimacht. Am Ende bleibt eine grell bestrahlte All-Gemeinheit, ein graustufenloses, manichäisches Bild übrig, das, wie Weißmann zu recht kritisierte, sowohl ahistorisch als auch im Grunde unpolitisch ist, denn es verhindert konkrete Feindbestimmungen zugunsten von abstrakten. Dazu bedarf es aber einer Karte, die die Gesamtheit der “islamischen Welt” nicht Schwarz in Schwarz zeichnet, und ihr eine Geschlossenheit und Einheit des Willens unterstellt, die sie faktisch nicht besitzt.
Stürzenberger erzählte, daß ihn der Schock über 9/11 auf die Frage gebracht habe, wie es käme, daß Menschen so etwas Böses tun können, und die Antwort fand er schließlich im Koran, der für ihn auf einer Stufe mit “Mein Kampf” steht . Das war es also! Ein böses Buch ist an allem schuld! Diese Leute lesen einfach die falsche Literatur und gucken die falschen Fernsehprogramme! Es ist im Grunde nicht mehr als die alte George‑W.-Bush-Nummer: “Sie sind böse und sie hassen unsere Freiheit!” Man muß nicht weiter ausführen, wie dürftig eine solche Erklärung ist, selbst wenn man immer noch an der “offiziellen” Darstellung der Vorgänge vom 11. September 2001 festhält.
Den Koran und den Islam zeichnete er als einen wahren Welt- und Menschheitsfeind, als Quelle des “odium generis humani” (Haß auf das Menschengeschlecht), wie er in der Antike den Christen und Juden vorgeworfen wurde. Stürzenberger verstieg sich schließlich bis zur Forderung, man müsse die Menschen in der muslimischen Welt von ihrer giftigen Ideologie “befreien”, die sie im Würgegriff habe und so böse mache, obwohl doch auch sie gute Menschen und Demokraten sein könnten. Das wären dann ca. 1,6 Milliarden Menschen, gegen die man dann einen globalen Mega-Kreuzzug (aka “Krieg”) für “Demokratie und Menschenrechte” führen müßte, um sie zu zwangsbefreien und zu kleinen glücklichen Quasi-Amerikanern zu machen. (Nebenbei können wir auch gleich unser Öl unter ihrem Sand mitbefreien.) Hier wird kein Unterschied mehr gemacht zwischen dem Moslem in Neukölln, dem Moslem in Marseille, dem Moslem in Afghanistan und dem Moslem im Iran, von tausend anderen Unterschieden ganz zu schweigen. Das ist Neocon-Ideologie in ihrer vulgärsten Form, und wer seinen Carl Schmitt gelesen hat, weiß, was für fatale Konsequenzen eine solche Denke hat.
“Ich habe nicht das Bedürfnis, andere Menschen von ihrer Kultur zu befreien”, konterte Weißmann trocken. Er schmunzelte auch sichtlich, als Stürzenberger wie zu erwarten die dicke Bertha auspackte, und den Islam – Argument aller Argumente! – als “Faschismus” brandmarkte, also als das in der liberalen Diktion ultimativ Böse und Verwerfliche, das man ebenso radikal und unnachgiebig bekämpfen müsse wie einst den Nationalsozialismus.
Hier spricht der Prototyp des naiven, affektiven Umerziehungsdeutschen, der zeigen will, daß er der Klassenbesteste ist: wie er in der Schule gelernt hat, entstammt ja auch er einem Barbarenvolk, das erst durch die humanistische Intervention der Angloamerikaner ins Freiheitsparadies von Demokratie und Grundgesetz gebombt werden mußte. Nun ist der deutsche Neger ewig dankbar und stolz darauf, einen Zylinder und einen goldenen Nasenring tragen zu dürfen.
Gemäß dieser Vorstellungswelt müßte man nicht nur mit den Moslems in Deutschland, sondern auch noch mit den restlichen eineinhalb Milliarden auf der ganzen Welt so verfahren, wie Uncle Sam in dieser Karikatur von Dr. Seuss mit den Deutschen (Nachtrag Jan. 2013: Offenbar ist der Kontext dieses Cartoons doch ein anderer, als ich dachte.)
Und was in Dresden und Hiroshima so gut funktioniert hat, kann doch nur ein Klacks sein für Obamas Drohnen in Afghanistan, Libyen, Syrien, Irak oder wo sonst noch das ultimative Böse zuhause sein mag. Oder?
Weißmann bestritt nun keineswegs, daß dem Islam grundsätzlich eine immense Aggressivität innewohne, die sich jahrhundertelang gegen Europa richtete und daß der Kontinent mitten auf dem Weg sei, rapide in eine explosive demographische Lage hineinzuschlittern, was indessen auch der Fall wäre, wenn die Einwanderermassen keine Moslems wären, denn wesentlich seien am Ende die ethnischen Bruchlinien.
Aber das genügte Stürzenberger nicht. Einmal in Rage geredet, stürzte er sich wie ein Besessener auf einzelne Zuhörer Publikum, hinter deren Lächeln er gutmenschliche Verharmloser und nichtsahnende Kaulquappen vermutete, denen er das Schafsgrinsen aus dem Gesicht wischen müsse wie ein zorniger Prophet aus dem Alten Testament. Und jeder, der seiner grellen Polemik nicht 120% folgt, wird unter Verdacht gestellt, daß er immer noch die Gefahr aus dem Orient fahrlässig unterschätze.
Daß er aber vielleicht auf Leute, die über diese Art von Agitation hinausdenken können und wollen, etwas lächerlich wirkt, kommt ihm wohl nicht in den Sinn. Stattdessen gab er routinemäßig dem Affen Zucker, spielte in einer Endlosschleife die 1001 Evergreens von den moslemischen Gräueltaten ab, häufte crowd-pleaser auf crowd-pleaser. Der Gipfel der Absurdität war wohl erreicht, als er forderte, im Anschluß an die Diskussion ohne irgendeinen erkennbaren Sinn oder Anlaß den berüchtigten “Mohammed-Film” zu zeigen, den er auch noch allen Ernstes als “Dokumentarfilm” bezeichnete. Da konnte man sich nur mehr auf den Kopf klatschen.
Das eigentliche Ärgernis war aber Stürzenbergers krasse Blindheit gegenüber den Destruktionen der im Westen herrschenden Ideologie, verbunden mit einer entsprechend überproportionalen Dämonisierung des Islams. Dieser sei “Gift” und “Gehirnwäsche” für die Völker, aber mit Verlaub kenne ich da noch wesentliche schlimmere Gifte und Gehirnwäschen, die uns unmittelbarer betreffen und bedrohen, ja vernichten. “Am Liberalismus gehen die Völker zugrunde”, formulierte schon Moeller van den Bruck, und das ist heute ganz evident und ganz konkret-biologisch der Fall.
Stürzenberger glaubt offenbar an “Grundgesetz” und “Demokratie” als die Non-plus-ultra der Achse des absolut Guten, ganz so, als würden wir in der schönsten und freiesten aller Welten leben, wenn es nur diese stinkigen, abgrundtief bösen, hochgefährlichen Moslems nicht gäbe. Wie viele Liberale seiner Art reitet er ganz oben auf dem Kopf der Scylla, die alles unter ihren Füßen zertrampelt und donnert von oben auf die Charybdis hinab: Seht ihr nicht das bärtige, kopftuchtragende, blutrünstige, menschenverachtende, faschistische, undemokratische, klitorisbeschneidende, kinderfickende Monstrum, wie häßlich es doch ist? Attacke!
Reden wir doch mal zur Abwechslung über die “Unschuld der Muslime”.
Die Moslems sind aber nicht schuld, daß Deutschland im Laufschritt auf seinen demographischen Tod zugeht. Die Moslems sind nicht schuld, daß seine sozialen Strukturen wie Familie und Ehe zerstört werden. Die Moslems sind nicht schuld,daß das Bildungssystem in einem Zustand einer beispiellosen Verrottung ist. Die Moslems sind nicht schuld, daß Deutschland seines geschichtlichen Bewußtseins beraubt wurde. Die Moslems sind nicht schuld, daß Deutschland keine nationale Souveränität mehr besitzt, zum Zahlsklaven der Finanzmärkte geworden ist, und sich im Maelstrom einer alles verschlingenden Weltwirtschaftskrise befindet. Die Moslems sind nicht schuld, daß die Deutschen ihre Seele, ihren Glauben und ihren Identität verloren haben.
Die Moslems haben nicht unintegrierbare, raumfremde Massen ins Land importiert. Die Moslems sind nicht schuld, daß es zunehmend in bürgerkriegsschwangere Fragmente zerlegt wird. Die Moslems sind nicht schuld, daß Deutschland von einer verräterischen, korrupten, gekauften Klasse regiert wird, die wider die Interessen des eigenen Staatvolkes handelt. Die Moslems sind nicht einmal schuld, das sie überhaupt hier sind. Wäre keine einzige Moslemsocke im Deutschland, es würde sich ebenso rasant abschaffen, wie es jetzt schon der Fall ist. Und all dies gilt mehr oder weniger für sämtliche Länder des “Westens”, inklusive den USA selbst. Leute wie Stürzenberger sind Care-Paket-Syndrom-Geschädigte, die immer noch nicht kapiert haben, daß “Invade them” und “Invite them” zwei Seiten ein- und derselben globalistischen Medaille sind.
Die “Islamisierung” ist nur die Sekundärinfektion eines Systems, das seine eigenen Grundlagen aushöhlt und zerstört. Berauscht vom Luxus seiner utopischen Ziele hat es vergessen, daß ein “Grundgesetz” allein kein fester Boden ist, daß niemand für rein funktional ausgelegte, abstrakte “Werte” (“Freiheit”, “Toleranz”, “Demokratie”) kämpft und stirbt, und daß die Daueremanzipation transzendenzloser Individuen nur geschichts- und gesichtslose Konsumamerikanoiden erzeugt. Und nicht anders ist es von jenen gewünscht, die heute die Regierungen der Welt kontrollieren und vor sich hertreiben.
Die liberalen Islamkritiker machen den Bock zum Gärtner. Wie in einem Agatha-Christie-Roman ist dann derjenige, mit dem man am wenigsten gerechnet hat, der Mörder. Genauso gut könnte Stürzenberger sagen: ich bin gegen Viren, aber für AIDS, laßt uns kämpfen für unser schönes AIDS! Es ist aber unser eigenes Immunsystem, auf das es in erster Linie ankommt, ankommen muß. Die manische Fixierung auf einen übermäßig dämonisierten Islam kann zu einem fatalen, einseitigen Abwehrmanöver werden, um den Balken im eigenen Auge nicht sehen zu müssen. Da können die “Islamkritiker” noch so dick auftragen, sich den Mund fusselig reden und auf die Tube drücken, um die Angst vor dem Islam zu schüren, es wird nichts fruchten, wenn dieser Balken nicht gesehen und gezogen wird.
Im Grunde rennen sie damit bei einem großen Teil der Deutschen ohnehin offene Türen ein. Diese neigen aber eher dazu, die Gefahr zu verdrängen, weil sie dumpf spüren, daß sie kaum mehr Abwehrkräfte besitzen. Tief innen fühlen sie sich entkernt, müde, unsicher in ihrem Sein und ihrr Identität, entmutigt, ihres Selbstbehauptungswillens beraubt, und all dies steht in einem tiefen Zusammenhang mit den von Stürzenberger propagierten liberalistischen “Werten”, seinen historischen Vorstellungen, und dem als Heilmittel und Basis angebotenem “Grundgesetz”-Patriotismus und ‑Fetischismus.
Es gibt einen anderen Grund als mangelnde Information, warum die Deutschen sich nicht wehren, warum sie nicht aufwachen wollen, warum sie wie betäubt blinzeln, warum sie die Lage verdrängen, warum sie zurückweichen. Sie sind durch ein anderes Gift gelähmt und umnebelt, das sie kaum mehr als solches wahrnehmen und begreifen können. Ein Symptom dafür ist auch die ortlose “Islamkritik” der Sorte Stürzenberger und anderer pi-Illuminaten, die sich auf Surrogat-Identitäten wie die liberalen Allgemeinheiten oder blindes USA- und Israel-Partisanentum zurückziehen. Right or wrong, their country!
Diese Szene hat einen Wert als mediales Gegengewicht und als Durchlauferhitzer, aber wer in der ewigen Aufgeilerei an anti-islamischen Schlagern und pro-islamischen Schlägern steckenbleibt, und nicht wagt, das ganze Bild zu betrachten, wird niemals politisch erwachsen werden, und im Stumpfsinn und der Ressentimentsauna stecken bleiben. Es wird dann zwar aufgestauter Dampf abgelassen und dabei laut getutet, aber das Reflexionsvermögen schrumpft gegen Null, und damit geht letztlich auch die eventuelle widerständige Energie, die hier entstehen mag, ins Leere.
Entscheidender für den Widerstandswillen und die Erkenntnisfähigkeit ist es aber, die Seele und den Boden des Eigenen zu finden. Erst wenn wir erkennen, daß wir als Deutsche, Europäer und Christen mehr sind als “Grundgesetz”, “Demokratie”, “Toleranz” und ähnliches Papier, das die Machtinteressen seiner Ausleger kaschiert, werden wir etwas finden, das wert ist, geliebt und verteidigt zu werden, und nur dadurch wird uns Kraft zuwachsen.
“.
Martin Lichtmesz
Die Diskussion bitte möglichst sachlich halten, die Polemik nicht ins Beleidigende gleiten lassen. Der SiN-Kommentargärtner herrscht mit strenger Hand!