Besetztes Gelände und Islamkritik

Die Kontroverse mit pi-news und seinen strammeren Aktivisten hat mir wieder einmal gezeigt, wieviel Schutt noch auf dem "besetzten Gelände" der deutschen Seele liegt.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

In einem 2010 erschie­ne­nen Kapla­ken­bänd­chen habe ich mich an einer Art Archäo­lo­gie der (Film-)Bilder ver­sucht, die den Blick auf unse­re Geschich­te und Iden­ti­tät prä­gen und zum Teil auch verstellen.

Wer eine sol­che Mis­si­on unter­nimmt, ist nicht nur Schutt‑, son­dern auch Minen­räu­mer. Eine sol­che Mine ist etwa die Nazi­keu­le, die immer dann hoch­geht, wenn die Fra­ge nach einer deut­schen Iden­ti­tät gestellt wird, die über post­na­tio­nal akzen­tu­ier­te Grund­ge­setz-Bekennt­nis­se und ähn­li­ches hin­aus­reicht. Je nach Gegen­über fällt die Ant­wort mal mehr, mal weni­ger elas­tisch oder dog­ma­tisch aus. Es besteht jedoch all­ge­mei­ne Einig­keit, daß man als Deut­scher um eine Aus­ein­an­der­set­zung mit der deut­schen Geschich­te des letz­ten Jahr­hun­derts nicht her­um­kommt. Mei­ne Zugangs­wei­se ist hier vor allem die eines Psy­cho­lo­gen der “See­len­ge­schich­te” der Deut­schen.

Aus die­ser Sicht ist der in der “islam­kri­ti­schen” Sze­ne ver­brei­te­te USA/Is­ra­el-Sur­ro­gat-Natio­na­lis­mus, der bezeich­nen­der­wei­se immer in die­ser kei­nes­wegs zwin­gen­den Kom­bi­na­ti­on auf­taucht, eher ein psy­cho­lo­gi­sches als ein poli­ti­sches Phä­no­men. Ähn­lich ist es ver­mut­lich um das “Feind­bild Mus­lim” bestellt, das über wei­te Stre­cken auch als Pro­jek­ti­ons­flä­che für unbe­wäl­tig­te eige­ne Befind­lich­kei­ten her­hal­ten muß.

Das ist beson­ders auf­fäl­lig in jener Rhe­to­rik, die den Koran mit “Mein Kampf” und den Islam mit “Faschis­mus” gleich­setzt, und damit nicht nur einen “abso­lu­ten” Feind mar­kiert, son­dern auch eine deut­sche Belas­tung aus der Ver­gan­gen­heit gleich einem schwar­zen Peter in die Gegen­wart ver­schiebt. Daß dies so lei­den­schaft­lich von Deut­schen betrie­ben wird, die gleich­zei­tig einen “demo­pho­ben” Hor­ror vor ihrem “Deutsch­sein” jen­seits von “Grund­ge­setz”, “Frei­heit” und “Ver­fas­sung” haben, soll­te auf­hor­chen las­sen. “Der KIi­ma­wan­del, das ist der NAZI”, hör­te ich ein­mal aus dem Mund eines beson­ders fana­ti­schen Öko-Akti­vis­ten. Das ist die Chif­fre, die heu­te über­all Gel­tung haben soll. “Der Islam” soll nun nach man­chen Islam­kri­ti­kern unser  aktu­el­ler “Nazi” sein, und damit hät­ten wir Deut­sche wohl die Chan­ce, end­lich wirk­lich zu den “good guys” auf­zu­schlie­ßen, indem wir den Faschis­mus “dies­mal” stoppen.

Das ist beson­ders frap­pant bei Micha­el Stür­zen­ber­ger: eben­so wie er von “Isla­mo­fa­schis­ten” redet, die welt­weit vom Griff ihrer “Gehirnwäsche”-Ideologie “befreit” wer­den müss­ten, spricht er von “Nazi-Deut­schen”, die von den US-Ame­ri­ka­ner glück­lich “befreit” wur­den – und zwar nicht nur vom “Faschis­mus”, son­dern, wie sei­ne reflex­ar­ti­ge Hand­ha­bung der Nazi­keu­le und ‑mine zeigt, wohl auch von ihrer deut­schen Iden­ti­tät über­haupt, die nur mehr in Form einer Art Wer­te­be­kennt­nis erlaubt ist. Aber selbst in sol­chen Affek­ten drückt sich das eher dumpf erahn­te als klar for­mu­lier­te Gefühl aus, daß ein “Grund­ge­setz” dazu da sein soll­te, das Eige­ne zu schüt­zen, und nicht, es auf­zu­lö­sen (zu wel­chem Zwe­cke es ja heu­te über­wie­gend aus­ge­legt wird).

Stür­zen­ber­ger erweckt mit sei­nen Atta­cken ger­ne den Ein­druck, isla­mi­sche Län­der per se wären voll mit gehirn­ge­wa­sche­nen, fühl­lo­sen Dschi­had-Robo­tern, die blind­lings die Anwei­sun­gen des Koran in ihrer zuge­spitz­tes­ten Aus­le­gung aus­füh­ren, und ihre Staa­ten alle­samt fins­te­re hyper­to­ta­li­tä­re Maschi­nen, die auf “den Wes­ten” und die Welt­erobe­rung zurol­len.  Das erin­nert frap­pant an das Bild, das die US-Pro­pa­gan­da im Zwei­ten Welt­krieg von Deutsch­land zeich­ne­te, beson­ders ein­drück­lich auf den Punkt gebracht in der Dis­ney-Pro­duk­ti­on “Edu­ca­ti­on for Death” (1943).

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Ein ähn­lich krass über­trie­be­nes Bild zeich­ne­te auch der zur Schu­lung von Besat­zungs­sol­da­ten pro­du­zier­te Film “Your Job in Ger­ma­ny” (USA 1946), geschrie­ben von dem deutsch­stäm­mi­gen Kin­der­buch­au­tor Theo­do­re “Dr.” Seuss, der auch für eini­ge beson­ders per­fi­de Pro­pa­g­an­dacar­toons ver­ant­wort­lich zeich­net – etwa den, der die Inter­nie­rung von US-Japa­nern in Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern rechtfertigt.

Die Deut­schen erschei­nen in die­sem Film als eine Ras­se von hoch­mü­ti­gen, unmensch­li­chen und gehirn­ge­wa­sche­nen Qua­si-Wer­wöl­fen, deren “Taq­qi­ya” man nicht ver­trau­en kön­ne, und denen man erst müh­sam “Demo­kra­tie” und Huma­ni­tät ein­klop­pen müs­se. Die an das deut­sche Publi­kum selbst gerich­te­ten “Re-Education”-Filme ver­zich­te­ten ver­ständ­li­cher­wei­se auf sol­che direk­ten Dif­fa­mie­run­gen und setz­ten statt­des­sen wie “Die Todes­müh­len” (1946) von Hanuš Bur­ger und Bil­ly Wil­der auf Schockeffekte.

Bei­de Ansät­ze waren Phä­no­me­ne der Über­gangs­zeit: die US-Sol­da­ten “fra­ter­ni­sier­ten” sich natür­lich schnell mit der deut­schen Bevöl­ke­rung, wäh­rend des hun­gern­de und erschöpf­te, vor der Auf­ga­be des Auf­baus ste­hen­de Nach­kriegs­pu­bli­kum für schlech­tes Gewis­sen wenig Zeit und Ener­gie hat­te. Sub­ku­tan hat sich das “Image”, das Fil­me die­ser Art und ihre Nach­fol­ger erzeug­ten, in gefil­ter­ter Form durch­ge­setzt. Heu­te ist es weit­ge­hend zum All­ge­mein­gut gewor­den, tief ein­ge­sun­ken in das kol­lek­ti­ve Bewußt­sein und Unter­be­wußt­sein der Deut­schen, und es beein­flußt in erheb­li­chem Maße sowohl die Rhe­to­rik der “poli­tisch Kor­rek­ten” als auch, wie der Typus Stür­zen­ber­ger zeigt, die Rhe­to­rik der (ver­meint­lich) “poli­tisch Inkorrekten”.

Die Lebens­wirk­lich­keit des Drit­ten Rei­ches hat­te nun natür­lich nur wenig Ähn­lich­keit mit “Edu­ca­ti­on for Death”.  Hans Die­ter Schä­fer hat die­ses Zerr­bild in sei­ner fun­da­men­ta­len Stu­die “Das gespal­te­ne Bewußt­sein” (1981) nach­hal­tig kor­ri­giert. Es sticht jeden­falls ins Auge, daß die unter Goeb­bels pro­du­zier­ten und weit­ge­hend ideo­lo­gie­frei gehal­te­nen Unter­hal­tungs­fil­me kei­nes­wegs “blon­de Bes­ti­en”, Par­tei­sol­da­ten, Sozi­al­dar­wi­nis­ten oder Wil­le-zur-Macht-Ras­sen­fa­na­ti­ker zeig­ten, son­dern nor­ma­le, fried­li­che, huma­ne All­tags­men­schen. Selbst wenn Wehr­macht­sol­da­ten die Haupt­rol­len spiel­ten wie in “Wunsch­kon­zert” (1940) und “Zwei in einer gro­ßen Stadt” (1941), waren sie alles ande­re als mar­tia­li­sche, blut­rüns­ti­ge Her­ren­men­schen. In die­sen Figu­ren erkann­ten sich die Deut­schen der NS-Ära wie­der, nicht in den Kli­schee­bil­dern der Pro­pa­gan­da der Kriegs­geg­ner, die sie abwech­selnd als unter­drück­te Opfer und als fana­ti­sche Befehls­au­to­ma­ten zeigte.

Im sel­ben Jahr wie “Edu­ca­ti­on for Death” pro­du­zier­te Samu­el Gold­wyn den pro-sowje­ti­schen Film “The North Star”, der Ruß­land als eine rus­ti­ka­le Idyl­le mit fröh­li­chen Bau­ern zeig­te, die aus hei­te­rem Him­mel von sadis­ti­schen Nazi-Inva­so­ren über­fal­len wer­den. Wäh­rend an der Ost­front unbe­schreib­li­che Mas­sa­ker ver­übt wur­den und die Ver­nich­tungs­la­ger im besetz­ten Polen auf Hoch­tou­ren lie­fen, sah das deut­sche Publi­kum Fil­me wie “Immensee” und “Münch­hau­sen”. Wäh­rend die Japa­ner in der Man­dschu­rei und ande­ren chi­ne­si­schen Gebie­ten grau­sam wüte­ten, um “Lebens­raum” zu schaf­fen, und von der ame­ri­ka­ni­schen Pro­pa­gan­da als mili­ta­ris­ti­sche Unter­men­schen dar­ge­stellt wur­den, dreh­ten Yasu­ji­ro Ozu und Mikio Naru­se ihre lie­bens­wür­di­gen Tra­gi­ko­mö­di­en über klein­bür­ger­li­che japa­ni­sche Fami­li­en. Mit­ten im fins­ters­ten sta­li­nis­ti­schen Ter­ror film­ten Boris Bar­net und Gri­go­ri Alek­san­d­row leicht­fü­ßi­ge Komö­di­en wie Am blau­en Meer (1936) und Wol­ga-Wol­ga (1938).

All die­se Fil­me spie­geln Berei­che der Lebens­wirk­lich­keit wie­der, die neben und mit den “Schin­der­hüt­ten” (Jün­ger) der poli­ti­schen Sys­te­me exis­tier­ten. Daß das mög­lich ist, ist eben Teil der con­di­tio huma­na, und dar­an soll­te man immer den­ken, bevor man wie­der ein­mal meint, das abso­lut Böse loka­li­siert zu haben.

Nicht direkt ver­gleich­bar, aber auf einer ver­wand­ten Ebe­ne ange­sie­delt, ist die Erfah­rung, die man mit dem ira­ni­schen Film machen kann. Wer das vor­wie­gend düs­te­re Bild ver­in­ner­licht hat, das im Wes­ten vom Iran domi­niert, wird kei­ne gerin­gen Über­ra­schun­gen erle­ben, wenn er zum ers­ten Mal Fil­me von Abbas Kiaros­t­ami oder Moh­sen Makhmalbaf gese­hen hat, beson­ders, was die tat­säch­li­che gesell­schaft­li­che Rol­le der Frau­en betrifft, die trotz ihrer Kopf­tü­cher selbst­be­wußt und selb­stän­dig agie­ren. Frei­lich wer­den auch im Iran isla­mis­ti­sche Pro­pa­gan­da­schwar­ten gedreht und mit der Frei­heit von Künst­lern und Schrift­stel­lern steht es nicht immer zum Bes­ten. Aber das Gesamt­bild läßt kei­ne Schwarz-in-Schwarz-Male­rei zu. Und die soll­ten wir uns gene­rell abge­wöh­nen, was gera­de in Bezug auf die unse­re deut­sche Ver­gan­gen­heit eine heil­sa­me Wir­kung haben kann.

Obwohl es als “iden­ti­tä­re Rech­te” unser Job ist, dem Uni­ver­sa­lis­mus ein Gegen­ge­wicht zu bie­ten, soll­ten wir nicht jene Din­ge aus den Augen ver­lie­ren, die tat­säch­lich mensch­lich-uni­ver­sel­le Gel­tung haben. Auch in ande­ren Gesell­schafts­ord­nun­gen und Kul­tu­ren geht es letzt­lich um die Bewäl­ti­gung der­sel­ben Din­ge: Lie­be, Tod, Fami­lie, Über­le­ben, Glau­ben, sozia­le Aner­ken­nung. In Ozus tief bewe­gen­den Fami­li­en­dra­men aus den 30er bis 60er Jah­ren kann man auch als West­ler mühe­los den eige­nen Vater, die  eige­nen Geschwis­ter und den eige­nen Ehe­part­ner wie­der­fin­den. Einen kris­tall­kla­ren, schein­bar ein­fa­chen Meis­ter­film wie Kiaros­t­amis “Wo ist das Haus mei­nes Freun­des?” (1987) kann man auf der gan­zen Welt lie­ben und ver­ste­hen. Gedreht wur­de er aber ursprüng­lich für ein ira­ni­sches Publi­kum, das sich dar­in wie­der­ge­fun­den hat, wie der Erfolg in sei­nem Hei­mat­land bestätigt.

Es sind auch sol­che Film­erfah­run­gen, die mich all­er­gisch gemacht haben gegen all­zu pau­scha­le Urtei­le und kras­se Ver­ein­fa­chun­gen, egal auf wel­cher Ebe­ne. Das ist das Dop­pel­ge­sicht der Film­kunst: sie ist eben­so imstan­de, “All-Gemein­hei­ten” zu pro­du­zie­ren und zemen­tie­ren, wie sie aufzubrechen.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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