Mit einem Mikro-Ghettoblaster bewaffnet haben maskierte Aktivisten im Zeichen des “Lambda” für ein paar Minuten einen Multikulturkongreß in Frankfurt am Main mit Hardbass-Musik zugedröhnt.
Im Vergleich zu der Moscheebesetzung in Poitiers durch die französischen Original-“Identitären” wirken derartige Spaß-Guerilla-Aktionen freilich noch etwas juvenil und in Bezug auf die Botschaft diffus und allgemein. Fraglich ist auch, ob sich die Verwendung von Masken in Hinsicht auf die Außenwirkung nicht kontraproduktiv auswirken könnte. In diese Falle sind auch die “unsterblichen” Kammernossen vom sogenannten “Nationalen Widerstand” mit ihrem “Volkstod”-Spuk getappt. Auf mich macht das ganze jedenfalls eher einen gruseligen als einen “lustigen” Eindruck.
Während die Bastelei am “Design” der identitären Internet-Welle auf Hochtouren läuft, hinkt die theoretische Verdichtung und Verortung noch nach. Vielleicht funktioniert es aber auch so besser als andersrum? Eine gelungene, attraktive Ästhetik ist für politische Bewegungen oft schon die halbe Miete. Besonders auf diversen Tumblr-Blogs wird zur Zeit am laufenden Band ikonoklastischer Agitprop produziert, und das mit einer Verve und einem Witz, wie man ihn bisher auf dem rechten Ufer eher selten gesehen hat.
Die Methode ist simpel: einmal kurz in der großen Kiste der Popkultur gewühlt, passendes Stück herausgefischt, “identitären” Logo-Stempel drauf, und schon ist das jeweilige Bild annektiert. Das ergibt manchmal geradezu surreale Effekte. Dabei gibt es nichts und niemand, das vor seinem Zugriff sicher wäre: Breaking Bad, South Park, Avatar, Fight Club, 300, Fritz Langs Nibelungen, Star Trek, Harry Potter, Der Fluch der Karibik, Heino, Bela Lugosi, Helge Schneider, John Wayne, Sophie Scholl… alles wird zu einem wilden, internettauglichen, quasi “postmodernen” Mix verrührt.
Ähnlich haben es auch die europaweit stilbildenden Poundistas vorgemacht. 2009 tauchten in ganz Rom kryptische Poster mit dem Konterfei des 1980 verstorbenen linken Liedermachers Rino Gaetano auf, ohne jeglichen Kommentar, nur versehen mit dem Schildkröten-Emblem der “Casa Pound” – eine lakonische Provokation und “Vereinnahmung”, die sich für Interpretationen elastisch hält.
Man mag nun eine gewisse Ironie darin finden, daß Bewegungen, die sich “identitär” nennen, über Codes und Ikonen kommunizieren, die eher international und universal sind, und noch dazu zu einem guten Teil amerikanischer Herkunft. Das gilt auch für die Verwendung von Guy-Fawkes- oder Halloween-Masken, die weltweit von Aktivisten jeglicher politischer Couleur getragen werden. Eine identitäre Theorie müßte berücksichtigen, daß wir Post-Abendländer heute von (sagen wir) Moskau bis San Francisco in einer Welt leben, über die sich das weite Dach einer gemeinsamen Populärkultur spannt, an der wir täglich konsumierend teilnehmen, die uns täglich formt und beeinflußt.
Das isolierte, sich scharf in seiner Eigenart abgrenzende “Gallierdorf” gibt es dagegen schon lange nicht mehr: heute sind wir alle mehr oder weniger “Römer”. Wenn nun etwa die Wiener Identitären versuchen würden, ausschließlich über heimische, zum Tourismusklischee verkommene Ikonen für ihre Sache zu werben, würde die Nummer schnell in einer Selbstparodie und einer “Mir-san-mir”-Klamotte enden (wobei in Österreich allgemein dem Schicksal der Operette oder der Kabarettnummer kaum zu entrinnen ist, unabhängig davon, was man vorhat. Man denke auch an den daueraktuellen Wappenspruch “Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst”.)
Dazu noch eine kleine Anekdote. Es muß wohl im Jahr 2005 gewesen sein. Ich hielt mich in Niederösterreich auf und wartete eines Abends im Oktober auf einem kleinen Provinzbahnhof auf den Anschlußzug nach Wien. Ich hatte schlechte Laune, was sich noch verstärkte, als ich auf dem Bahnhof eine Gruppe von drei etwa dreizehn- bis vierzehnjährigen, passiv-aggressiv herumlümmelnden Jugendlichen sah, die allesamt die berüchtigten Geistermasken aus dem Film “Scream” zur Schau trugen. Daß mir nun ein paar aufsässige Pubertierende ungefragt den Anblick dieser Fratzen zumuteten, verschlimmerte meine ohnehin schon gereizte Stimmung noch.
Dann fiel mir ein: richtig, heute war ja der 31. Oktober, also wurde alle Welt genötigt, die clevere, frisch eingeführte Geschäftsidee “Halloween” zu konsumieren, die sich in kürzester Zeit zum künstlich implantierten Traditionssurrogat hochgepöbelt hatte. Die Kinder fanden es natürlich toll, und die Erwachsenen taten willfährig so, als hätte man das hierzulande immer schon so gemacht. Kollaborierende Kindergärtnerinnen und Volkschullehrer trugen das Ihrige zur Ausbreitung der Pest bei. Ich kannte als Kind nur die austriakisch-alpine Winternachtvariante “Krampus und Nikolo”, die inzwischen leider ziemlich an Popularität und Attraktivität eingebüßt hat. War unser eigener Mummenschanz nicht mehr gut genug? Der amerikanische Plunder hatte sich mal wieder marktdarwinistisch durchgesetzt, und als “cooler” für die reizgierigen “Kids” erwiesen. Das alles stand mir nun plastisch vor Augen. Mein Mißmut wandelte sich in blanken Haß auf die maskierte Bagage.
Der Zug fuhr ein, ich stieg ein, setzte mich auf einen leeren Viererplatz und versenkte mich aufatmend in meine teure “Junge Freiheit”, um mich mental für den weiteren Kulturkampf gegen die fortschreitende Amerikanisierung zu stärken. Zu diesem Zeitpunkt steckte ich tief in meiner “Neofolk”-Phase, trug schwarze Lederjacken, schwarze Rollkragenpullis, Militärstiefel, und eine sizilianische Silbertriskele mit drei rotierenden Beinen um dem Hals. Gerade als ich dachte, nun endlich Ruhe zu haben vor der allgegenwärtigen Halloween-Dekadenz, setzten sich die drei “Kids” vom Bahnstieg gezielt neben mich, offenbar magisch angezogen wie die Katze vom Katzenhaarallergiker. Niemand sonst war in dem Abteil außer uns; alle Sitze waren frei. Sie hatten es unzweifelhaft auf mich abgesehen.
Sie nahmen die Masken ab, knöpften die Jacken auf (“Bomber”- und “Lonsdale”-Stil) und entblößten ihre “Skrewdriver”-T-Shirts. “Meine Güte”, dachte ich mit wachsender Misanthropie, “ein Skinheadkindergarten! Auch das noch!” Während ich mich beharrlich in die Zeitung vergrub, ließen sie mit auffallender Lautstärke den bösen, bösen “Nazi” heraushängen, gerade so, als wollten sie mir ihre Bösheit gezielt und mit aller Kraft unter die Nase reiben. “Schau, i hob ma weiße Schuhbandeln kauft! Des bedeutet ‘weiße Rasse’!” – “Waaßt eh, der Opa von der Susi woar bei der SS, hot’s ma derzöhlt.” -“Leiwand!” Falls sie mich damit schocken wollten, bissen sie kläglich auf Granit, denn als langjähriger Death-in-June- und Boyd-Rice-Fan war ich natürlich hartgesotten gegenüber solchen Bürgerschrecknummern.
Während der ganzen etwa 15minütigen Fahrt ignorierte ich das Trio eisern. Allmählich ging der Mißmut allerdings in Schmunzeln über. Endlich am Zielbahnhof, dachte ich mich erlöst. Von wegen. Sie stiegen an derselben Haltestelle aus, und ein paar Meter vor der Bahnhofshalle faßte sich einer der Quälgeister ein Herz und sprach mich mit überraschender Höflichkeit an. “Entschuldigung, derf I di wos frogen? Wos is denn dei Einstöllung?” Ich sah ihn fragend an. “Weu du host do a ‘Blad änd Onner’ um an Hois.” Das war es also gewesen! Ich überlegte kurz. Meine Antwort kam aus der tiefsten Tiefe meiner genervten Seele: “Meine Einstellung? Meine Einstellung ist: in Österreich gibt’s ka Halloween! Was soll dieser amerikanische Kommerzscheiß???”
Er zuckte schuldbewußt zusammen und rechtfertigte sich hastig: “Na, des is uns nur so eingfoin, des is nur Spaß, des manen wir gor ned ernst!…” – “Das will ich schwer hoffen! Und ‘Blad änd Onner’ ist auch so ein amerikanischer Scheiß! Der Krampus ist das einzig Wahre, Österreichische, Patriotische! Der Krampus! In einem Monat ist es wieder soweit. Merk da des!” Ich wandte mich ab und ging weiter. Ich hoffe, die pädagogische Wirkung ist nicht ausgeblieben.