Soziales Pathos, antikapitalistische Rhetorik, nationale Symbolik – die Besetzer stammten aus der militanten rechtsradikalen Szene Roms, und machten damals wie heute keinen Hehl aus ihren Überzeugungen: die seien »weder links noch rechts«, sondern schlicht »fascista«. (Eine Variante ist das ironische Amalgam »Estremocentroalto« – etwa »Extrem-Mitte-oben«.) Zu den exponierten Köpfen der Casa Pound gehören der Vordenker Gabriele Adinolfi, Mitbegründer der in den siebziger Jahren aktiven, mit dem »schwarzen Terrorismus« eng verknüpften Gruppierung Terza Posizione und der 1973 geborene Macher Gianluca Iannone, ein bärtiger, tätowierter Riese, der das Image eines rauhen Motorradrockers pflegt und als Kopf der Hardcore-Band Zetazeroalfa zusätzlichen Kultstatus innehat. Zum Netzwerk der Casa Pound zählen außerdem die Buchhandlung »Testa di Ferro« (Kopf aus Eisen), »Cutty Sark«, der »meistgehaßte Pub Italiens«, und die »Area 19«, eine stillgelegte Bahnhofshalle in den Bergen hinter dem unter Mussolini erbauten Olympischen Forum.
Im Umkreis des »Casapoundismus« hat sich ein politischer Stil entwickelt, der frischen Wind in die äußerste Rechte Italiens gebracht hat. Der Erfolg verdankt sich nicht zuletzt dem geschickten Selbstmarketing. Das einprägsame Logo der »Casa Pound«, eine Schildkröte, ist zu einem Markenzeichen geworden, das inzwischen ebenso berüchtigt ist wie das Keltenkreuz oder das Rutenbündel. Für eine dezidiert faschistische Bewegung ist die Kür eines friedfertigen, defensiven und trägen Wappentieres zunächst überraschend. Die Symbolik besitzt allerdings eine poetische Schlüssigkeit. Die Schildkröte trägt ihr Haus auf dem Rücken, sie kann daraus nicht vertrieben werden, zugleich ist sie mobil und zählebig. Auf den zweiten Blick zeigt sich, daß das Symbol eine verborgene kriegerische Konnotation hat: es spielt auch auf die Marschformation »Testudo« (Landschildkröte) des antiken römischen Heeres an, in der die aneinandergereihten Schilde den Trupp in einen menschlichen Panzer verwandelten. Das präzise Achteck des stilisierten Panzers und die nach innen gerichteten Pfeile verweisen auf ein geistiges Ordnungsprinzip und eine spirituelle Konzentration. Folgerichtig grenzen sich die Verantwortlichen der Casa Pound trotz ihres anarchischen Gestus scharf vom Stil linker besetzter Häuser ab: Ordnung, Sauberkeit und Ästhetik spielen eine ebenso wichtige Rolle wie das strenge Verbot von Waffen, Drogen und Prostitution.
Entsprechende »Casas« gibt es inzwischen unter anderem in Mailand, Bologna und Neapel, allesamt Städte, in denen den Schwarzhemden zum Teil gewaltsamer Widerstand entgegengesetzt wird. Die Wut der Linken entspringt dabei wohl auch der Empörung, daß die Rechte nun in ihren ureigenen Gewässern fischt. Dazu gehören aktive Solidarität mit den sozial Unterprivilegierten und Sympathiebekundungen für unterdrückte Völker wie die Tibeter ebenso wie der Kampf gegen die Privatisierung von Bildung und Gesundheitswesen und radikale Forderungen nach einem staatlich garantierten Wohnungsrecht für alle italienischen Familien. Im April 2009, nach dem großen Erdbeben in den Abruzzen, wurde unter dem Slogan »Bauen wir Italien wieder auf« zur freiwilligen Hilfeleistung aufgerufen. Dabei soll die politische Rekrutierung hintangestellt werden: Die zwanzig in der Casa Pound untergebrachten Familien stammen zwar zum Großteil aus dem rechten Umfeld, es herrscht aber nach Auskunft der Organisatoren keinerlei ideologischer Bekenntniszwang.
Gezielt werden auch die Frauen angesprochen, etwa mit der Initiative »Zeit, Mutter zu sein«, die sich für die Rechte von alleinerziehenden Müttern einsetzt. Die seit den neunziger Jahren angestiegene Masseneinwanderung nach Italien wird in den affinen Publikationen primär unter einem »globalisierungskritischen« Aspekt gesehen: der Kapitalismus brauche billige Arbeitskräfte und versuche diese Ausbeutungsstrategie mit multikulturalistischer Rhetorik zu kaschieren. Unter den Militanten sollen sich auch gelegentlich farbige Aktivisten einfinden, und zu den internen Legenden gehört die Geschichte von der Pizzeria eines Ägypters, die von Antifas verwüstet wurde, die es auf Gianluca Iannone abgesehen hatten – worauf dieser die Renovierung des Lokals durch ein Benefizkonzert unterstützte.
So entstand mitten im »multikulturellen« Stadtteil Esquilino, in einer fast ausschließlich von Chinesen bewohnten Straße, geduldet von der Polizei und der Stadtverwaltung, eine Institution, die sowohl eine praktische als auch eine symbolische Wirkung entfaltet hat. Sie steht ebenso für eine Philosophie der Verortung wie für eine soziale Utopie und fungiert als Zentrum für politische und kulturelle Aktivitäten. Monatlich finden Vorträge zu breit gestreuten Themen statt, für die durch kluges Networking auch regelmäßig Gäste gewonnen werden, die der Szene denkbar fernstehen, wie etwa Nicolai Lilin, Autor des Bestsellers Sibirische Erziehung. Bei einem Themenabend über Che Guevara kam gar ein Vertreter der radikalen Linken, ein anderes Mal Valerio Morucci, ehemaliges Mitglied der Roten Brigaden und einer der Entführer Aldo Moros. Man bemüht sich, dem Slogan »Casa Pound – Wo die Auseinandersetzung frei ist« gerecht zu werden, ohne die prononcierte Selbstpositionierung aufzugeben. So sind die Gänge und die rund um die Uhr besetzten Büroräume ausgeschmückt mit Parolen wie »Fang an zu glauben! Beginne zu kämpfen! « und mit Malereien im martialischen Stil der Mussolini-Zeit.
Während die sozialrevolutionäre Programmatik durchaus an den frühesten und den spätesten Faschismus (der »Sozial-Republik« von Salò) anschließen kann, ist die Übernahme linker Praktiken wie die eigenmächtige Errichtung von »centri sociali« (sozialen Zentren) ein relativ junges Phänomen. Bereits im Dezember 1990 besetzten Anhänger der »Fronte della Gioventù« ein Haus im römischen Stadtteil Monteverde, 1998 wurde die »PortAperta« in San Giovanni in Laterano eröffnet. Als im Juli 2002, wiederum in Rom, die »Casa Montag« ausgerufen wurde, kündigte sich ein ungehörter Tonfall an. »Montag«, der Held von Ray Bradburys Fahrenheit 451, ist »Feuerwehrmann« eines Zukunftsstaates, der den Besitz und die Lektüre von Büchern jeglicher Art verboten hat. Die »Feuerwehr« hat die Aufgabe, die Bücher zu vernichten, doch Montag beginnt heimlich die verbotenen Güter zu sammeln und zu lesen, bis er sich zum Rebellen entwickelt. Während gewöhnlich totalitäre Gesellschaftsordnungen mit dem Begriff »Faschismus« belegt werden, drehen die »non-konformen« Militanten den Spieß um: die Rebellion gegen die Gedankenpolizei, die Freiheit des einzelnen stünden nun auf ihrer Seite. Die Chiffre »451« taucht seither immer wieder auf Demonstrationen der Faschisten auf – gelegentlich, das Paradox noch steigernd, auf einem weißen kreisförmigen Feld auf rotem Grund, optisch an die Fahne der NSDAP erinnernd.
Der »Casa Montag« folgte die »Casa Pound«, deren Namensgebung einen ähnlich anspruchsvollen Unterbau verrät. Der Eingangsflur des Hauses ist zu einer Art Pop-Ruhmeshalle gestaltet, in der die Namen all derer in bunten Lettern an die Wand gemalt sind, die als Inspiratoren geschätzt werden. Die Runde der zitierten Geister ist von einer verblüffenden Vielfalt. Neben obligaten Ikonen des Eurofaschismus wie D’Annunzio, Evola, Codreanu, Mosley und Degrelle finden sich in einem wilden Mischmasch Namen wie Saint-Exupéry, Jünger, Majakowskij, Kerouac, Bukowski, Stirner, Tolkien, Orwell oder Leonidas. Der »Skrewdriver«-Kopf Ian Stuart ist ebenso vertreten wie Hölderlin, der Indianerhäuptling Geronimo und die Comicfiguren Corto Maltese und Captain Harlock. Mit Ausnahme von Walter Darré finden sich keine Nationalsozialisten. Dagegen genießt ein Ernst Jünger in der Szene einen hohen Status: Im Herbst 2009 waren in Rom quer über den Bezirk Esquilino und angrenzende Stadtteile bis hin zum Kolosseum verteilte Plakate zu sehen, die sich von einem verstorbenen Kameraden mit einem Jünger-Zitat verabschiedeten.
Die Heldengalerie setzt sich auf dem Treppengang fort, der ausschließlich bedeutenden Frauen gewidmet ist: bildende Künstlerinnen wie Camille Claudel und Tamara de Lempicka, Dichterinnen wie Ada Negri und Sibilla Aleramo, die von kommunistischen Partisanen ermordete Filmdiva Luisa Ferida, Leni Riefenstahl sowie Sportlerinnen und Pilotinnen. Eine ähnlich eklektizistische Auswahl findet sich auch im Sortiment des »Testa di Ferro«. Dort werden auch T‑Shirts und Anstecker angeboten, deren Motive von Yukio Mishima bis zur Fußballlegende George Best reichen. Als zentrale Referenzen tauchen immer wieder Filme wie »Fight Club«, »300«, »Uhrwerk Orange« oder »Pulp Fiction« auf.
Im Hauptquartier selbst gipfelt die Ikonenpflege in einer kommentierten Sammlung seltener Fotos aus dem Leben Ezra Pounds. Der amerikanische Avantgardist gehörte zu jenen bedeutenden Köpfen, die Partei für den Faschismus ergriffen. Pound hatte sich 1924 in Rapallo niedergelassen und hielt während des Zweiten Weltkriegs antisemitisch gefärbte Propagandareden wider die Alliierten, die er als Handlanger des »Leihkapitals « betrachtete. Nach dem Krieg wurde er als Hochverräter angeklagt und einer erniedrigenden Behandlung unterworfen, die in einer jahrelangen Internierung in eine psychiatrische Anstalt gipfelte.
Für den überwiegenden Anteil der Szeneanhänger dürfte es allerdings ausreichen zu wissen, daß Pound der »Dichter gegen den Wucher« und Verehrer des Duce war. Die komplizierte Esoterik der »Cantos« ist selbst unter literarisch gebildeten Lesern notorisch, und gleiches gilt für den von der Szene verkulteten Julius Evola. Die entscheidenderen weltanschaulichen Quellen dürften eher die Texte von Zetazeroalfa und anderen »Musica Alternativa«-Bands sein. Das Publikum des mehrtägigen Festes zur Fünfjahres-Feier der Casa Pound in der »Area 19« im Juni 2009 war zu etwa 80 Prozent von jenem proletarischen Skinhead- und Hooligan-Typus dominiert, den man gemeinhin mit der extremen Rechten assoziiert. Provokante Tätowierungen und ultrakurzer Haarschnitt sind da ebenso ein Muß wie eine recht beschränkte Auswahl an T‑Shirt-Motiven. Das scheint für die Szene insgesamt repräsentativ zu sein, wenn auch vor allem über die Studentenorganisation »Blocco Studentesco« ein beträchtlicher Anteil an Mittelständischen hinzukommt. Hier wird freilich an einen weiteren Strang des historischen Faschismus angeknüpft: an die Betonung des Physischen, des Vitalismus, des Männerbundes, des Agonalen, aber eben auch der Gewalt. Als Ventil wird dafür etwa das Ritual des »Cinghiamattanza« (ungefähr: »Gürtelausflippen«) genutzt, in dem sich frei nach DAF »alle gegen alle« mit nacktem Oberkörper in eine wüste Massenprügelei mit dem Gürtelriemen (die Schnalle ist verboten) stürzen.
Auch die beliebte, zum Teil mit Rockerromantik (»liberi, belli, ribelli« – »frei, schön, rebellisch«) legierte Squadristenikonographie mit ihren Totenköpfen, schwarzen Fahnen, Dolchen und Rosen untermauert das zwiespältige »Bad Guys«-Image, das vor allem für junge Männer und Frauen ebenso anziehend ist, wie es auf dem Weg zu einem Anschluß an den Mainstream hinderlich ist – denn für die Linke ist es damit natürlich ein leichtes, die Szene pauschal als Ansammlung von Schlägern hinzustellen. Trotz des im Vergleich zu Deutschland beachtlichen Spielraums, den die Rechten und sogar die immerhin offiziell verbotenen Faschisten in Italien beanspruchen können, hat auch dort die »Political Correctness« die Oberhand. Der Fotoband OltreNero der antifaschistischen Journalisten Allessandro Cosmelli und Marco Mathieu, der zunächst in enger Kollaboration mit Gianluca Iannone entstand, ließ die Szene in stylischen Schwarzweißfotos ebenso verführerisch wie abgründig-abstoßend schillern und betonte deren Subkultur-Charakter sowie die Aura der Gewalt. Iannone empfand diese Darstellung als verfälschend und einseitig und überwarf sich in der Folge mit den Autoren.
Die Frage nach der eigentlichen Ideologie der »Faschisten des dritten Jahrtausends« ist nicht leicht zu beantworten. Trotz aller Beteuerungen, keine Nostalgie-Nummer bemühen zu wollen, bleibt der emotionale Kern der Bewegung eben doch auf die heroischen Erzählungen von vorgestern fixiert: D’Annunzios Fiume, der Marsch auf Rom, der Futurismus, der Mythos der Squadristen, die »Republik von Salò« und die »schwarzen Herzen« der »bleiernen« siebziger Jahre, als es in Italien zum blutigen, von Geheimdiensten unterwanderten Terrorkrieg zwischen links- und rechtsextremen Gruppen kam. Unklar ist, was für ein konkretes Gesicht der angepeilte »moderne« Faschismus haben soll, zumal der Dialog mit anderen Milieus aktiv gesucht wird und Querfronten nicht ausgeschlossen werden. Was bleibt, ist vor allem die Rhetorik der Tat und der Vorrang des Aktivismus vor ideologischer Geschlossenheit sowie die Pflege und Schaffung von Ikonen und eines »nonkonformen « Lebensgefühls.
Programmatisch ist dafür der Leitartikel der hauseigenen Zeitschrift Occidentale vom August 2009. Einer der gelungensten Casa-Pound-Coups des Jahres war die flächendeckende öffentliche Plakatierung eines Posters, das im Pop-Art-Stil den 1980 verstorbenen linken Liedermacher Rino Gaetano zeigte, wortlos kommentiert allein durch das berüchtigte Schildkrötenlogo. In dem Leitartikel erklärte der Autor, »warum es rechtens ist, daß Casa Pound Rino Gaetano feiert.« Man müsse beileibe kein Linker sein, um den freiheitlichen und vitalen Geist der Lieder Gaetanos zu bewundern. In ihnen finde sich alles, wofür auch die »Casa Pound« stehe: »Die Liebe zu allem, das die Welt mit Ironie betrachtet, zur Poesie, Provokation, Freiheit, zur Gerechtigkeit.« Dabei dürfe man nicht an rückwärtsgewandten Vorstellungen hängenbleiben, hätten doch auch »D’Annunzio, Marinetti, Jünger, Evola, sogar Mussolini« auf der Höhe ihrer Zeit gelebt und gedacht: »Keine Weltflucht, keine Weltuntergangshysterien. Wille, Taten, Freude, Freiheit. Das allein zählt.«