Beim Bloc Identitaire in Orange: Hintergründe

Ein paar Hintergründe zu der "Convention Idéntitaire" in Orange von letztem Wochenende.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Die klei­ne Stadt im süd­fran­zö­si­schen Bezirk Vau­cluse ist seit 2009 Schau­platz der all­jähr­li­chen Gip­fel­tref­fen der Grup­pie­rung “Bloc Idén­ti­taire”, die nun ihr zehn­jäh­ri­ges Bestehen fei­er­te. Ermög­licht wird dies durch den rechts­kon­ser­va­ti­ven Bür­ger­meis­ter Jac­ques Bom­pard, der die Stadt seit 1996 regiert.

Aus wel­cher Rich­tung in Oran­ge der Wind weht, kann man etwa an einer Tafel able­sen, die an dem Ver­an­stal­tungs­ort “Prin­zen­pa­last” ange­bracht wur­de, einem exi­quist scheuß­li­chen Kas­ten, der das von male­ri­schen, sand­far­be­nen Häu­sern gepräg­te Bild des Place Por­toules gewalt­sam auseinandersprengt:

  Die­ses zwei­fel­los äußerst häß­li­che Gebäu­de wur­de von der vor­her­ge­hen­den sozia­lis­ti­schen Lan­des­re­gie­rung geplant und gebaut… Kos­ten: 19,5 Mil­lio­nen Euro. Die Bür­ger von Oran­ge bezah­len seit 15 Jah­ren dafür.

Der­glei­chen liest man mit nicht gerin­ger Genug­tu­ung. Als Trost befin­det sich in unmit­tel­ba­rer Nähe ein herr­lich erhal­te­nes römi­sches Thea­ter aus dem 1. Jahr­hun­dert. Steigt man auf den Hügel gegen­über dem Ver­an­stal­tungs­ort kann man in der Fer­ne den sich wuch­tig in die Land­schaft schie­ben­den Block des Mont Ven­toux, den Petrar­ca im Jah­re 1336 mit erheb­li­chen Fol­gen für die abend­län­di­sche Lite­ra­tur bestieg. Im Her­zen der Innen­stadt steht eine Sta­tue des Kreuz­fah­rers Raim­baut II. aus dem 19. Jahr­hun­dert, die von den iden­ti­tä­ren Ver­an­stal­tern als Pla­kat­mo­tiv gewählt wur­de. (Nichts­des­to­trotz gibt es frei­lich auch hier Döner­bu­den, Chi­na­re­stau­rants, McDonald’s und eine isla­mi­sche Minderheit.)

Oran­ge bie­tet also eine ange­mes­se­ne his­to­ri­sche Ein­bet­tung für die Selbst­dar­stel­lung einer Grup­pe, die vor rund drei Wochen lan­des­weit Auf­se­hen durch die Beset­zung einer sich im Bau befind­li­chen Moschee in Poi­tiers erreg­te. Bis dato bleibt der “Bloc idén­ti­taire” aller­dings eher eine Rand­er­schei­nung der fran­zö­si­schen Rech­ten: erschie­nen sind ins­ge­samt nicht mehr als 500 Besu­cher, deut­lich weni­ger als bei unse­rem haus­ei­ge­nen zwi­schen­tag.

Die das rech­te Lager Frank­reichs domi­nie­ren­de Front Natio­nal blieb auf Distanz, und deren Jung­star Mari­on Maré­chal-Le Pen sag­te kurz­fris­tig ihren Besuch auf der Con­ven­ti­on ab. Fern blieb auch die eben­falls gela­de­ne FPÖ (die, wie wir fest­stel­len konn­ten, unter den fran­zö­si­schen Rech­ten ziem­li­ches Anse­hen genießt), und der flä­mi­sche Vlaams Belang sen­de­te ledig­lich ein “Gruß­wort” der Abge­ord­ne­ten Hil­de de Lobel. Allein von der ita­lie­ni­schen Lega Nord war ein Ver­tre­ter erschie­nen, der sich mit ein paar unge­schick­ten State­ments hervortat.

Auf die­sen eher unbe­deu­ten­den Neben­dar­stel­ler Mario Borg­he­zio hat sich in der Fol­ge auch die Pres­se gestürzt: der ein­zi­ge Bericht, der via AFP-Ver­tei­ler in die fran­zö­si­schen Main­stream­m­e­di­en ein­ging, und noch wäh­rend der Tagung erschien, berich­tet von Applaus für als Bäh-bäh ein­ge­stuf­te Sager Borg­he­zi­os wie “unse­re Ras­se” und “die Wei­ßen von Euro­pa”.  Über­flüs­sig war auch sei­ne Lob­prei­sung des 1945 als Kol­la­bo­ra­teur hin­ge­rich­te­ten Schriftst­stel­lers Robert Bra­sil­ach – natür­lich eben­falls ein gefun­de­nes Fres­sen für den AFP-Jour­na­lis­ten, dem dar­auf­hin am nächs­ten Tag wegen “unaus­ge­wo­ge­ner Bericht­erstat­tung” der Zutritt ver­wei­gert wurde.

Wäh­rend sich zwei Drit­tel des Arti­kels dem reiz­wör­ter­ge­sät­tig­ten Auf­tritt Borg­he­zi­os wid­men, wird die vor­ge­hen­de Rede von Bloc-Iden­ti­taire-Häupt­ling Fabri­ce Robert nur kurz gestreift: danach wür­den jene Geset­ze, die die “Auf­sta­che­lung zum Ras­sen­haß” unter Stra­fe stel­len, in ers­ter Linie benutzt, um den auto­chtho­nen Selbst­be­haup­tungs­wil­len zu kri­mi­na­li­sie­ren, wäh­rend der “anti-wei­ße” oder “anti-fran­zö­si­sche” Ras­sis­mus igno­riert werde.

Es hat wohl Metho­de, daß sich der Pres­se­be­richt über ande­re auf dem Kon­greß behan­del­te The­men wie Isla­mi­sie­rung und Mul­ti­kul­tu­ra­li­sie­rung, die durch­aus brei­te­res Anschluß­po­ten­zi­al haben, aus­schweigt. In die­sem Zusam­men­hang wur­den eben­so die “lai­zis­ti­sche” Fra­ge (das fran­zö­si­sche Pen­dant zur Grund­ge­setz­de­bat­te) wie die demo­gra­phi­sche Kri­se dis­ku­tiert – zu letz­te­rem The­ma sprach kein Gerin­ge­rer als der “fran­zö­si­sche Her­wig Birg” Yves-Marie Lau­lan. Das ist eine Debat­te, die in Frank­reich kaum mehr zu unter­drü­cken ist.
Vor zwei Jah­ren erschien etwa das Buch “Les yeux grand-fer­més” (Die weit geschlos­se­nen Augen) von Mic­hè­le Tri­ba­lat, einer Wis­sen­schaft­le­rin des staat­li­chen “Natio­na­len Insti­tuts für Demo­gra­phie” (INED) mit Sitz in Paris. Dar­in stellt Tri­ba­lat eine wach­sen­de Ten­denz der frei­wil­li­gen eth­ni­schen Segre­ga­ti­on der Ein­wan­de­rungs­grup­pen fest, ver­bun­den mit dem Auf­kom­men von Ras­sis­mus gegen Wei­ße und der Aus­brei­tung des Islams in den Ban­lieues, den sie als eine “Bedro­hung” ein­stuft. Eine ehr­li­che Dis­kus­si­on die­ser Din­ge wer­de durch die “Ideo­lo­gie des Anti­ras­sis­mus” und den Druck der Mei­nungs­ma­cher verhindert.

Ande­re Hoch­rech­nun­gen schät­zen, daß bereits jede drit­te Kind, das in Frank­reich gebo­ren wird, nicht-euro­päi­scher Her­kunft ist. Der ange­se­he­ne Schrift­stel­ler Renaud Camus spricht inzwi­schen offen von einer “Kolo­nia­li­sie­rung” Frank­reichs und vom “grand rem­pla­ce­ment”, vom gro­ßen Bevöl­ke­rungs­aus­tausch, der mit einem kal­ten (und manch­mal bereits hei­ßen) Bür­ger­krieg  ein­her­ge­he. In die­sen Kon­text muß man auch die vir­tu­el­le “Kriegs­er­klä­rung” der Géné­ra­ti­on Iden­ti­taire stel­len, die seit Wochen ihre vira­le Run­de durch das Netz macht.

Auf der Sie­ges­fei­er Fran­çois Hol­lan­des am Place de la Bas­til­le wur­den unter ande­rem alge­ri­sche, kame­ru­ni­sche und maro­ka­ni­sche Flag­gen geschwenkt, neben roten und regen­bo­gen­far­be­nen.  Jene, die hier ihren Wil­len zu ihrer eige­nen natio­na­len Iden­ti­tät und ihren Unwil­len zur Assi­mi­la­ti­on bekun­det haben, sehen in Hol­lan­de offen­bar “ihren” Prä­si­den­ten für ihre Inter­es­sen. Tat­säch­lich gaben die Stim­men der mos­le­mi­schen Wäh­ler den Aus­schlag für den Wahl­sieg des Sozialisten.

Der Main­stream-Bericht über den Kon­greß von Oran­ge wur­de auf allen Ver­tei­ler­sei­ten mit einem Archiv­bild geschmückt, das Demons­tran­ten in Paris mit einer flat­tern­den Tri­ko­lo­re zeigt. Das ist selt­sam, denn es waren aus­rei­chend Pres­se­fo­to­gra­fen vor Ort, wo die Tri­ko­lo­re trotz der bun­ten Häu­fung heral­disch schö­ner, regio­na­ler Fah­nen so gut wie gar nicht zu sehen war. Dar­in drückt sich offen­bar eine pole­mi­sche Posi­tio­nie­rung gegen die Repu­blik aus, die Auf­fas­sung, sie habe sich heu­te voll­ends in eine links besetz­te “Wil­lens­na­ti­on” ver­wan­delt, und, in den Wor­ten Jean Ras­pails, “das Vater­land verraten”.

Der bewuß­te Ver­zicht auf die Tri­co­lo­re ist von der inne­ren Logik her nach­voll­zieh­bar, wird auf Dau­er der Brei­ten­wir­kung der Bewe­gung aber eher im Wege ste­hen: denn die Sym­bo­le der Nati­on, die 1789 gebo­ren wur­de, wer­den kaum mehr aus dem Fleisch, Blut, Herz und Hirn der Mehr­heit der Fran­zo­sen zu ent­fer­nen sein.

Dar­über­hin­aus brau­chen auch die schöns­ten Regio­nen ein natio­na­les Dach, das sie in eine poli­ti­sche Ein­heit bün­delt, und das ist eben­so uner­läß­lich wie schwie­rig. Charles de Gaul­le soll ein­mal bemerkt haben, daß es unmög­lich sei, ein Land zu regie­ren, in dem es 200 ver­schie­de­ne Käse­sor­ten gibt. Jeden­falls hat auch die Fra­ge nach regio­na­ler und natio­na­ler Iden­ti­tät durch­aus Anschluß­po­ten­zi­al, wobei zu klä­ren ist, wie sich die­se Iden­ti­tä­ten in grö­ße­re Zusam­men­hän­ge fügen sol­len. Die SPD-nahe Anti­fa-Sei­te Blick nach Rechts über Mari­on Maré­chal-Le Pens Absage:

Beim Fern­seh­sen­der BFM TV erklär­te sie, der Bloc sei nach ihren Kennt­nis­sen „eine Agit­prop- und Akti­vis­ten-Par­tei“, also nicht eine seriö­se Erschei­nung wie die von ihr geführ­te Par­tei. Fer­ner gebe es zu wich­ti­ge ideo­lo­gi­sche Dif­fe­ren­zen: die „Iden­ti­taires“ sei­en „Euro­päis­ten und Regio­na­lis­ten“. Tat­säch­lich setzt der Bloc auf eine Art Drei­klang der zu ver­tei­di­gen­den „Iden­ti­tä­ten“ – regio­na­le, natio­na­le und euro­päi­sche –, die wie eine Art rus­si­scher Pup­pen inein­an­der grei­fen sol­len. Aus Sicht des FN dage­gen muss allein die Nati­on im Mit­tel­punkt stehen.

Der “Drei­klang” nun scheint eine sinn­vol­le Idee zu sein, auch als not­wen­di­ger Schritt über die alten Natio­na­lis­men und natio­na­lis­ti­schen Befan­gen­hei­ten hin­aus. Wenn ich der­glei­chen auf einer lin­ken Sei­te refe­riert lese, wie immer mit spit­zen Fin­gern und spit­zen Lip­pen for­mu­liert, fra­ge ich mich immer, was die Autoren sich denn als Alter­na­tiv­mo­dell vor­stel­len, um Euro­pa eine poli­ti­sche Ord­nung zu geben.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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