Ein absurder Handel mit Beweismaterial, was aber weder die Justiz noch das Bundeskriminalamt zu stören scheint. Dabei ist das sogenannte Bekennervideo gar kein Bekenntnis und wurde noch nach der Verhaftung Zschäpes verteilt. Die Urheberschaft liegt meiner Meinung nach an einer ganz anderen Stelle – wie Sie in meinem Buch nachlesen können.
Neue Ordnung: Ihre Indizienkette ist ja so etwas wie der Gegenentwurf zur Anklage. Auf fast 300 Seiten spüren Sie reihenweise Widersprüchen und Ungereimtheiten auf – so zum Beispiel im Hinblick auf die umstrittenen Todesumstände von Böhnhardt und Mundlos. Wie im berühmten Wiener Spionagefilm „Der Dritte Mann“ spielt auch hier ein nebulöser „Dritter Mann“ eine zentrale Rolle. Welche?
Voss: Bei dem Tod der beiden Männer in dem Wohnmobil spricht nichts – aber auch gar nichts – für einen Selbstmord. Allein die Anklage behauptet dies, kann das aber auch nur tun, indem anfängliche Beobachtungen, die von einem flüchtenden dritten Mann berichteten, unterbunden werden.
Ehrliche Ermittlung würde feststellen, daß die Situation nicht stimmt und auch das Persönlichkeitsprofil der beiden Uwes nicht für einen Selbstmord spricht. Dann müßten aber Recherchen in Richtung einer Fremdeinwirkung beginnen. Tatsächlich geben sich Ermittler und Mainstream-Medien erhebliche Mühe, den absurden Suizid nach und nach glaubhaft zu reden. Will man die Fehler im NSU-Märchen aufrollen, muß man genau beim Ende anfangen. An den Geschehnissen ist rein gar nichts stimmig. Das kommt nicht von ungefähr: Die Ungereimtheiten hier und die Art, wie sie verschleiert werden sollen, ziehen sich durch die ganze Geschichte der angeblichen Terrorzelle …
Neue Ordnung: Wie gewichten Sie beispielsweise den Fakt, daß an keinem der 26 Tatorte DNA-Spuren von Mundlos und Böhnhardt gefunden wurden?
Voss: Den gewichte ich ungefähr genauso stark, wie den Umstand, daß an keinem der Tatorte Fingerabdrücke der zwei „Terroristen“ gefunden wurden. Oder daß es zwar hunderte Zeugenaussagen gibt, sich aber nur die wenigsten und diese wahrscheinlich eher zufällig „irgendwie“ mit der öffentlich kolportierten Geschichte in Verbindung bringen lassen. Vom seltsam zusammengezimmerten Motiv der drei von der Szene gelösten Dauer-Urlauber ganz zu schweigen. Diese Geschichte paßt vorn und hinten nicht, und eine vermeintlich kritische Presselandschaft kommt ihrer aufklärerischen Aufgabe nicht nach, sondern macht sich mitschuldig am Verschleiern der wahren Umstände. Mit dem Buch wollte ich dieser Ungerechtigkeit etwas entgegensetzen.
Neue Ordnung: Auch der Fall der 2007 in Heilbronn erschossenen Polizistin Kiesewetter steckt voller Rätsel: Laut Zeugenaussagen sollen nicht zwei, sondern sogar fünf oder sechs Tatbeteiligte gesehen worden sein. Desweiteren ist die Motiv-Frage für den Mord völlig offen. Was heißt das?
Voss: Nun, wir müssen gespannt sein, ob der Untersuchungsausschuß in Baden-Württemberg im Gegensatz zu den bisherigen Ausschüssen etwas Substanzielles zutage fördert. Der Polizistenmord und die Umstände sind grotesk und für jeden klar denkenden Menschen nach dem angeblichen Selbstmord von Jena der zweite Grund, schon ohne große Nachforschungen die offiziell erzählte Geschichte in Zweifel zu ziehen. Wieder einmal findet man im übrigen keine Fingerabdrücke von Böhnhardt und Mundlos.
Man findet DNS – auch von Kiesewetters Kollegen, die zwar Urlaub hatten, aber am Tatort waren –, aber nicht von den beiden Jenaern. Man hat Aussagen von Zeugen, die blutverschmierte Männer gesehen haben, die den Tatort verließen, aber keine Aussage paßte auf die beiden Uwes. Die einzigen Aussagen, die zur Theorie eines „NSU“ passen, sind die zahlreichen Aussagen über die unterschiedlichsten Fahrräder. Da an der Theresienwiese aber ein Fahrradweg verläuft, halte ich das nicht für ein schlagkräftiges Indiz der Anklage …
Der von Mainstream-Medien und Ermittlern hochgefeierte Umstand, daß man in nie ausgewerteten Listen das Kennzeichen eines Wohnmobils fand, das zur Tatzeit in Heilbronn gewesen und von den Uwes genutzt worden sein soll, stellte sich im nachhinein als falsch heraus. Nicht nur, daß der Mietzeitraum nicht paßte, nein, auch die Durchsuchung der Listen durch Dritte brachte den besagten Treffer eben nicht.
Neue Ordnung: Dann die geradezu absurde Geschichte aus einem Kasseler Internetcafé. Dort wurde der Türke Halit Yozgat erschossen; zur selben Zeit war, welch seltsame Koinzidenz, der Geheimdienstbeamte Andreas Temme am Tatort, will aber vom Pistolenmord angeblich nichts mitbekommen haben. Da stellt sich eine Reihe von Fragen …
Voss: Man fragt sich wie bei allen Morden, wer denn der Täter war. Im Falle des erschossenen Türken in Kassel war die Täterfrage für die Ermittler schon gelöst. Nur ein Kunde, der zur Tatzeit im Café gewesen sein muß, meldete sich tagelang nicht bei der Polizei. Man fand heraus, daß der einzige gebürtige Deutsche, der sich in dem Geschäft aufhielt, ein V‑Mann-Führer und Waffenbesitzer war. Temme wurde im folgenden nicht nur vom Verfassungsschutz geschützt, sondern sogar vom damaligen Landesinnenminister selbst, der den Ermittlern die Einvernahme der von Temme geführten V‑Leute verboten hat.
Dabei telefonierte er mit wichtigen Quellen – er führte welche in islamistischen Kreisen und mindestens einen in der rechtsextremen Szene – kurz vor und kurz nach der Tat. Die von Temmes Unschuld nicht überzeugten Beamten observierten ihn bei heimlichen Treffen mit seinen Vorgesetzten auf Rastplätzen. Auch Telefonate wurden zeitweise abgehört, deren Inhalt den Hauch geheimdienstlicher Vertuschung zu einem starken Mief anschwellen lassen.
Temme sitzt bis heute nicht auf der Anklagebank, sondern arbeitet immer noch im Staatsdienst. Falls er nicht der Täter war, stellt sich trotzdem die Frage, was er weiß und was er beobachtet hat.
Neue Ordnung: Ein kritischer Blick in den Brandschutt der Zwickauer Wohnung von Beate Zschäpe wirft weitere Fragen auf. Dort fanden sich nämlich Tatwaffen und die sogenannten Bekenner-DVDs. Nun vermuten Kritiker, daß sie eventuell hineingelegt worden sein könnten, um das Trio im Sinne der offiziellen Version zu belasten. Ihre Vermutung?
Voss: Ich habe streckenweise eine sehr aufwendige Ermittlungstätigkeit der beauftragten Stellen gesehen, die jeden vorgefundenen Schnipsel Papier mit Foto, Auffindeort, Auffindezeit und Auffinder dokumentiert haben. Wissen Sie, bei welchen Punkten wir diese Akribie nicht finden können? Bei der Auffindung der Waffen nämlich, auf denen der ganze Indizienprozeß fußt! In den mittlerweile aus dem Ausland digital verbreiteten Akten finden wir merkwürdige Datumsangaben, keine Auffinder, Übersichtfotos mit geschwärzten Gesichtern und als Ortsangabe nur: „im Brandschutt“.
Neue Ordnung: Warum versagt hier die Ermittlungsarbeit?
Vielleicht, so meine Vermutung, weil die Auffinder unter keinen Umständen in einem Ausschuß oder Prozeß aussagen dürfen, wie die Waffen wirklich an den Tatort kamen …
Voss: Die vermeintlichen Bekenner-DVDs sind noch offensichtlicher von interessierten Kreisen in die Geschichte „hineingeschmuggelt“. Die in Zwickau fliehende Frau – mutmaßlich Zschäpe – hatte keine zu verschickenden Umschläge bei sich. Einige wurden unfrankiert eingeworfen, als Zschäpe schon in Haft war. Und außerdem wurde das Video, das mitnichten Bekenntnisse zu den einzelnen Taten enthält und auch nicht alle mittlerweile zur Last gelegten Verbrechen beinhaltet, oftmals als Kurzfassung verschickt.
Die Frage lautet also: Wurden diese Vorschaufilmchen an die Medien verschickt, um einen Käufer zu finden? Und schlug „Spiegel-TV“ als erstes bei den linksextremen Verkäufern zu? Hiervon gehe ich aus. Das bedeutet aber, da das Bundeskriminalamt in Richtung „Apabiz“ nicht ermittelt, daß es hierüber eine Vereinbarung gibt. Wie diese aussieht, das müssen wir noch herausfinden.
Neue Ordnung: Vorwurf Vertuschung: Da wurden in diversen Verfassungsschutzämtern Akten zur NSU-Gruppe geschreddert, es wurden dabei sogar Löschdaten zurückdatiert, also Zeitangaben gefälscht. Die amtliche Verteidigungsantwort der Geheimdienstler: Die vernichteten Akten hätten keine Bezüge zum NSU gehabt. Eine Schutzbehauptung, oder?
Voss: Es handelt sich nachweislich um eine Schutzbehauptung. Ich führe im Buch alle Erkenntnisse zu über zwanzig Spitzeln aus dem Umfeld des angeblichen „NSU“ auf und auch zu den Zuträgern, bei denen wir noch nicht über Klarnamen verfügen.
Hierbei wird offensichtlich, daß die nach dem Vernichtungsverbot geschredderten Akten Thüringer Spitzel betreffen, die im relevanten Zeitpunkt aus der Szene und wohl auch vom Trio berichteten. Vielleicht standen ja auch Zschäpe, Böhnhardt oder Mundlos zumindest zeitweise auf der Gehaltsliste der Dienste. Fotografien, auf denen Zschäpe für die Polizei Kameraden handschriftlich identifiziert, sind zumindest in den Akten erhalten. Ob das nur der Anfang einer Zusammenarbeit war, ist derzeit nicht herauszufinden – hunderte Akten zu dem Komplex wurden nämlich vernichtet.
Neue Ordnung: Parlamentarische Untersuchungsausschüsse, die teilweise noch andauern, oder neue, die in Bälde ihre Arbeit aufnehmen werden, haben Tausende von Berichtsseiten produziert, ohne die Kernfragen zu beantworten. Haben sie dennoch Indizien in Ihrem Interpretationssinne zu Tage gefördert, Herr Voss?
Voss: Ja! Denn auch die Ausreden von staatlicher Seite sind sehr aufschlußreich und lassen vielfältige Vermutungen zu. Da fällt beispielsweise die Tatsache auf, daß eine Geheimdienst-Mitarbeiterin, die auf Befehl die VS-Akten in Köln schredderte, nicht vor dem Untersuchungsausschuss aussagen durfte. Sie wurde dienst- und reiseunfähig geschrieben. Der damalige Ausschußvorsitzende Edathy (SPD), der aufgrund von Ermittlungen wegen Kinderpornographie bereits erpressbar geworden war, sprach mit ihr unter vier Augen. Er gab natürlich Entwarnung, wollte über den Inhalt der Unterredung aber nichts verlautbaren lassen … Wer’s glaubt, wird selig. Auch beim Aufdecken von Spitzeln half der Bundestagsuntersuchungsausschuß – wohl eher unfreiwillig.
Neue Ordnung: Im Zusammenhang mit der Aktenvernichtung im Bundesamt für Verfassungsschutz sagte Klaus Peter Fritsche, Geheimdienst-Koordinator im Kanzleramt: „Staatsgeheimnisse dürfen nicht bekannt werden, die Regierungshandeln unterminieren.“ Wie deuten Sie diese Formulierung?
Voss: Ich deute sie ganz einfach so, daß die Herrschenden vergessen haben, daß die Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Dieser Souverän darf also nicht von oben herab regiert werden und, abgeschirmt von „Staatsgeheimnissen“, alle Entscheidungen mittragen müssen.
Wir machen die Ausrichtung unserer Politik und damit die Zukunft Deutschlands – leider Gottes – abhängig von einer Geschichte, in der zu viele Geheimnisse auftauchen. Wenn aber die Hintergründe ganz anders sind, ja dann muß ich auch das Regierungshandeln und die angesprochene Ausrichtung hinterfragen. Hier besteht ein klarer und von Herrn Fritsche richtig formulierter Interessenkonflikt: der Staat verbirgt, was wir herausfinden müssen!
Neue Ordnung: Herr Voss, bräuchte es einen deutschen Edward Snowden, um Licht ins Dunkel des NSU-Phantoms zu bringen?
Voss:Diesen gibt es! Seit Mitte 2014 werden Akten zum NSU-Komplex ins Netz gestellt – für jeden abrufbar. Der Blogger „Fatalist“ und ein „Arbeitskreis NSU“ werten diese aus und kommen zu dem gleichen Schluß wie ich, nämlich daß uns die Wahrheit vorenthalten wird und Akten und Tatorte manipuliert wurden.
Neue Ordnung:Eine letzte Frage hierzu: Was ist Ihre Version des NSU-Phantoms? Was könnte sich denn wahrscheinlich wirklich abgespielt haben? Herr Voss, entwerfen Sie doch Ihre Deutung in groben Zügen.
Voss: Eine schwierige, aber naheliegende Frage; die Antwort muß an dieser Stelle noch hypothetisch ausfallen. Ich habe am Ende des Buches versucht, eine alternative Geschichte zu umreißen und denke, sie geht in die richtige Richtung. Sie ist zumindest nicht weniger glaubhaft, als es die offizielle Version ist, aber sie ist noch nicht das sprichwörtliche „Gelbe vom Ei“. Konkret: Ich habe die Vermutung aufgestellt, daß die drei im Untergrund befindlichen Thüringer bewußt dorthin getrieben wurden. Hierfür spricht viel beim organisiert anmutenden Unvermögen der Behörden beim Abtauchen des Trios.
Weiter vermute ich, daß die Dienste nicht lange nach dem Untertauchen angefangen haben, die Zelle zu führen. Ich vermute alte Stay-behind-Strukturen hinter dem ganzen Geschehen. Hierfür spricht nämlich einiges: Der Unterschlupf des Trios war den Behörden keineswegs unbekannt. Man hat sie nicht auffliegen lassen, weil man wußte, wo sie sind – und sie führte. 2011 entledigte man sich der Zelle und mit ihr einer ganze Reihe von ungeklärten Morden. Hierfür sprechen offensichtlich vertuschtes Wissen über die wahren Hintergründe und die auffälligen Unstimmigkeiten bezüglich einer Täterschaft des Trios – und natürlich die augenscheinlichen Inszenierungen beim „Selbstmord“ von Böhnhardts und Mundlos.
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Kai Voss: Das NSU-Phantom. Staatliche Verstrickungen in eine Mordserie, Graz: Ares 2014. 288 S., 19,90 €, hier bestellen
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Jonny
Hier der besagte Blog des Fatalisten:
https://sicherungsblog.wordpress.com/
Teilweise etwas wirr, aber wer logisch und vor alle Dingen selbstständig denken kann, der findet sich dort auch zurecht.