und eine Schande ist sie jedem, der fühlt.” Urteilte Björn Höcke so über die treibende Kraft hinter dem Berliner Holocaust-Mahnmal?
Halt, nein, eigentlich war es Christian Bommarius in der Berliner Zeitung, der im Mai 2005 dieses harte Urteil fällte, das damals durchaus keine Minderheitenmeinung war. Was hatte den Autor derart erbost? Die notorisch exzentrische Rosh, die mit Vornamen eigentlich Edith heißt (sie fand diesen Namen laut offizieller Darstellung „schrecklich deutsch“ ) und von der Berliner Stadtzeitung tip zur “peinlichsten Berlinerin des Jahres” gekürt wurde, hatte im Laufe der Einweihungsveranstaltung am 10. Mai 2005 einen originalen “Judenstern” sowie einen Backenzahn präsentiert, den sie angeblich auf dem Gelände von Belzec gefunden hatte, und verkündet, diese Reliquie feierlich in eine Stele des Mahnmals einbetonieren zu wollen – ein Ansinnen, das glücklicherweise verhindert wurde, nicht zuletzt durch den Einspruch von jüdischen religiösen Autoritäten.
Diese farcenhafte Anekdote illustriert trefflich einen Witz, der dem Vernehmen nach seinerzeit “in der Berliner jüdischen Gesellschaft kursierte” und den ich bei Gevatter Klonovsky gefunden habe:
Wer hat einen Dachschaden, wäre aber lieber meschugge?
Antwort: die
“knuffige deutsche Wunschjüdin, die sich selber in Lea Rosh umbenannte, um nachträglich symbolisch auf die Seite der Opfer zu wechseln” (Klonovsky).
Zwar hat die 1936 geborene und protestantisch erzogene Rosh lediglich einen jüdischen Großvater aufzuweisen, hat jedoch eine ganze Karriere daraus gemacht, sich als allzu deutsche Über-Jüdin und Holocaust-Hohepriesterin in Szene zu setzen, quasi als wandelndes Amalgam aus Täterschuldstolz und Opferprivileg. Auch so kann deutsch-jüdische Symbiose funktionieren, mit dem Worst of beider Seiten in Personalunion. Daß eine Figur wie Rosh, ein Produkt der Nachkriegs-Bundesrepublik ebenso wie Claudia Roth oder der gleichaltrige Horst Mahler, Hauptinitiatorin des Mahnmal-Projektes war, ist kein Zufall und sollte zu einem Tiefenblick einladen.
Um das Geld für das Mahnmal zusammenzutrommeln, ließ Rosh seinerzeit in der Nähe des Brandenburger Tores ein Riesenplakat mit dem Slogan “Den Holocaust hat es nie gegeben” aufhängen, das eine böse schuldverdrängende und daher gründlich zu vermiesende Berg‑, Wald- und Seeidylle zeigte. Baal Müller schrieb 2001 in der Jungen Freiheit einen treffenden Kommentar über die implizite Botschaft dieses Plakates:
Besonders hinterhältig ist die durch die alpine Idylle auf dem Plakat angeregte Assoziationskette, die eine Verbindung zwischen bayerischem (Rest-)Konservatismus, deutschem Konservatismus überhaupt und der Leugnung des Holocaust konstruiert. Die unterschwellige Botschaft dieser agitativen Suggestion ist eindeutig: Nicht die tatsächlichen Neonazis sind die eigentlich gefährlichen Holocaust-Leugner, sondern diejenigen, die sich mit dieser besonders symbolträchtigen, “typisch deutschen” Seelenlandschaft identifizieren, die so boshaft heimattreuen, beharrlich volkstümlichen und volkstümelnden Durchschnittsdeutschen, jene fast ausgestorbene Spezies also, die man in unserem Land freilich mit der Lupe suchen muß.
Auch die wochenendliche Fahrt ins gebirgige Naherholungsgebiet ist also irgendwie anrüchig, weil “typisch deutsch”; Natur und Landschaft sind gefährlich, weil ihr unbeschwerter Genuß dazu beiträgt, den Holocaust “zu verdrängen”. Der “volkstümliche” Deutsche, der angesichts des Holocaust noch heiter und unbeschwert zu sein wagt, ist ein Dorn im Auge der Tugendwächter, ist anrüchig, gefährlich und daher unter pädagogische Aufsicht zu stellen.
Eva Menasse kritisierte in der FAZ die “autoritäre Pädagogik” und den “Gesinnungsterror” dieser Art von Kampagne, die den Holocaust zu einem PR-“Spielball” mache. Das Magazin der Süddeutschen Zeitung faßte damals die gängige, lagerübergreifende Kritik an Rosh zusammen:
Dampfwalze Lea, Holocaust-Kassandra, Wunschjüdin, Oberlehrerin mit moralisch erhobenem Zeigefinger, Mutter aller Mahnmale. Fanatisch, herrschsüchtig, einschüchternd, ignorant, unnahbar. […] Lea Rosh hat den Holocaust inkarniert, obwohl sie keine Jüdin ist. (Wenn sie eine wäre, würde sich kein Mensch über sie aufregen.) In all den Jahrzehnten der Beschäftigung mit Nazis und Holocaust ist ihr dabei die Distanz abhanden gekommen. Der Holocaust, sagt sie, habe sie vergiftet.
Es war also keineswegs bloß die nationalkonservative Presse, der auffiel, daß Rosh offenbar reichlich meschugge ist und ihre Motivationen und Intentionen nicht ganz koscher waren. In erster Linie wollte sie wohl sich selbst und ihrer Mission ein Denkmal setzen. Thorsten Hinz (alias “Doris Neujahr”) diagnostizierte eine “Melange aus Betroffenheit, Sendungsbewußtsein, Groll, Größenwahn, aus Kompensations- und Rachebedürfnis”, und sah im symbolpolitischen Projekt des Mahnmals eine Art verspäteten “Sieg” Hitlers, der zum negativen Zentrum der nationalen Sinnstiftung wird:
Deutschland hat sich mit dem gigantischen Stelenfeld im Herzen der Hauptstadt bereits festgelegt. Es besagt: Der Judenmord kam aus der Mitte des deutschen Volkes! Er ist das zentrale, sinnstiftende Ereignis seiner Geschichte, das alle Bereiche transzendiert. Bundestagspräsident Thierse behauptet, es werde von der “ganzen deutschen Gesellschaft” errichtet. […]
Über die Mahnmal-Initiatorin Lea Rosh höhnt der Historiker Götz Aly, sie verkörpere nicht das “bessere”, sondern das “dumme” Deutschland. Wolfgang Thierse galt in der Akademie der Wissenschaften, seiner Arbeitsstelle in der DDR, als “Mauerblümchen”. Nun will er auf dem Mauerstreifen ein Zeichen späten Bekennermuts pflanzen. Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat sich bis heute nicht ehrlich dazu erklärt, wieso sein Vater Deportationspapiere für Auschwitz abzeichnete. Und Jan Philipp Reemtsma entstammt einer Familie, die die Nationalsozialisten mit Spenden bedacht und im Gegenzug gut verdient hat.
Nur Salomon Korn kommt ehrlich zur Sache: Das Mahnmal solle “ein öffentliches Ärgernis bleiben – ein Pfahl im Fleisch der Erinnerung”. Es stehe für die Absage an jeden “Rest an ungebrochenem Nationalbewußtsein”. Mit Deutschland sei nur noch eine “’negative’ Identifizierung” erlaubt, denn seine neuere Geschichte sei ein “blutiger Ozean”. Auch die Protokollstrecke für internationale Staatsgäste solle am Denkmal vorbeiführen. Aus Korns Formulierungen spricht das – aus seiner Biographie begreifliche – Ressentiment gegen das “Tätervolk”. Juden sind in der Vergangenheit oft durch Symbole gedemütigt worden. Korns Wunsch ist es, die Demütigung umzukehren. Doch wem kann es nützen, diesen Wunsch zu erfüllen?
Das Mahnmal sollte also exakt den Zweck erfüllen, den Höcke in seiner Rede ansprach. Man kann ihm deswegen also kaum einen Vorwurf machen. Andere Nationen errichten ihrem Ruhm Denkmäler, die Deutschen ihrer Schande, noch dazu mitten in ihrer Hauptstadt. Das ist in der Tat “singulär”. Diese Meinung hielt bislang offenbar auch die Bundesregierung für diskussionswürdig. So findet sich auf bundesregierung.de ein am 5. September 2016 erschienener Text zur “Denkmalkultur in Deutschland”, in dem der britische Kunsthistoriker Neil MacGregor ohne Beanstandung zitiert wird:
Dass nach 1990, als das wiedervereinte Deutschland seine Rolle in Europa und der Welt vorsichtig neu definierte, das lang umstrittene Holocaust-Mahnmal – nach mehr als zehn Jahren des Debattierens und Streitens, nach Wettbewerben mit mehreren hundert eingereichten Entwürfen und nach mehrfacher Überarbeitung des letztlich ausgewählten Projekts – zum bedeutendsten Denkmal in Berlin wurde, das hat für sich genommen schon hohe Symbolkraft. Neil MacGregor hat anhand dieses Beispiels auf eine Besonderheit deutscher Denkmalkultur aufmerksam gemacht. Er kenne, schrieb er im Buch zu seiner Ausstellung „Deutschland. Erinnerungen einer Nation“, er kenne „kein anderes Land, das in der Mitte seiner Hauptstadt ein Mahnmal der eigenen Schande errichtet hätte.“
Die Deutschen bestehen gewissermaßen darauf, Champions und Weltmeister des Tätertums zu sein, was ein komplementäres jüdisches Gegenstück hat, das etwa die “Insiderin” Tova Reich in ihrem satirischen Roman Mein Holocaust boshaft karikierte.
Die Frage nach der ästhetischen Form des Denkmals geriet im Vorfeld stellenweise zur veritablen Farce. Der Kassler Künstler Horst Hoheisel reichte einen Vorschlag ein, der manche der expliziten wie impliziten Intentionen des Projekts auf eine logische symbolische Spitze trieb:
Hoheisels Entwurf Denkmal für die ermordeten Juden Europas (1995) sah vor, dass sich in unmittelbarer Nähe zum Wettbewerbsgelände befindende Brandenburger Tor abzureißen, es zu Staub zu zermahlen und das Granulat auf dem Gelände für das Mahnmal zu zerstreuen. Anschließend sollte das Gelände mit Granitplatten zugedeckt werden.
Andere abgelehnte Entwürfe bewegten sich im Bereich des Kitsches, der Groteske oder gar der unfreiwilligen makabren Komik. Man wollte allzu grandios, allzu bedeutungsvoll, allzu krypto-sakral sein. Daß man sich für ein ganzes Fußballfeld aus Betonblöcken entschied, hatte einen theatralischen Beigeschmack: das größte Verbrechen aller Zeiten – so das offenbar zugrundeliegende Kalkül – bedarf auch eines entsprechend großen Denkmals, und zwar im buchstäblichen, quantitativen Sinne. Das war ein wenig naiv und gewaltsam gedacht, zielte auf maximale ästhetisch-rhetorische Überwältigung.
Dieser eindrucksvolle Entwurf für ein geplantes Denkmal für die Opfer des Stalinismus in Moskau fällt angesichts der geschätzten immerhin 20 Millionen vergleichsweise bescheiden aus, würde man diese quantitative Denke übernehmen; er ähnelt dem Berliner Denkmal insofern, als er stimmigerweise Elemente totalitärer Architektur verwendet. Hier ist ein anderer Gedenkort am Lubjanka-Platz zu sehen, der sich mit einem einzigen Steinblock begnügt. Der große Unterschied ist, daß die Russen niemals auf die Idee kämen, ein solches Denkmal auf den Roten Platz zu stellen, ebensowenig, wie sie sich die alljährlichen Feiern zum Sieg der Roten Armee am 9. Mai vermiesen lassen würden. Und das ist ihr gutes Recht. Keine Nation der Welt sollte ihre Schandtaten zum Zentrum ihrer Identität machen, wie es die Deutschen tun.
Rosh ist übrigens auch eine Kronzeugin für den direkten, kausalen Zusammenhang zwischen dem “Schuldkult” und der laufenden Flüchtlingspolitik, die offensichtlich eine stark religiöse Dimension hat und ironischerweise den arabischen Antisemitismus zum Massenimportartikel gemacht hat. Im Februar 2016 ließ Rosh in der Welt eine Anzeige mit folgendem Wortlaut schalten:
Wir schaffen das! Frau Bundeskanzlerin! Sie haben unser Land verwandelt. Man hat keine Angst mehr vor Deutschland, im Gegenteil: man will nach Deutschland. Nach den Schrecken, den Untaten, die von Deutschland ausgingen, ist das auch für uns eine neue wunderbare Erfahrung.
Alexander Menschig schrieb auf “Achse des Guten”:
Ich frage mich aber, ob nicht vielmehr eine Art religiöser Masochismus, eine moralisch erhöhte Form des protestantischen Schuldabbaus, im Zentrum einer (psychologischen) Analyse stehen müsste. Denn das lautstarke, wenngleich aktuell leiser werdende „Refugees Welcome“, ist in seiner abstrakten Hypermoral der Ausdruck für eine letzte, metaphysische Größe die nicht mehr hinterfragbar ist: die eigene und kollektive Schuld, die nun, angesichts des Zustroms der Elenden und Benachteiligten der Erde, abgegolten werden kann.
Egal, ob fundamentalistischer Moslem, islamistischer Terrorist, reaktionärer Patriarch oder gewalttätiger Krimineller, alle Menschen sind in Deutschland ohne Ansehen der Person willkommen. In einer quasi religiösen Kollektivneurose nimmt der „Flüchtling“ (aktuell: der Schutzsuchende) den Status des Unantastbaren ein dessen empirische Gestalt nicht thematisiert werden darf.
Aus diesem Grund wird auch Kritik an den dominierenden Formen der Gedenkpolitik als eine Art Sakrileg oder Blasphemie wahrgenommen, und entsprechend kopflos fallen häufig die Reaktionen aus. Björn Höcke hat “Jehova gesagt”, wie in der klassischen Szene aus Monty Python’s “Leben des Brian”. Ebenso reflexartig hat man ihn beschuldigt, daß seine Kritik am Berliner Mahnmal impliziere, daß er jegliches Gedenken an den nationalsozialistischen Genozid ablehne.
Wie zu erwarten, hat die Lügen‑, Lücken- und wohl auch Lumpenpresse ihrem Namen mal wieder alle Ehre gemacht, indem sie Höckes Aussagen völlig verdrehte. Die FAZ etwa titelte: “AfD-Politiker Höcke nennt Holocaust-Gedenken eine ‘Schande’ ”, was später zu “AfD-Politiker Höcke nennt Holocaust-Mahnmal eine ‘Schande’ ” abgeändert wurde und noch immer eine klare Falschbehauptung war.
Persönlich denke ich, daß es selbstverständlich ein Denkmal für die Opfer des Nationalsozialismus in angemessener Form geben soll und muß. Auf einer rein ästhetischen Ebene finde ich auch das Berliner Mahnmal nicht gänzlich mißlungen. Es ist zumindest “interessant”, was freilich in der Kunst schon eine Schwundstufe ist. Es ist ein durchaus eindrucksvolles Erlebnis, durch die endlosen Labyrinthe der steinernen Stelen zu wandern. Dies sah auch Thorsten Hinz so:
Keinerlei Vorwurf trifft den Architekten Peter Eisenman. Sein wallendes Stelenfeld nimmt Formen und Elemente aus Salvador Dalís Gemälde “Die Auflösung des Beharrens der Erinnerung” auf. Dalís akkurate Quader, “die mit unerbittlicher Gleichform gegen Geschichtlichkeit oder Nostalgie der Erinnerung” angehen (Linde Salber) und einen schroffen Kontrast zu den weichen Formen der Meereswellen und der wie Camenberts auseinanderfließen Uhren bilden, sind von Eisenman zu einer dialektischen Einheit verschmolzen worden. Das ist höchst eindruckvoll, doch es bleibt die Anmutung eines Friedhofs.
Ich sehe es als eine legitime Deutung des Holocaust – wenn nicht gar der totalitären Unterdrückung überhaupt – im Geiste einer negativen Theologie, mit womöglich bewußten Anklängen an Kafka.
Wie tief sich die intendierte Erschütterung tatsächlich ausgewirkt hat, läßt sich schwer sagen. Vermutlich war sie letzten Endes nur gering. Schon bald wurde das Mahnmal zur Touristenattraktion, zum Tummelplatz und Erlebnispark für Kinder und Jugendliche, zum öffentlichen Urinal oder zum Schwulentreffpunkt. Inzwischen ist es zum Berliner Alltag geworden; man hat sich schlicht und einfach daran gewöhnt.
Wir sollten uns bewußt sein, daß all die tiefsinnigen politischen, geschichtlichen, geschichtspolitischen, theologischen, zivilreligiösen, ideologiekritischen, nationalpsychologischen und sonstigen “Diskurse”, die wir von links bis rechts über das Problem der “Monumentalisierung der Schande” (Martin Walser), der Hierarchisierung der Opfer oder der negativ definierten nationalen Identität führen, den meisten Menschen unzugänglich und unverständlich sind.
Man kann die Problematik völlig nüchtern darstellen, wie es Götz Kubitschek getan hat, aber diese Tiefenschichten werden immer nur eine kleine Minderheit ernsthaft interessieren, und viele müssen erst ihre “Jehova”-Reflexe überwinden, ehe sie überhaupt erst mit dem Nachdenken beginnen. Schon gar nicht interessieren sie jene, die nun Höcke aus seinen Worten einen Strick drehen wollen und über die günstige Gelegenheit jubeln, ihn als Billardkugel zu benutzen, um die AfD einzulochen. Höcke hat wie gesagt an ein Tabu im buchstäblichen – religiösen und sakralen – Sinne, gerührt, und ein paar Reizwörter haben genügt, eine Flut aus Affekten auszulösen, die jede rationale Debatte ersäuft.
Das Thema der Vergangenheitsbewältigung und Geschichtspolitik war noch vor zehn Jahren ein weitaus größeres Anliegen im nationalkonservativen Lager als heute:
Es gab hier endlose Aufarbeitungen der weniger oder nur einseitig beleuchteten Kapitel des 2. Weltkrieges wie etwa alliierte Kriegsverbrechen, Bombenkrieg, Flucht und Vertreibung, Ursachen des 2. Weltkriegs, die Präventivkriegsthese oder den “kausalen Nexus” (E. Nolte) zwischen Faschismus und Kommunismus. Klärungen diese Art waren einer der wesentlichen Schwerpunkte etwa der Jungen Freiheit, die auch in dieser Hinsicht heute deutlich weniger engagiert ist, als sie es einst war.
Erik Lehnert erinnerte vor ein paar Monaten daran, wie groß etwa die allgemeine, kaum hinterfragte Solidarität mit Martin Hohmann vor nunmehr vierzehn Jahren war. Wer damals aufmerksam mitgelesen hat, was etwa Thorsten Hinz, Karlheinz Weißmann, Ernst Nolte, Stefan Scheil und später vielleicht auch Lichtmesz zu diesem Thema zu sagen hatten, weiß, daß man es sich hier keineswegs leicht gemacht hat. Keine realistische Einschätzung der Lage kann verkennen, daß sich Deutschland im Griff eines fatalen “nationalmasochistischen” Selbstverständnisses befindet, und daß dieses historisch betrachtet selbstverständlich mit dem Trauma des Nationalsozialismus, der beispiellosen Niederlage von 1945 wie auch der anschließenden “Umerziehung” in Ost und West zu tun hat.
Man begibt sich hier indes auf ein komplexes Terrain, dessen Ambivalenz nur wenige ertragen können. Da ich von Björn Höcke weiß, daß er ein langjähriger JF- und Sezession-Leser ist, gehe ich davon aus, daß auch er durch diese Schule gegangen ist, weshalb ich seine Rede mit anderen Ohren höre, als jene, die ihm nun (mal wieder) “nationalsozialistische” Apologie unterstellen. Dennoch möchte ich festhalten, daß ich sowohl sein Auftreten als auch seine oft mißglückende Wortwahl und sein Pathos nicht für besonders zielführend halte.
Gewiß ist es wichtig, daß einer das dezidiert patriotische Terrain hält, auf dem er seinen kernig verteidigten Posten bezogen hat. Dieser Abschnitt des politischen Spektrums ist unerläßlich und sollte von guten Händen und Köpfen verwaltet werden. Dennoch wären mehr Parteidisziplin, Ego-Rücknahme und taktische Rücksicht gerade jetzt weitaus angebrachter als polternde Vorstöße in diesem Stil. Das ist nicht nur eine Geschmacksfrage. Wer mit Volldampf voraus auf ein Minenfeld galoppiert, muß damit rechnen, daß ihm einige Sprengsätze um die Ohren fliegen werden. Und wenn sie ihn am Ende zerfetzen, sind immer noch genügend Minen da, die das Gelände unbetretbar machen. Minenentschärfung dieser Art sollte keine Kamikaze-Aktion, sondern eher ein geduldiges und verantwortungsbewußtes Mikadospiel sein.
Bevor wir uns über die Reaktionen auf Höcke empören, sollten wir uns ins Bewußtsein rufen, was andere so an ihm empört. Unser jeweiliges Vorwissen, unsere Wahrnehmungen, unsere moralischen Urteile und Schwerpunkte, unsere Empfindungen, unsere Einschätzungen der Lage unterscheiden sich oft radikal voneinander, ebenso unsere Grade der Intelligenz oder der Diskurs- und Artikulationsfähigkeit.
Wir auf der Rechten haben den Vorsprung, daß wir uns dieser Unterschiede stärker bewußt sind, im Gegensatz zu vielen, die nie ihre Blase verlassen haben und nicht imstande sind, sich ein Denken “außerhalb der Kiste”, vor allem außerhalb der vermeintlich zwingenden Dichotomie Schuldkult/NS-Glorifizierung überhaupt vorzustellen. Auf sie wirken Höckes Sätze und Wortwahl wie rote Knöpfe, die starke Affekte, Emotionen und Abwehrreflexe auslösen, die Gedanken und Vorstellungen provozieren, die sie nicht einordnen können, weshalb die Nazi-Schublade oft allzu rasch aufgemacht wird.
Ich spreche hier nun weniger von den professionellen Hohepriestern, Profiteuren, Antifanten, Ideologen, Berufsbewältigern, pathologisch Fixierten und ähnlichen. Den wenigsten Menschen kann man ihre Reaktion auf Höckes Tabubrüche zum Vorwurf machen. Sie haben das Problem nie anders kennengelernt, und sie empfinden ehrliche moralische Empörung und Abscheu, viele freilich reflexartig, ohne vorher das Gehirn einzuschalten oder genau hinzuhören. Sie sind durch jahrelange Gehirnwäsche tatsächlich von der unvergleichlichen Alleinschuld Deutschlands überzeugt und haben gelernt, die deutschen Opfer des Krieges als weniger bedeutend oder als verdiente Sühne anzusehen.
Sie sehen nicht, daß dies oft zu einem Zynismus führt, der von außen nicht weniger “widerlich”, “eklig” und moralisch verkommen wirkt, als das, was sie selbst anprangern oder glauben, anzuprangern. (Besonders niederträchtig wird es, wenn die Relativierung von Kriegsverbrechen gegen das eigene Volk streberhafte Züge annimmt, wie etwa bei diesem Zeitgenossen hier.) Sie haben oft kein Bewußtsein dafür, Gläubige einer säkularen Religion zu sein. Das Holocaust-Narrativ bietet ihnen einen moralischen Halt und Kompaß, Dinge, ohne die keine Gesellschaft und kein Mensch existieren kann. Diejenigen, die am tiefsten und unbewußtesten im “Schuldkult” stecken, ihn quasi eingefleischt haben und als solchen kaum mehr wahrnehmen, sind in der Regel auch diejenigen, die seine Existenz am vehementesten leugnen. Gleichzeitig empören gerade sie sich besonders heftig, wenn sich andere ihm verweigern.
Folgende Reaktionen auf Höckes Rede sind mir in den letzten Tagen begegnet:
- Frisch konvertierte Konservative und tendenzielle AfD-Sympathisanten, die mehr oder weniger so geschockt waren, daß sie augenblicklich bereit waren, dieser Partei abzuschwören, solange sie Höcke noch duldet. Bei manchen hatte ich den Eindruck, daß sie noch nie mit einem solchen Tonfall oder Denken in Berührung gekommen sind, und erstmal tüchtig abgeschreckt waren.
- Gemäßigte Patrioten, die Höcke des Größenwahns oder gar der “Perfidie” bezichtigen und glauben, er spiele bewußt mit Reizwörtern, um zu zündeln und zu provozieren, zu welchem Zweck auch immer.
- Der Vorwurf, Höcke wie auch generell das nationale/identitäre/neurechte Lager betreibe eine Art NS-Nekromantie und versuche etwas wiederzubeleben, das 1945 unwiderruflich per Suizid zugrundegegangen sei (nicht der NS, sondern das deutsche Volk an sich war gemeint).
- Der Vorwurf, Höcke lehne generell ein Gedenken für die Opfer des NS ab, kaschiere nur seine “Verachtung” ihres Schicksals, wolle womöglich gar den NS rehabilitieren, sich der deutschen Schuld und Auseinandersetzung nicht stellen usw. In diesem Zusammenhang fällt oft das Wort “Anstand”. Beispielhaft ist etwa dieser Zwitscherer hier, der der Ansicht ist, Höcke stelle sich “bewußt auf die Seite derer, die aus der Shoah nichts lernen und keine Verantwortung für den Massenmord übernehmen wollen”. Wobei es hier wohl eher um die Frage geht, was man nach der Ansicht gewisser Exegeten “aus der Shoah zu lernen” hat und was nicht, was es konkret bedeutet, “Verantwortung für den Massenmord zu übernehmen”.
- Andere wieder können oder wollen hinter dem Denkmal keine böswilligen oder antideutschen Absichten erkennen: Es diene doch nur dem gerechten Gedenken an die ermordeten Juden, seine Größe und Plazierung sei der Größe des Verbrechens angemessen, und es eigne sich doch ganz gut, sofern man individuell dieser Opfer gedenken möchte. Es sei doch kein “Schuldkult”, sich mit der Geschichte und dem “von deutschen Barbaren zugefügten Leid” zu beschäftigen.
- Manche verwiesen auf diverse Denkmäler für die Opfer des Kommunismus/Stalinismus in anderen Ländern und leugneten, daß sich das Berliner Denkmal in irgendeiner Weise von ihnen unterscheide.
- Einer meinte, Höcke sei selbstbezogen, beziehe also das Denkmal nur auf sich und die Deutschen, und denke nicht an jene, denen es gedenken soll. Diese Selbstbezogenheit sei “schändlich” und bedürfe einer “Entschuldigung”.
Das ist nur eine Stichprobe von negativen Reaktionen, die wohl deutschlandweit ziemlich typisch und in der Mehrzahl sind. Jeder, der Höcke verteidigt oder eine ähnliche geschichtspolitische Kritik übt wie er, muß mit identischen Unterstellungen und Anschuldigungen rechnen. Das kann auch überaus häßlich und bis zum Äußersten irrational werden. Wenn die Affektlawine erstmal losgetreten ist, dann ist in der Regel jede Hoffnung auf eine echte, sachliche Debatte vergebens.
Manchmal zweifle ich daran, ob es noch irgendeine Rettung für die Deutschen aus ihrer Verblendung und ihren Lebenslügen geben wird. Sie waren schon immer ein Volk, das wie die Russen oder die Juden für religiöse, moralische oder gar messianische Passionen äußerst empfänglich ist. In einer Sache bin ich mir jedoch inzwischen sicher: Jeder Frontalangriff à la Höcke ist auf realpolitischem oder parteipolitischem Gebiet zum Scheitern verurteilt. Er wird gewiß sein Publikum finden, aber kaum mehrheitsfähig sein. Auf letzteres nun kommt es an. Die Zeit rennt uns davon. Wenn die AfD nicht bald stärkste Kraft im Land wird, können wir Deutschland als Heimatland der Deutschen ein für alle mal abschreiben. Man wird aber kaum auf dem geschichtspolitischen Pferd ans Ziel kommen. Ich stimme in dieser Hinsicht also Michael Paulwitz zu:
Eine Alternative, die eine politische Wende herbeiführen will, muß für breite Schichten der Bevölkerung wählbar sein. Dafür muß sie, statt Schlachten der Vergangenheit zu schlagen, die Mißstände in den Mittelpunkt stellen, an denen unser Gemeinwesen heute krankt: Die fortgesetzten Rechtsbrüche der Etablierten bei Euro-„Rettung“, Energiewende und Masseneinwanderung, die Demontage des Rechtsstaats, der grassierende Verlust an Ordnung, Freiheit, Sicherheit, Gemeinsinn und bürgerlichen Tugenden.
Das bewegt die Bürger, damit muß die Wende beginnen und nicht mit geschichtspolitischen Parolen, die die wenigsten nachvollziehen können, von denen die meisten abgestoßen werden und die dem Establishment so einen willkommene Vorwand liefern, um vom eigenen Versagen abzulenken.
Lyrurus
Vielen Dank für diese gute Aufbereitung des Themenkomplexes.
In der nächsten Zeit werden wir uns also in Diskussionen nicht nur mit Schießbefehl auf Frauen und Kinder, der Ablehnung von Boateng in der Nachbarschaft, sondern auch mit dem Denkmal der Schande konfrontiert sehen.
Das macht es nicht einfacher und kostet wieder viel Zeit und Arbeit, um dies für die Verunsicherten zu erläutern und einzuordnen (wobei vorliegender Text sicher hilfreich sein wird; daher möchte ich anregen, für Texte wie diesen die Art der Verfügbarkeit zu überdenken) . Dazu kommt die mit den Begleitumständen verbundene Frustration der Aktiven. Das ist vermutlich das Schlimmste.
Mein Fazit: Überlegtes strategisches Handeln sieht anders aus. Dabei hatte ich kurz den Eindruck, daß Höcke - und der Rest der AfD-Führung - sich ihrer Verantwortung inzwischen bewußt seien und entsprechend handeln. Auch das ist rechte Inkompetenz.