Exemplarisch für die Stimmung ist etwa die vorfreudig geäußerte Meinung von Fabian Wittreck, Professor für Öffentliches Recht an der Uni Münster:
„Ich gehe davon aus, dass der Verfassungsschutz mit der Einstufung noch einmal nachlegen wird“, sagte er im Gespräch mit dieser Redaktion. Heißt: Wahrscheinlich wird das Bundesamt die AfD bald deutschlandweit als „gesichert rechtsextrem“ einstufen. Das hätte direkte Konsequenzen für Parteifunktionäre, die öffentliche Ämter bekleiden, also zum Beispiel Richter oder Polizeibeamte werden wollen: Als Angehörige einer gesichert rechtsextremen Partei „haben sie es künftig wesentlich schwerer, ein solches Amt zu erhalten“, so Wittreck. (…) „Das Urteil ist ein weiterer Mosaikstein in Richtung Parteiverbot.“
Ist es also nun wirklich so einfach, hat das BfV nun freie Bahn, sein übliches Ächtungsritual stufenweise durchzuziehen? Wird es nun, wie schon beim Institut für Staatspolitik selig, nach dem ersten Schritt des “Verdächtigens”, grübel, grübel und studier’, den Fall sorgfältig und gewissenhaft prüfen und sodann ein gerechtes und ausgewogenes Urteil fällen, ob es sich hierbei tatsächlich um einen vollkarätig rechtsextremen Käfer handelt?
Nicht so schnell, meint Mathias Brodkorb, jene einsame kritische Stimme im Mainstream wider die Machenschaften des BfV. In einem Interview für Cicero (Bezahlschranke) sagte er sogar, man könne “politisch von einem Erfolg der AfD sprechen”. Wie kommt er auf einen derart kontraintuitiven Gedanken?
Sehen wir uns die Ausführungen des Vorsitzenden des 5. Senats zur Begründung des Urteils an. Darin heißt es:
Die AfD hat keinen Anspruch auf Unterlassung der Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz. Die Regelungen des Bundesverfassungsschutzgesetzes stellen eine ausreichende rechtliche Grundlage für die Beobachtung als Verdachtsfall dar. (…) Die Befugnis zur nachrichtendienstlichen Beobachtung besteht, wenn ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die betroffene Vereinigung Bestrebungen verfolgt, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Bloße Vermutungen oder Spekulationen genügen nicht.
Diese Anhaltspunkte, daß “die AfD Bestrebungen verfolgt, die gegen die Menschenwürde bestimmter Personengruppen sowie gegen das Demokratieprinzip gerichtet sind, sieht das Gericht gegeben”, dies allerdings nicht “in der Häufigkeit und Dichte wie vom Bundesamt angenommen”:
Es besteht der begründete Verdacht, dass es den politischen Zielsetzungen jedenfalls eines maßgeblichen Teils der AfD entspricht, deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund nur einen rechtlich abgewerteten Status zuzuerkennen. Dies stellt eine nach dem Grundgesetz unzulässige Diskriminierung aufgrund der Abstammung dar, die mit der Menschenwürdegarantie nicht zu vereinbaren ist.
Und nun die Ohren spitzen:
Verfassungswidrig und mit der Menschenwürde unvereinbar ist nicht die deskriptive Verwendung eines „ethnisch-kulturellen Volksbegriffs“, aber dessen Verknüpfung mit einer politischen Zielsetzung, mit der die rechtliche Gleichheit aller Staatsangehörigen in Frage gestellt wird. Hier bestehen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für derartige diskriminierende Zielsetzungen.
Brodkorb, der seinerseits stets diese grundgesetzliche Legitimität des ethnokulturellen Volksbegriffs unterstrichen hat (Lieblingsbeispiel Einbürgerung der Rußlanddeutschen und anderer verstreuter “Volksdeutscher” nach Zerfall der Sowjetunion), kommentiert zu Recht:
Das Gericht erklärt einen „ethnisch-kulturellen Volksbegriff“ für verfassungsrechtlich legitim. Er dürfe nur nicht benutzt werden, um unter den Staatsbürgern eine ethnisch motivierte Zweiklassengesellschaft des Rechts zu errichten. Manchem Verfassungsschutzmitarbeiter mag da kurzeitig das Herz stehen geblieben sein.
Was ist die Faktenlage bezüglich dieser “Benutzung”? Brodkorb:
Ich kenne kein einziges offizielles Parteidokument, in dem anhand ethnischer Kriterien eine rechtliche Zweiklassengesellschaft gefordert wird. Genaueres weiß man aber erst bei Vorliegen der Urteilsbegründung: Die Partei sagt das zwar nicht, aber einzelne relevante Funktionsträger kann (oder muss) man so interpretieren, als wollten sie die rechtliche Diskriminierung Deutscher mit Migrationshintergrund in Wahrheit doch.
Dies nachzuweisen, wäre die Hürde, die das BfV überwinden muß, um die AfD als “gesichert” rechtsextrem einzusacken. Bis dahin gilt, was der Vorsitzende Richter betonte:
Was für einen Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen ausreicht, führt aber auch nicht zwangsläufig zur Annahme einer erwiesen extremistischen Bestrebung.
Auch diese Stelle aus der Urteilsbegründung ist bemerkenswert:
Eine sachlich richtige und weltanschaulich-politisch neutrale Bekanntgabe, dass das Bundesamt Informationen über mögliche verfassungsfeindliche Bestrebungen bei der AfD sammelt, belastet diese daher auch nicht unverhältnismäßig, jedenfalls solange mit der Bezeichnung als „Verdachtsfall“ in keiner Weise der Eindruck erweckt wird, es stehe fest, dass die AfD gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen verfolgt.
Es wäre demnach also verfassungswidrig, wenn das BfV “den Eindruck erweckt”, die AfD wäre “rechtsextrem”.
Nun: hier zeigt sich die Hinterhältigkeit des VS-Systems, denn bekanntlich ist schon der “Verdacht” eine Waffe und hat de facto den Zweck, öffentlich einen bestimmten Eindruck zu “erwecken”, also das Objekt der Beobachtung in den “Ruch” des Extremismus und der “Verfassungsfeindlichkeit” zu bringen, was juristisch schwer greifbar ist. Genau so funktioniert eben die “Herrschaft des Verdachtes”. (Konkret sind es vor allem die Medien, die dann dem BfV die “Schmutzarbeit” abnehmen.)
Immerhin wurde hier eine konkretere und einigermaßen nachvollziehbare Begründung geliefert, inwiefern denn nun der “ethnokulturelle Volksbegriff” gegen die, wie man so oft zu hören bekommt, “Menschenwürde” verstossen könnte. Bei letzterer haben wir es mit einem Begriff zu tun, der ähnlich wie “Demokratie”, “Diskriminierung” oder “Ausgrenzung” nahezu beliebig dehnbar und somit für das herrschende Kartell äußerst nützlich ist.
Rein theoretisch hätte die AfD hier ganz gute Karten, wenn sie deutlich macht, daß die Rechtsgleichheit der “deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund” in keiner Weise zur Disposition stehe.
Das ließe sich ohne weiteres mit der Zielsetzung vereinbaren, daß die Bevölkerung des Landes mehrheitlich abstammungsdeutsch bleiben müsse, damit seine ethnokulturelle Identität und Leitkultur gewahrt bliebe, ebenso mit dem Vorhaben, den Einwanderern gewisse Anpassungsleistungen und ‑pflichten abzuverlangen.
Man nehme zum Beispiel die Präambel des ungarischen Grundgesetzes, das “nationale Bekenntnis”, das den ungarischen Charakter des Landes betont, aber den dreizehn (!) staatlich anerkannten ethnischen Minderheiten (Rumänen, Deutsche, Ukrainer etc.) volle Rechtsgleichheit garantiert:
Wir verpflichten uns, unser Erbe, unsere einzigartige Sprache, die ungarische Kultur, die Sprache und Kultur der in Ungarn lebenden Nationalitäten, die durch den Menschen geschaffenen und von der Natur gegebenen Werte des Karpatenbeckens zu pflegen und zu bewahren.
Dasselbe wäre auch im Hinblick auf die deutschen Staatsbürger mit “Migrationshintergrund” vorstellbar, sollte das GG eines utopischen Tages um eine Präambel in ungarischer (oder israelischer) Manier erweitert werden. Ein großer Unterschied wäre freilich, daß die anerkannten Minderheiten in Ungarn zum überwiegenden Teil im Staatsgebiet autochthon und/oder historisch dort schon lange verwurzelt sind (sogar Armenier gibt es dort seit einigen Jahrhunderten.)
Einem Staat, der zur “Lawfare” gegen eine Oppositionspartei gewillt ist, werden freilich auch hier etliche Finten einfallen, um “die Menschenwürde” gegen das Ansinnen, Deutschland “als Land der Deutschen” zu konzipieren und zu erhalten, in Stellung zu bringen (was bereits Praxis ist).
Zu diesem Zweck müßte nicht nur die Unterscheidung zwischen ethnischen Deutschen und Paßdeutschen als “Verstoß gegen die Menschenwürde” interpretiert werden, sondern auch jene zwischen deutschen Staatsbürgern und “Menschen” gleich welcher Nationalität und Staatsangehörigkeit.
Und auch diese Route wurde schon lange eingeschlagen, indem Menschenrechte systematisch gegen Bürgerrechte ausgespielt werden. Das ist eine der wichtigsten Brechstangen, um die Politik der Massenimmigration durchzusetzen.
Am Ende seines Interviews mit Cicero beklagt Brodkorb die drohende Aushöhlung des Rechtsstaates durch eine überzogene Anwendung des Extremismusbegriffes:
Auf bloßen Verdacht hin darf in einem Rechtsstaat niemand bestraft werden (…) Wir leben schließlich in einem Rechts- und nicht in einem Gesinnungsstaat.
Noch, möchte man hier ergänzen.
Denn für viele ist der Gesinnungsstaat, dessen Bestrafungs- und Zuchtmaßnahmen (siehe auch die jüngsten Fälle Höcke und Marie-Thérèse Kaiser) via mediale und zivilgesellschaftliche Vermittlung auch ohne direkte gesetzliche Grundlagen wirksam sind, schon längst zur Wirklichkeit geworden.
Maiordomus
@Lichtmesz. Sie bleiben der am klarsten formulierende, informativ bei der Sache bleibende "Journalist" in der Mannschaft, den Begriff ausnahmsweise nicht so gemeint, wie Bismarck ihn einschätzte, nämlich einen, "der seinen Beruf" verfehlt habe.