Notizen zu einer Debatte um das “Vorfeld”

Die aktuelle Diskussion rund um „Partei und Vorfeld“ ist richtig und wichtig. Sie bietet die Gelegenheit, den eigenen Standpunkt zu aktualisieren und Klarheiten zu schaffen, wo Unklarheiten entstanden.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Vor­feld als Begriff: Der Vor­feld­be­griff ist, wie jeder poli­tisch-welt­an­schau­li­che Ter­mi­nus tech­ni­cus, ein Werk­zeug. Ein Werk­zeug kann man nut­zen oder nicht, aber in jedem Fall soll­te man, bevor man es ver­wirft, ein bes­se­res Werk­zeug als Alter­na­ti­ve bereit­ge­legt haben. Das ist nicht der Fall: Vie­le ratio­nal nach­voll­zieh­ba­re Hilfs­be­grif­fe sind längst ander­wei­tig besetzt bzw. haben sich his­to­risch ver­braucht: Das kann man etwa für „Bewe­gung“ oder „(rech­te) Sze­ne“ behaup­ten, eben­so aber für „(natio­na­les) Lager“ oder „(natio­na­le) Opposition“.

Vor­feld als gesell­schaft­li­che Rele­vanz­kraft: Für das Vor­an­kom­men patrio­ti­scher Ein­stel­lungs­mus­ter in der gesam­ten Gesell­schaft wird ein effek­ti­ves Zusam­men­spiel aus einer patrio­ti­schen Wahl­par­tei und einem außer­par­la­men­ta­ri­schen Vor­feld benö­tigt, das die­ser Wahl­par­tei vor­aus­geht und dort aktiv sein muß, wo die täg­li­che bewuß­te, oft aber unbe­wuß­te Prä­gung der Bür­ger statt­fin­det: in Ver­ei­nen und Bür­ger­initia­ti­ven, über Zei­tun­gen und Pod­casts, bei You­Tube und Tik­Tok, im Sport usf.

Vor­feld als gesell­schaft­li­che Prio­ri­tät: Das rech­te Feld jen­seits der Par­tei ist des­halb ein „Vor­feld“, kein „Umfeld“ oder der­glei­chen, weil es der Par­tei mit sei­ner Exis­tenz vor­aus­geht, weil sei­ne Tätig­keits­fel­der dem Par­la­men­ta­ris­mus vor­aus­ge­hen, weil sei­ne Inhal­te des Vor­po­li­ti­schen den Inhal­ten des Par­tei­po­li­ti­schen vor­aus­ge­hen.

Dar­aus folgt: Ohne viel­ge­stal­ti­ge Vor­feld­struk­tu­ren, wel­che die Posi­tio­nen und Begrif­fe des eige­nen poli­ti­schen Lagers in die Gesell­schaft tra­gen, hät­te es geschicht­lich betrach­tet nie­mals eine erfolg­rei­che deut­sche Sozi­al­de­mo­kra­tie von Ges­tern oder die gesell­schafts­prä­gen­den Grü­nen von Heu­te gege­ben. Und auch wenn es bestimm­te Akteu­re in der AfD noch nicht ver­stan­den haben: Ohne die lang­jäh­ri­ge Kärr­ner­ar­beit (vul­go: „Vor­feld­ar­beit“) der diver­sen sog. „Neu­en Rech­ten“ und der eben­so diver­sen kon­ser­va­ti­ven Ein­fluß­kräf­te wären auch die aktu­el­len und ver­gan­ge­nen Erfol­ge der AfD nur schwer in die­sem umfas­sen­den Maße denk­bar gewesen.

Wahl­er­fol­ge sind die Fol­ge von Hege­mo­nie­kämp­fen im vor­po­li­ti­schen Feld, nicht ihre Ursa­che. So geht die Meta­po­li­tik eines Vor­felds, ein­mal mehr, der Real­po­li­tik einer Par­tei vor­aus. (Anschlie­ßend for­mie­ren sich frei­lich neue Hege­mo­nie­kämp­fe; neue Are­nen mit neu­en Her­aus­for­de­run­gen wer­den für Meta- und Real­po­li­tik erschlos­sen, man den­ke an das Fall­bei­spiel Ungarn).

Vor­feld als par­tei­na­her Raum: Das Vor­feld einer Par­tei ist im längst kon­struk­tiv ver­an­ker­ten Sche­ma der Mosa­ik-Rech­ten der Schutz‑, Unter­stüt­zungs- und par­ti­ell Rekru­tie­rungs­raum für eine patrio­ti­sche Samm­lungs­par­tei, die im Par­la­men­ta­ris­mus qua Exis­tenz dafür sor­gen muß, daß patrio­ti­sche Stim­men reprä­sen­tiert wer­den. Zum Vor­feld müs­sen jene Orga­ni­sa­tio­nen, Ver­ei­ni­gun­gen und Zusam­men­schlüs­se gerech­net wer­den, die ideell einer bestimm­ten Par­tei in einer bestimm­ten Ent­wick­lungs­pha­se ihrer Poli­tik nahe­ste­hen. Sie sind in ihrem Ver­hält­nis zur Par­tei das Vor­feld – wird indes­sen das Ver­hält­nis ein­sei­tig oder beid­sei­tig „auf­ge­kün­digt“, wird das Vor­feld funk­tio­nal wie­der die außer­par­la­men­ta­ri­sche Rech­te, die sie vor­her bereits war.

Vor­feld als eige­ner Kos­mos: Dies ist wich­tig zu begrei­fen: Der Exis­tenz­zweck des Vor­felds als Milieu ist nicht „nur“ die Par­tei, son­dern durch Arbeits­tei­lung und Beset­zung gesell­schaft­li­cher Pos­ten eine ideen- und volks­ver­bun­de­ne Poli­tik zu betrei­ben. Ent­schei­det man sich aber eben, auch den par­la­men­ta­ri­schen Weg (mit-)zugehen, weil wir in der „Lage“ den­ken und han­deln und in einer par­la­men­ta­ri­schen Demo­kra­tie leben, ist eine Par­tei unver­zicht­bar, obschon das nie dau­er­haft heißt, daß die­se Par­tei alter­na­tiv­los ist oder daß die­sel­ben „Geset­ze“ für Par­tei und Vor­feld gelten.

Solan­ge rele­van­te Tei­le der poli­ti­schen Rech­ten (nicht: alle) bezüg­lich einer Koope­ra­ti­on und Inter­ak­ti­on mit einer Par­tei – in unse­rem Bei­spiel: die AfD – einen Teil ihrer Hoff­nun­gen set­zen, wer­den sie zum Vor­feld durch ihre objek­ti­ve Stel­lung im poli­ti­schen Pro­zeß, egal ob sie sich sub­jek­tiv lie­ber ande­res nen­nen (was ich für legi­tim und, sie­he Götz Kubit­schek bei sezession.de, auch für gut begründ­bar hal­te). Vor­feld­ak­teu­re, die auf die und mit der Par­tei wir­ken, müs­sen dabei kei­nes­wegs for­mel­le Par­tei­mit­glie­der sein, um an der Reso­nanz­raum­er­wei­te­rung im par­tei­po­li­ti­schen Feld betei­ligt zu sein; die Mosa­ik­stei­ne in der Mosa­ik-Rech­ten sind – zuge­be­ner­ma­ßen: ein­mal mehr ide­al­ty­pisch – neben­ein­an­der plat­ziert, nicht auf­ein­an­der, wenn­gleich der eine Stein über sei­ne staat­lich gewähr­te Finanz­po­tenz und sei­ne öffent­li­che Reich­wei­te auto­ma­tisch grö­ßer ist als der ande­re usf.

Auch ande­re Par­tei­en kön­nen im Mosa­ik-Bild einen Stein abbil­den – nur ist die AfD einst­wei­len wei­ter­hin die größ­te par­la­men­ta­ri­sche Chan­ce der bun­des­deut­schen Geschich­te für das patrio­ti­sche Groß­la­ger und daher beson­ders zen­tral in allen stra­te­gi­schen und prak­ti­schen Ansät­zen. Die­se Moment­auf­nah­me kann sich über die Jah­re ändern.

Vor­feld als zeit­be­ding­ter Sta­tus der außer­par­la­men­ta­ri­schen Rech­ten: Das, was der­zeit als Vor­feld der AfD ange­se­hen wird, exis­tier­te über­wie­gend bereits vor der Par­tei­grün­dung und wird über­wie­gend auch nach einem even­tu­el­len und unwahr­schein­li­chen Ende der Par­tei (durch Auf­spal­tung, Ver­bot usf.) exis­tie­ren: Es stellt eine eige­ne poli­ti­sche Land­schaft dar. Es ändert sich daher durch Par­tei­ko­ope­ra­ti­on nicht das Wesen der Akteu­re, son­dern ihre Funk­tion.

Der rein außer­par­la­men­ta­ri­schen Rech­ten hat das Ent­schei­den­de im Rah­men des real­exis­tie­ren­den Par­la­men­ta­ris­mus gefehlt: die Samm­lungs­par­tei, in deren Nah­be­reich patrio­ti­sche Struk­tu­ren wir­ken kön­nen. Durch die Par­tei und ihre unter­schied­li­chen Pha­sen änder­te sich daher die erwähn­te Funk­ti­on der „APO“ – sie ist nun, für eine ganz bestimm­te, zeit­lich nicht vor­her defi­nier­ba­re Pha­se der Meta- und Real­po­li­tik, o.g. Schutz‑, Unter­stüt­zungs- und par­ti­ell Rekrutierungsraum.

Hin­zu kommt: Ein AfD-Poli­ti­ker, der das Vor­feld bzw. Tei­le des Vor­felds för­dert, baut auch für sich selbst vor – in zu erwar­ten­den Post-AfD-Zei­ten (ob aus sub­jek­ti­vem Ent­schluß oder aus objek­ti­ven Not­wen­dig­kei­ten) exis­tiert so eine wei­te­re, für man­che neue Welt, die es zu bewoh­nen und bear­bei­ten gilt.

Vor­feld als Ideen­mo­tor: Die AfD ver­fügt bun­des­weit über 6 Mil­lio­nen Wäh­ler (EU-Wahl, Juni 2024) und eine bun­des­wei­te prak­ti­sche Ver­an­ke­rung. Was ihr zu oft fehlt, ist die ideel­le Ver­an­ke­rung in einem patrio­ti­schen, poli­tisch-inhalt­li­chen Beritt. Für die Ver­mitt­lung eines stand­punkt­ge­bun­de­nen Den­kens mit welt­an­schau­li­cher Fes­ti­gung bedarf es daher hege­mo­nia­ler Grup­pen aus dem Vor­feld. Die­se müs­sen bereit sein für Rück­sichts­nah­men auf das par­la­men­ta­ri­sche All­tags­ge­schäft. Doch ideo­lo­gisch müs­sen sie die ande­ren suk­zes­si­ve einer in den Schlüs­sel­fra­gen kohä­ren­ten Welt­an­schau­ung zufüh­ren; lang­sam und ste­tig, soweit es geht.

Akteu­re aus dem Vor­feld müs­sen Begrif­fe prä­gen, Wis­sen leh­ren, Ideen ein­spei­sen und ande­re Akteu­re bil­den bzw. aus­bil­den, weil die Par­tei­spit­ze sich in der Regel auf ande­re Fel­der fokus­siert bzw. fokus­sie­ren will (oder muß).

Vor­feld als posi­ti­ve Instanz: Die Par­tei lebt stark von einer emo­tio­na­len Affekt­po­li­tik, die gegen die Ampel agiert, gegen die Woken, gegen die Medi­en usw. Doch reicht es nicht aus, nur ableh­nen­de Bot­schaf­ten zu ver­brei­ten. Benö­tigt wird die Ent­fal­tung posi­ti­ver Ideen fürs Volk, und zwar auf strin­gen­te und poli­tisch nach­voll­zieh­ba­re Wei­se. „Ohne die Per­spek­ti­ve kon­kre­ter Zie­le kann es kei­ner­lei Bewe­gung geben“, wuß­te Gramsci, der über­dies wuß­te, daß in par­la­men­ta­ri­schen Demo­kra­tien eine Par­tei des eige­nen Milieus unver­zicht­bar ist. Gramsci schloß an die­se Maxi­me übri­gens nur rhe­to­risch die Fra­ge an, ob es ech­te Poli­tik in Bewe­gung über­haupt geben kön­ne, wenn man kei­ne grö­ße­ren Ambi­tio­nen hege.

Die­se Ambi­tio­nen müs­sen im Vor­feld arti­ku­liert wer­den; im Par­tei­all­tag kla­gen vie­le Akteu­re, daß dafür auf­grund ander­wei­ti­ger „Ver­pflich­tun­gen“ zu wenig Zeit und Raum gege­ben sei. Für Ambi­tio­nen und für posi­ti­ve Ziel­set­zun­gen kann eine alt­be­währ­te sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Weis­heit aus dem Zeit­al­ter der Sozia­lis­ten­ge­set­ze für AfD und Vor­feld reak­ti­viert wer­den: „Du darfst nicht nur von der Bewe­gung, son­dern du mußt für die Bewe­gung leben.“ Das bedeu­tet mit­hin, den vor­han­de­nen idea­lis­ti­schen Über­schuß nicht zu läh­men, son­dern zu bekräftigen.

Vor­feld als nega­ti­ve Instanz: Es gilt in Rhe­to­rik und Pro­gram­ma­tik ein „Nein“ sowohl zum „Tag X‑Denken“ als auch zur „Es-gibt-den-einen-Königsweg“-Illusion zu for­mu­lie­ren. Spon­ta­n­eis­tisch ist es zu glau­ben, ohne jede stra­te­gi­sche und welt­an­schau­li­che Durch­drin­gung der Lage aus jeder Kon­flikt- und Kri­sen­si­tua­ti­on auf einen sofor­ti­gen Erfolg (im Sin­ne von Durch­bruch) zuzu­steu­ern. Kon­tra­pro­duk­tiv ist es zudem, wenn man fal­schen Pro­phe­ten die Bahn berei­tet, die mit ver­meint­lich durch­schla­gen­den Mus­ter-Erfolgs­for­meln aus der welt­an­schau­lich rück­ge­bun­de­nen Poli­tik ein welt­an­schau­lich belie­big auf­lad­ba­res Geschäft machen.

Die­se rei­nen Bewe­gungs­un­ter­neh­mer mit ver­nut­zen­der Zugangs­wei­se müs­sen ein­ge­hegt wer­den, denn sonst wird ihr ange­rich­te­ter Scha­den drin­gend benö­tig­tes Ver­trau­en beschä­di­gen. Das ist bereits gesche­hen: Die aktu­el­le „Verhaltens“-Debatte wäre dem Mosa­ik nicht auf­ge­zwun­gen wor­den, hät­te man von vorn­her­ein ein­zel­nen Akteu­ren, die erst vor kur­zem zur poli­ti­schen Rech­ten im All­ge­mei­nen und zum Vor­feld im Beson­de­ren stie­ßen, nicht stän­dig freie Bahn gewährt.

Das ist aber kein Unter­gang: So, wie es in der Par­tei destruk­tiv-ego­ma­ni­sche Akteu­re gibt, gibt es sie auch im Vor­feld. Ihre blo­ße Exis­tenz ist kein Grund, das eine oder das ande­re grund­le­gend in Fra­ge zu stel­len. Wenn das Instru­ment falsch ange­wen­det wird, ist womög­lich nicht das Instru­ment das Pro­blem, son­dern eher der, der es falsch nutzt.

Vor­feld als Ensem­ble von „Pres­su­re groups“: Der Ein­fluß des Vor­felds auf Par­tei­ab­läu­fe – und umge­kehrt, das wird aber oft über­se­hen – ist gestie­gen. Das (selbst)kritisch zu reflek­tie­ren, wie es bei­spiels­wei­se Götz Kubit­schek getan hat, ist ange­bracht. Fest steht aber, daß das par­la­men­ta­risch-real­po­li­ti­sche Wirk­fens­ter geöff­net ist und man nicht weiß, ob und wann es das erneut sein wird. Jetzt, bei der Aus­wahl von Koope­ra­ti­ons­part­nern mit Man­da­ten oder für Man­da­te gilt es daher, Sozia­li­sa­ti­ons­pro­zes­se und Men­ta­li­täts­mus­ter der Akteu­re stär­ker zu berück­sich­ti­gen und die eige­ne Kraft über­all dort, wo es mög­lich ist, ziel­füh­rend für star­ke Ver­tre­ter unse­rer Ideen und Zie­le einzusetzen.

Aber: Ein „Shit­s­torm“ auf „X“ ver­än­dert kei­ne Par­tei­tags­rhyth­men, ein vir­tu­el­les Fege­feu­er schickt als geg­ne­risch ver­stan­de­ne Kon­kur­ren­ten nicht in die rea­le Höl­le. Vor­feld und Par­tei unter­lie­gen Wech­sel­wir­kun­gen: Ihre inne­ren Mecha­nis­men, die unter­schied­lich ver­faßt sind, darf man jedoch nicht verwechseln.

Vor­feld als Jung­brun­nen für eine Par­tei: Es gibt unter­schied­li­che Lebens­pha­sen und unter­schied­li­che Auf­ga­ben in ihnen. Wer eisern Pro­jekt­hy­gie­ne betrei­ben will, soll dies leis­ten, muß es aber auch kon­se­quent betrei­ben (und nicht heu­te das eine ver­kün­den oder mor­gen das ande­re tun). Wer nach eini­gen Jah­ren Akti­vis­mus etwas Neu­es wagen möch­te und der Par­tei bei­tritt, um dort – rück­ge­bun­den an bewähr­te welt­an­schau­li­che Leit­plan­ken – kon­kre­te Ver­än­de­run­gen zu erzie­len, tut eben jenes.

Dar­aus folgt, daß in der aktu­el­len Situa­ti­on Mul­ti­pli­ka­to­ren von außen, d.h. aus der außer­par­la­men­ta­ri­schen Rech­ten, kon­struk­ti­ve Kräf­te inner­halb der par­la­men­ta­ri­schen Rech­ten stär­ken müs­sen, damit die Man­da­te für das Gesamt­mo­sa­ik bes­ser ver­ge­ben wer­den – da die Par­tei nun mal, ganz wie das Vor­feld auf die sei­ne Wei­se, nur ein Teil des gro­ßen Gan­zen, des Mosa­iks, dar­stel­len. Das Pro­blem, das ich in die­sem Kon­text sehe, ist eher, daß jene Akteu­re aus dem Vor­feld, die in die Par­tei oder in unmit­tel­ba­re Par­tei­nä­he wech­seln, die soeben ange­ru­fe­nen „welt­an­schau­li­chen Leit­plan­ken“ frap­pie­rend schnell zu ver­ges­sen schei­nen und sich statt­des­sen auf den Stand­punkt zurück­zie­hen, daß sie in der Par­tei nicht „anecken“ wol­len oder eben ent­spre­chen­den „imma­nen­ten“ Mecha­nis­men unter­lä­gen, die eben sei­en, wie sie sei­en. Was tun in sol­chen Fäl­len? Das wäre eine kon­struk­ti­ve Debat­te wert!

Vor­feld als Über­win­dung der Phra­sen­ma­schi­nen: Wech­sel­wir­kun­gen zwi­schen Par­tei und Vor­feld sind der Natur der poli­ti­schen Sache und ihrer Pro­zes­se geschul­det. Daher muß stär­ker denn je auf Ver­ant­wor­tungs­trä­ger auf Kreis‑, Lan­des- und Bun­des­ebe­ne ein­ge­wirkt wer­den: Das Bewußt­sein noch zu vie­ler Man­dats­trä­ger ist abs­trakt, affekt­ge­la­den-emo­tio­nal, ohne prak­tisch-theo­re­ti­sche Erfah­run­gen und ohne hel­fen­de Lese­ein­drü­cke. So ver­kom­men die­se Poli­ti­ker zu „Phra­sen­ma­schi­nen“ (Gramsci).

Oft sind es just die­se Welt­an­schau­ungs­lo­sen, die, erneut mit Gramsci for­mu­liert, zu regel­rech­ten „Aska­ri“ wer­den. Damit bezeich­ne­te er „Abge­ord­ne­te, (die) stets bereit (sind), abtrün­nig zu wer­den“, da sie sich „ohne Pro­gramm und ohne Rich­tung“ ver­din­gen. Der Umgang mit die­sen belie­bi­gen Affekt­po­li­ti­kern, die zum Teil durch kon­sen­sua­le Abspra­chen den Bun­des­par­tei­tag der AfD unver­dien­ter­wei­se genie­ßen durf­ten, muß här­ter wer­den – ohne cha­rak­ter­lich und habi­tu­ell selbst zu verhärten.

Vor­feld als Kor­rek­tiv: Die grund­sätz­li­chen Rech­ten, die in Par­tei wie Vor­feld zu fin­den sind, müs­sen immer selbst­be­wußt und nie bitt­stel­le­risch sein. Als der sozia­lis­ti­sche Vor­den­ker Wolf­gang Abend­roth von Stu­den­ten in den 1970er Jah­ren gefragt wur­de, wie der Zwie­spalt zu behan­deln sei, wonach „ihre“ SPD ver­bal und pro­gram­ma­tisch „auf Linie“ sei, sich in der Pra­xis aber für Selbst­ent­ker­nung und Selbst­ein­bau ins hege­mo­nia­le Gefü­ge ent­schie­den habe, erwi­der­te er: „Nehmt sie beim Wort und zwingt sie Schritt für Schritt wei­ter. Gera­de in der Kri­se wird sich zei­gen, wie weit man damit kommt.“ Die­se Hand­lungs­an­wei­sung gilt für unse­re poli­ti­schen Zusam­men­hän­ge heu­te umso mehr. Die AfD als Wahl­par­tei des patrio­ti­schen Mosa­iks muß bzw. darf nicht „extre­mer“ wer­den, son­dern grund­sätz­li­cher, ideen­ba­sier­ter, den rei­nen Popu­lis­mus übersteigend.

Vor­feld als Platt­form­mo­to­ren: Es muß dar­um gehen, kon­kre­te Ver­mitt­lungs­fo­ren zwi­schen Akteu­ren des Vor­felds und der Par­tei zu schaf­fen. Zu vie­le Din­ge im poli­ti­schen All­tag basie­ren auf Zufäl­lig­keit und per­sön­li­chen Kenn­ver­hält­nis­sen; zu wenig Auf­bau­ar­beit erfolgt sys­te­ma­tisch, gedul­dig und bestän­dig. Daß es bei­spiels­wei­se auch elf Jah­re nach Par­tei­grün­dung kei­ne eige­ne Par­tei­schu­le in eige­nem (unkünd­ba­rem) Immo­bi­li­en­be­sitz gibt, ist eben­so unver­zeih­lich wie das fort­ge­setz­te, selbst­ge­wähl­te Schei­tern der par­tei­na­hen Stif­tung, die in ande­ren Par­tei­en das natür­li­che Bin­de­glied respek­ti­ve Zwi­schen­sta­ti­on im Kon­text von Par­tei und Vor­feld ist.

Im Zuge der Wis­sens­ver­mitt­lung in die Par­tei hin­ein, die über kei­ne eige­nen Wis­sens­quel­len und Nach­wuchs­schmie­den ver­fügt, müs­sen bestimm­te Leit­ak­teu­re der Par­tei daher das finan­zi­el­le Poten­ti­al über­all dort, wo es mög­lich ist, eigen­ver­ant­wort­lich für eine viel­ge­stal­ti­ge Nach­wuchs­bil­dung erschlie­ßen. Die Par­tei ver­fügt schließ­lich des­halb über gro­ße Finanz­re­ser­voirs und Man­da­te, weil patrio­ti­sche Wahl­stim­men sie zu ihrem par­tei­ex­klu­si­ven Pri­vi­leg führ­te, par­la­men­ta­ri­sche Ver­an­ke­rung und ent­spre­chen­de öko­no­mi­sche Poten­zen zu erzie­len bzw. zu erreichen.

Ein Haupt­be­stand­teil der welt­an­schau­li­chen, poli­ti­schen, stra­te­gi­schen und kom­mu­ni­ka­ti­ven Aus­bil­dung der nächs­ten Gene­ra­tio­nen wird es also sein, ein gemein­sa­mes poli­ti­sches Bewußt­sein für der­lei „Basics“ und eine gemein­sa­me poli­ti­sche Hand­lungs­ori­en­tie­rung zu schaf­fen, um die sich öff­nen­den situa­ti­ven Gele­gen­heits­fens­ter in den nächs­ten Kri­sen effek­ti­ver nut­zen zu kön­nen – ohne wie­der argu­men­ta­tiv bei Schritt 1 begin­nen zu müssen.

Vor­feld als ler­nen­de Instanz: Das Vor­feld ist das Vor­feld im Sin­gu­lar. Aber inner­halb des Vor­felds, also im gesam­ten Ensem­ble der Mosa­ik­stei­ne um den gro­ßen Mosa­ik­stein der Par­tei her­um, gibt es zahl­rei­che unter­schied­li­che Stei­ne, die das Vor­feld an sich aus­ma­chen. Das heißt: So, wie nicht ein ein­zel­ner Par­tei­ak­teur haft­bar ist für kras­se Feh­ler ande­rer Par­tei­ak­teu­re, so ist ein ein­zel­ner Vor­feld­ak­teur nicht haft­bar für kras­se Feh­ler ande­rer Vor­feld­ak­teu­re – aber ganz sicher resul­tie­ren dar­aus kei­ne Belie­big­keit und Defä­tis­mus. Selbst­ver­ständ­lich steht jeder ernst­zu­neh­men­de Akteur in Par­tei und Vor­feld glei­cher­ma­ßen in der Pflicht, Feh­ler zu ver­mei­den und Pro­blem­fäl­le zu adres­sie­ren. Nur gemein­sam geht es voran.

Eine ein­zel­ne Wahl (EU-Wahl, Anfang Juni 2024) oder ein ein­zel­ner Par­tei­tag (Essen, Ende Juni 2024) ändern nicht grund­le­gend die Lage, erhö­hen aber erfreu­li­cher­wei­se die Wach­sam­keit und sto­ßen not­wen­di­ge Klä­rungs­pro­zes­se an. Solan­ge es in einem natur­ge­mäß über­aus hete­ro­ge­nen Vor­feld kei­ne Orga­ni­sa­ti­on und Ori­en­tie­rung ver­mit­teln­de „Leit­stel­le“ als all­ge­mein akzep­tier­tes Zen­trum gibt – und die­ses ist nicht in Sicht –, solan­ge müs­sen unter­schied­li­che Kraft­zen­tren mög­lichst zusam­men und mög­lichst kohä­rent für über­ge­ord­ne­te Zie­le strei­ten. Die­se Zie­le sind das Ent­schei­den­de, nicht die tem­po­rär gewähl­ten Werk­zeu­ge bzw. Instrumente.

– – –

Wei­ter­füh­rend und aufgreifend:

Die Par­tei und ihr Vor­feld, 3. Auf­la­ge, Schnell­ro­da 2024

Das Ende des Rechts­po­pu­lis­mus, Online-Vor­trag, Juni 2024, Jun­g­eu­ro­pa Verlag.

10 The­sen zum Vor­feld von Mat­thi­as Helferich.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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Kommentare (9)

Maiordomus

7. Juli 2024 13:16

"Vorfeld", "rechte Szene", "nationales Lager", "Bewegung", "nationale Opposition" sind durchwegs schlagwortartige Begriffe,  mit denen Sie den Anteil der vernünftig Gebliebenen in der Bundesrepublik Deutschland wohl nicht einholfen können. Es muss ein Begriff ausgemacht werden, in dem Kultur und Kulturbewusstsein, auch Common sense,  drin enthalten ist, wobei mir aber zum Beispiel klar ist, dass etwa "abendländisch" ebenfalls verbraucht ist, ein Begriff, der noch vor 60 bis 70 Jahren Erneuerungspotential hatte. Ich glaube jedenfalls, dass nicht wenige, die sich hier an der Debatte beteiligen, sich für sich selber mit keinem dieser vorgeschlagenen Leitbegriffe identifizieren, wiewohl sie sich eine grundlegende Aufmischung heutiger politischer Verhältnisse wünschen würden.  Natürlich hat es mit den "metapolitischen Machtverhältnissen" zu tun, worüber sich sinngemäss, horribile dictu, Herr Sellner gerne auslässt. Es geht natürlich in diese Richtung, zu hoffen bleibt, dass der Begriff nicht einfach an eine Person oder Partei geklebt wird. Die metapolitischen Machtverhältnisse sind aber derzeit in der Tat ein Haupthindernis für einen ohnehin in Institutionen kaum praktizierbaren "herrschaftsfreien Diskurs". Es wäre wünschbar, diesen Begriff zu "enthabermasieren".

Maiordomus

7. Juli 2024 13:48

@schlagwortartige Begriffe, mit denen Sie die vernünftig Gebliebenen nicht einholen können.
Die  Gesamtmenge der Vernünftigen ist hoffentlich nicht auf das "rechte Lager", beschränkt, welches auch nur insofern  genannt zu werden verdient, weil beim "Erhaltungsgesetz der Dummheit" (Maritain)  im Moment die Linken vorne liegen. Gemäss Jacques Maritain bleibt das Gesamtpotential der Dummheit aber erhalten, wobei der jeweilige Mainstream stets den Vorsprung innehält.  Bei Zeitgeistwandel findet also ein "Lagerwechsel" statt, die Minderheit erhält eine Chance. Mit anderen Worten: theoretisch wäre jetzt Platz da für "rechte Intelligenz". Leider gibt es aber keine Garantie, dass dieselbe auch "praktiziert" wird und nicht gleich wieder von der Lagerdummheit aufgefressen. "Szene", "Lager" und "Bewegung" drücken gruppendynamisch in Verbindung mit einem Feindbild aus, einer "Meute" (Canetti), was schnell zu einer Orwell-Entwicklung führen kann: Zweibeiner gut - Vierbeiner schlecht! u. dergleichen. Statt "Vorfeld" würde ich "Feld" vorziehen. Es müsste indes ein "freies Feld" sein. Die besten Aufsätze hier, längst nicht alle, bewegen sich auf einem solchen Feld. So Bosselmann, sofern er sich nicht vom Pessimismus überwältigen lässt. 

Laurenz

7. Juli 2024 14:15

@BK ... Der Artikel ist nichts für Flachflieger. Mußte mich beim lesen ziemlich fokussieren, um die Aussagen & Denkansätze zu verstehen. Sie haben vermutlich Recht, keine persönlichen Beispiele benutzt & den Artikel abstrakt gehalten zu haben. Aber zB unter "Vorfeld als negative Instanz" ist es schwierig nachzuvollziehen, wen Sie meinen(?). Warum GK den Terminus "Vorfeld" nicht so mag, wie Sie, wird mutmaßlich damit zu tun haben, daß Ihre Nutzung des Begriffs exklusiver ist. Die meisten Leser verstehen ihn als lokalen Raum, Sie, hingegen, mehr als zeitliche Beschreibung. Auch ich verstehe "Vorfeld" eher militärisch, wie einen Bereitstellungsraum oder Aufmarschgebiet. Sie eher als Avantgarde. Solange der AfD finanzielle Mittel für die Stiftung flöten gehen, bleibt Ihr Vorwurf zum Mangel einer Kaderschule zwiespältig. Man muß dazu Geldgeber (mit eigenen Interessen) finden, die Stipendien finanzieren. Wer soll denn den genialen Schachzug der SPD in den letzten 3 oder 4 Jahrzehnten vor allem weiblichen Jura-Studenten ein Stipendium zu geben, nachahmen & finanzieren? Den Rechten fehlen vor allem Arbeitswillige. In den 11k Kommunen Deutschlands gibt es jeweils 6-7 ehrenamtliche Parlamentarier, welche die Haushaltsentwürfe ihrer Gemeinde gelesen haben. Dazu braucht man keine Kaderschule, sondern Leute, die das einfach machen.

Mitleser2

7. Juli 2024 15:17

"Die aktuelle „Verhaltens“-Debatte wäre dem Mosaik nicht aufgezwungen worden, hätte man von vornherein einzelnen Akteuren, die erst vor kurzem zur politischen Rechten im Allgemeinen und zum Vorfeld im Besonderen stießen, nicht ständig freie Bahn gewährt."
Hm, geht's vielleicht etwas konkreter, wenn Sie hier schon Bruchlinien im Vorfeld andeuten? Warum nicht Ross und Reiter nennen?
 
 

Frika Wies

7. Juli 2024 15:27

Die derzeitige Hauptarbeit des rechten Vorfeldes sehe ich daran, Normalität zu schaffen - rechtes Denken in der Öffentlichkeit zu entkriminalisieren und entstigmatisieren, um die Akzeptanz zu fördern. Links sind die Guten, rechts die Bösen - das ist nicht so und das gilt es sukzessive umzudeuten.
Wie in der Biologie tausende Flimmerhärchen ein Objekt in eine bestimmte Richtung schieben, so schieben in der Öffentlichkeit tausende Akteure die Politik nach links oder nach rechts. Dazu muß das rechte Vorfeld sich aber erstermal in der Öffentlichkeit behaupten können und dürfen.
Daß linke Parteien so schwächeln, obwohl immer noch fast alle Flimmerhärchen die Politik nach links bürsten, zeigt, wieviel Potential Rechts hätte, wenn Menschen erst das Gefühl verlören, moralisch auf der falschen Seite zu stehen indem sie sich zum Rechts-Sein bekennen.
Die linke Öffentlichkeit prägt aktuell die Populärkultur und hat sich tief in Medien und Bildungseinrichtungen verankert, so daß dort bereits eine Eigendynamik herrscht. Diese Dynamik muß das rechte Vorfeld zugunsten rechter Parteien umkehren. Ich halte das für machbar, denn Links hat auf die Lebenswirklichkeit der meisten Europäer keine Antwort mehr. 

Laurenz

7. Juli 2024 15:31

@Maiordomus ... Wenn Sie keinen populären Begriff finden, der solch einen überdimensionalen politischen Sog entwickelt, wer soll ihn dann finden? MS testet immerhin Begrifflichkeiten aus & Remigration hat ganz gut, über rechte Grenzen hinaus, eingeschlagen. Note 4 auf einen Streich (von 7). Es hat auch mit der Natur der Sache zu tun. Woke Grün-Linke streben nach der Eine-Welt-Herrschaft, es gibt keine Rechten, die das wollen. Linke Terminologie ist gar nicht wirklich erfolgreich. Sie wird jährlich mit einem vielfachen Milliarden-Aufwand geprägt, alleine nur in Deutschland. Um Ihnen mal ein Vorfeld zu zeigen, welches mir sympathisch ist, benenne ich Ihnen https://thekenalarm.de/ . Hier handelt es sich an vorderster Front auch nur um ehemals etablierte Journos, aber die gehen mit mehr Herz zur Sache, als viele andere aus dem Framing gefallene. Die Abo-Zahl auf YouTube ist mit 52k noch überschaubar, aber man versucht, in der Fläche zu wachsen.
https://www.youtube.com/shorts/H17yf5ye8zo?feature

germanici femina

7. Juli 2024 16:01

Ich glaube, dass bereits sehr viel mehr Menschen in dem von Ihnen beschriebenen Vorfeld tätig sind, nämlich all jene, die erkannt haben, dass auch eine AfD auf Dauer für unser Land keine Lösung bieten kann, wenn sich Abgeordnete weiter, wie bereits geschehen, den Altparteien anbiedern, ihnen in der Hoffnung auf eine Koalition nach dem Mund reden oder, wie in Sachsen, rigoros Bündnispartner wie Freie Sachsen ablehnen. Dies sorgt dafür, dass sich aufgewachte Menschen weiter abwenden, eben auch von einer Afd und dieser zB nicht als Mitglieder beitreten. Allerdings, und das ist bereits Vorfeld-Arbeit, finden sich eben viele unter den genannten, die in ihrem Umfeld, Vorfeld, aufklären, über viele innen- und geopolitische Massnahmen, die zB Tagesschaugucker auf Ungereimtheiten in der aktuellen Politik oder Konsequenzen derselben für uns alle hinweisen. Die Denkanstösse geben, zum Nachdenken anregen, was denn Folgen weiterer Zuwanderung wären bei stark sinkenden Geburtenraten biodeutscher Menschen, ob im Supermarkt an der Kasse, in der Kneipe, im Sportverein oder oder ... all das ist Vorfeldarbeit. 

Monika

7. Juli 2024 16:32

Ich bin ja immer noch und immer wieder ein großer Anhänger der Ideen von Vaclac Havel (Insbesond. "Versuch, in der Wahrheit zu leben"). Ich weiß, daß Havels Politikverständnis in der neuen Rechten nicht rezipiert und beachtet wird, vielleicht sogar als naiv belächelt wird. In einem hat Havel m.E. aber recht: "Parallelstrukturen" (Kontrakulturen ?) wachsen nicht "aus einer aprioristischen theoretischen Vision der Systemveränderung (es handelt sich nicht um politische Sekten), sondern aus den den Intentionen des Lebens und aus den authentischen Bedürfnissen konkreter Menschen" . Wieso wird hier behauptet, daß´"kein besseres Werkzeug als Alternative bereitgelegt wird als der Vorfeldbegriff ?" Vielleicht sind generell sog. rational nachvollziehbare Hilfsbegriffe, also auch der Vorfeldbegriff verbraucht !! "Bewegung" erinnert immerhin noch an sowas wie eine Lebensintention. Menschen werden bewegt, lassen sich bewegen, bewegen etwas. Auch patriotisch werden Menschen bewegt ( die Fußball EM zeigt das doch recht gut). Da kommt  doch kein "patriotisches Einstellungssmuster" voran, das die Bürger prägt. Da geschieht mit den Menschen doch etwas auf einer vorrationalen Ebene.

rotenburg

7. Juli 2024 17:30

Alle zwanzig Jahre wird das Rad neu erfunden. "Gramsci", "kulturelle Hegemonie", "Begriffe" besetzen. Das hat sich die Novelle Droite in den siebziger Jahren ausgedacht und galt damals als wahnsinnig innovativ, weil die Rechte die Linke kopiert hat. Seit dem ist jetzt fast ein halbes Jahrhundert vergangen und die westeuropäischen Gesellschaften sind nicht konservativer, nicht patriotischer und nicht "rechter" geworden. Möglicher Weiste stimmt ja an dem ganzen Ansatz etwas nicht. "Kultur" ist eben nichts, was sich  Intellekutellen ausdenken und dann in die Gesellschaft implantieren.
Realpolitik bedeutet, sich nicht eine Gesellschaft herbeizuträumen, sondern von der Gesellschaft auszugehen, wie sie eben gerade ist. Heute wird Marine Le Pen einen weiteren Wahltriumph einfahren. Wahrscheinlich reicht es nicht zur absoluten Mehrheit, aber der RN ist praktisch Volkspartei geworden. Wie hat sie das geschafft? Sie hat sich vom Antisemitismus, dem Klerikalismus und der Vichy-Romantik verabschiedet und ist dadurch Anschlussfähig an die bürgerliche Mitte geworden. Das ist das Erfolgsrezept.