Die Parteiführung (Alice Weidel und Tino Chrupalla) hat Höcke an keinem der mittlerweile sechs Prozeßtage in Halle aufgesucht, um ihm, wie es im Film “Der Pate” so schön heißt, “in dieser schweren Stunde beizustehen”. Warum eigentlich nicht? Höcke hat immerhin eine der drei entscheidenden Landtagswahlen im September zu bestehen, als am längsten dienender Landes- und Fraktionschef eines AfD-Landesverbandes überhaupt.
In Thüringen wird ebenso wie in Sachsen und Brandenburg im September ein Exempel statuiert werden. Die aus dem System geborene Alternative zur Alternative, das BSW, wird gegen die eigentliche Alternative aufgebaut, Koalitionen werden “unter Umständen” erwogen werden, und die Umstände werden so sein: Der überragende Wahlsieger AfD wird in allen drei Bundesländern nicht an der Regierung beteiligt werden, hingegen das längst im Establishment etablierte BSW-Personal schon.
Es werden erneut verlorene Jahre sein, bis zur nächsten Wahl. Wieder werden “die Menschen in diesem Land” älter, ernüchterter, zynischer und hoffnungsloser sein als zuvor.
Die Prozesse gegen Höcke? Das sind politische Prozesse, die Verteidigung ist Teil der Show – warum beteiligt sich die Führung, die den Showcharakter der Demokratie kennengelernt haben muß, nicht daran?
Alice Weidel hat in ihrer Auftaktrede zum Bundesparteitag vom vergangenen Wochenende ein Bild bemüht, das sie einem Spektakel entnommen hatte – dem EM-Spektakel nämlich, das mit aller Kraft zu einem zweiten Sommermärchen aufgepumpt werden soll. Weidel beschrieb sich und ihren “geliebten Tino” (auf dessen “Antrag ich gewartet hatte”) als Trainergespann, das für die Mannschaftsaufstellung verantwortlich sei.
Weidel beschrieb sich und ihren Kollegen mit dieser Metapher als passive Figuren in einem Bild. Sie zumindest steht nämlich am Rande, wie Trainer eben am Rande stehen. Sie ist nicht an der Basis, sie wirkt abgeschottet.
Das Spiel der Trainer geht nicht auf, aber Ideen haben sie keine. Weidel sprach in ihrer Rede davon, man müsse als Trainergespann auch mal jemanden auswechseln, jemanden, der sich verdribbelt habe und eine Ein-Mann-Show abziehe, die nicht zu einem Mannschaftssport wie Fußball passe. Also wechsle man aus, weil man das als Trainer könne und dürfe, und dann die leise Drohung: Wer auf der Ersatzbank sitze, sei noch im Kader (aber auch das kann in Frage gestellt werden).
Fragen über Fragen: Hat man mit den Einwechslungen denn etwas gerissen? Hat man Leute in der Reserve gehabt, die wenigstens ein Unentschieden herausholten? Stand es überhaupt so schlecht, wie vom Spielfeldrand aus vermutet? Von außen wirkte es so, als habe man dem Gegner mit der “Auswechslung” des Topstürmers Maximilian Krah das Angebot eines Nicht-Angriffspakts unterbreitet. So etwas liebt das Publikum, wahrlich, wahrlich, Querpaß-Mutlosigkeit, Angst vor Körperkontakt und dreckigem Trikot.
Ich will das anmaßende Bild vom Trainergespann nicht strapazieren, aber die Vorlage ist abenteuerlich: Weidel und ihr Co-Trainer waren auf das Umschaltspiel des Gegners, des ganzen Systems von Abwehr auf Angriff nicht vorbereitet. Sie waren und sind auf das Wahljahr 2024 nicht vorbereitet. Sie werden nicht grimmig, wenn der Gegner zur Blutgrätsche ansetzt, sie halten nicht gegen, sie peitschen nicht voran, sie holzen nicht zurück, sie sind Trainer ohne Trainingsbetrieb, ohne akribische Vorbereitung, sie schielen zu sehr nach der Pressetribüne, sie wechseln lieber aus – und wälzen auch dann noch die Verantwortung für gefühlte Niederlagen auf ihren Kader ab.
Schluß mit dem Bild. Die Lage ist klar, alles ist hundertmal gesagt. Jedes soziale Gebilde mündet in Oligarchien, in Vetterei, Versorgungsnetzwerke, in Verteilerleitungen und Zapfhähne. Parteien kristallisieren aus, sind von Anfang an das sowieso gefrierende Wasser, ausgehärtet nach Frist, nicht mehr beweglich, in die Form eingepaßt, in die es floß und fließen durfte.
Natürlich kann man mit diesem Bundesvorstand leben – “und doch, indem ich dieses niederschreibe/ schon warnt mich was, daß ich dabei nicht bleibe” (aus dem Kopf, nachschlagen bitte): Denn was soll es heißen, man “könne” damit leben? Eher “muß” man, oder? Aber: Muß man wirklich?
Als Parteimann ja, als Teil dessen, was “das Vorfeld” genannt wird: nein.
Ich mag den Begriff “Vorfeld” nicht. Benedikt Kaiser, der das aus linken Lektüren übernommene Bild einer “Mosaikrechten” einführte, unterteilte dieses Mosaik grob in die Partei und ihr Vorfeld und schrieb darüber ein Bändchen für die Reihe Kaplaken, in der überhaupt viele programmatische und strategische Texte erschienen sind.
Kaiser wird mir meine Abneigung gegen das Wort “Vorfeld” nachsehen. Ich weiß, was er meint und sehe, daß der Begriff sitzt. Aber er manifestiert ein Gefälle, ein Verhältnis, das “dem Vorfeld” nicht guttut. Es nimmt dem Milieu aus Verlagen, Projekten, Initiativen, Künstlern, Influencern, Musikern, Bündnissen, Vereinen die Eigenständigkeit. Es reduziert sie auf eine Zuträgertätigkeit, es beschreibt sie als ein welliges Vorgebiet vor den Höhen und Türmen der Mandate und der Machtbeteiligung, des Geldes und der Bedeutung. Es beschreibt “das Vorfeld” in seiner Ausrichtung auf “die Partei”, in seiner Hoffnung, von dieser Partei zu profitieren und unter ihren Fittichen satter zu werden als ohne sie.
So ähnlich in Gefällen denkt auch Kay Gottschalk, der nun neu im Bundesvorstand sitzt und in seiner Parteitagsrede davon sprach, daß es seine Partei sei, die sich ihr Vorfeld aussuche, und daß es nicht das Vorfeld sei, das dies für die Partei definiere. Gottschalk erhielt Applaus dafür.
Das ist Parlamentspatriotismus, das ist mangelnde Souveränität, das ist Unlust am Kreativen, am Stich, an der Konsensstörung. Es ist die Forderung nach geistiger Parteidisziplin, also: eine Verkennung der selbständigen, mutigen, unabgesicherten Arbeitsweise derer, die Mandate nicht unter‑, vor allem aber nicht überschätzen.
Die rechte Szene, die es schon gab, als es die AfD noch nicht gab, ist ein Kosmos, ein Durcheinander, ein Experimentierfeld. Es ist im Gegensatz zu einer Partei nicht schizophren, muß in sich nicht den bekämpfen, der um dasselbe Mandat konkurriert, obwohl er doch ein Freund ist, ein guter Freund…
Ein Milieu ist interessanter als eine Partei, weil es von Selbständigen lebt, weil in ihm wirklich etwas gekonnt werden muß, wenn man erfolgreich sein will – und weil Erfolg nicht heißt, zwei Drittel seiner Zeit damit zu verbringen, den Erfolg anderer zu verhindern.
Der Satz, es sei unsere Aufgabe unter anderem, das sogenannte Vorfeld vor der Partei zu retten, brachte mir den Vorwurf strategischer Disziplinlosigkeit ein. Ich wiederhole ihn hiermit. Ich will gar keine Soli-Abos und Soli-Käufe von Mandatsträgern, die nicht lesen wollen, was ihnen “das Vorfeld” anbietet. Ich will keine Almosen und Absicherungen für unsere Szene. Ich will von Leuten umgeben sein, die früh aufstehen und spät ins Bett gehen und besser sind und unter mehr Spannung leben als das satte Milieu der Gegner.
Weniger Vorfeld, mehr Szene, weniger Parteinähe, mehr Radikalität in Können, Anspruch, Wort und Gespür. Laßt Euch nicht “aussuchen”, Leute.
HagenAlternat
Auf diese "Reflexion" habe ich schon wie verrückt gelauert und bedanke mich!
"Die Professionalisierung der AfD scheint weitgehend geglückt", jubelt DIE WELT und meint damit aber nicht die Verbesserung der Administration, der Verwaltung, sondern die Angleichung an die Altparteien.
"Parteien kristallisieren aus." Stimmt die These wirklich? Ist das gesetzmässig??? Ich bin mmer noch so blauäugig und hoffe, basisdemokratische Elemente zu erhalten, z.B. durch die einfachen technischen Möglichkeiten, elektronisch abzustimmen.
Diese Leserzuschrift möge als grosses Dankeschön verstanden werden...