Keine Demokraten

Neulich war an dieser Stelle von einem Comic die Rede, in dem über "Extremismus" und "Demokratie" aufgeklärt werden soll.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Mei­ne Lieb­lings­sze­ne im Band über “Rechts­extre­mis­mus” ist die, in der die bauch­na­bel­freie blon­de Mag­da mit dem Kel­ten­kreuz um den Hals ihre Leh­re­rin pro­vo­kant fragt: “Ist ja eine tol­le Demo­kra­tie, in der nie­mand sei­ne Mei­nung sagen darf. Was ist denn mit der Mei­nungs­frei­heit in die­sem Sys­tem?” Dar­auf ant­wor­tet die Leh­re­rin: “Wer ver­bie­tet denn jeman­dem eine Mei­nung hier? Man soll­te aber die Mei­nungs­frei­heit nicht dazu aus­nut­zen, die Grund­prin­zi­pi­en der Demo­kra­tie auszuhebeln.”

Dabei hält die Leh­re­rin das Grund­ge­setz gleich einer Bibel vor sich her, an deren abso­lu­ter dog­ma­ti­scher Wahr­heit alles ande­re abzu­pral­len hat – die per­fek­te Illus­tra­ti­on zu Josef Schüssl­b­ur­ners The­se, daß das Grund­ge­setz längst zum Gegen­stand einer zivil­re­li­giö­sen Fixie­rung gewor­den ist. Eine ähn­li­che Feti­schi­sie­rung der Begrif­fe liegt der Rede vom “Extre­mis­mus” zugrun­de.  Des­sen Pro­ble­ma­tik hat unlängst der His­to­ri­ker Frank Sobich in einem Inter­view mit “Netz gegen Nazis” ange­spro­chen: der Begriff “Rechts­extre­mis­mus” etwa sei als Defi­ni­ti­on “nicht hilf­reich, weil er von einer ima­gi­nä­ren poli­ti­schen Mit­te aus­geht. Wer aber defi­niert, wer dazu gehört und wer nicht?”

Das heißt also, um in unse­rem Bild zu blei­ben, daß es ent­schei­dend ist, wer die “Hei­li­ge Schrift” nun ver­bind­lich für alle aus­legt. Dabei gehört es selbst­ver­ständ­lich zur Stra­te­gie der Hohe­pries­ter, so zu tun, als gäbe es kei­ne Aus­le­gung, als wäre in Stein gemei­ßelt wie die zehn Gebo­te, wer ein “Demo­krat” und wer ein “Extre­mist” ist. Das dient ihrer eige­nen Machtsicherung.

Die “demo­kra­ti­sche” Auf­fas­sung der herr­schen­den Eli­ten in Deutsch­land ent­larvt sich momen­tan in gera­de­zu real­sa­ti­ri­scher Wei­se in den Reak­tio­nen der Medi­en und Poli­ti­ker auf die Mina­rett-Abstim­mung in der Schweiz. Man zeigt sich heil­froh über die hier­zu­lan­de mit eiser­nem Zügel gelenk­te und im Zaum gehal­te­ne, im Grun­de schon post-demo­kra­ti­sche Demo­kra­tie.  Der NRW-Inte­gra­ti­ons­mi­nis­ter Armin Laschet etwa äußer­te, daß es in Deutsch­land “glück­li­cher­wei­se” kei­ne sol­chen Volks­ab­stim­mun­gen gäbe. Der SPD-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te Sebas­ti­an Edathy, mut­maß­te, “eine Ent­schei­dung wie in der Schweiz in Deutsch­land” sei “nicht mit dem Grund­ge­setz ver­ein­bar.” (Ein unbe­stä­tig­tes Gerücht, das zwecks abschre­cken­der Wir­kung schon seit län­ge­rem in die Welt gesetzt wur­de. ) “Unde­mo­kra­tisch” nann­te das Mina­rett­ver­bot auch der Archi­tekt der Köl­ner Moschee Paul Böhm.

Beson­de­ren Humor zeig­te Ken­an Kolat, der Vor­sit­zen­de der Tür­ki­schen Gemein­de in Deutsch­land: “Es zeigt sich, dass die euro­päi­schen Gesell­schaf­ten noch nicht ganz reif sind für die Zuwan­de­rung und für die Ein­wan­de­rung.” Die Immi­gra­ti­on also qua­si als Gna­de, derer sich die Auto­chtho­nen als wür­dig erwei­sen müs­sen! Da steht die Welt auf dem Kopf und die hyper­tro­phe Arro­ganz von Lob­by­is­ten wie Kolat liegt offen zutage.

Über­flüs­sig zu erwäh­nen, daß weder Herr Laschet noch Herr Edathy noch Herr Böhm oder Herr Kolat als “Extre­mis­ten” gel­ten, die “die Grund­prin­zi­pi­en der Demo­kra­tie aushebeln”?

Den Vogel schoß die Süd­deut­sche Zei­tung mit einem süf­fi­san­ten Kom­men­tar ab, den man sich wirk­lich auf der Zun­ge zer­ge­hen las­sen muß:

Außer­dem ist das Ergeb­nis eine Art Kol­la­te­ral­scha­den der direk­ten Demo­kra­tie. So kann es kom­men, wenn das Volk nicht nur über Turn­hal­len oder Trans­ra­pidbah­nen abstimmt, son­dern über alles.

So unver­blümt und unver­schämt wur­de der­glei­chen sel­ten for­mu­liert. Solan­ge das Volk also über rela­ti­ve Belang­lo­sig­kei­ten abstimmt, darf es ruhig ein biß­chen Sou­ve­rän spie­len, der Spaß hat jedoch dann ein Ende, wenn es über Din­ge mit­ent­schei­den will, in denen es auf sei­ne Sou­ve­rä­ni­tät wirk­lich ankommt. Dann muß es sich bevor­mun­den und maß­re­geln las­sen. Bra­vo. Das erin­nert natür­lich an die klas­si­schen Zei­len von Brecht:

Das Volk hat das Ver­trau­en der Regie­rung ver­scherzt. Wäre es da nicht doch ein­fa­cher, die Regie­rung lös­te das Volk auf und wähl­te ein anderes?

Muß ich noch dazu­sa­gen, daß auch der SZ-Kom­men­ta­tor, Herr Tho­mas Kirch­ner, nicht als anti-demo­kra­ti­scher “Extre­mist” gilt?

Selbst­ver­ständ­lich frö­nen nun lan­des­über­grei­fend mus­li­mi­sche Grup­pen ihrer Lieb­lings­be­schäf­ti­gung, dem zäh­ne­knir­schen­den “Belei­digt­sein” mit der Hand am Säbel. Auch das berei­tet unse­rem sau­be­ren “Libe­ra­len” in der SZ Kopf­zer­bre­chen, und er emp­fiehlt den Schwei­zern doch vor dem Säbel­ras­seln in die Knie zu gehen, um denen, die sie beschimp­fen, zu bewei­sen, daß sie ja doch lie­be, gute Men­schen sind:

Nun wird ein Sturm der Ent­rüs­tung los­bre­chen, vor allem in der mus­li­mi­schen Welt. Der schlimms­te Feh­ler wäre es, wenn sich die Schweiz als Reak­ti­on noch wei­ter ver­här­tet. Denn im Her­zen ist die­ses Land welt­of­fen und liberal.

Der Kom­men­ta­tor ist wei­ters der Mei­nung, das Bau­ver­bot ver­stos­se “gegen die Euro­päi­sche Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on”. Ob das stimmt, oder ein wei­te­res Gerücht ist, kann ich nicht beur­tei­len. Ange­sichts eines sol­chen Prä­zen­denz­fal­les stellt sich die Fra­ge, ob und inwie­fern denn der­glei­chen “Men­schen­rechts­kon­ven­tio­nen” noch mit der Idee der “Demo­kra­tie” ver­ein­bar sind – eine Idee, in der sich aus­ge­rech­net die Schwei­zer mit ihrer jahr­hun­der­te­al­ten repu­bli­ka­ni­schen Tra­di­ti­on nichts ‚aber auch gar nichts von einer supra­na­tio­na­len Intel­li­genz oder irgend­wel­chen dubio­sen inter­na­tio­na­len Gerichts­hö­fen drein­re­den las­sen müssen.

Fazit: Die “Demo­kra­ten” sind heu­te nicht mehr demo­kra­tisch, die “Libe­ra­len” nicht mehr libe­ral, die “Men­schen­recht­ler” nicht mehr mensch­lich, die “wehr­haf­te Demo­kra­tie” wehrt sich nur mehr gegen wehr­haf­te Demo­kra­ten. Da sind des Kai­sers neue Klei­der und das Update von Orwells News­peak. Das Satyr­spiel wird dadurch kom­plett, daß die Lin­ken und Libe­ra­len nüch­tern betrach­tet nichts ande­res betrei­ben, als einer expan­die­ren­den Macht Tür und Tor zu öff­nen, die nicht nur im schrof­fen Gegen­satz, son­dern in mili­tan­ter, unver­söhn­li­cher Feind­schaft zu ihren urei­ge­nen Wer­ten steht, den­sel­ben, von denen sie nun selbst ver­schlun­gen wer­den. Frei nach Moel­ler van den Bruck: am Libe­ra­lis­mus gehen nicht nur die Völ­ker, son­dern auch die Libe­ra­len selbst zugrunde.

Da sägt sich eine ver­kom­me­ne, mit Blind­heit und Feig­heit geschla­ge­ne Klas­se fre­ne­tisch den Ast ab, auf dem sie selbst sitzt, und Gott weiß, was für psy­cho­lo­gi­sche Dis­po­si­tio­nen dahin­ter ste­hen.  Viel­leicht hofft man nur ins­ge­heim, bei einem Macht­wech­sel als “Dhim­mi” davon­zu­kom­men.  Oder es sehnt sich womög­lich der Schlamm, wie in Chris­ti­an Krachts “1979”, unbe­wußt nach einer Eis­zeit, die den mat­schi­gen Boden wie­der gefrie­ren läßt.  Die “welt­of­fe­nen” Appeaser, Schön­red­ner, Selbst­has­ser und Krie­cher wer­den ihren Crom­well oder ihren Kho­mei­ni wohl frü­her bekom­men als ihnen lieb ist.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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