Da wäre zunächst anzumerken, daß es sich hier um eine Selbstgratulationsveranstaltung der übelsten Sorte gehandelt hat: gutgelaunte Podiumsteilnehmer, die sich gegenseitig duzen (“lieber Dany”), die Schultern klopfen über das angeblich Erreichte, die einen politischen Wasserdampfslang pflegen, der letztlich darauf hinausläuft, daß Deutschland ein Einwanderungsland war, ist und sein wird, daß der Multkulturalismus nicht nur unvermeidlich sondern wünschenswert ist, daß “wir” “uns” von “alten Traditionen lösen müssen”, also die ganze rhetorische Palette des einfältigen “Vielfalt”-Gedöns.
Dann wurde jovial angemerkt, wie blind die CDU doch Anfang der Neunziger Jahre war, nicht zu begreifen, was für ein wichtiges Buch der verschmähte linke “Revoluzzer” doch mit “Heimat Babylon” geschrieben hätte. Das würde sich aber nun endlich ändern, nicht zuletzt dank Duz-Freund Armin Laschet und anderen progressiven Kräften in der CDU. Mit anderen Worten, es wurde einmal wieder debattiert, wie man an einem (doch gar nicht so schlimmen) Problem herumdoktern soll, das es gar nicht gäbe, wenn nicht irgendwann jemand auf die Idee gekommen wäre, den Deutschen die “Heimat Babylon” aufzuoktroyieren.
Umso schöner, verdienter und lustiger war das Spektakel, das nach etwa einer Viertelstunde losbrach. Die Reaktion des Publikums war völlig hysterisch. Ein wildes Geschrei brach los, die Leute sprangen von ihren Sitzen, einzelne (zumeist weibliche) Furien versuchten, die Transparente zu zerreißen. Als ein paar zornige Anwesende mit Migrationshintergrund Anstalten machten, ihre gelungene Integration unter schlagkräftigen Beweis zu stellen, hatte einer der Aktivisten den glücklichen Einfall, einen Slogan von 1989 zu skandieren, was sofort von dem halben Saal aufgegriffen wurde: “Keine Gewalt! Keine Gewalt!” Ein älterer Herr, offenbar einer der Veranstalter, stand vor dem Podium und rief mit erregter Stimme in den Saal: “Keine Gewalt! Die Polizei wird sich um diese Leute kümmern!” Hin und wieder gab es sogar Applaus und Zurufe von Besuchern, die nicht zur Aktivistengruppe gehörten.
Cohn-Bendit und Armin Laschet, beide vermutlich vorgewarnt durch einen Tip an die Veranstalter, bemühten sich, so regungslos und gelassen wie möglich zu verharren, wie echte Politprofis eben. Nachdem die erste Attacke abgeklungen war, folgten noch weitere vereinzelte Nachstösse von Aktivisten im Publikum. Nachdem endlich alle Quälgeister aus dem Saal waren, blieb nurmehr ich übrig. Cohn-Bendit begann routiniert loszuschwallen, um auf das Thema des Abends abzulenken. Ich griff nun eines unserer Flugblätter (mit einer hübschen kleinen und wahren Geschichte über Ausländergewalt), ging auf das Podium zu, trat dicht an Cohn-Bendit heran und legte es ihm vor die Nase. Ich sah ihm ins Gesicht und sagte in einem beiläufigen Tonfall, sodaß nur er und die Diskussionsteilnehmer es hören konnten: “Dany, du lügst. Und alle wissen es.”
Aus den Augen des Angesprochenen funkelte es gereizt zurück. Der Saal begann wieder laut “Raus! Raus!” zu brüllen, auch Laschet verlor nun die Beherrschung und schrie mich an. Während mich ein Polizist abführte, rief mir Cohn-Bendit hinterher: “Warum müßt ihr Rechten eigentlich immer solche Masochisten sein?” “Das haben wir doch von dir gelernt!” “Als ich damals gesprochen habe, haben die Leute mir zugejubelt, wenn ihr irgendwo auftaucht, werdet ihr nur ausgebuht!” Nun, vermutlich wäre es ihm anno 1968 auch nicht besser gegangen, wenn er auf einer Veranstaltung der CSU aufgekreuzt wäre.
Davon abgesehen: was diesen Mann betrifft, ist das ein überaus aufschlußreicher, ja verräterischer Satz. Der Stolz und die Eitelkeit, immer Rückenwind gehabt zu haben, die da mitschwingen, die Idee, daß Protest “masochistisch” und damit lächerlich oder sinnlos sei, wenn man mit einer überwältigenden Gegenwehr zu rechnen hat – was sagt uns das über jemanden, der immer noch als “Revoluzzer”-Ikone von vorgestern gehandelt wird?
Ein anderer Aktivist hat ihm allerdings einen noch viel verräterischeren Satz entlockt. Als er vorne beim Podium stand und den Zipfel eines Transparents in der Hand hielt, fragte ihn Cohn-Bendit: “Warum macht ihr das?” “Weil Sie mitverantwortlich sind, daß unser Land zerstört wird.” “Wieso denn ‘unser Land’?” “Ist es denn nicht auch Ihres?” “Ich bin Franzose!”
Ich bin überzeugt, daß die Leute, die an diesem Tage auf dem Podium saßen, verantwortungslose Zerstörer sind, die im Grunde wissen, was sie tun. Unser Protest ist keine Demonstration für “die Rechte” und gegen “die Linke” oder gegen “die Ausländer”, hat nichts mit sektiererischen oder ideogischen Grabenkämpfen und Zickenkriegen zu tun, auch nichts mit “Alt gegen Jung”, sondern damit, daß wir die Vernunft, die Wirklichkeit und die Fakten auf unserer Seite haben.