Andi, Ayshe und die Extremisten

Zwei Dinge voraus:  ich halte die Vorstellung, Jugendliche  mit Propagandamaterial wie einem staatlicherseits produzierten Comic erziehen zu können, für groben Unfug.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Mit sol­chen Manö­vern wird die Intel­li­genz der Ziel­grup­pe beträcht­lich unterschätzt.

Die Mischung aus Anbie­de­rung an den (ver­meint­li­chen) Geschmack der Jugend­li­chen und plum­per gou­ver­nan­ten­haf­ter Beleh­rung wird in der Regel schnell durch­schaut. Die Absicht ist wohl selbst schon für 13, 14jährige belei­di­gend durch­sich­tig. Wer glaubt, daß die Ange­spro­che­nen auf einen Innen­mi­nis­ter eher hören, wenn er ihnen als Man­ga­fi­gur prä­sen­tiert wird, dem ist ohne­hin nicht mehr zu helfen.

Zwei­tens: so sehr es zu begrü­ßen ist, daß nun auch ein­mal der Links­extre­mis­mus (und der Isla­mis­mus) stär­ker ins Visier kom­men, so wenig sehe ich mich imstan­de, jene “Mit­te” in ihrer jet­zi­gen Form zu ver­tei­di­gen, die sich mit die­sen Maß­nah­men der extre­mis­ti­schen Rän­der erweh­ren will.  Denn abge­se­hen von dem Ver­weis auf die Gewalt­ta­ten die­ser Lager, macht man es sich zu ein­fach, wenn man meint, man müs­se ledig­lich deren welt­an­schau­li­chen Hin­ter­grund äch­ten oder gar kri­mi­na­li­sie­ren. Viel­mehr müs­sen extre­mis­ti­sche Phä­no­me­ne als Sym­pto­me ver­stan­den wer­den, die auf erns­te Miß­stän­de der real­exis­tie­ren­den “Grund­ord­nung” hin­wei­sen, beson­ders wenn die­se längst von par­tei­ischen Inter­es­sen geka­pert wur­de. Es wäre irrig anzu­neh­men, daß sich die “Extre­mis­ten” mit ihrer radi­ka­len Kri­tik am Sta­tus Quo stets auto­ma­tisch im Unrecht befänden.

Sofern das “Extremismus”-Modell also dem rech­ten Flü­gel des poli­ti­schen Spek­trums mehr Frei­raum und eine prin­zi­pi­el­le Legi­ti­ma­ti­on ver­schafft, ist es zu begrü­ßen; sofern es bestimm­te poli­ti­sche Macht­ver­hält­nis­se und Deu­tungs­ho­hei­ten fest­schrei­ben und ver­ab­so­lu­tie­ren will, ist es eine mehr als zwei­fel­haf­te Ange­le­gen­heit. Der hef­ti­ge poli­ti­sche Wider­stand gegen die­ses Modell auf Tei­len der Lin­ken hat bei­de Aspek­te als Motiv, wäh­rend die Rech­te sich Vor­tei­le erhofft und momen­tan eher dazu neigt, den Köder zu schlu­cken. Das könn­te sich aller­dings als Feh­ler erweisen.

In die­ser Hin­sicht ist die Lek­tü­re der vom Ver­fas­sungs­schutz Nord­rhein-West­fa­len her­aus­ge­ge­be­nen Comic-Serie “Andi” über­aus auf­schluß­reich. “Andi” ver­tei­dig­te die “demo­kra­ti­schen Wer­te” bis­her gegen “Rechts­extre­mis­mus” und “Isla­mis­mus”, nun wird auch noch ein Band gegen “Links­extre­mis­mus” nach­ge­scho­ben. Dabei sieht das Cas­ting der Serie so aus, daß der Schü­ler “Andi” als blon­der und blau­äu­gi­ger Deut­scher qua­si die “Leit­kul­tur” reprä­sen­tiert, wäh­rend ihm zur Sei­te gleich zwei Jugend­li­che mit tür­ki­schem “Migra­ti­ons­hin­ter­grund” ste­hen: Murat mit Ghet­to-Kopf­so­cke und Ober­lip­pen­bärt­chen und sei­ne reso­lu­te, “eman­zi­pier­te” Schwes­ter Ayshe mit dem Kopf­tuch (!!, und in die Andi natür­lich schwer ver­liebt ist).  Zusam­men mit Ben (lila Haa­re, “steht auf har­ten Sound und bringt die Par­ty auf den Start”) sind die “Guten” in einem Ver­hält­nis zu 50:50 deutsch-tür­kisch: die Gesell­schaft, die sie reprä­sen­tie­ren und ver­tei­di­gen ist also eine mul­ti­kul­tu­rell gemischte.

Die “Bösen” im ers­ten Band sind eine Grup­pe “Rech­ter”, blond, kur­ze Haa­re, Bom­ber­ja­cken und mit ker­nig deut­schen Namen: “Mag­da, Nor­bert und Eisen­hein­rich”.  Die päd­ago­gi­sche Rhe­to­rik des Ban­des ist satt­sam bekannt: die “Rechts­extre­mis­ten” sind pri­mi­tiv und häß­lich, “men­schen­feind­lich”, “men­schen­ver­ach­tend”,  sie “het­zen” und wol­len stän­dig irgend­je­man­den “aus­gren­zen”, das alles frei­lich ohne einen erkenn­ba­ren ratio­na­len Grund. Zwi­schen­durch wird aus­gie­big Mar­tin Luther King zitiert und der Leser auf­ge­klärt, daß Deut­scher ist, wer einen deut­schen Paß besitzt, daß es Ein­wan­de­rung immer schon gege­ben hat und daß “in Deutsch­land gebo­ren zu sein kei­ne auto­ma­ti­schen Vor­rech­te mit sich bringt”.

 

In Band zwei tre­ten Andi & Co gegen den Isla­mis­mus an. Dies­mal gibt es einen Schü­ler namens Harun, der “Demo­kra­tie und Gleich­heit” auf der Grund­la­ge des Islam ablehnt. Murat gerät in Ver­su­chung, sich von Harun zum Isla­mis­mus bekeh­ren zu las­sen, weil er sich wegen abge­lehn­ter Bewer­bun­gen “dis­kri­mi­niert” fühlt.  Bald beginnt er “anti­west­lich” und “anti­zio­nis­tisch” zu argu­men­tie­ren und sei­ne Schwes­ter zu gän­geln, weil sie mit Andi ins Kino gehen will.  Als Harun Gewalt gegen Ayshe anwen­det, wen­det er sich von ihm ab.  Zwi­schen­durch wird der Leser infor­miert, daß die Isla­mis­ten nur eine klei­ne böse Min­der­heit sind, es im Islam an sich aber mas­sig Mei­nungs­viel­falt und Tole­ranz gibt.

 

Beson­ders lus­tig wird es dann in Band drei. Ben und Andi gehen auf eine Punk­rock-Par­ty in einem besetz­ten Haus, der letz­te­re eher wider­wil­lig.  Ana­log zu Eisen­hein­rich und Harun gibt es auch dies­mal einen fana­ti­schen Ver­su­cher, den Auto­no­men Klaus. Ben wird nun gegen “Kapi­ta­lis­mus”, “faschis­ti­schen” Staat und “Nazis”  scharf­ge­macht. In der Anti­fa-Grup­pe wird er mit elend­slan­gen theo­re­ti­schen Aus­füh­run­gen in Grund und Boden getex­tet, und der Kom­men­tar infor­miert, daß der “Anti­fa­schis­mus” “wei­ter­ge­hen­de Zie­le” als die blo­ße Bekämp­fung des “Faschis­mus” ver­fol­ge, ja sogar, daß die Links­extre­mis­ten mit dem Slo­gan “Faschis­mus ist kei­ne Mei­nung, son­dern ein Ver­bre­chen” ihrem “poli­ti­schen Geg­ner alle Rech­te” abspre­chen, dar­um “unde­mo­kra­tisch” han­deln.  In einer Sze­ne stos­sen Ben und Klaus auf die “Rech­ten” aus dem ers­ten Band, Mag­da und Eisen­hein­rich, die sich inzwi­schen zu “auto­no­men Natio­na­lis­ten” gewan­delt haben. In einer Schlüs­sel­sze­ne ste­hen der “gute” und “demo­kra­ti­sche” Deut­sche Andi und sei­ne bei­den tür­ki­schen Freun­de fas­sungs­los den “Extre­mis­ten” von Links und Rechts gegen­über: “Die reden voll den glei­chen Quark… und aus­se­hen tun sie auch gleich.”

 

Nach­dem die Auto­no­men auf einer Anti-Nazi-Demo eine Spur der Ver­wüs­tung hin­ter­las­sen haben, erkennt Ben sei­nen Irr­tum und wen­det sich ab. Der Band schließt mit einem lan­gen, aus­führ­li­chen Exkurs über die Her­kunft, Ideen­welt und Viel­falt der Lin­ken – im Gegen­satz zum ers­ten Teil, in dem ledig­lich die Bedeu­tung von Nazi-Sym­bo­len erklärt wur­de, jeg­li­cher Hin­weis auf eine demo­kra­ti­sche oder nicht-nazis­ti­sche Rech­te fehlt. Den­noch ist bemer­kens­wert, wie sehr Band 3 dem Anstei­gen der lin­ken Gewalt in Deutsch­land Rech­nung trägt, und wie sehr sich die Autoren bemü­hen, die links­extre­mis­ti­sche Ideo­lo­gie und das Ver­hal­ten ihrer Anhän­ger lächer­lich zu machen.

 

Die “Mes­sa­ge” der drei nicht uncle­ver gemach­ten Heft­chen könn­te man etwa so zusammenfassen:

1. Alle drei “Extre­mis­men” haben kei­nen nach­voll­zieh­ba­ren, ratio­na­len Grund.  Sie wer­den teils durch Unter­schla­gung ihrer Ursa­chen, teils durch Beschwich­tung (“der wah­re Islam ist fried­lich und tole­rant”) ver­harm­lost. Ihre Anhän­ger sind irra­tio­nal ver­blen­de­te, gewalt­be­rei­te Fana­ti­ker. Nicht bloß die “Gewalt” der Extre­mis­men wird ange­pran­gert, son­dern ihre gan­ze Gedan­ken­welt wird als falsch und wider­legt dar­ge­stellt. Dem gegen­über steht die “Frei­heit­lich-Demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung”  als Hort alles Ver­nünf­ti­gen, Auf­ge­klär­ten und Mensch­li­chen, alles Wah­ren, Guten und Schö­nen. Die­se Ord­nung, reprä­sen­tiert durch Andi und sei­ne  Freun­de, ist expli­zit mul­ti­kul­tu­rell, ega­li­tär, “west­lich”, anti­fa­schis­tisch, markt­wirt­schaft­lich und menschenrechtsorientiert.

2. Die Serie zeigt, wie zwei der “Guten”, Ben und Murat, aus per­sön­li­chen Grün­den kurz­fris­tig ins Fahr­was­ser der “Extre­mis­ten” gelan­gen. In Gestalt einer Comic-Figur bil­ligt Innen­mi­nis­ter Wolf Ben sogar ursprüng­lich “gute Absich­ten” zu. Dage­gen sind die “Rech­ten” die “Ande­ren”, die rein von außen an die Grup­pe der “Guten” her­an­tre­ten­den Böse­wich­ter, deren Moti­ve auch nicht im Ansatz ver­ständ­lich oder legi­tim sind. So fehlt natür­lich jeg­li­cher Hin­weis auf Aus­län­der­ge­walt und Über­frem­dung.  Die Links­extre­men sind dage­gen nur ver­irr­te Schäf­chen einer grund­sätz­lich rich­ti­gen und guten Idee (sie sind gegen “Nazis” und Ras­sis­mus). In dem Zusam­men­hang ist pikant, wie stark etwa Band 1 (gegen Rechts­extre­mis­mus) von lin­ker und “anti­fa­schis­ti­scher” Sicht­wei­se durch­tränkt ist.

Nicht nur in die­ser Kon­zep­ti­on zeigt sich, daß das genaue Gegen­teil der Behaup­tung man­cher Kri­ti­ker des Extre­mis­mus­pro­gramms zutrifft: daß im Gegen­satz zum Links­extre­mis­mus und Isla­mis­mus “die rechts­extre­me Ideo­lo­gie in Tei­len der Gesell­schaft anschluss­fä­hig” sei.

3. Dadurch, daß der Comic die tie­fe­ren Ursa­chen der Extre­mis­men ver­schweigt, ver­schlei­ert er auch die Defi­zi­te der real­exis­tie­ren­den FDGO:  der Isla­mis­mus hät­te ohne Mas­sen­ein­wan­de­rung und Mul­ti­kul­tu­ra­li­sie­rung des Lan­des kei­ne Basis, der Rechts­extre­mis­mus ist eben­so Quit­tung für die auf­ge­zwun­ge­ne Über­frem­dung wie für die Exzes­se der “Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung”. Letz­te­res gilt auch für den Links­extre­mis­mus, der sich zusätz­lich aus der Sinn­lee­re einer kon­sum­ori­en­tier­ten Schwein­chen-Schlau-Gesell­schaft speist (hier wäre wohl die Wur­zel des “anti­ka­pi­ta­lis­ti­schen” Affekts zu suchen). Auf die­se Wei­se wer­den “Demo­kra­tie” und “FDGO” zu sta­ti­schen, feti­schi­sier­ten Kampf­be­grif­fen einer Gesell­schaft, die kei­ne fun­da­men­ta­le Kri­tik und Alter­na­ti­ve mehr zuläßt. Damit zeich­nen die “Andi”-Comics auch das Bild einer links­li­be­ra­len, an sich hei­len und intak­ten Welt, deren ein­zi­ges Pro­blem die unver­ständ­li­che Bös­ar­tig­keit und Ver­blen­dung der “Extre­mis­ten” ist.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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