Wer hat Angst vorm weißen Mann? – Razzia gegen die “Unsterblichen”

Spiegel Online berichtete gestern von einer Großrazzia gegen eine Gruppe rechtsradikaler Aktivisten, die sich "die Unsterblichen" nennen.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Die­se spu­ken seit ihrem Debüt in der Wal­pur­gis­nacht 2011 deutsch­land­weit, vor allem aber im Raum Bran­den­burg her­um,  und haben eine unge­wöhn­li­che Bild­spra­che entwickelt.

Mit wei­ßen Mas­ken, die aus Car­pen­ters “Hal­lo­ween” stam­men könn­ten, schwar­zen Kapu­zen und bren­nen­den Fackeln orga­ni­sie­ren sie gespens­ti­sche, vor­zugs­wei­se nächt­li­che Demons­tra­tio­nen und war­nen vor dem bevor­ste­hen­den “Volks­tod” der Deut­schen. Die­ser Gegen­ent­wurf zu den vor­zugs­wei­se von lin­ken Grup­pen (wie “Occu­py” oder “Anony­mous”) benutz­ten Guy-Faw­kes-Mas­ken ist in sei­ner Sym­bo­lik frei­lich etwas zwiespältig.

Denn die “Unsterb­li­chen” wol­len, wie der Name schon sagt, nicht nur auf die inhä­ren­te Mor­bi­di­tät des herr­schen­den poli­ti­schen Sys­tems und der Gesell­schaft auf­merk­sam machen, sie wol­len auch gleich­zei­tig das “unsterb­li­che” deut­sche Volk ver­kör­pern, sozu­sa­gen für die mah­nen­den Ahnen spre­chen, die uns dar­an erin­nern, daß der­je­ni­ge “unsterb­lich” ist, “der in sei­nen Kin­dern und Kin­des­kin­dern wei­ter­lebt.” Das geht in der Sym­bol­wir­kung womög­lich eher nach hin­ten los: man hat das Bild eines Wider­stan­des geschaf­fen, in dem der Deut­sche nur mehr als anony­mes Gespenst, als tod­ge­weih­tes oder unto­tes Bleich­ge­sicht auftritt.

Dazu kommt, daß der Effekt die­ser Auf­mär­sche außer­halb der ein­schlä­gi­gen Milieus wohl ähn­lich aus­fal­len wird, wie bei den ver­un­glück­ten “Todes­stra­fe für Kin­der­schän­der”-Demos: Otto Nor­mal­bür­ger, der ja auf­ge­weckt wer­den soll, gru­selt sich dann wohl eher vor den fackel­tra­gen­den Gespens­ter­na­zis als vor dem Volks­tod. Tak­tisch unge­schickt ist auch die Pole­mik gegen die “Demo­kra­ten”, die kaum auf frucht­ba­ren Boden fal­len wird (“Am Libe­ra­lis­mus gehen die Völ­ker zugrun­de”, so Moel­ler van den Bruck). Ande­rer­seits kann man die­se Form des Aktio­nis­mus auch als Reak­ti­on auf die Dämo­ni­sie­rung der Sze­ne ver­ste­hen: der “Nazi” wird schließ­lich in den Medi­en ohne­hin schon als eine Mischung aus Vam­pir, Wer­wolf, Ali­en und Bun­des­aus­sät­zi­ger dar­ge­stellt. War­um also nicht gleich eine Spuk­ge­stalt spielen?

Die­ses Vexier­bild könn­te man noch wei­ter spin­nen: Für die Lin­ke ist bekannt­lich eher der “wei­ße” als der “schwar­ze” Mann der Dämon schlecht­hin, den es aus der Welt­ge­schich­te aus­zu­trei­ben gilt. Nur für die Lin­ke? Wol­len wir hier nicht unbe­merkt las­sen, daß ein Hen­ryk M. Bro­der sich offen über das Ver­schwin­den (“Volks­tod”) des “wei­ßen” Euro­pas (gab es denn je ein ande­res?) freu­en darf, ohne daß sich irgend­ei­ne löch­ri­ge Socke dar­um schert oder ihm böse Absich­ten unterstellt.

Die umge­kehr­te Wer­tung die­ses Umwand­lungs­pro­zes­ses ruft dage­gen die “Ghost­bus­ters” des Staa­tes auf den Plan, und ver­mut­lich ist sie an sich schon aus­rei­chend, um Maß­nah­men zu recht­fer­ti­gen, denn wenn man sich die Berich­te über die Raz­zi­en durch­liest, fragt man sich, war­um gera­de die­se Grup­pe so inten­siv unter Druck gesetzt und kri­mi­na­li­siert wird. An den unan­ge­mel­de­ten (“ille­ga­len”) Demos allein kann es ja wohl nicht lie­gen. Was haben die Haus­durch­su­chun­gen, die seit Mona­ten durch­ge­führt wer­den, denn zuta­ge geför­dert? Über­ra­schen­der­wei­se Fackeln und Mas­ken, und das fir­miert dann in den Medi­en als “Beweis­ma­te­ri­al”. “Beweis” wofür? Daß der Betref­fen­de an einer Demons­tra­ti­on teil­ge­nom­men hat? Ist das nun schon kri­mi­nell? Es geht hier offen­bar vor allem um den Ein­schüch­te­rungs­ef­fekt auf die Teilnehmer.

Das Innen­mi­nis­te­ri­um hat unter­des­sen im Gefol­ge der Raz­zi­en die maß­geb­lich an der Orga­ni­sa­ti­on der “Unsterb­li­chen” betei­lig­te “Wider­stands­be­we­gung in Süd­bran­den­burg” ver­bo­ten. Die Begrün­dung, wie sie auf dem NPD-Grou­pie-Por­tal “End­sta­ti­on Rechts” nach­zu­le­sen ist, fällt eher schwam­mig aus:

Die Akti­vi­tä­ten der Ver­ei­ni­gung wür­den „sich gegen die ver­fas­sungs­mä­ßi­ge Ord­nung und den Gedan­ken der Völ­ker­ver­stän­di­gung“ rich­ten. Zweck und Tätig­keit des Ver­eins lie­fen außer­dem den Straf­ge­set­zen zuwi­der, heißt es in der ent­spre­chen­den Verbotsverfügung.

Da hät­te man schon gern mehr dar­über gewußt, was mit die­sem “Gedan­ken der Völ­ker­ver­stän­di­gung” gemeint ist, und wel­che “Straf­ge­set­ze” hier genau in Betracht gezo­gen wer­den.  Aber es ging den Behör­den ohne­hin nicht in ers­ter Linie um die Ver­ei­ni­gung an sich – es ging dar­um, die Demons­tra­tio­nen zu unter­bin­den, deren Kern­bot­schaft man offen­bar nicht ver­brei­tet sehen will.

Über­haupt scheint die Poli­zei momen­tan mäch­tig viel mit den Böse­wich­tern im Land zu tun zu haben. Raz­zi­en wer­den zur Zeit auch bei der Rocker­ban­de Hell’s Angels (sie­he dazu Baal Mül­ler in der aktu­el­len JF) ver­stärkt durch­ge­führt. Hier geht es offen­bar vor allem um kri­mi­nel­le Akti­vi­tä­ten mit medi­en­taug­lich-pit­to­res­ken Prot­ago­nis­ten. Ein Bekann­ter mein­te mir gegen­über sar­kas­tisch, daß sich die tür­ki­schen, kur­di­schen und sons­ti­gen Ban­den nun freu­en dür­fen, daß der ein­zi­ge über­wie­gend aus “Ein­ge­bo­re­nen” zusam­men­ge­setz­te Kon­kur­rent, den sie noch haben, aus dem Weg geräumt werde.

Das ist frei­lich nichts gegen die ver­mut­li­chen Ober­buh­män­ner des Jah­res, die eben­falls Gespens­tern nicht unähn­li­chen, weil in Bett­la­ken ein­ge­hüll­ten “Sala­fis­ten”. Auch die­se beka­men nun eine mas­si­ve Poli­zei­raz­zia zu spü­ren, und auch hier wur­de eine Ver­ei­ni­gung (in Solin­gen) vom Innen­mi­nis­te­ri­um ver­bo­ten – alles natür­lich ganz hoch­dra­ma­tisch, und ver­mut­lich sind wir noch­mal in letz­ter Sekun­de vor der Errich­tung des Scha­ria-Staa­tes erret­tet wor­den. Dem ging eine wochen­lan­ge media­le Kam­pa­gne vor­aus, deren Ubi­qui­tät allein schon zur Skep­sis ein­la­den sollte.

Nun mögen mich man­che Leu­te, die es nötig haben, als “isla­mo­phob” ein­sor­tie­ren, aber Pierre Vogel und sei­ne folk­lo­ris­ti­sche Entou­ra­ge machen mir noch am aller­we­nigs­ten Sor­gen, und mei­net­we­gen kön­nen sie sovie­le Kora­ne ver­tei­len, wie sie wol­len (eigent­lich gar kei­ne schlech­te Idee). Es ging in den letz­ten Wochen wohl nicht weni­gen kri­ti­schen Zuschau­ern wie etwa der spe­ku­la­ti­ons­freu­di­gen Blog­ge­rin, die mut­maßt, daß hier ein “Sün­den­bock” und eine “künst­li­che Sau” geschaf­fen wur­de, um das Dorf bei Lau­ne zu hal­ten und von den Kern­pro­ble­men abzu­len­ken. In der Tat wuß­te bis vor kur­zem noch kaum jemand, was “Sala­fis­ten” sind, obgleich Pierre Vogel bereits eine gewis­se Semi-Pro­mi­nenz in den Medi­en erlangt hat­te. Nun sind sie plötz­lich in aller Mun­de, mit der prak­ti­schen Fol­ge, daß man, wie etwa in die­ser ARD-Repor­ta­ge, Wör­ter wie “Mus­li­me”, “Islam” oder “Isla­mis­ten” gar nicht mehr fal­len las­sen muß.

Und so erfah­ren wir, daß die Sala­fis­ten den Koran “wört­lich aus­le­gen”, nicht aber, daß dies in isla­mi­schen Län­dern die Norm ist, und daß es ande­re Aus­le­gun­gen des Korans eigent­lich gar nicht gibt und die­se ange­sichts sei­ner recht ein­deu­ti­gen Anwei­sun­gen auch kaum mög­lich sind. Wir bekom­men ver­mit­telt, daß es ein paar böse Extre­mis­ten gibt, die das mul­ti­kul­tu­rel­le Idyll stö­ren, nicht aber, daß es ein Dschi­had-Sys­tem gibt, das den Kon­text bil­det, vor des­sen Hin­ter­grund man sie betrach­ten und ver­ste­hen muß.

Aus die­ser Per­spek­ti­ve sind die deut­schen Sala­fis­ten ein­fach zu däm­lich, um zu begrei­fen, daß sie sich mit ihrer revo­lu­tio­nä­ren und rabiatis­la­mi­schen Unge­duld nur Stei­ne in einen Weg legen, der ihnen nach dem jet­zi­gen Stand der Din­ge ohne­hin bes­tens berei­tet und so ange­nehm wie mög­lich gemacht wird. Der in der isla­mi­schen Welt höchst ein­fluß­rei­che ägyp­ti­sche Pre­di­ger Amr Kha­led hat sei­nen Glau­bens­brü­dern schon wie­der­holt gesagt, daß sie den Krumm­sä­bel ruhig ste­cken las­sen und sich statt­des­sen in ihren Gast­län­dern anstän­dig und kon­form ver­hal­ten sol­len, denn der demo­gra­phi­sche Zug wür­de sie ohne­hin frü­her oder spä­ter ans Ziel bringen.

Die Sala­fis­ten-Panik ist vor allem eine wei­te­re Epi­so­de aus dem Gen­re der “Skan­da­lok­ra­tie”, die Felix Men­zel in der aktu­el­len Druck­aus­ga­be der Sezes­si­on beschreibt.  Die­se habe unter ande­rem die Auf­ga­be, die “eigent­li­chen Her­aus­for­de­run­gen unse­rer Zeit” zu ver­drän­gen und zu die­sem Zwe­cke eine “Debat­ten­ver­hin­de­rungs­kul­tur” zu schaf­fen.  So erregt man sich statt über den demo­gra­phi­schen Nie­der­gang lie­ber über Frau­en­quo­ten, als ging es um Kopf und Kra­gen, insze­niert einen Hype um “ein­zel­ne Bei­spie­le gelun­ge­ner Inte­gra­ti­on”, ohne die weni­ger hoff­nungs­froh stim­men­de Gesamt­si­tua­ti­on zu betrach­ten, ver­an­stal­tet eine wohl­fei­le Hetz­jagd auf Chris­ti­an Wulff, statt über “die Füh­rungs­kri­se des Staa­tes zu sprechen”.

Auch die jüngs­ten dra­ma­ti­schen Raz­zi­en gegen die aktu­el­len “Staats­fein­de”, ob “Unsterb­li­che” oder “Sala­fis­ten”, sind eine Art von Manage­ment des Sta­tus quo, und haben letzt­lich kei­ne ande­re Funk­ti­on, als den Blick auf tie­fer­lie­gen­de Pro­ble­me zu vernebeln.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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