Ein Evergreen sind dabei die Schwänke und Anekdoten über die Erlebnisse, die einem so widerfahren können, wenn man sich auf das “Wagnis, rechts zu sein” einläßt.
Da gab es auch diesmal kaum einen Teilnehmer, der nicht erfahren hätte, daß nur ein paar Schritte rechts aus Mitte, also: ins freie Gelände, ausreichen, um Beschuß mit scharfer Munition zu provozieren. Irgendwo findet sich immer irgendein “Toleranter”, der einen “ausgrenzen” will, sei es aus Buddhisten- und Kulturpflegevereinen, aus Fußballclubs, Olympiamannschaften, Pfadfindergruppen, Kindergärten, Studentenverbänden, Szenediscos, Kirchenkränzchen und so weiter und so fort.
Das kann oft recht widerwärtig sein, mitunter ist es aber auch, wenigstens im Rückblick, Live-Kabarett und Realsatire vom Feinsten. Mein Kollege Baal Müller und ich wollten einmal eine Schmankerlsammlung mit dem Titel “Die schönsten Distanzierungen gegen Rechts” zusammenstellen – skurriles, ironisches, unsägliches und komisches Material gäbe es dafür reichlich.
Der Witz ist allerdings in der Regel nur jenseits des Stacheldrahts erkennbar. Soll niemand sagen, daß wir auf dem freien Gelände nichts zu lachen hätten. Analog begreift kein Dummer jemals, daß er dumm ist, und eine Diskussion mit einem Intelligenten nicht auf Augenhöhe führen kann. Da besteht eben eine beinharte, nagelbretterdicke konstitutionelle Verständnisgrenze. Wer einmal gegen diese Wand gedonnert ist, sollte von der “grotesken Idee der Gleichheit” (Maschke dixit) restlos geheilt sein. Manche freilich sind unbelehrbar. Ich beispielsweise kann und kann mich wider alle Vernunft und Logik nicht daran gewöhnen, daß die Antifa mit mir keinen herrschaftsfreien Diskurs führen will. So hält sich meine Empörung frisch, hoffentlich zum Vorteil dieses Blogs.
Die Komik der “Distanzierungen” und sonstiger Reaktionen besteht nun eben meistens darin, daß die Distanzierer und Säuberer ihre Mission mit einer verbissenen bis aufgeblasenen Todernsthaftigkeit betreiben, als wären sie gerade dabei, die Welt vor dem Bösen zu retten. Dann verwandeln sich eben noch normale Menschen in inquisitionslustige Kreuzverhör-Cops oder pustende Dampfmaschinen, die seriell pathetische Phrasen und Stanzen produzieren.
Bizarr ist auch die kindische Angst, die sich dann mitunter ausbreitet. Erwachsene Menschen gucken einen an, als hätte man einen Bocksfuß, oder als wäre man ein Vampir oder ein gut getarntes Alien mit geheimer Infiltrationsmission. Solche Situationen verschaffen tiefe Einblicke in die Brüchigkeit des sozialen Gefüges jenseits der scheinbar so glatten und selbstverständlichen Oberflächen. Dann versteht man vielleicht besser, was Botho Strauß im “Anschwellenden Bocksgesang” beschrieb:
Jemand, der vor der freien Gesellschaft, vor dem Großen und Ganzen, Scheu empfindet, nicht weil er sie heimlich verabscheute, sondern im Gegenteil, weil er eine zu große Bewunderung für die ungeheuer komplizierten Abläufe und Passungen, für den grandiosen und empfindlichen Organismus des Miteinander hegt, den nicht der universellste Künstler, nicht der begnadetste Herrscher annähernd erfinden oder dirigieren könnte.
Jemand, der beinahe fassungslos vor Respekt mitansieht, wie die Menschen bei all ihrer Schlechtigkeit au fond so schwerelos aneinander vorbeikommen, und das ist so gut wie: miteinander umgehen können. Der in ihren Geschäften und Bewegungen überall die Balance, die Tanzbereitschaft, das Spiel, die listige Verstellung, die artistische Manier bemerkt – ja, dies Miteinander muß jedem Außenstehenden, wenn er nicht von einer politischen Krankheit befallen ist, weit eher als ein unfaßliches Kunststück erscheinen denn als ein Brodelkessel, als eine “Hölle der anderen” …
Mitunter aber will es ihm scheinen, als hörte er jetzt ein letztes knisterndes Sich-Fügen, als sähe er gerade noch die Letzten, denen die Flucht in ein Heim gelang, vernähme ein leises Einschnappen, wie ein Schloß, ins Gleichgewicht. Danach: nur noch das Reißen von Strängen, gegebenen Händen, Nerven, Kontrakten, Netzen und Träumen.
Wer die “Abkehr vom Mainstream” wagt und damit das Gleichgewicht stört, begibt sich in erhöhte Gefahr, irgendwann dieses “leise Einschnappen” zu vernehmen, und mitansehen zu müssen, wie sich die anderen in Sicherheit bringen, die Stränge kappen, die Hand zurückziehen, den still vorausgesetzten oder laut besiegelten Kontrakt brechen.
Der größte “metapolitische” Erfolg der “Kämpfer gegen Rechts” besteht darin, die vage Vorstellung in Umlauf gesetzt zu haben, daß “Rechts“sein per se irgendwie verboten, kriminell, anrüchig, justiziabel sei. Je vager diese Vorstellung, umso wirkungsvoller. Je unsicherer und uninformierter die Leute, umso strammer positionieren sie sich im Zweifelsfall, und das Über-Ich in ihrem Inneren gibt ihnen dabei das gute Gefühl, daß sie nun genau das tun, was sozial von ihnen erwartet wird.
Es ist immer wieder verblüffend, wie rasch und unreflektiert, wie selbstverständlich sie diese Rollen annehmen. Und wie selbstverständlich für manche die Vorstellung ist, daß “Rechte” isoliert werden müssen und nicht dieselben Rechte wie andere Menschen hätten, oder daß ein “Rechter” nur ein “Rechter” und sonst gar sei, und nicht auch ein Mensch wie sie, der noch andere Dinge im Kopf, Bauch oder Herzen trägt als politische Überzeugungen. Ich glaube, daß es momentan in Deutschland niemanden gibt, der besser versteht, was Grundrechte eigentlich bedeuten, als die Rechten, denn diese sind in ihrer aktuellen Lage gezwungen, es genau zu wissen.
Beliebt ist bei den Angreifern auch der Hang zur kreativen Interpretation: es kommt nicht mehr darauf an, was man wirklich gesagt oder geschrieben oder getan hat; dies alles wird durch einen groben Verständnisraster gepreßt, bis nur mehr ein holzschnittartiger Unfug übrigbleibt, der vor allem die beschränkten Gehirnkapazitäten des Interpreten selbst widerspiegelt. Wenn ein Affe in einen Spiegel schaut, wird bekanntlich kein Sokrates zurückblicken.
Jeder von uns kann nur soviel erfassen, wie in ihm selbst steckt. Das uns umgebende dunkle Gelände, in das unsere Taschenlampenstrahlen nicht mehr hineinreichen, ist unendlich weit. Letztlich trennen uns Meilen und Abermeilen von jedem beliebigen Menschen, aber wir tun gut daran, dies die meiste Zeit unsere Lebens über zu vergessen, und die Fiktion aufrechtzuerhalten, daß wir uns verstehen und verständigen könnten.
Jedenfalls: aus all diesen Erfahrungen kristallisieren sich vielleicht ein paar Regeln heraus, die ich hiermit zur Debatte stelle:
1. Nur für die Dummköpfe ist die Aufteilung der Welt in Linke und Rechte eine moralische Frage. Léon Bloy wurde einmal gefragt, ob er ein Pro- oder Anti-Dreyfusard sei. Seine Antwort: “Weder noch, ich bin anti-cochon”, also “anti-Schwein”. Wann immer man in eine Situation gerät, in der ein eifriger “Toleranter” einen wegen der falschen Gesinnung gesäubert und entfernt sehen will wie ein faules Ei, teilt sich die Welt vielmehr in die Anständigen und die Unanständigen, in die Hysteriker und diejenigen, die den common sense bewahrt haben, in die normalen Menschen und die indoktrinierten Kleinkinder, in die Eigendenker und die Schafe.
2. Wenn der Aussonderungsprozeß erstmal in Gang gekommen ist, hat man in der Regel keine Chance mehr – es sei denn man steht nicht zur Gänze allein auf der Flur, und hat einigermaßen strukturelle und institutionelle Rückendeckung hinter sich. Wenn dies aber nicht der Fall ist, dann kann man sich gewiß sein, daß schon die ersten Risse Anzeichen sind, daß der Fall besiegelt ist und die Eisenbahn drüberfährt. Man kann nun aus Spaß an der Freude oder aus schierer Selbstachtung heraus versuchen, das schon verlorene Terrain noch eine Weile zu halten. Aber man soll nicht glauben, daß nun irgendwelche Argumente, sofern man sie überhaupt noch vortragen kann, und seien sie noch so gut durchdacht und formuliert, die Lage wenden könnten.
Der Grund ist, daß die Entscheidung der “Ausgrenzer” und “Distanzierer” in der Regel nicht im Kopf, sondern im Bauch gefallen ist, wo die stärkeren Antriebe sitzen. Die Ratio ist bei den meisten Menschen eine notorisch biegsame und verschwommene Sache. Das Eigeninteresse, die Eitelkeit, das Ego, die Affekte lügen sich die Dinge dann passend zurecht, in der subjektiven Überzeugung, im Recht zu sein, und sich vernünftig zu verhalten. Neben den oben angesprochenen mangelnden Gehirnkapazitäten ist das ein weiterer Grund, warum sich viele Leute gegenüber einem Argument und einer Tatsache so verbissen versperren können. Es ist allemal einfacher, dichtzumachen, als sich eine anstrengende, den Kopf zum Rauchen bringende, magenunfreundliche Auseinandersetzung aufzubuckeln, deren Elemente man gerade erst zu Gesicht bekommen hat und kaum einzuordnen imstande ist.
Eine Weile mag der Distanzierer, Ausgrenzer oder Säuberer noch mit seinem Gewissen ringen, aber meistens gibt er rasch dem Druck der Bequemlichkeit und der Angst nach, sofern er nicht ohnehin ein ideologischer Fanatiker ist. Wenn er dann noch diskutiert, dann geschieht das nur mehr alibihalber. Der Joker ist die praktische, in zahllosen pseudowissenschaftlichen Publikationen propagierte Idee, daß der Rechte eine teuflische “Mimikry” betreibe, und eigentlich zu schlau sei, um zu sagen, was er wirklich meint. Damit hat er keine Chance mehr, aus der Schublade herauszukommen. Das ist natürlich im Kern der klassische Stoff, aus dem Hexenjagden und Schauprozesse gemacht sind.
Mein Vorschlag wäre also folgender: wenn man in eine entsprechende Situation gerät, sollte man auf keinen Fall versuchen, sich zu retten, zu rechtfertigen oder herauszureden. Es wird erfahrungsgemäß in 99,9 % der Fälle ohnehin rein gar nichts nützen. Noch will man nicht wahrhaben, daß man schlagartig auf verlorenem Posten steht, und die Verkennung dieser Lage schwächt den eigenen Standpunkt. Der andere hat sich zu einer Machtposition aufgeschwungen, die man nun noch bestätigt. Das muß gebrochen werden. Das heißt nicht, daß man sich nun widerspruchslos abfinden und sang- und klanglos abtreten soll wie ein begossener Pudel. Im Gegenteil. Auch wenn es schwierig ist: man muß die Bereitschaft zur Sezession immer in sich tragen, jederzeit imstande sein, sich zu lösen und zu gehen. Dann werden auch die richtigen Worte kommen.
Alle Autodidakten wollen in erster Linie überzeugen. Ich bin da keine Ausnahme. Ich bin manchmal wie besessen davon, den Gegner zu überzeugen, und ihn mit Argumenten zu füttern, bis er die weiße Fahne streckt. Aber bislang ist meine Erfahrung eher, daß niemand irgendjemand anderen überzeugen kann, sofern dieser nicht schon die Überzeugung heimlich in sich trägt. Und manche Leute sind gar nicht imstande, ein Argument als ein solches zu erkennen, wenn es ihnen nicht in den Kram paßt, so, als hätten sie einen mentalen Abwehrmechanismus eingebaut. Der Rest ist dann nur noch Rhetorik.
Gómez Dávila bemerkte einmal, daß sich der Dialog erübrige, wo die Anspielung nicht genüge. Das ist wohl wahr. Dennoch sollte man auf den Dialog nicht verzichten, dabei aber im Hinterkopf bewahren, daß er in erster Linie dazu dient, die eigene Position zu klären und zu verdeutlichen. Dann kann sogar die Auseinandersetzung mit einem Dummen Nutzen bringen: am tumben Mühlstein schärft sich die Klinge. Und ab und zu, in seltenen Momenten, gibt es vielleicht so etwas wie einen beiderseitigen Verständnis- und Erkenntnisgewinn.
Ein Fremder aus Elea
"Wenn einem einer dumm kommt, soll man gehen."
Ja, volle Zustimmung.