Ob sich mit Kositza freuen, daß pünktlich nach 25 Jahren jenseits parlamentarischer Tanzbärennummern sich einmal wieder etwas zu regen scheint, oder endlich eine Verwendungsmöglichkeit für Kubitscheks Schlagwort “Energiepumpe” und “Resonanzraum” finden, die die AfD oberhalb der Länderebene ja nun betont nicht auszufüllen vermag:
Irgendeine gute Seite daran ist schon zu finden. Ich für meinen Teil bin kein Freund von Demonstrationen an sich, egal wofür oder wogegen – das aber ist eine Geschmackssache. Was mich seit den ersten PEGIDA-Berichten aber motiviert, innerlich zu applaudieren, ist eines: das Schweigen.
Denn das ist doch in einer Weise Metapolitik in Reinkultur. Werden wir endlich einmal konkret: Bei den um sich greifenden Bürgerprotesten (zuletzt wurde auf unserer Karte Frankfurt/Main eingetragen; gleich zweimal, weil man sich im Umfeld der dortigen AfD gern ins gemachte Nest setzt, aber keinesfalls mit etwaigen Schmuddelkindern spielen möchte…) ist der konkrete politische Anlaß eigentlich völlig unerheblich. Genausogut könnte gegen Hartz IV, die finanzielle Gängelung junger Familien, das Verkommenlassen der kommunalen Infrastruktur usf. ad nauseam auf die Straße gegangen werden – schäbig ist am und im allerbesten deutschen Staat jemals ja genug –, und in der Tat wird medial ständig darüber berichtet, gegen was alles diejenigen doch sind, die sich an den Abendspaziergängen beteiligen.
Natürlich geschieht das dort in denunziatorischer, mindestens herablassender Absicht. Gleichzeitig zeugt diese Fokussierung auf die thematische Pluralität, teils sicher auch Divergenz, der Demonstranten vor allem von der Unfähigkeit, diese jenseits dummer Standardfloskeln – wir kennen sie alle – einigermaßen charakterisieren zu können. Und ich meine, bzw. geben die Meinungsdrucker und ‑drücker das allmählich selbst zu, daß dies maßgeblich in der Weigerung begründet ist, sich mit der ach so allmächtigen Presse ins Bett zu legen. Thorsten Hinz’ Feststellung von 2009 scheint sich in der Essenz endlich durchzusetzen:
Die zunehmende Konzentration im Medienbereich führt zu verschärften Möglichkeiten der Meinungssteuerung und Disziplinierung. Berücksichtigt man weiterhin die allzumenschliche Furcht vor gesellschaftlicher Isolation und sozialer Deklassierung, dann wird klar, daß der politische Tugendpfad der deutschen Medien in Wahrheit ein Gesinnungsstrich ist, auf dem immer mehr Journalisten immer billiger zu haben sind. Kein Wunder, daß sie laut Umfragen neben den Politikern als die verächtlichste Berufsgruppe gelten.
Tja, da ist man dieser Tage baff in den Redaktionsstuben (und scheint das Thema Tugçe glatt auf Halde gelegt zu haben – das könnte aber auch andere Gründe haben). Es gibt tatsächlich noch oder wieder öffentlich aktive Bürger in diesem Land, die nicht derart nach ihren paar Sekunden Bildschirmzeit gieren, daß sie sich für das Verarschtwerden auch noch bedanken.
So etwas vermag eine parteiförmige Organisation nicht zu leisten, denn die braucht mediale Berichterstattung natürlich wie ein Fisch das Wasser. Deswegen konnte und kann etwa die AfD so etwas nicht auf die Beine stellen, zumindest nicht mit dieser massierten Schlagkraft. Man erinnere sich nur, thematisch anverwandt, an den Antiislamisierungskongreß 2008: Klar gab es da Zuspruch, aber durch großangelegte Presseaussendungen und alles weitere Tamtam wurde der Presse schon Wochen zuvor ermöglicht, sich – nota bene! – auf die Teilnehmer einzuschießen, was die lokale und überregionale Politik aller langweiliger Farben selbstverständlich begeistert aufgriff und so eine Stimmung der allgemeinen freien Jagd in jeglicher Hinsicht heraufbeschwören konnte.
Bei den Organisatoren war das gar nicht mehr nötig; wer so histrionisch auftritt wie die beiden PRO-Oberkasper (man erinnere sich an das unwürdige Schauspiel bei der “Der heiße Stuhl”-Sendung mit einem gewissen Berliner Chefredakteur, in der Markus und Manfred in selbstbemalten DLVH-Leibchen im Saalpublikum saßen und andauernd in Großaufnahme die Pöbler “vom Dienst”, hihi, mimten), der fällt der Medienhurerei ganz unwillkürlich anheim.
Wie anders steht dagegen nun die aus einem Freundeskreis heraus entstandene PEGIDA da! Als Objekt einer stilistischen Analyse, zumindest. Ein Thomas Oppermann etwa (der sich zur Zeit anläßlich eines gewissen Untersuchungsausschusses vielleicht besser um seine Erinnerung bemühen sollte) versucht denn jetzt auch notgedrungen, einen Keil zwischen “gute” Teilnehmer und “böse” Organisatoren zu treiben, worauf in den letzten Tagen auch einige Zeitungen umgeschwenkt sind, weil die übliche Wühlarbeit gegen alle gleichzeitig unter den gegenwärtigen Bedingungen zu aufwendig ist.
Wohl war da schon zuvor ein kurzer Triumph der (be)schreibenden Zunft, als Protagonist Lutz Bachmann von sich aus seine Vorstrafen eingestand. Doch diesmal wollte das gewohnte “Jetzt haben wir ihn!” nicht verfangen. In diesem Fall hatte die Souveränität seiner Aushebelung der von Sendeanstalten und Redaktionen gepäppelten, normalerweise für die Ausschnüffelung solcher politisch ungemein relevanter Details zuständigen Horch- und Guck-Spezialisten – Speit, Röpke, Gensing und wie sie alle heißen – die längst zur Gewohnheit gewordenen Regeln des Spiels obsolet gemacht.
Und den Rest der journalistischen Selbstapotheose erledigen nun die Abendspaziergänger, indem sie (Ausnahmen bestätigen die Regel) gar nicht mit den sie wie die Wespen den Kuchen umschwirrenden Reportern sprechen oder ihnen allenfalls ins Gesicht sagen, was sie von der hiesigen Medienlandschaft halten. Vor diesem Hintergrund ist man beinahe geneigt, Alexander Kissler für seine zeitlos wunderschöne Formulierung vom April dieses Jahres als Seher zu bezeichnen: “Die Entfremdung macht Fortschritte. Leser an Medium: du lügst, es ist ganz anders. Medium an Leser: Schnauze.”
Wer sich aber von jemandem, der ihn andauernd implizit beleidigt und explizit von ihm ausgehalten werden will, nicht abwendet, der ist hoffnungslos verblödet und/oder ein Masochist. Anscheinend besinnen sich inzwischen mehr und mehr Leute darauf, daß beides kein besonders erstrebenswerter Zustand ist. Die entsprechenden Medien nicht mehr nur nicht zu konsumieren, sondern ihnen durch Wortenthaltung faktisch aktiv entgegenzutreten, ist die zweite Backe der Zange. Ich bin seit zwei Jahren ungebrochen angetan von der Schilderung eines befreundeten Burschenschafters, wie das Telefonat ablief, als das hochheilige Fernsehen bei seinem Bund einchargieren wollte:
Hallo, xy vom WDR am Apparat. Wir würden gern…
– Danke, kein Interesse.
Was?! Aber Sie wissen doch noch gar nicht, was wir Sie fragen wollen!
– Wir wissen aber schon, was Sie am Ende berichten werden. *klick*
Wenn sich nun die ZDF-“heute show” selbst dafür feiert, lediglich unter dem Deckmantel von Russia Today ein Stimmungsbild des Dresdner Protestzugs bekommen zu haben, versinnbildlicht das im Grunde nur den kaltlächelnden Zynismus bei den Öffentlich-Rechtlichen: “Verachtet uns, soviel Ihr wollt, Euer Geld kriegen wir trotzdem.” Das hätte so eigentlich auch aus dem Kanzleramt kommen können; bei der heutigen Beinahe-Synthese von Politik und Medien würde es mich denn auch nicht wundern, wenn angesichts der bei den Abendspaziergängen manifestierten, ablehnenden Haltung in einigen Parteibüros die Hände leicht schwitzig geworden sein sollten.
Auch wenn im deutschen Wahlrecht eine Enthaltung in großem Stil ja schon vor der allerersten Bundestagswahl durch Umdeutung des Art. 38 GG zur Makulatur gemacht wurde – eine symbolische Geste der Selbstbehauptung wäre es immerhin. Nicht umsonst hat man in der Zeit (wo auch son… Ach ja, klar. Im Bundestag. Natürlich.) schon nach einer Wahlpflicht krakeelt. Sei’s drum, die Wähler/Nichtwähler-Diskussion wird wohl nie ein Ende finden, und das Notwendige hat Klonovsky dazu bereits knapp und treffend geschrieben.
Der schweigende Bürgerprotest also. Facebook macht’s möglich: PEGIDA und Ableger können auf den nur scheinbaren fame der medialen Selbstdarstellung weitestgehend verzichten und bekommen trotzdem Zulauf. Und allmählich gehen Presse, Rundfunk und Fernsehen die Experten aus, die man nun täglich bemühen muß, um nicht völlig ohne O‑Töne auszukommen; bald wird wohl Franz Josef “war ein Flüchtling und sprach Armenisch” Wagner den Job allein erledigen müssen.
Den in Liebedienerei erstarrten Block aus Politik und Medien wird man damit vielleicht nicht aufknacken können, aber zur Zeit tritt immerhin wirkmächtig wieder hervor, was bereits halb vergessen schien: Der klaffende Spalt zwischen öffentlicher Meinung und veröffentlichter Meinung, indem die so dargestellte Gegenöffentlichkeit klarstellt, daß es sich bei ihr tatsächlich um die Öffentlichkeit handelt. Welche Konsequenzen – wenn überhaupt – dies im kommenden Jahr zeitigen wird, ist nicht abzusehen, aber: Das Schweigen hat in jedem Fall Zukunft, ob bei Demonstrationen oder anderswo, wenn die Presse-Fliegenfalle wieder ihr Fangeisen öffnet. So mag es gelingen, einen ersten großen Schritt auf dem Weg dahin zu gehen, daß endlich das schon von Mohler gegeißelte Prinzip im Orkus verschwindet:
Was ich den Liberalen nicht verzeihe, ist, daß sie eine Gesellschaft geschaffen haben, in der ein Mensch danach beurteilt wird, was er sagt (oder schreibt) [oder was über ihn geschrieben wird] – nicht nach dem, was er ist. Und da dies immer noch etwas metaphysisch klingt, sage ich es genauer: eine Gesellschaft, in der ein Mensch danach beurteilt wird, was er sagt – und nicht danach, was er tut.
Waldgänger (e.B.) aus Schwaben
Der Nordost wehet, der liebste unter den Winden mir, weil er feurigen Geist verheißet ...
(Hölderlin, Andenken)
(Bitte aus schwäbischer Perspektive sehen)
Bald schon wird dem kalten Nordost, der den Nebel vertreibend, klaren Himmel schafft, ein warmer Südwest folgen. Fernher kommend aus Frankreich wird er Ahnung bringen vom nahen Frühling.
Was mich wunderrt: Keiner der sich so kosmopolitisch gebenden Experten, Politiker, Journalisten, unternimmt den Versuch den Komplex PEGIDA / AfD gesamteuropäisch einzuordnen.