Michael Paulwitz hat sich auf JF-online lesenswert mit den „zunehmend hysterischen Verbalkeulen“ der Altmedien auseinandergesetzt. Mir geht es um einen speziellen Gesichtspunkt, der die Sichtweise der nicht-hyterischen, prominenten Pegida-Kommentatoren betrifft. Ich meine zum einen Professor Werner Patzelt, jenen habituell besonnenen und moderaten Politikprofessor, der zugleich Mitglied im Kuratorium der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung ist, zum anderen um Byung-Chul Han, jenen Trendphilosophen, der als Professor in Berlin lehrt.
Beide eint, daß sie zwar die Pegida-Demonstranten nicht als „Nazimischpoke“ ansehen, aber doch im- und explizit betonen, daß sie sich arg bücken müssen, um „Augenhöhe“ herzustellen mit „diesen Menschen“.
Patzelt im JF-Interview über die Pegidas:
Sie scheinen über eine grundständige bis mittlere Bildung zu verfügen und sind wohl mehrheitlich erwerbstätig. Parteipolitisch dürfte es sich um mögliche Wähler von CDU, AfD, Wähler am rechten Rand, Protestwähler sowie Nichtwähler handeln.
Grundständige bis mittlere Bildung, das heißt: Leute, die nicht unbedingt differenzieren können. Die Einschätzung ist aus mehreren Gründen seltsam: Woran hat er das erkannt? Ich selbst bin eine große Freundin der Gültigkeit des äußeren Eindrucks. Aber: „Gemachte“ Fingernägel und Pullis mit Billigbedruckung als einigermaßen sicherer Ausweis nur „grundständiger“ Bildung sind saisonbedingt unter den Winterjacken nur schwer auszumachen. Dienen die Gesichter allein (sorgenzerfurcht? alkoholgegerbt? tumber Blick? Oder was?) Patzelt als Beleg dafür, daß hier was von eher „untenrum“ kommt? Mittels welcher Kennzeichen hat er Sozen und konservative Linke ausgeschlossen? Ich wär mir da nicht sicher.
Subjektiv: Ich kenne nur fünf, sechs Dutzend Pegida-Teilnehmer. Sämtlich mit exzellenter Bildungskarriere, Hochschulabschluß. Gut: Kann ein Tunnelblick sein. Auf den beiden Veranstaltungen, die ich besuchte, sah ich ziemlich viele „Bürger mit Hut“. Ich laß mich belehren – das mag die neuste Facharbeitermode sein.
Zu Byung-Chul Han, jenem an Heidegger geschulten Modephilosphen, der gestern unter der Überschrift „Sehnsucht nach dem Feind“ die Aufmacherseite des Süddeutsche-Zeitung-Feuilletons füllte: Er legt die Pegidas halbfreundlich, jedenfalls mit seelsorgerischem Geschwurbel, auf die Couch und entwirft damit ein ähnliches Bild wie Patzelt, nämlich das des hilflosen, bedürftigen Subjekts, das „sich selbst für die eigene Unzulänglichkeit“ schäme:
Die Konstruktion des Anderen als Feind externalisiert den inneren Konflikt und entlastet dadurch die Psyche. So erwacht vielerorts eine Sehnsucht nach dem Feind. Aus der lähmenden Angst, abgehängt zu werden oder nicht mehr dazuzugehören, befreien sich Menschen, indem sie einen imaginären Feind konstruieren. (…) Das Objekt der Angst [„der Islam“] ist nun bennen- und bekämpfbar, selbst wenn es im Imaginären situiert ist. Über das Imginäre finden sie ins das System zurück, von dem sie sich abhängt fühlen. Der Ausschluss des imaginären Fremden befreit sie von dem Gefühl, nicht dazuzugehören.
Für ihn sind die Demonstranten also Underdogs, zukurzgekommene Loser. So seelsorgerisch Byung-Cul Han auf kleinkindpädagogischer Kniehöhe daherkommt – gekeult wird trotzdem: „Früher waren es die Juden, heute sind es die Muslime.“ Daß die Pegida-Macher immer und immer wieder betonen, sie haben nichts gegen Muslime und den Islam an sich – geschenkt. Wird glatt ignoriert und ins Gegenteil verkehrt. Die Psychogötter wissen: Eigentlich sollen die „Fremden“ vergast werden!
Bestechend an diesem Beitrag wie an ungezählten anderen ist der Einwand, es gäbe in Prozenten so wenig Muslime in Dresden. „Wo keine Realität da ist, blüht das Imaginäre“, orakelt Byung-Cul Han. Unser Modephilosoph nennt die islamistische Gefahr einen „Popanz“, der aufgebaut würde. Jedoch: Es geht erstens programmatisch ja nicht gegen die „Islamisierung Dresdens“, sondern des „Abendlands“ (Offenbach, Dietzenbach, Nürnberg, Kreuzberg, Stuttgart etc.pp. also mitgemeint), und zweitens wäre mit dem Popanz des „gewaltbereiten Rechtsextremismus“ gegenzuhalten: Wieviel Promille gewaltbereiter Rechtsextremisten zählt man in Deutschland? 0, 00 wieviel? Und wie viele (allgemein begrüßter) Demonstationen gab es in den letzen zwanzig Jahren dagegen? Popanz, wo, wer, warum?
Byung-Chul Han findet, der radikale Islamismus habe nichts mit den realen Problemen zu tun. Er spricht von „verunsicherten Menschen mit diffusen Ängsten“, also von einer Klientel für die Psychocouch. Während Patzelt diese „Menschen“ nur für intellektuell unterbelichtet hält, attestiert der gebürtige Südkoreaner den „Menschen“ bei Pegida eine Art Neurose, ein Krankheitsbild.
Manfred Kleine –Hartlage hat in seinem demnächst bei Anatios erscheinenden Unwörterbuch diesen betulichen Psychosprech gültig auseinandergenommen und zusammengesetzt:
Ängste der Menschen ernstnehmen
Wann immer ein Projekt auf die öffentliche Kritik seitens derer stößt, die seine Folgen auszubaden haben, findet sich zuverlässig ein Politiker, der fordert oder versichert, man müsse oder werde „die Ängste der Menschen ernstnehmen“.
Indem er von ihren „Ängsten“ spricht, sagt er zugleich, daß er sich nicht mit ihren Warnungen, Interessen und Argumenten auseinanderzusetzen gedenkt, deren Nichtexistenz oder auch Gegenstandslosigkeit er somit en passant als Selbstverständlichkeit unterstellt. Bevor noch irgendeine Debatte geführt werden kann, hat er bereits als deren Prämisse festgezurrt, daß er selbst recht hat und die Bürger nicht.
Da ist es folgerichtig, daß er diese Bürger nicht „Bürger“ nennt, sondern „Menschen“, ihnen also keinen politischen, sondern bloß einen biologischen Status zuerkennt. Und folgerichtig ist auch, daß er ihnen nicht zugestehen kann, „Furcht“ oder „Sorge“ zu empfinden, weil Furcht und Sorge sich nach landläufigem Verständnis auf etwas Konkretes beziehen: Vor Schlangen hat man Furcht, vor Gespenstern Angst.
Nachdem unser Politiker in dieser Weise als Ursache der Mißstimmung die Gefühle „der Menschen“ (und nicht etwa seine eigene Politik) dingfest gemacht hat, geht er – um auch wirklich jedes Mißverständnis auszuschließen – auf Nummer sicher und erklärt deren Furcht nicht nur zu „Angst“, sondern zu „Ängsten“, damit niemand über deren diffusen, irrationalen und therapiebedürftigen Charakter im Unklaren gelassen wird.
Er erklärt also die Bürger zu Kindern, insofern sie wohl Menschen‑, aber keine Bürgerrechte haben, sich vor Gespenstern ängstigen, deswegen der psychotherapeutischen Betreuung bedürfen, in jedem Falle aber zu einem begründeten politischen Urteil nicht in der Lage sind. So legt er in nur zwei Worten gegenüber seinen Mitbürgern und Wählern eine Verachtung an den Tag, die kaum anders erklärbar ist als dadurch, daß er selbst seinen eigenen Charakter am besten kennt und daher naturgemäß jeden verachten muß, der ihn trotzdem wählt. Und so ist es wiederum folgerichtig, nicht etwa die verachteten Bürger „ernstzunehmen“, sondern lediglich deren „Ängste“ – und auch die nur in dem Sinne, in dem man auch eine faulende Bananenschale „ernstnimmt“, auf der man nicht ausrutschen möchte.
Kann man hier vorbestellen, das Unwörterbuch. An Patzelt und Han senden wir je eines gratis.
H. M. Richter
Der Impuls von Dresden erscheint mir letztlich recht einfach zu verstehen zu sein:
Das, was sie vielerorts im Westteil des Landes nebst Berlin und nun verstärkt auf sich selbst zukommen sehen, wollen sie nicht. So wenig, daß sie dagegen aufstehen. Sie wissen: wenn sie es nicht selbst in die Hand nehmen, wenn sie nicht selbst ihre Forderungen auf die Straße tragen, wird es niemand mehr für sie tun. Sie haben ihre Erfahrungen gemacht in den letzten fünfundzwanzig Jahren. Ihr Vertrauen in die Politik (nach 1989) ist aufgebraucht.
Sie müssen nun erleben, selbst für die Forderung nach Umsetzung gültigen Rechts, ja sogar für die Einforderung ihrer Grundrechte beschimpft zu werden. Das aber kann man mit den Dresdnern, den Sachsen nicht machen.
Weder 1848 noch heute.