von Felix Dirsch PDF der Druck­fas­sung aus Sezes­si­on 121/ Juni 2024

Hell­mut Diwald (1924 – 1993), der aus dem süd­mäh­ri­schen Schatt­au stamm­te, Sol­dat im Zwei­ten Welt­krieg und lei­den­schaft­li­cher Anwalt sude­ten­deut­scher Inter­es­sen war, kommt unter den ver­be­am­te­ten Geschichts­pro­fes­so­ren nach 1945 ein Allein­stel­lungs­merk­mal zu: Er rück­te den natio­na­len Impe­ra­tiv und die natio­na­le Iden­ti­tät in den Mit­tel­punkt eines umfang­rei­chen Œuvres. Eine sol­che Fokus­sie­rung fin­det sich auch unter nicht­lin­ken Zunft­ge­nos­sen sel­ten. Von den Ver­tre­tern der soge­nann­ten »Vie­rer­ban­de«, den kon­ser­va­ti­ven Geg­nern Jür­gen Haber­mas’ im His­to­ri­ker­streit Mit­te der 1980er Jah­re (Ernst Nol­te, Micha­el Stür­mer, Andre­as Hill­gru­ber und Klaus Hil­de­brandt), publi­zier­te ledig­lich der zeit­wei­li­ge Kanz­ler­be­ra­ter Stür­mer eini­ge mehr oder weni­ger mar­gi­na­le Über­le­gun­gen zur Aktua­li­tät der natio­na­len Iden­ti­tät. Diwald demons­trier­te sein Außen­sei­ter­tum auch dadurch, daß er von Ber­nard Will­ms die Betreu­ung des vier­bän­di­gen Werks Hand­buch zur deut­schen Nati­on über­nom­men hat­te. Der letz­te Band, erschie­nen 1992, nimmt auf die deut­sche Ein­heit Bezug. Die­se opu­len­ten Stu­di­en har­ren der Über­ar­bei­tung und Weiterführung.

Nahe stan­den Diwald bei die­sem The­ma zwei Kol­le­gen aus dem Fach­be­reich der Poli­tik­wis­sen­schaf­ten: Ber­nard Will­ms (Iden­ti­tät und Wider­stand) und Hans-Joa­chim Arndt (Die Besieg­ten von 1945). Wie sie betrach­te­te der Erlan­ger His­to­ri­ker Diwald die Jah­res­zahl 1945 als die Ach­sen­zeit des eige­nen Vol­kes. Mit die­sem Schick­sals­da­tum sei die heu­ti­ge Lage »unlös­bar ver­ket­tet«, wie er im Vor­wort der Geschich­te der Deut­schen notiert. Vor dem Hin­ter­grund die­ser Zäsur ergab sich eine Fül­le dezi­dier­ter Ein­schät­zun­gen. Mit aus­drück­li­chem »Mut« wand­te sich Diwald nicht nur gegen eine pau­scha­le Kri­mi­na­li­sie­rung der deut­schen Geschich­te, ins­be­son­de­re der jün­ge­ren His­to­rie, son­dern erhell­te auch die Hin­ter­grün­de »unse­rer gestoh­le­nen Geschich­te« in diver­sen Publikationen.

Als zen­tra­len Aus­gangs­punkt, der sich in den Quel­len nie­der­schlug, sah er eine in west­al­li­ier­ten Bestän­den gefun­de­ne Akten­no­tiz aus dem Jah­re 1943 an. Sie lau­tet über­setzt: »Wir wer­den die gesam­te Tra­di­ti­on aus­lö­schen, auf der die deut­sche Nati­on errich­tet wur­de.« Damit erhielt der Deut­schen­haß, nach des­sen Ursa­chen der Phi­lo­soph Max Sche­ler schon wäh­rend des Ers­ten Welt­krie­ges gefahn­det hat­te, eine ers­te pro­gram­ma­ti­sche Dimen­si­on, die unter dem Stich­wort »Ree­du­ca­ti­on« nach der deut­schen Kapi­tu­la­ti­on von den Sie­ger­mäch­ten anfäng­lich uner­bitt­lich ver­folgt wur­de. Der US-Hoch­kom­mis­sar John McCloy gilt als einer der Haupt­ver­ant­wort­li­chen für den Über­gang von der Kriegs- zur spä­te­ren Frie­dens­pro­pa­gan­da. Doch die Besat­zer waren nur für die ers­te Etap­pe einer breit­an­ge­leg­ten Des­in­for­ma­ti­ons­kam­pa­gne ver­ant­wort­lich. Sie wur­de bald nach 1945 von wil­li­gen Hel­fern unter den Besieg­ten und deren Nach­kom­men fort­ge­setzt. Das Geschichts­bild, das sich mit wach­sen­dem Abstand vom Ende des Krie­ges immer wei­ter ver­dun­kel­te, fun­gier­te für Diwald als schick­sal­haf­tes Blei, das die Nati­on unauf­hör­lich her­un­ter­zie­hen mußte.

Jour­na­lis­ten wie Wis­sen­schaft­ler schaff­ten zahl­lo­se Bele­ge für den »Irr­weg« der eige­nen Geschich­te her­bei. Vie­le Publi­ka­tio­nen schlu­gen den omi­nö­sen Bogen von Luther über Fried­rich den Gro­ßen und Bis­marck bis zu Hit­ler, respek­ti­ve vom ver­meint­li­chen Irra­tio­na­lis­mus eines Schel­ling zu Hit­ler, wie bei dem mar­xis­ti­schen Phi­lo­so­phen Georg Lukács im Unter­ti­tel sei­nes Buches Die Zer­stö­rung der Ver­nunft nach­zu­le­sen ist. Diwald wuß­te, daß sol­che grob­schläch­ti­gen Fehl­ur­tei­le kol­lek­tiv­psy­cho­lo­gisch nach­hal­tig ins Gewicht fie­len. Mit dem eher tri­via­len Sin­gu­la­ri­täts­ar­gu­ment, ange­wen­det auf deut­sche Unta­ten, ver­hält es sich ähnlich.

Diwald ging es auch nicht um die Ver­herr­li­chung der Geschich­te eines Vol­kes, schon gar nicht um pau­scha­le wei­ße Wäsche; viel­mehr woll­te er beschei­den dazu bei­tra­gen, daß das eige­ne Volk »Geschich­te über­haupt zur Kennt­nis nimmt«. Bald nach den Ereig­nis­sen von 1989/90 schrieb er, es gebe jetzt nichts »Wich­ti­ge­res, als die Ein­heit unse­res Vol­kes inner­halb eines staat­li­chen Neu­baus zu voll­enden und dadurch auch die Nati­on wie­der sicht­bar zu machen«. Über drei Jahr­zehn­te nach die­sen Noti­zen wird man zuge­ste­hen müs­sen: Das Ziel, zumin­dest ein »Mini­mum an natio­na­ler Selbst­be­stim­mung« in der Öffent­lich­keit zu ver­an­kern, wur­de in der Brei­te nicht erreicht.

Diwald, der Quer­kopf der Zunft: Er ent­warf früh pro­gram­ma­ti­sche Anti­do­ta. Es hät­te genügt, daß er Mono­gra­phien über Luther, Fried­rich II. und Bis­marck ver­faß­te, um die The­se, sie sei­en Vor­läu­fer Hit­lers gewe­sen, ad absur­dum zu füh­ren. Diwald ging noch wei­ter zurück, um sei­ne geschichts­po­li­ti­schen Vor­stel­lun­gen mit Anschau­ungs­ma­te­ri­al zu unter­füt­tern. Er beginnt die Kon­zep­ti­on eines »neu­en Geschichts­bil­des«, das er dring­lich für erfor­der­lich hielt, mit der Rekon­struk­ti­on der Ursprün­ge der deut­schen His­to­rie. Deren Kennt­nis­se und das Wis­sen um die fort­dau­ern­den Wir­kun­gen bis in die unmit­tel­ba­re Gegen­wart sind unab­ding­bar, wenn man die vom Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt in einem Urteil vom 21. Okto­ber 1987 pos­tu­lier­te »Wah­rungs­pflicht zur Erhal­tung der Iden­ti­tät des deut­schen Staats­vol­kes« ernst nimmt.

Diwald stell­te in sei­nem gro­ßen Werk über König Hein­rich I. die­sen Herr­scher nicht nur als Grün­der des Deut­schen Rei­ches her­aus, son­dern rekon­stru­ier­te auch die Umstän­de sei­ner Wahl im Jah­re 919. Wei­ter zähl­te er kul­tu­rell-tech­ni­sche wie natür­li­che Vor­aus­set­zun­gen der Regent­schaft auf, vor­nehm­lich Wäl­der, Eis und Licht, Stra­ßen und Gren­zen sowie die dama­li­gen Fort­be­we­gungs­mög­lich­kei­ten. Der Sach­sen­herr­scher einig­te die deut­schen Stäm­me nach innen wie nach außen (durch die Abwehr der Ungarn-Gefahr). So ent­stand das Regnum Teu­to­ni­cum. Ihm gehör­ten Stäm­me an, die man als Gen­tes Theo­dis­cae oder Gen­tes Teu­to­ni­cae bezeich­ne­te. Die­se Bil­dung darf als wesent­li­che Etap­pe im Rah­men der Ethno­genese betrach­tet wer­den, auch wenn man zu die­sem Zeit­punkt übli­cher­wei­se noch nicht vom deut­schen Volk sprach. Jeden­falls ist die­ses Regnum Theo­dis­cum von den Rechts­in­sti­tu­tio­nen des Kai­ser­rei­ches zu unter­schei­den, die weit dar­über hinausgriffen.

Die­se Anfän­ge spie­len im staats­recht­li­chen Dis­kurs über den soge­nann­ten eth­ni­schen Volks­be­griff kei­ne unter­ge­ord­ne­te Rol­le. Der Frei­bur­ger Staats­rechts­leh­rer Diet­rich Murs­wiek arbei­te­te das Recht zur Behaup­tung der eth­nisch-kul­tu­rel­len Iden­ti­tät als Bestand­teil des Selbst­be­stim­mungs­rechts der Völ­ker her­aus und ver­wies dabei auf die Kon­ti­nui­tät des deut­schen Vol­kes seit weit über einem Jahr­tau­send. Der Gesetz­ge­ber kön­ne die eth­ni­sche Zusam­men­set­zung des eige­nen Vol­kes nicht ein­fach belie­big ändern; viel­mehr sei sie ihm im Grund­be­stand, im Sin­ne einer rela­ti­ven Homo­ge­ni­tät, vor­ge­ge­ben und somit als Schutz­ob­jekt des Völ­ker­straf­rech­tes zu begrei­fen, so die Zusam­men­fas­sung von Murs­wieks Argumentation.

Zum Luther-Jahr por­trä­tier­te Diwald, zu des­sen Spe­zi­al­ge­bie­ten die Epo­che der Frü­hen Neu­zeit zähl­te, einen wei­te­ren gro­ßen Ahn­herrn der Nati­on. In die­ser Publi­ka­ti­on wird der »Pro­phe­ta Ger­ma­niae« beson­ders her­vor­ge­kehrt. Die Frei­heit vom römi­schen Joch gilt als eine zen­tra­le Antriebs­kraft des Refor­ma­tors. Der berühm­te Send­brief an den »Christ­li­chen Adel deut­scher Nati­on« ist bis heu­te ein Doku­ment, das eine wesent­li­che Stoß­rich­tung sei­nes Wir­kens beschreibt.

Noch bevor sich Diwald mit Per­sön­lich­kei­ten wie Hein­rich und Luther beschäf­tig­te, inter­es­sier­te ihn die Wal­len­steins näher. Das Fas­zi­no­sum des böh­mi­schen Gene­ra­lis­si­mus besteht seit jeher im Facet­ten­reich­tum der Per­sön­lich­keit zwi­schen astro­lo­gi­schem Fai­ble und Hee­res­füh­rer­tum. Der fei­ge Meu­chel­mord hat­te zur Legen­den­bil­dung ein übri­ges bei­getra­gen. Von den Schmä­hun­gen, die Diwald erfah­ren muß­te, ragt die Pole­mik sei­nes Riva­len in der Wal­len­stein-For­schung, Golo Mann, her­aus, der nach 1945 nichts so Unge­heu­er­li­ches wie Diwalds Buch gele­sen haben woll­te. Wel­che Inhal­te denn so unge­heu­er­lich sei­en, ver­riet er aber nicht. Zuletzt noch Ernst Moritz Arndt: Auch er gehör­te zu Diwalds natio­na­ler Por­trät­ga­le­rie. Er ver­faß­te eine poin­tier­te Schrift über ihn.

Als Sum­me von Diwalds jahr­zehnt­langen For­schun­gen ragt aber die mate­ri­al­rei­che Geschich­te der Deut­schen her­aus. Sie fand mit dem His­to­ri­ker Karl­heinz Weiß­mann einen kon­ge­nia­len Autor, der das Werk 1999 über­ar­bei­te­te. Anläß­lich der Erst­pu­bli­ka­ti­on 1978, einer Zeit inten­si­vier­ter Debat­ten über Drit­tes Reich und Juden­ver­nich­tung, gab es hef­ti­ge Kon­tro­ver­sen über die­se Unter­su­chung. An der nar­ra­tiv her­vor­ra­gend prä­sen­tier­ten Stu­die, von der rund 100 000 Exem­pla­re ver­kauft wur­den, sorg­te nicht zuletzt die gegen­chro­no­lo­gi­sche Erzähl­wei­se für Auf­se­hen. Der Autor beginnt sei­ne Erör­te­run­gen in der unmit­tel­ba­ren Gegen­wart, schrei­tet zum Ges­tern wie zum Vor­ges­tern fort und endet bei den Ursprüngen.

Diwald hat über die­ses Ver­fah­ren in eher metho­do­lo­gisch ori­en­tier­ten Abhand­lun­gen Rechen­schaft abge­legt: Man sei von sei­ner eige­nen Zeit, ihren Auf­fas­sun­gen und Urtei­len unwei­ger­lich stark beein­flußt, kön­ne sich mit­hin in das eige­ne Zeit­al­ter deut­lich bes­ser ein­füh­len als in frü­he­re Epo­chen. Zudem prä­ge die jün­ge­re Ver­gan­gen­heit stär­ker als län­ger zurück­lie­gen­de Zeit­räu­me. Zuletzt und am wich­tigs­ten: Die gegen­chro­no­lo­gi­sche Metho­de wir­ke der Auf­fas­sung ent­ge­gen, spä­te­re Ereig­nis­se sei­en kau­sal durch zeit­lich vor­her­ge­hen­de determiniert.

Star­ke Ein­wän­de rich­te­ten sich gegen eine Bemer­kung zur Juden­ver­nich­tung, deren Abscheu­lich­keit Diwald mehr­fach beton­te. Die­ses Mas­sen­ver­bre­chen sei, so Diwald, nicht als sys­te­ma­tisch geplan­te Tat ein­zu­stu­fen, son­dern als sol­che, die infol­ge der extrem mör­de­ri­schen Bedin­gun­gen des Krie­ges zustan­de gekom­men sei. Zur media­len Hatz auf den Ket­zer trug eben­falls der Hin­weis bei, daß die tra­gi­schen Gescheh­nis­se von der Quel­len­la­ge her noch nicht rest­los erhellt sei­en. Die schnell anschwel­len­de Kam­pa­gne führ­te zum Ein­kni­cken des Ver­la­ges, der eini­ge Pas­sa­gen umschrei­ben ließ. Zu den Rädels­füh­rern gehör­ten etli­che ehe­ma­li­ge SS-Offi­zie­re wie der dama­li­ge Spie­gel-Redak­teur Georg Wolff. Anstoß nahm man auch an Diwalds Dar­stel­lung der Ver­bre­chen an Mil­lio­nen Deut­schen, vor allem kurz nach dem Zusam­men­bruch. Er beschrieb sie nicht (wie häu­fig) als blo­ßen, von den Deut­schen selbst ver­schul­de­ten Kol­la­te­ral­scha­den. Auch in die­ser Wer­tung unter­schei­det sich Diwalds Abhand­lung von diver­sen Konkurrenzunternehmungen.

Oft unter­schätzt wird Diwalds Spät­werk. In den weni­gen Jah­ren, die ihm nach der Wie­der­ver­ei­ni­gung noch ver­gönnt waren, fei­er­te er sich nicht etwa selbst als jeman­den, der unge­ach­tet aller Anfein­dun­gen stets am ent­spre­chen­den Grund­ge­setz­auf­trag fest­ge­hal­ten hat­te; viel­mehr ver­öf­fent­lich­te er in sei­nen Betrach­tun­gen Deutsch­land einig Vater­land einen eher düs­te­ren Aus­blick, der sich (wie stets bei dem Gelehr­ten) an die Fak­ten hält.

Neben den von ihm immer wie­der trak­tier­ten Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten, etwa der Zurück­wei­sung des gern kol­por­tier­ten tau­send­jäh­ri­gen Sün­den­re­gis­ters, geht er auch auf struk­tu­rel­le Pro­ble­me ein, die heu­te eben­so aktu­ell sind wie um 1990. Beson­ders das Kapi­tel »NATO als Staats­rä­son« ver­dient aus aktu­el­lem Anlaß neu rezi­piert zu wer­den. Die Ein­glie­de­rung in die west­li­che Ver­tei­di­gungs­al­li­anz war aber nur ein Hemm­schuh für Deutsch­land im Rah­men des viel­zi­tier­ten lan­gen Weges nach Wes­ten, den der His­to­ri­ker Hein­rich August Wink­ler eben­so wirk­mäch­tig wie ein­sei­tig nach­ge­zeich­net hat. Die­se Ent­wick­lung hat­te dazu geführt, daß das Land der euro­päi­schen Mit­te für die USA die Garan­tie bot (und bie­tet), das Schlacht­feld mög­lichst vom eige­nen Kon­ti­nent fern­zu­hal­ten. Diwald zitiert den ehe­ma­li­gen US-Sena­tor Laro­que, der 1981 ver­laut­ba­ren ließ: »Wir wür­den auch den Drit­ten [Welt­krieg] lie­ber in Euro­pa füh­ren; selbst mit Atom­waf­fen.« An die­ser Dok­trin hat sich bis zum heu­ti­gen Tag wenig geän­dert, wenn­gleich der Kom­mu­nis­mus in Euro­pa lan­ge ver­schwun­den ist. Diwald sprach sich gegen »West­ex­tre­mis­ten« und eine Ver­ab­so­lu­tie­rung der »west­li­chen Wer­te­ge­mein­schaft« aus.

Abschlie­ßend wagt er einen skep­ti­schen Aus­blick. Kann ein Staat auf Dau­er bestehen, des­sen Bür­ger zu einem nicht gerin­gen Teil eine aus­ge­präg­te Vor­lie­be für Wohl­stand, Wer­bung, Kon­sum, Kalo­rien, Frei­zeit und Feig­heit erken­nen las­sen? Er kann es sehr wohl, aber er ändert sein Erschei­nungs­bild dras­tisch, so könn­te man ant­wor­ten. Auch gegen­wär­tig, so fügt Diwald hin­zu, kom­me kein Staat ohne die Bereit­schaft sei­ner Bür­ger aus, im äußers­ten Fall als Sol­da­ten das Höchs­te zu geben, was der ein­zel­ne besit­ze, näm­lich das Leben.

Öffent­li­che Bekannt­heit erlang­te Diwald vor allem als stän­di­ger Gast in Wolf­gang Ven­ohrs TV-Sen­dung Doku­men­te Deut­schen Daseins, 500 Jah­re deut­sche Natio­nal­ge­schich­te, aus­ge­strahlt vom Sep­tem­ber 1977 bis Mai 1979. Die Qua­li­tät der Streit­ge­sprä­che, die er mit Sebas­ti­an Haff­ner führ­te, wur­de vom Publi­kum sehr geschätzt. Wei­ter­hin fun­gier­te er als Spi­ri­tus rec­tor der pri­va­ten Zeit­ge­schicht­li­chen For­schungs­stel­le Ingol­stadt (ZFI). Pri­mä­res Anlie­gen der Grün­der­ge­nera­ti­on, zu der der His­to­ri­ker und Gym­na­si­al­leh­rer Alfred Schi­ckel zähl­te, war es, der oft ten­den­ziö­sen Geschichts­deu­tung durch offi­zi­el­le Ein­rich­tun­gen wie das Insti­tut für Zeit­ge­schich­te in Mün­chen eine ande­re Sicht ent­ge­gen­zu­set­zen. Fra­ge­zei­chen soll­ten dort gesetzt wer­den, wo »Sie­ger­li­te­ra­tur Pau­schal-Ver­dik­te« (­Schi­ckel) fällt. Eine sol­che Absicht wird gern als Revi­sio­nis­mus gebrand­markt, ja sogar als »anti­quier­ter Radi­kal­na­tio­na­lis­mus« (Hans-Ulrich Weh­ler) in die rechts­ra­di­ka­le Ecke gestellt. Eine Wür­di­gung der ZFI bleibt ein Desi­de­rat der Forschung.

Diwalds blei­ben­des Ver­dienst ist es, im Rah­men sei­nes Lebens­werks die Funk­ti­on und den beson­de­ren Stel­len­wert der His­to­rio­gra­phie im Leben eines Vol­kes kon­se­quent her­aus­ge­stellt zu haben. Man könn­te von der Kon­zep­ti­on einer fun­dier­ten »rech­ten Volks­päd­ago­gik« spre­chen, die die exis­ten­ti­el­le Dimen­si­on der Geschichts­be­trach­tung für ein Volk her­aus­stellt, wäre die­ser Begriff nicht all­zu nega­tiv kon­no­tiert. Von die­ser War­te aus blieb für ihn der Grund­satz Leo­pold von Ran­kes, nach dem aus den Quel­len zu zei­gen ist, »wie es eigent­lich gewe­sen« sei, im Sin­ne eines erkennt­nis­lei­ten­den Inter­es­ses ungenügend. ¡

 

 

Dazu beson­ders die Publi­ka­tio­nen Mut zur Geschich­te (Ber­gisch Glad­bach 1983) und Geschich­te macht Mut (Erlangen/Bonn/Wien 1989).

Her­an­zu­zie­hen ist vor ­allem fol­gen­der Über­blick: Unse­re gestoh­le­ne Geschich­te, Mün­chen 1992.

Zitiert nach ebd., S. 9.

Ebd., S. 11.

Ebd., S. 14.

Hell­mut Diwald: ­Hein­rich der Ers­te. Die Grün­dung des deut­schen Rei­ches, Ber­gisch Glad­bach 1987.

Vgl. Diet­rich Murs­wiek: »Staats­volk, Demo­kra­tie und Ein­wan­de­rung im Natio­nal­staat des Grund­ge­set­zes«, in: Jahr­buch des öffent­li­chen Rechts der Gegen­wart, Neue Fol­ge 66 (2018), S. 385 – 429.

Vgl. Hell­mut Diwald: Pro­py­lä­en Geschichte
Euro­pas,
Bd. I: Anspruch auf Mün­dig­keit. Um 1400 – 1555, Frank­furt a. M./Berlin/Wien 1975.

Hell­mut Diwald: ­Luther. Eine Bio­gra­phie, Ber­gisch Glad­bach 1982; zusam­men mit Karl-Heinz Jür­gens: Lebens­bil­der Mar­tin Luthers, Ber­gisch Glad­bach 1982.

Hell­mut Diwald: Ernst Moritz Arndt. Das Ent­ste­hen des deut­schen Natio­nal­be­wußt­seins, Mün­chen 1970.

Vgl. Diwald: Mut zur Geschich­te, S. 44 – 50.

Vgl. Hell­mut Diwald: Deutsch­land einig Vater­land. Geschich­te unse­rer Gegen­wart, Frank­furt a. M./Berlin 1990; ders.: Ein Quer­kopf braucht kein Ali­bi. Sze­nen der Geschich­te, Frank­furt a. M./Berlin 1991.

Diwald: Deutsch­land ­einig Vater­land, S. 235.

Als beson­ders ten­den­ziö­ser Bei­trag der ZFI-Auf­ar­bei­tung darf gel­ten: Moritz Fischer, Tho­mas Schlem­mer: »Wider das Estab­lish­ment. Die Zeit­ge­schicht­li­che For­schungs­stel­le Ingol­stadt zwi­schen Apo­lo­gie und Wis­sen­schaft – aus den Akten des Insti­tuts für Zeit­ge­schich­te und des Bun­des­ar­chivs«, in: Vier­tel­jahrs­hef­te für Zeit­ge­schich­te 72 (2024), S. 127 – 201.