Mit den biologischen Wissenschaften sollte den auftrumpfenden Neomarxisten gesellschaftstheoretisch der Wind aus den Segeln genommen werden. Das Vertrauen auf eine ernüchternde Wirkung der Verhaltensbiologie auf die westdeutsche Linke, auf entsprechende Lernprozesse und damit auch die Aufwertung der eigenen Position war illusorisch, was im Rückblick nicht überrascht. Der Ansatz, sich im geteilten Deutschland gleichermaßen von einer »alten«, konservativen Rechten und einer theoretisch überholten Linken als blockfreier »neuer« Nationalismus mittels Rekurs auf jüngste naturwissenschaftliche Erkenntnisse abzusetzen, erschien unzeitgemäß. Die politische Gesäßgeographie des 19. Jahrhunderts ist, weil herrschaftstechnisch bislang bewährt, in Deutschland stabil, die Linke blieb in ihrem Menschenbild einem ideologischen Behaviorismus verhaftet, sie bewegte sich geistig nicht. Dabei sind Überlegungen und Motive jener nationalistischen Intellektuellen bedenkenswert, zumal sie sich mit Konrad Lorenz eines Kronzeugen versicherten, den der Spiegel (das »Sturmgeschütz der Demokratie«) damals nicht abschoß, sondern vielmehr zum »Einstein der Tierseele« adelte.
Daß Lorenz 1973 zusammen mit seinen Kollegen Nikolaas Tinbergen und Karl von Frisch der Nobelpreis für Medizin oder Physiologie verliehen wurde, belegte die wissenschaftliche Bedeutung der Verhaltensbiologie gleichsam amtlich. Es war keineswegs ein Mißverständnis, daß die unorthodoxen Nationalisten meinten, auf Lorenz und die Verhaltensforschung setzen zu können, denn der seinerzeit ungemein populäre Ethologe selbst vertrat ohne Scheu politische Ansichten, die er mit seinen Forschungen begründete und dem zunehmend linksliberalen Zeitgeist entgegenstellte. Wenn er gegen die »pseudodemokratische Doktrin« wetterte, »daß der Mensch ein unbegrenzt modifizierbares Erzeugnis seiner Umgebung sei«, wenn er beklagte, daß diese Doktrin »eine überragende politische Bedeutung erlangt« habe, liegt angesichts gegenwärtiger Debatten um gender mainstreaming und die Deformation des Bildungswesens sein anhaltender Provokationswert auf der Hand. »Begreiflicherweise«, so Lorenz 1971, müsse »diese Lehre allen jenen höchst willkommen sein, in deren Interesse und Absicht es liegt, große Menschenmassen gezielt zu manipulieren, und deshalb ist die pseudodemokratische Doktrin, von amerikanischen, russischen und chinesischen Machthabern in merkwürdiger Einmütigkeit vertreten, beinahe zur Weltreligion geworden.«
In Konrad Lorenz begegnet also nicht nur ein Klassiker der modernen Biologie, sondern auch ein streitbarer Geist, dem es wie wenigen anderen gegeben war, wesentliche Einsichten seiner Forschung einer breiteren Öffentlichkeit fesselnd darzubieten. Da der Verhaltensbiologe von der Bedeutung seiner Wissenschaft für eine adäquate Erkenntnis der eigenen Lage durchdrungen war und er diese Lage für ernst hielt, wollte er über den Elfenbeinturm reiner Forschung hinaus wirken: Er werde deshalb langsam zum »Prediger«, schrieb er damals dem befreundeten Schriftsteller Carl Zuckmayer. Es ging ihm nicht nur um die Benennung konkreter Mißstände, sondern stets auch um eine grundlegende Aufklärung im kantischen Sinn, die vor allem die Fähigkeit und den Mut fordert, den eigenen Verstand zu gebrauchen. Auch deshalb wurde Lorenz einer der Väter jener modernen evolutionären Erkenntnistheorie, die die menschliche Kognition evolutionstheoretisch zu verstehen und dabei diverse Disziplinen zu integrieren sucht. Wenn auch manche Forschungspositionen und ‑konzepte inzwischen fachwissenschaftlich überholt sind, bleibt Konrad Lorenz mit seinem geistigen Habitus, aber auch mit zentralen seiner Befunde neben Arnold Gehlen der wohl bedeutendste anthropologische Denker jenes »realistischen« Spektrums, das man in Deutschland seit jeher eher »rechts« denn »links« verortet hat.
Geboren wurde Lorenz 1903 in Altenberg bei Wien, nahe dem imperialen Zentrum der k.u.k. Doppelmonarchie, und ebendort, nahe der Hauptstadt der zweiten österreichischen Republik, starb er 1989. Dazwischen wurde Geschichte gemacht, der auch er sich nicht entziehen konnte und wollte. Als zweiter Sohn des international renommierten Arztes Adolf Lorenz, eines Pioniers der modernen chirurgischen Orthopädie, wuchs Konrad Lorenz im großbürgerlichen Wiener Milieu auf, zu dem nicht nur ein mondäner Kosmopolitismus, sondern auch eine einzigartige Verdichtung künstlerischer wie wissenschaftlicher Intelligenz gehörte. Spielkamerad in Kindheitstagen etwa war Karl Popper, der spätere Begründer eines »kritischen Rationalismus«, mit dem er erst ein Lebensalter später als Wissenschaftler wieder zusammentreffen sollte. Ein Studium der Medizin beendete Lorenz 1928 mit Promotion in Wien, inzwischen Hauptstadt der ersten österreichischen Republik, war dann als Assistent an einem der dortigen anatomischen Institute tätig, während er sich nebenher vor allem mit zoologischen Forschungen beschäftigte. Entscheidend für seine weitere Entwicklung wurde die Begegnung mit dem Ornithologen Oskar Heinroth, einem Verhaltensforscher avant la lettre, den Lorenz zeitlebens als seinen »großen Lehrer« verehrte. 1933 promovierte der Mediziner als Zoologe und habilitierte sich bald: Schon 1937 erhielt er die Venia legendi für Zoologie mit besonderer Berücksichtigung der vergleichenden Anatomie und Tierpsychologie an der Wiener Universität.
Lorenz, der sich in den 1920er Jahren auch als Motorradrennfahrer versucht hatte, lebte jetzt ganz seiner ethologischen Forschung, die indessen auf wenig Gegenliebe stieß. Nach einem heftigen Bürgerkrieg zwischen austrofaschistischen Heimwehren auf der einen, Sozialdemokraten und Kommunisten auf der anderen Seite hatte sich in Österreich ein von Mussolini unterstütztes autoritäres System als »Bundesstaat« an Stelle der Republik fest etabliert. Da dieser Austrofaschismus die Bemühungen der römisch-katholischen Kirche um eine Rekatholisierung der Gesellschaft unterstützte, waren die Aussichten für eine Forschung, die Charles Darwin verpflichtet war, in Österreich nicht allzu rosig. Im nationalsozialistischen Deutschen Reich dagegen schien man biologischen Forschungen offenkundig aufgeschlossen, wenn auch zum Teil aus ideologischen Mißverständnissen heraus. Als der Kleinstaat 1938 durch Hitler mit dem Reich fusioniert wurde, in der Folge mancher jüdische und politisch nicht konforme Kollege entlassen wurde, versuchte Konrad Lorenz sogleich, die für ihn und seine Forschungsrichtung günstige neue Konstellation bedenkenlos und zielstrebig zu nutzen. Schon seine Pläne in Wien, aber auch alle späteren Unternehmungen zeigen einen stets »sehr ehrgeizigen, ebenso anpassungsbereiten, politisch eher naiven, wissenschaftspolitisch aber geschickt agierenden Forscher«. So bemühte er sich nach dem »Anschluß« schnell um Aufnahme in die NSDAP und eine entsprechende rhetorische Aufrüstung seiner Forschungspräsentation. Daß er sich dabei als »Deutschdenkenden« bezeichnete und den österreichischen Klerikalfaschismus verdammte, war gewiß nicht karriere- und antragstechnischen Erwägungen, sondern konkreten historischen Erfahrungen geschuldet, also ernst gemeint. Den im Friedensvertrag von St. Germain ausdrücklich verbotenen Zusammenschluß Deutschösterreichs, wie es anfangs hieß, mit dem Reich hatte die Mehrzahl gewollt; bekanntlich war dies, bis 1933, ein Anliegen gerade der österreichischen Sozialdemokratie gewesen. Auch an eine gewisse wissenschaftsfreundliche Modernität des nationalen Sozialismus wird Lorenz wie weltweit viele Naturwissenschaftler tatsächlich geglaubt haben. Jedenfalls sicherten ihm seine Studien über die Haus- und Wildgänse schnell einen exzellenten wissenschaftlichen Ruf: Aufsätze wie die schon 1935 im Journal für Ornithologie publizierte Studie Der Kumpan in der Umwelt des Vogels oder die 1937 in den Folia Biotheoretica erschienene Abhandlung Über den Begriff der Instinkthandlung sollten Marksteine der neuen Verhaltensbiologie bilden. Die Gründung des ersten ethologischen Fachorgans, der Zeitschrift für Tierpsychologie, mit seinem Kollegen und Förderer Otto Koehler zusammen bewies organisatorische Rührigkeit und sorgte für eine gute Vernetzung in Fachkreisen. So erhielt er 1940 einen Ruf an die philosophische Fakultät der Königsberger Albertina, auf Betreiben unter anderem Otto Koehlers, aber auch Arnold Gehlens, dessen Nachfolger auf dem Lehrstuhl Immanuel Kants er de jure nun wurde.
Schon ein Jahr später, nach Beginn des deutschen Angriffs auf Stalins Sowjetunion, wurde Konrad Lorenz gezogen und als Heerespsychiater eingesetzt, bis er 1944 an die Ostfront kam und bei Witebsk verwundet für vier Jahre in russische Kriegsgefangenschaft geriet. Nach seiner Entlassung kehrte er ins heimatliche Altenberg zurück, wo er 1949 sein erstes ethologisches Institut gründete. Bemühungen um eine Professur in Österreich scheiterten, doch nahm Tinbergen von Oxford aus Verbindung auf, während die Max-Planck-Gesellschaft ihm eigens eine Forschungsstelle für Vergleichende Verhaltensforschung im westfälischen Buldern einrichtete. 1953 folgte eine Honorarprofessur an der Universität Münster, 1957 dasselbe in München; ein Jahr später übernahm er mit Erich von Holst zusammen als dessen Stellvertreter das neue Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie im oberbayerischen Seewiesen, das er schließlich von 1961 an bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1973 leitete.
Wissenschaftshistorisch war eine wesentliche Leistung von Lorenz, daß er die Tierbeobachtungen zeitgenössischer Zoologen weiter- und zusammengeführt hatte. Dabei entwickelte er eine physiologische Instinkttheorie, die es ihm ermöglichte, das Verhalten unterschiedlicher Tierarten zu vergleichen und daraufhin zu befragen, ob und welche Verhaltensweisen auf angeborenen, also vererblichen Dispositionen beruhten. Lorenz übertrug damit einen in der vergleichenden Anatomie geläufigen Zugriff auf den »psychologischen« Bereich. Gegen die seinerzeit dominierende Annahme, die komplexen Verhaltensabläufe der Tiere wären reizgesteuert, also rein reaktiv etwa an Umwelteinflüssen ausgerichtet, kam Lorenz zum Ergebnis, daß es angeborene Verhaltensweisen gab, die dem einzelnen Tier schon vor dem ersten Gebrauch komplett ausgebildet zur Verfügung standen.
Solche Verhaltenssequenzen werden nach Lorenz durch spezifische, in der Wahrnehmungsfähigkeit genetisch verankerte Schlüsselreize ausgelöst und über nervöse Schaltungen zu sinnvollen Abläufen mit funktionalem Abschluß koordiniert. Mit diesen Theoremen verband sich sein später gern belächeltes, inzwischen überholtes Denkmodell einer Triebhydraulik, nach dem eine spontan produzierte Triebenergie so lange zunimmt, bis sie durch einen per Schlüsselreiz ausgelösten Handlungsablauf abgebaut wird, sobald eine spezifische Reizschwelle überschritten ist. Lorenz war sich freilich stets des Modellcharakters und der Hypothetik solcher Konzepte bewußt; sein Denkhabitus entsprach ganz dem Pragmatismus des Kindheitsfreundes Popper, für den Hypothesen – sofern fruchtbar – so lange galten, bis sie theoretisch oder empirisch »falsifiziert«, dann aber auch leidenschaftslos preiszugeben waren. Im Vergleich exakter Verhaltensprotokolle verwandter und unterschiedlicher Tierarten wollte Lorenz nun belegen, daß nicht nur körperliche Eigenschaften Ergebnisse stammesgeschichtlicher Prozesse sind, sondern analog auch die angeborenen Verhaltensweisen, die er stets auf ihre Funktion, ihre konkreten evolutionären Anpassungsleistungen befragte.
Dies führte den Biologen schnell zu philosophischen Fragen und zur Auseinandersetzung mit einschlägigen Abschnitten von Kants Kritik der reinen Vernunft. Darin hatte er Raum, Zeit und Kausalität als Anschauungs- und Denkweisen gefaßt, die vor aller Erfahrung – a priori – im Menschen gegeben seien und diese allererst ermöglichten. Noch in Königsberg begann Lorenz 1941 mit der Abhandlung über Kants Lehre vom Apriorischen im Lichte gegenwärtiger Biologie einen eigenen erkenntnistheoretischen Ansatz zu entwickeln, den er in seinem »Russischen Manuskript« während der Kriegsgefangenschaft fortführte. Ausgangspunkt war wieder die Annahme, daß der stammesgeschichtlich ausgeformten Anatomie und ihren Körperfunktionen bei allen Lebewesen angeborene Dispositionen entsprechen mußten, die individuelle Lernleistungen überhaupt ermöglichten. Demzufolge ist auch das Hirn erst in äonenlanger Wechselwirkung mit den Umgebungen zu jenem komplexesten menschlichen Organ geworden, das die von Kant analysierten Denkprozesse zuließ. Für Lorenz wurde damit der »apriorische Apparat« Kants zu einem per Selektion optimal an die entsprechende Umwelt angepaßten stammesgeschichtlichen »a posteriori«.
1973 veröffentlichte er in dem Buch Die Rückseite des Spiegels eine von diesen frühen Überlegungen ausgehende evolutionäre Erkenntnistheorie und philosophische Anthropologie, die sich auch für neuere Ansätze offen zeigte, damit selbst anschluß- und ausbaufähig blieb. In Anlehnung an die Ontologie des heute nur noch Spezialisten bekannten Philosophen Nicolai Hartmann postulierte Konrad Lorenz die »Einheit der realen Welt« als evolutionär entstandenes, in sich geschichtetes System. Die »Schichtenfolge« Hartmanns, der »das Anorganische, das Organische, das Seelische und das Geistige« unterschied, stimme, so die Pointe von Lorenz, »schlicht und einfach mit der Reihenfolge ihrer erdgeschichtlichen Entstehung überein«. Die naturgeschichtlichen Sprünge zwischen diesen Schichten führte Lorenz systemtheoretisch auf Kombinationseffekte zurück, die er als »Fulgurationen«, als blitzartige Neubildungen, bezeichnete: Wenn sich zwei Systeme mit ihren spezifischen Eigenschaften zu einem neuen zusammenschließen, kann dieses plötzlich Eigenschaften aufweisen, die sich aus den ursprünglich einzeln gegebenen nicht ableiten lassen, wobei deren Systemeigenschaften unverändert und modifiziert weiterwirken können. So vereint auch der Mensch als komplexes System und Folge diverser Fulgurationen die Eigenschaften der naturgeschichtlich früheren Schichten, im Kognitionsapparat ebenso wie in den stammesgeschichtlich selektierten Verhaltensdispositionen: »Von Natur ein Kulturwesen« (Eibl-Eibesfeldt), ist er der Reflexion und symbolischen Kommunikation, der Selbst- und Fremdsteuerung in höchster Abstraktion fähig, doch west in ihm eben auch das territoriale »Thier Mensch« (Nietzsche), dessen »Aggressionstrieb«, so Lorenz in Das sogenannte Böse (1963), ihm einst das Überleben in feindlicher Umwelt sicherte, heute aber unter Zivilisationsbedingungen primär schadet. In seiner Philippika Die acht Todsünden der Menschheit (1973) bewertete Konrad Lorenz neuere kulturell erzeugte Effekte wie Überbevölkerung, Umweltschäden, Massenvernichtung von Mensch und Tier, die Zerstörung indigener Kulturen, den drohenden Rückfall hinter die europäische Aufklärung und die Schrumpfung von Leistungseliten generell als negative Folgen einer »positiven Rückkoppelung« evolutionär ursprünglich erfolgreicher Dispositionen. Angesichts dessen forderte er um so dringlicher »eine auf naturwissenschaftlichen Erkenntnissen sich aufbauende Selbsterkenntnis der Kulturmenschheit«. Bereits 1972 hatte er daher als Sprecher einer »Gruppe Ökologie«, der neben anderen sein Schüler Irenäus Eibl-Eibesfeldt und der bekannte Zoologe Bernhard Grzimek angehörten, ein »Ökologisches Manifest« veröffentlicht, das lokale Fragen mit globalen Zusammenhängen wie der Überbevölkerung verband. So wurde er zu einer – auch aktiven – Symbolfigur der grünen Bewegung in Österreich: Hier darf man von Lorenz tatsächlich als einem Konservativen sprechen, dem es um die Bewahrung unersetzlicher natürlicher und kultureller Bestände ging.
Die Kritik der egalitaristischen Linken wiederum entzündete sich an seiner Überzeugung, daß »auch im sozialen Verhalten des Menschen Instinkthaftes enthalten sei, das durch kulturelle Einwirkungen nicht verändert werden kann«. Zudem hielt er lebenslang daran fest, daß es eine gruppenspezifische Erhaltungs- und Fortpflanzungslogik gebe, das Prinzip der »Arterhaltung«, womit auch altruistische Verhaltensweisen plausibel werden sollten. Fachwissenschaftlich wurde dieser frühe evolutionsbiologische Ansatz schon zu seinen Lebzeiten entkräftet: etwa durch Richard Dawkins The selfish gene (1976) und das Konzept der Verwandtenselektion, das auch Altruismus zu erklären vermag.
Obschon sich Lorenz etwa in seiner Kritik an der »Verhaustierung« als zivilisatorischer Dekadenzerscheinung immer korrekt auf die ganze Menschheit als zu erhaltende Art bezog, stellten ihn ehrenamtliche Gedankenpolizisten gern in einschlägige »Kontinuitäten«. Unter Verzicht auf jede historische Diskursanalyse, die ihren Namen verdiente, operiert man dabei gern mit einschlägigem Reizvokabular der Eugenik, das aus Lorenz’ frühen Texten exzerpiert und mit Passagen späterer Arbeiten verglichen wird. Eugenische Überlegungen sind zwar durch die moderne Gentechnik unter der Hand längst wieder »Gemeingut« geworden, was aber deswegen kaum skandalisiert wird, weil deren Begriffe längst nicht mehr naiv-martialisch wie einst klingen. Gerade deshalb ist hier darauf hinzuweisen, daß sich Lorenz geistig seinerzeit keineswegs in einem spezifisch nationalsozialistischen Kontext bewegte. Eher stand er in der Tradition sozialdemokratischen Fortschrittsglaubens: Im Kampf gegen »Lumpenproletariat« und »Lumpenbourgeoisie« zielte dieser darauf, zum Heil der Menschheit die Fortpflanzung genetisch Belasteter zu unterbinden – bis hin zur »Unfruchtbarmachung der geistig Minderwertigen«. Nach den USA waren es damals ja gerade die sozialdemokratischen Länder Skandinaviens gewesen, die als erste überhaupt eugenische Gesetze und (Zwangs-)Sterilisation eingeführt und umgesetzt hatten. Die gelegentlichen Versuche, die Humanethologie in historische Sippenhaft zu nehmen, haben damit nach allem also teil an jener von Lorenz benannten siebten »Todsünde«, der Indoktrinierbarkeit; sie offenbaren zudem aber auch die Notwendigkeit, das abgebrochene Projekt der europäischen Aufklärung genau hier, mit der Ethologie und den aus ihr erwachsenen neueren Forschungszweigen der Verhaltensökologie und Soziobiologie, wieder aufzunehmen.