Wer daraus keine historische und politische Lektion zu lernen imstande ist, dem ist nicht mehr helfen. Denn es geht hier natürlich nicht um Landes- und Geschichtskunde, die “nice to know” ist, sondern um Dinge, die das Schicksal des Westens insgesamt betreffen.
Denn Südafrika ist die Zukunft, unsere europäische Zukunft. Dabei sollten wir uns bewußt werden, daß dieser Prozeß an allen Ecken und Enden des europäischen Kontinents eingesetzt hat: Es wird bald nirgends mehr, in keinem einzigen Land Europas, eine Zuflucht oder freie Zonen geben, in der sich nicht diesselben Probleme, Szenarien und Städtebilder zeigen. Mit der Globalisierung des Multikulturalismus wird auch der Rassismus globalisiert, zum ubiquitären Problem gemacht.
Daß ich hier nicht übertreibe, mag ein Artikel zeigen, der ursprünglich in der linken norwegischen Zeitung Klassekampen erschienen ist und auf den ich hier in einer englischen Übersetzung gestoßen bin.
Erinnern Sie sich noch an Norwegen und Schweden? Die Länder im hohen Norden, wo die blonden, großgewachsenen Menschen herkommen, mit den dichten Wäldern, den Fjorden und dem hohen Lebensstandard?
Klassekampen hat darüber folgendes zu berichten (Übersetzung und Auswahl von mir; es lohnt sich, den ganzen Artikel zu lesen):
“Ich habe niemals jemanden ‘Neger’ oder ‘Schwarzer’ oder ähnliches genannt. Andererseits waren es wir Weiße, über die herablassend gesprochen wurde. Es war schlecht, weiß zu sein, das Christentum und die norwegische Kultur war schlecht und wurde oft beschimpft”, erzählt Mari Morken (16) und rattert die Beschimpfungen runter: “Weissi, Kartoffel, weißer Käse.”
Nach drei Jahren konnte sie es nicht mehr ertragen. Sie zog von ihrer Schule in Groruddalen zu einer Schule im Westen. Jeden Morgen nimmt sie die U‑Bahn zur anderen Seite der Stadt, um den Beschimpfungen und dem schlechten Klassenumfeld zu entkommen. Wo sie nun hingeht, ist es gut, gute Noten zu haben, und sie fällt nicht auf, weil sie hellhäutig ist. Vorher hatte sie sich dunkle Strähnen ins mittelblonde Haar gemacht. Heute färbt sie es etwas heller. Sie befindet sich auf dem Weg, ihr Norwegertum “zurückzuerobern”, und sie ist froh darüber, blond sein zu dürfen, ohne als “Hure” oder als “billig” beschimpft zu werden.
“Ah, Mädchen, blonde Hure!”
Mit diesen Worten wurde ‘Josephine’ am ersten Schultag in einer von Einwanderern dominierten Gegend in den südlichen Vororten Stockholms begrüßt. Josephine war ziemlich vor den Kopf gestoßen, denn abgesehen von ihrer Haarfarbe, gab es nichts an ihrer Erscheinung, das auf Promiskuität schließen ließe. Sie benutzte kein Make-Up und trug völlig neutrale Kleidung. Es war allein ihre Haarfarbe, die sie als “Hure” brandmarkte.
‘Josephine’ ist eine der Befragten von Maria Bäckman, die eine ethnographische Studie über die südliche Vorstadt von Stockholm erstellt hat, wo die Schweden 20% der Bevölkerung ausmachen. Sie sind also zur Minderheit geworden. (…) Sie ist die erste Schwedin, die ethnische Schweden als Minderheit erforscht hat. Eine ähnliche Studie gibt es in Norwegen noch nicht.
“In den Vororten wird das unsichtbare Schwedentum sichtbar. Ethnische Schweden erleben, daß sie aufgrund ihrer Kultur und Religion definiert werden, ähnlich wie Minderheiten mit einem anderen Hintergrund”, sagte Bäckman zu Klassekampen.
In ihrer Studie konzentrierte sie sich auf schwedische Mädchen. Sie erleben, daß sie mit der Vorstellung einer freien schwedischen Sexualität in Verbindung gebracht werden, was in den dicht von Einwanderern besiedelten Vorstädten nicht unbedingt als etwas Positives angesehen wird. Die Strategie der Vorstadtmädchen war also, ihr Schwedischsein herunterzuspielen.
“Viele haben ihr Haar gefärbt. Nicht unbedingt, weil sie wie Einwanderer aussehen wollen, aber weil sie nicht so schwedisch aussehen wollen”, sagt Bäckman.
“Ja, genauso ist es!” Mari Morken nickt energisch, als wir ihr berichten, was Maria Bäckman herausgefunden hat. (…) Wir trafen sie und ihre Mutter Kristin Pedersen zu einem Gespräch über die Gründe ihres Schulwechsels. Sie erzählen von systematischen Schikanen und Belästigungen, seit Mari mit 10–11 in die Pubertät gekommen ist, bis sie mit 13 die Schule wechselte.
Pedersen ist immer noch wütend über die Unfähigkeit der Schule, den Fall zu behandeln.
“Sie haben Mari die ganze Verantwortung für die Situation aufgebürdet. Sie mußte damit umgehen, denn sie hätte doch den starken Rückhalt der weißen Mittelklasse. (…) Man sagte ihr, daß es die Belästiger sehr schwierig zuhause hätten.”
(…)
Obwohl die Schule ein Alptraum war, mögen sie die Gegend, in der sie zuhause sind, und sie haben ein gutes Verhältnis zu ihren pakistanischen Nachbarn. Mari erinnert sich an eine sichere und freundliche Kindheit. Sie ging in den ersten Jahren auch gern zur Schule. In der ersten Klasse hatte ein Drittel der Schüler einen nicht-norwegischen Hintergrund. Als sie ging, war kaum ein Drittel der Klasse noch norwegisch.
(…)
Obwohl Mari negative Aufmerksamkeit von den Jungs bekam, war es eine Mädchenbande aus einer Norwegerin und drei pakistanischen Mädchen, die sie niederschmetterte. “Die Mädchen beginnen, die Rollen der Jungs zu übernehmen. Sie suchen nach Streit und Raufereien”, sagt Mari, die auch körperlich attackiert wurde.
(…)Lange Zeit wagte sich Mari nicht in das Ortszentrum. Sie wußte, daß die Mädchen den älteren Jungs in den “A- und B‑Gangs” (Pakistani-Gangs), daß sie häßliche Dinge über ihre Hautfarbe und Religion gesagt hätte. “Das provoziert sie am meisten.”
(…)Maria Bäckmans Feldstudien außerhalb Stockholms zeigen, daß Mädchen sich neutral kleiden und ihre Weiblichkeit herunterspielen, um keine Blicke und Aufmerksamkeit zu erregen. Sie fand auch heraus, daß viele mit einem Kreuz ausgehen, nicht unbedingt, weil sie so christlich sind, sondern, weil es peinlich ist, keine religiöse Identität zu haben.
(…)
Obwohl Mari sich nicht als Christin versteht, sieht sie das Christentum als “ihre Religion”. “Wir haben mehr über andere Religionen gelernt, als über unsere eigene. Wir dachten, daß andere Religionen aufregender wären, aber unsere eigene Religion bekam nie dieselbe positive Aufmerksamkeit”, sagt sie.
Erziehung, Bildung und Lebensbedingungen sind die Schlüsselbegriffe der staatlichen Anstrengungen in Groruddalen. Mutter und Tocher haben bemerkt, daß es neue Erholungsaktivitäten für die Jugend gibt, aber Mari ist ferngeblieben, weil sie sich in dieser Gemeinschaft unwohl fühlt, und weil ihr diese Aktivitäten fremd sind.
Kristin Pedersen denkt, daß das Problem in der Einstellung der verantwortlichen Politiker und der berufsmäßig mit Integration Beschäftigten liegt.
“Sie müssen verstehen, daß wir uns dort, wo wir leben, als Minderheit fühlen. Es muß auch eine Minderheitenperspektive für die norwegischen Teile der Bevölkerung geben”, sagt sie.
Was die Lehrer und die Schulleitung in Groruddalen betrifft, so findet Petersen, daß sie geschult werden müssen, eine positive Umgebung zu schaffen. “Sie haben solche Angst davor, als Rassisten gebrandmarkt zu werden. Sie fürchten, in schwierige Dinge verwickelt zu werden, und haben Angst, daß das gegen sie verwendet werden könnte.”