Anstelle des handelsüblichen Wahlplakatgrinsens diese knorrige Sturschädelvisage, die sich so leicht karikieren und ikonisieren läßt. Dagegen ist Christian Wulff schon rein physiognomisch das glatte Gegenteil, mit seinem konturlosen Milchbubi-Gesicht – ich muß dabei immer an das singende Wollknäuel aus einem alten Sketch (auf Minute 1:30) der britischen Satireshow Spitting Image denken -, und diesem oppressiven optimistischen “Sie-können-mir-vertrauen”-Vertreterlächeln, dessen Anblick mich jedesmal von Neuem in eine tiefe, flaue, graue Resignation stürzt, wenn mal wieder die Wählmichs an jeder Straßenecke kleben.
Auch charakterlich ist Wulff der Antipode des Sarazenen: ein stromlinienförmiges, unauffälliges (Schirrmacher: “inexistentes”) Lebewesen, das Sentenzen über die Lippen bringt à la “Deutschland muß noch bunter und vielfältiger werden.” Es versteht sich von selbst, daß sich Wulff in der Causa Sarrazin von Anfang an, wohl reflexartig, zur Maulkorbfraktion hinneigte, was jedoch in der kritischer gewordenen Öffentlichkeit nicht allzu gut ankam. Daß Wulff zu diesem Zeitpunkt auch nur eine Zeile von Deutschland schafft sich ab gelesen hatte, ist nicht anzunehmen. Das wäre zumindest typisch für seine Kaste. In der FAZ vom 20. September wirft (der seit Wochen am hohen Seil hin- und herbalancierende) Frank Schirrmacher Merkel und Konsorten genau diese Ignoranz vor:
Der Autor ist wegen der Buchkritik der Kanzlerin und des Bundesbankchefs und der Winke des Bundespräsidenten mittlerweile arbeitslos, gewiss das Maximum an Bestrafung in einer bürgerlichen Welt. Und jetzt, drei Wochen danach, erklärt die Bundeskanzlerin fast stolz, dass sie das Buch, um dessentwillen sie die Absetzung des Bankers betrieb und das ihr Staatsvolk zutiefst spaltet, immer noch nicht gelesen hat, sondern nur aus Vorabdrucken kennt.
In dieser Lage bin ich wohl nicht der einzige, der am liebsten in die Tischkante beißen Sarrazins Rückzieher als verpaßte Chance sieht, diesen kriminell verantwortungslosen Haufen an die Wand knallen zu lassen. Denn die Chance dazu hätte er allemal gehabt. Nun stilisiert er sein freiwilliges Ausscheiden aus der Bundesbank zur “preußischen” Tat, und wer weiß wieviele Konsis sich davon beeindrucken lassen:
Sarrazin betonte: „Wenn ich sage: Die überwiegende Rechtsmeinung hätte meine Abberufung als rechtswidrig eingestuft, dann ist das eher eine Untertreibung. Bei mir stand das Telefon nicht still vor lauter Verfassungsrechtlern.“ (…)
Der scheidende Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin wertet seinen freiwilligen Rückzug aus dem Amt als Akt staatsbürgerlicher Verantwortung. „Wäre ich stur geblieben, hätte das den Bundespräsidenten – weil er sich so weit vorgewagt hatte – und das Staatsamt beschädigt“, sagte Sarrazin der „Bild“-Zeitung. Das habe er nicht gewollt.
„Ich bin Staatsbürger und war jahrzehntelang Staatsdiener. Ich wollte niemanden in eine ausweglose Situation treiben“, versicherte Sarrazin. Er habe seine Ehre retten wollen und das sei ihm gelungen.
Nun: ich weiß nicht, was hier hinter den Kulissen abgelaufen ist, aber dieses Ethos wäre nur dann gerechtfertigt gewesen, wenn sich der besagte “König” selber wie ein “erster Diener seines Staates” verhalten würde, hätte, täte, wollen würde. Aber im Gegenteil: da haben wir einen schamlosen, imkompetenten Deutschland-Abschaffer ersten Ranges vor uns, und gerade der Autor des Buches Deutschland schafft sich ab sollte seine Pappenheimer besser kennen, in deren unwürdigen Händen das Schicksal des Landes fahrlässig verspielt wird. Warum hat er diese Chance ziehen lassen? Wie ernst ist es ihm denn nun selber, wirklich etwas zu bewegen?
Indessen: hätte es den König denn nun wirklich das Gesicht gekostet, auf einen Rausschmiß des Sarazenen zu verzichten? Nachdem er das (unter normalen Umständen völlig überflüssige) Opfer gnädig entgegengenommen hat, kann er nun natürlich große Töne spucken:
Wulff wies Kritik an seinem Verhalten zurück. „Wichtig ist mir, dass wir jetzt eine substanzielle und sachliche Debatte über eine bessere Integration in Deutschland führen. Darum geht es“, sagte er der „Thüringer Allgemeinen“.
Nun ist in der Zwischenzeit eine andere Interessensgruppe an den Königsthron herangetreten und bittet untertänigst um Protektion. Das klingt dann so, und ich möchte das in voller Länge zitieren:
“Sie sind unser Präsident”
Offener Brief deutscher Musliminnen und Muslime an den Bundespräsidenten Christian Wulff.
Sehr geehrter Herr Bundespräsident,
als Sie vor zwei Monaten Ihr Amt antraten, konnten Sie dies gewiss nicht ahnen: Dass ein (ehemaliger) Bundesbankvorsitzender eine Debatte in Gang setzen würde, in der sich allgemeine Bedenken gegen eine verfehlte Integrationspolitik mit biologistischen Annahmen über mindere Intelligenz vermengen. Dass in sämtlichen Nachrichtenmagazinen, Zeitungen und Sendern pauschalisierend über etwaige intellektuelle, charakterliche, soziale und professionelle Defizite des muslimischen Bevölkerungsanteils diskutiert werden würde. Dass von Musliminnen und Muslimen – egal ob sie deutsche Staatsbürger sind oder auch hier geboren wurden – generalisierend als “Migranten” gesprochen würde und wir sogar im öffentlich-rechtlichen Fernsehen die offizielle Rückkehr des Wortes “Ausländer” erleben.
Erinnern wir uns zwei Monate zurück: In Ihrer Antrittsrede sagten Sie: “Unsere Vielfalt ist zwar manchmal auch anstrengend, aber sie ist immer Quelle der Kraft und der Ideen und eine Möglichkeit, die Welt aus unterschiedlichen Augen und Blickwinkeln kennen zu lernen. Wir sollten neugierig sein und ins Gespräch kommen.” Sie erzählten die berührende Geschichte der niedersächsischen Sozialministerin Aygül Özkan und ihres Vaters, die ein Beispiel für “so viele Erfolgsgeschichten” sei. Sie sprachen die wunderbaren Sätze: “Wann wird es bei uns endlich selbstverständlich sein, dass unabhängig von Herkunft und Wohlstand alle gleich gute Bildungschancen bekommen? (…) Wann wird es selbstverständlich sein, dass jemand mit den gleichen Noten die gleichen Aussichten bei einer Bewerbung hat, egal ob er Yilmaz heißt oder Krause? Meine Antwort auf solche Fragen lautet: Wenn wir weniger danach fragen, wo einer herkommt, als wo er hin will. Wenn wir nicht mehr danach fragen, was uns trennt, sondern was uns verbindet. Wenn wir nicht mehr danach suchen, was wir einander voraushaben, sondern was wir voneinander lernen können. Dann wird Neues, Gutes entstehen.”
Diese Worte wurden von zahllosen Musliminnen und Muslimen und von Menschen mit Migrationshintergrund mit großer Freude aufgenommen, über religiöse und Parteigrenzen hinweg. Doch was wir momentan beobachten, ist leider das Gegenteil eines solchen Prozesses, in dem Menschen aufeinander zugehen, damit Gutes entsteht. Wir erleben, wie sich Teile der Bevölkerung von anderen absetzen. Wie Minderheiten ausgedeutet und öffentlich als “Andere” markiert werden. Die Tonlage ist oft genug nicht neugierig und gesprächsbereit, sondern aggressiv und diffamierend. Für Musliminnen und Muslime ist derzeit nicht einmal der Gang zum Zeitungshändler leicht, weil sie nie wissen, welche Schlagzeile, welches stereotype Bild sie dort erwartet. Auch in der Schule, bei der Arbeit und am Ausbildungsplatz kann es sein, dass einem Feindseligkeit entgegenschlägt.
Selbstverständlich sind das nicht die einzigen Erfahrungen dieser Tage. Es gibt auch viele freundliche Worte, viel Solidarität. Zahllose Deutsche ohne muslimischen oder Migrationshintergrund sind genauso fassungslos über die Entwicklung der letzten Wochen, fühlen sich gleichsam fremd im eigenen Land. So wie wir. Denn wie gesagt, auch wir deutschen Muslime gehören zu Deutschland, mit demselben Recht wie alle anderen religiösen, ethnischen oder sonstigen Bevölkerungsgruppen. Wir werden dieses Land nicht aufgeben. Dieses Land ist unsere Heimat, und Sie sind unser Präsident. Weil wir als Mitglieder des Staatsvolks in großer Sorge um die Zukunft dieses Landes sind, das Sie repräsentieren, wenden wir uns an Sie, der Sie so überzeugend sagten: “Es gibt unterschiedliche Interessen, es gibt Vorurteile gegeneinander, Bequemlichkeiten und Anspruchsdenken. Ich will helfen, über all das hinweg Brücken zu bauen. Wir müssen unvoreingenommen aufeinander zugehen können, einander aufmerksam zuhören, miteinander sprechen.” Wir bitten Sie, gerade in der derzeitigen angespannten Stimmung für diese Leitsätze einer offenen, von gegenseitigem Respekt geprägten demokratischen Kultur einzustehen und öffentlich für sie zu werben.
Fatih Akin, Filmregisseur
Hatice Akyün Autorin
Prof. Dr. Katajun Amirpur Islamwissenschaftlerin
Gabriele Boos-Niazy für das Aktionsbündnis muslimischer Frauen in Deutschland e. V.
Christian Abdul Hadi Hoffmann, stellv. Vors. der Muslimischen Akademie Deutschland
Lamya Kaddor für den Liberal-Islamischen Bund e. V.
Prof. Dr. Yasemin Karakasoglu Erziehungswissenschaftlerin und Turkologin Ali Kizilkaya für den Islamrat e. V.
Halima Krausen für die Initiative für Islamische Studien e. V.
Aiman Mazyek für den Zentralrat der Muslime in Deutschland e. V.
Hamideh Mohagheghi, Theologin
Shermin Langhoff, Intendantin
Aylin Selcuk für die Deukische Generation e. V.
Hilal Sezgin, Schriftstellerin und Journalistin
Feridun Zaimoglu, Schriftsteller
Was ist es nun, was mir an diesem sülztriefenden Schmeichelbrief am seltsamsten vorkommt? Daß beinah alle Unterzeichner Türken sind, ohne sich als solche zu bezeichnen? Daß unter ihnen soviele liberale, linke, grüne, säkulare Vorzeigeintegrierte sind, die sich plötzlich als “Muslime und Musliminnen” deklarieren, zum Teil wohl um ethnische Selbstbezeichnungen zu umgehen? Daß sich unter ihnen etwa ein Fatih Akin findet, der sich in seinen Deutschländer-Filmen für nichts als für sein Türkentum interessiert, der in einem Interview gesagt hat, daß “in Deutschland keine Integration” stattfände, und in einem anderen seine tiefen völkischen Gefühle inklusive Türkengenen offenbart hat:
Die Türkei ist das Land meiner Eltern, früher war es für mich Urlaubsland, aber wenn man dort arbeitet, wird man Teil des Landes, zumindest Teil der Stadt Istanbul, es gibt ein urbanes Zugehörigkeitsgefühl. Und mein Großvater, mein ganzer genetischer Pool stammt aus dem Dorf, wo der Film endet. Wenn ich dort in die Gesichter der Menschen schaue, sehe ich meine eigene Physiognomie, das ist völlig verrückt, ich bin ja auch mit vielen dieser Menschen um fünfzig Ecken verwandt. Insofern fühle ich mich überhaupt nicht fremd.
Was irritiert noch? Daß hier Leute schreiben, die sehr wohl um ihr Anderssein gegenüber der Mehrheit wissen, und das sonst auch gerne betonen, nun aber behaupten, sie würden erst von “Anderen” zu “Anderen” gemacht? Daß wie völlig selbstverständlich davon ausgegangen wird, daß die angestammten Deutschen in Deutschland nicht mehr als eine “Bevölkerungsgruppe” unter anderen sind und ihre Kultur nicht mehr als eine Kultur unter anderen? Zeigt diese wenig überzeugende rhetorische Negation des realexistierenden Spalts denselben nicht umso deutlicher?
Daß hier aus jeder Zeile klare ethnische Eigeninteressen sprechen, die nur mühsam mit einer liberalen Nebelprache kaschiert werden, damit ein “inexistenter” Deutscher wie Wulff einer ist, noch folgen kann und freudig anbeißt? Daß sich die Verfasser trotz all dem verlogenen Gefasel von wegen “Neugier” und “Gesprächsbereitschaft” offenbar einen feuchten Dreck darum scheren, wie sich die Deutschen fühlen, wenn sie allmählich aus dem eigenen Land gedrängt werden, täglich Überfremdung, Gewalt und Beschimpfungen erleben müssen, die über den furchtbaren seelischen Schmerz von ein paar “stereotypen Schlagzeilen” in der BZ weit hinausgehen? (Himmel: Wir können nicht einmal lesen, was so tagtäglich vor unseren Augen in der Hürriyet verbreitet wird!)
Wo ist hier auch nur ein einziger Funken von aufrichtigem Goodwill, vor Respekt vor dem Land, das sie und ihre Väter mehr als großzügig aufgenommen hat, und vor seinen Menschen und seiner angestammten Kultur? Stattdessen sehe ich nichts als Ansprüche, Anmaßungen und Forderungen, und den erklärten Willen, die bisher erlangte Macht und den okkupierten öffentlichen Raum nicht mehr abzugeben:
Denn wie gesagt, auch wir deutschen Muslime gehören zu Deutschland, mit demselben Recht wie alle anderen religiösen, ethnischen oder sonstigen Bevölkerungsgruppen. Wir werden dieses Land nicht aufgeben. Dieses Land ist unsere Heimat, und Sie sind unser Präsident. Weil wir als Mitglieder des Staatsvolks in großer Sorge um die Zukunft dieses Landes sind…
Wenn das nicht dreiste Heuchelei und Unaufrichtigkeit ist, dann ist es eine grandiose Verblendung, die von der fahrlässigen Integrations- und Identitätspolitik der deutschen Eliten massiv begünstigt wurde. Aber wenn es nun bloß Verblendung ist (was ich für den Großteil der Unterzeichner nicht glaube), dann frage ich mich, wie die Integrationsprobleme gelöst werden sollen, wenn die Parteien nicht einmal zu einer ehrlichen Unterscheidung von “Mein” und “Dein”, vor “Ihr” und “Wir” imstande oder auch nur bereit sind.
Man kann den seltsam schwammigen Appell an Wulff (der sich als der opportunistische und eitle Mensch, der er nunmal ist, davon garantiert einseifen läßt) auch dahingehend verstehen, er möge doch die Interessen seines ursprünglichen, immerhin immer noch die Mehrheit stellenden “Staatsvolkes” weiterhin negieren, verwischen, ignorieren, relativieren und Unruhestifter wie Sarrazin an die Leine legen. Wie auch immer: es zeichnet sich schon jetzt ab, daß all dies “böse enden” (Robert Hepp in der JF) wird – so oder so. Und dann wird irgendwann wieder irgendein Linker aus den rauchenden Ruinen gekrochen kommen, und sagen: “Wir habens ja immer schon gesagt! Hätte man bloß auf uns gehört! Wehret den Anfängen! Wehret den Brandstiftern!”
Wie könnte nun ein Brief an den unwürdigen König Wulff lauten, in dem die deutschstämmigen, christlichen Untertanen ihr Leid klagen, ihre Interessen einfordern, um Schutz bitten?