ich habe eben die Lektüre des neuen Buchs von Christian Kracht beendet (der Verlag sandte uns ein Rezensionsexemplar von Imperium zu), und muß nach erneutem Blick auf die Attacke, die Georg Diez im Spiegel gegen Autor und Roman reitet, Gottfried Benn sinngemäß zitieren: „Dumm sein und rezensieren dürfen: Das ist Glück.“
Indes: Das ist noch nicht deutlich genug. Hätte Diez nur eine dumme Rezension verfaßt (und vor allem: wenigstens nur eine Rezension), dann käme man mit Gelächter oder peinlich berührtem Schweigen aus. Er hat aber neben aller Oberflächlichkeit auch noch geschickt und perfide, denunziatorisch und heischend geschrieben, und alles das hast Du fürs Netz-Tagebuch auf den Punkt gebracht: Diez ist ein Erstsemester-Student, und er weiß, daß unter den mittlerweile über zehntausend Lesern Deines Textes nicht hauptsächlich die Lieschen Müllers von ProDeutschland zu finden sind, sondern Intellektuelle, die den Namen Diez ab sofort mit einer ziemlich billigen und ziemlich gescheiterten „Methode“ verbinden werden.
Kein Wort mehr also zu diesem „guten Menschen und schlechten Schriftsteller“ mit Namen Diez, dafür ein paar frische Eindrücke zu Imperium von Kracht. Ich werde das Buch besprechen und die Rezension auf den Nenner „Kunst und Politik“ bringen, und darüber muß ich noch ein bißchen nachdenken. Es wundert mich aber, daß dieser Gegensatz bisher in den mir bekannten Besprechungen noch nicht aufgetaucht ist und daß sich die Verteidiger Krachts mit Argumenten bewaffnet haben, die den Punkt nicht treffen: Ich kann nicht erkennen, warum Krachts Roman aufgrund einer den Text durchziehenden „Ironie“ harmlos sein sollte; ich kann diese Ironie nicht finden und meine, daß sie mit einer sehr reifen, sehr melancholischen Heiterkeit verwechselt wird:
„Dies alles gibt es also“, schrieb Ernst Jünger im Abenteuerlichen Herzen, und Kracht schreibt genau dies zwischen die Zeilen, ergänzt um den heiter-traurigen Zusatz: „Dies alles aber ist vorbei“. Denn der Roman mündet, ausgehend vom imperialen Entwurf des Kokosnuß-Veganers Engelhardt, in der siegreichen, lässigen, mit imperialem Anspruch entworfenen Wirklichkeit des american way of life.
Sind heute Typen wie Engelhardt noch denkbar, Gestalten, die den Korrekturversuch einer ganzen Epoche (deutsche Reformbewegung, Wandervogel, Avantgarde, Antimoderne, Romantik, Zivilisationskritik) vor hundert Jahren in sich bündelten und das Experiment des „ganz aqnderen, ganz neuen“ an sich selbst erprobten – unabgefedert und bis hin zur Selbstzerstörung? Kracht beschreibt Engelhardt als Katechonten, als eine der unzähligen Aufhalter-Figuren, die aber – ob nun eher Künstler oder eher Politiker – allesamt gescheitert sind.
Ich verstehe sofort, daß man über den Verlust dieser Anstrengungs- und Verzichtsbereitschaft tieftraurig sein kann. Denn das ist ein Artensterben, das uns viel näher gehen muß als das irgendeiner Walfischart. Verstehst Du, was ich meine?
Gruß!
Götz
Berlin, 16. II. 2012
Lieber Götz,
Gerade, als ich antworten will, lese ich auf Spiegel Online die aktuelle Stellungnahme von Jakob Augstein, der nun seinem Blattkollegen vor allen Augen in den Hintern tritt, wohl aus Angst, den Anschluß an den Trend zu verpassen. Jede Wette, daß das auch ganz anders hätte kommen können, hätten die Medien das Diez’sche Stöckchen aufgeschnappt. Es ist wirklich verblüffend mitanzusehen, mit welcher Einhelligkeit ein Angriff dieser Art, der normalerweise immer sitzt, diesmal abgewehrt wird. Ausnahmsweise sind wir fast schon Mainstream mit unserer Kritik!
Jedenfalls kommt Augstein auf eben das von Dir angerissene Thema des Verhältnisses Kunst-Politik zu sprechen, und kritisiert (nicht anders, als ich es in unserem Blog getan habe), daß Diez offenbar davon ausgehe, die Kunst müsse sich den Prämissen der Politik unterwerfen. Dabei schwingt er sich zu erstaunlichen Differenzierungen auf: „Der Kritiker redet von ‚rechten Gedanken’, aber eigentlich macht er dem Autor den Faschismus-Vorwurf. Dass er von Dingen denkt, die man nicht denken darf, von Gewalt und Herrschaft, Rasse und Unterwerfung.
Vielleicht ist Kracht ein Faschist der Literatur, im Sinne Sloterdijks, der sich dem gleichen Vorwurf ausgesetzt sah und gesagt hat: ‚Der Faschismus ist ein Expressionismus, während der Humanismus im Grunde ein Erziehungs- und Optimierungsprojekt ist.’ Ein Humanist ist Kracht sicher nicht.“
Da klingelt es vermutlich bei Augstein irgendwo in seiner linken Gehirnhälfte, hat er doch beispielsweise einmal beklagt, die deutschen Parteien kämen nicht ihrem angeblich vom Grundgesetz diktierten „Erziehungsauftrag“ nach, den „rechten Virus“ im deutschen Volk und in ihren Reihen selbst zu bekämpfen. Bei mir klingelt es auch, aber in der rechten Gehirnhälfte, in Erinnerung an Deine Formulierung von der „Anstrengungs- und Verzichtsbereitschaft“, aber Du und Ich, wir denken hier eher an das, was sich einer im Selbstexperiment zumutet, als was er anderen per Zwangsbeglückung aufzwingt.
Immerhin „darf“ man also offenbar nach Augstein zumindest in der Literatur (also im Gedankenspiel?) ein „Faschist“ sein, aber ist denn Kracht nun wirklich ein „Expressionist“? Daß er in den Augen mancher so anrüchig geworden ist, verdankt sich ja gerade seiner im berüchtigten Schluß von „1979“ zum Ausdruck gekommenen Faszination für „Erziehungs- und Optimierungsprojekte“. Und selbstverständlich waren auch Nationalsozialismus und Faschismus solche Erziehungs- und Optimierungs-Projekte, die einen neuen Menschen zu schaffen, zu züchten, zu erziehen suchten. Und spätestens hier spielen die Künstler eine Rolle, denn es muß Bilder geben für diesen „neuen Menschen“, und Epik und Schönheit und mobilisierende Mythen. Irgendwann im Laufe des 20. Jahrhunderts verfallen die Künstler reihenweise dem Wunsch, die Leinwand zu sprengen, Kunst und Leben eins werden zu lassen. Man denke an D’Annunzio und Fiume. War das Kunst oder Politik, Expressionismus oder „Optimierungsprojekt“? Hitler, der verhinderte Künstler, der sich dann auf einem anderen Feld rächt – das ist ein Gemeinplatz, ebenso die Vorstellung von seinem Deutschland oder Stalins Sowjetunion und Kims Nordkorea als Gesamtkunstwerk. Lutz Dammbeck hat dieses Thema in seiner Trilogie „Zeit der Götter“, „Dürers Erben“ und „Das Meisterspiel“ von allen Seiten reflektiert, ähnlich Hans-Jürgen Syberberg in seinem „Hitler“-Film. Es gibt da auch bei Kracht Affinitäten, nur ironischer gebrochen.
Wenn nun Kracht mit August Engelhardts Optimierungsprojekt sympathisiere, wäre er dann ein „Humanist“? Und wenn er es lächerlich machen würde, wie es manche Rezensenten empfanden, ein „Faschist“? Die Gleichung geht in beide Richtungen nicht auf. Der „Humanismus“ wird von den Linken ja gerne mit diversen „Menschheits“-Ideologien verwechselt, die (wie bekannt) stets zu Betrug, Bestialität und Unmenschlichkeit geführt haben. Es ist ein Gemeinplatz, daß der Weg zur Hölle mit guten Vorsätzen gepflastert ist. Auch August Engelhardt hielt sich ohne Zweifel für einen „guten Menschen“, gerade wie Georg Diez. Aber was denkt nun Kracht über Engelhardt? Ich habe „Imperium“ (jede Wette übrigens, daß der Titel zum Teil auch von Francis Parker Yockey inspiriert wurde) noch nicht lesen können, aber so wie ich Kracht aus seinen bisherigen Büchern, auch seinen Reiseberichten, kenne, glaube ich Dir gern, daß der Geist des Jünger’schen „Dies alles gibt es also“ auch in seinem neuen Roman präsent ist.
Sein Freund David Woodard teilt diese staunende, rezeptive Haltung. Den trieb es aus echter Neugier auf die tatsächlich dort lebenden Menschen in die von Elisabeth Nietzsche mitbegründete südamerikanische Kolonie, mit denen er sich dann auch anfreundete, und die er mit der Produktion eines Maté-Tees wirtschaftlich unterstützte. Ist das nun humanistisch, human, menschlich? Ich kann mich dagegen an eine Reportage des Trash-Magazins Vice über Nueva Germania erinnern, moderiert von einem Farbigen (das ist hier keine Nebensache), der voller Herablassung und Spott über die „letzten Arier von Paraguay“ war, so als ob diese recht ärmlich lebenden Siedlernachkommen immer noch stramme Anhänger der Förster-Nietzsche’schen Ideologie wären. Die Genugtuung über diese Erniedrigung der „Weißen“, und nicht nur dieser, war mit den Händen greifbar.
Sie schwingt auch in so manchem Plädoyer für Kracht im Gefolge der Diez-Attacke mit. Das Buch mache doch das „deutsche Großmannsstreben“ und „deutsche Erlösungfantasien“ lächerlich, man betont, wie die Idee des deutschen Spinners von den siegreichen Amerikanern erniedrigt und ad absurdum geführt wird, wie er zum Kuriosum und Freak herabsinkt, gibt dem ganzen im Gegensatz zu Diez eine geradezu „antifaschistische“ Deutung etc. Kurz, man bewegt sich immer noch weitgehend im Deutungsrahmen des zeitgenössischen deutschen Masochismus, der dauerzelebrierten, ritualisierten Genugtuung über die eigene historische Widerlegung, und entsprechend wird auch Krachts Roman gefiltert, aber ich vermute, daß das bloß aus Hilflosigkeit oder Gewohnheit geschieht: denn die durchweg begeisterten Rezensenten stehen offenbar längst in einem Bann, der über diese Gitter hinausweist.
Gruß aus dem Geheimen Kreuzberg!
Martin
Schnellroda, 16. II. 2012
Lieber Martin,
was Augsteins Jakob beizutragen hat, habe ich jetzt auch gelesen, und es ist wie immer ziemlich ärgerlich, wenn man selber an einem Brocken kaut und dann feststellen muß, daß ein anderer ihn schon geschluckt hat und über den Geschmack zu berichten beginnt. Aus welchem Grund auch immer Augstein nun gegen Diez argumentiert: Es ist schön, wie er ihm schlicht die Kenntnis banalster literaturtheoretischer Grundsätze abspricht – so den von der Verantwortungsfreiheit der Kunst.
Ich werde das in meiner Rezension betonen und mit ein paar Zitaten aus Krachts Imperium belegen. Zunächst aber folgendes: In der Kunst sind wir frei, in der Politik nicht; der Künstler kann alles riskieren und muß nichts auswiegen, er hat ein Recht auf Expressivität, auf die geradezu wütende Form der Äußerung (ist das gleich „Faschismus“?), und dieses Recht hat der Politiker nicht, denn er darf in der Sorge um das Ganze keinesfalls ein großes Risiko eingehen, sondern muß immer das Wohl derer im Blick haben, die nach seinen Entscheidungen leben müssen. Moderierend muß er sein, reformerisch, verpflichtend und ordnend, sorgsam und einbeziehend; hingegen der Künstler (wenn das seine „Art“ ist): jäh und umstürzend, die Erregung auf die Spitze treibend, ausgrenzend, asozial, überwältigend.
An die Adresse Diez, der diesen Gegensatz von Politik und Kunst verwischt sehen möchte (wie ja auch der Soldat kein Soldat, sondern ein Bürger in Uniform, oder der Fußballer nicht bloß Top-Stürmer, sondern auch noch Vorstopper gegen den Rassismus sein soll), richtet sich nun folgender Einstieg in die Rezension: „Es gibt auch in dieser Zeit des vielseitigen, wandlungsfähigen Machers, des literarischen Lieferanten politischer Propagandamaterialien, des schnellfertigen Gebrauchspoeten, in ein paar seltenen Exemplaren das Beispiel des unabhängigen und überlegenen Welt-Dichters, des Schöpfers eines nicht umfangreichen, aber desto schwerer wiegenden Werkes, das mit keinem anderen zu verwechseln ist.“ – Geschrieben hat das Max Herrmann-Neiße 1929 in einer linksliberalen Literaturzeitschrift, und gemeint war Gottfried Benn, der daraufhin von Johannes R. Becher scharf angegriffen wurde, weil er sich dem Auftrag verweigere, sein Werk in den Dienst der Arbeiterbewegung zu stellen, mithin ein schreibender „Sozialkundelehrer“ (Jakob Augstein) zu werden. Benns Antwort ist sein berühmter, lässiger Text „Über die Rolle des Schriftstellers in dieser Zeit“, in dem er zuletzt äußert, die Weltgeschichte sei wohl „weder gut noch böse, sondern rein Phänomenal.“
Merkst Du, wie das einem wie Diez gegen den Strich geht: daß da ein Künstler kommt und die Welt als Ort voller Entwürfe, Opfer, Sackgassen, Blüten, Turmbauten und Ruinen sieht – und nicht als Maschinerie mit Optimierungspotential, an der sich drittrangige Maulwerksburschen wie er auf Kosten anderer versuchen dürfen? Ich bin gespannt, ob Kracht die Benn-Rolle übernimmt und ein, zwei lockere Watschen austeilt.
Gruß!
Götz
Berlin, 17.II.2012
Lieber Götz,
Noch ein anderer Blickwinkel: am Ende des Spiels steht Diez als der Prügelknabe in der Eselsecke, und alle anderen haben gewonnen. Kracht hat prima Werbung für sein Buch bekommen, der Spiegel verkauft seine Hefte, die Journalisten und Kritiker (wir inklusive) hatten wieder was zu tun, und auch Augstein hat den Wirbel genutzt, um sich intellektuell in ein günstiges Licht zu rücken.
Ein Bekannter von mir spottete: “Am Schluß darf noch jemand die Heilige Kuh des Liberalismus preisen, nämlich die Freiheit der Kunst, die freilich nur frei ist, solange alles ein Spiel bleibt.“ In diesen Satz hat er eine große Frage verpackt, die schwierig zu beantworten ist. Ich glaube, es geht hier, wie auch in der Sexualität, um ewige unauflösbare Spannungen und Gegensätze, die sich nur gelegentlich zu geglückten Konstellationen einfinden. Aber immerhin – es kommt vor.
Nur soviel: im Gegensatz zum Liberalen sollte für uns der Akzent weniger auf der Freiheit als auf der Kunst liegen, denn „Freiheit der Kunst“ bedeutet heute leider allzu oft Beliebigkeit dessen, was als Kunst Geltung hat. Man braucht also einen richtigen Kunstbegriff, und gerade hier gibt es wenige, die diese Frage überhaupt noch verstehen oder ernst nehmen. Auch hier hat die heute alles und jedes „demokratiesierende“ Sauce erstickend gewirkt. Mich haben jedenfalls gerade meine Sensorien für die Kunst weit, weit von dem entfernt, was die Roten und Rosaroten für das letzte Wort halten.
Mein Hausheiliger Andrej Tarkowskij, der einen sehr strengen, geradezu religiösen Begriff von Kunst hatte, hat einmal formuliert: „Das Ziel der Kunst besteht darin, den Menschen auf seinen Tod vorzubereiten, ihn in seinem tiefsten Inneren betroffen zu machen.“ Das ist ein Maßstab, mit dem sich etwas anfangen läßt. Armin Mohler hätte es wohl anders gesagt – sein Argument, daß gerade Literatur und Dichtung die Unerschöpflichkeit der Welt am besten (im Wortsinne) anschaulich und damit die „All-Gemeinheiten“ zunichte machen können, empfand ich jedenfalls als schlagend. Aber hier muß man eben eine Grenze ziehen, wo wahre Literatur und Dichtung anfangen und enden.
Es gab viele große Künstler, die links standen, und viele Rechtsstehende, die schlechte Künstler waren. Aber die Kunst selbst, an ihrem Ort, steht nicht links, steht entschieden gegen Links.
Gruß aus dem Geheimen Kreuzberg!
Martin
stechlin
Wie einer von Euch weiß, kennen auch wir ein wenig den Herrn Autor.
Am Ende unserer Bekanntschaft, war ich mir nicht sicher, ob er uns nicht benutzt hat, um ein wenig Aufmerksamkeit für sein damalig aktuelles Buch zu bekommen. Zu gut arrangiert und choreographiert war das alles: Das Skandälchen war nicht groß, aber in den Feuilletons wurden die Bälle geschickt hin und her gespielt. Die "Bösen" waren am Ende wir und soweit ich mich erinnere, bekamen wir noch eine seltsame Nachricht aus Buenos Aires.
Heuer also Diez, ein Kollege von ihm aus den Tagen der TEMPO, und schwupp-di-wupp hat er einen weiteren Skandal zum neuen Buch. Fein springen ihm die anderen bei, doch wer seinen biographischen Hintergrund kennt und weiß, wo er überall in der deutschen Presselandschaft seine Stops eingelegt hat, kann erahnen, daß hier vielleicht doch wieder nur eine Inszenierung läuft.