Über den Verrat

pdf der Druckfassung aus Sezession 21/Dezember 2007

sez_nr_211von Christian Vollradt

In seiner Jugend-Autobiographie Zwischenbilanz beschreibt der Schriftsteller Günter de Bruyn eine Szene, die er als junger Soldat am Ende des Zweiten Weltkriegs erlebt hatte. Bei einem Spaziergang während eines Fronturlaubs begegnen der Autor und ein Kamerad einem Offizier der auf deutscher Seite kämpfenden „Russischen Befreiungsarmee" des Generals Wlassow. Diese Begegnung gipfelt in einer tätlichen Auseinandersetzung, nachdem der Kamerad nicht vorschriftsmäßig salutiert hatte und daraufhin vom ranghöheren Russen zur Rede gestellt worden war. Dem ob solcher Insubordination seines Gefährten erschreckten de Bruyn gegenüber begründet jener sein disziplinloses Verhalten schlicht und einfach mit der Feststellung: „Vaterlandsverräter grüße man nicht".


Die­sel­be Ein­stel­lung wie die­ser jun­ge deut­sche Sol­dat hat­te offen­sicht­lich auch der Ober­kom­man­die­ren­de der nie­der­län­di­schen Streit­kräf­te, Gene­ral Hen­drik Win­kel­mann: Als er erfah­ren hat­te, daß sein Ber­li­ner Mili­tär­at­ta­ché vom deut­schen Abwehr-Oberst Hans Oster mehr­fach über den bevor­ste­hen­den Zeit­punkt der geplan­ten West­of­fen­si­ve der Wehr­macht infor­miert wor­den war, nann­te er die­sen weg­wer­fend einen „erbärm­li­chen Kerl”.
Aus bei­den abschät­zi­gen Urtei­len über den „Ver­rä­ter” spricht eine Hal­tung, die dem jewei­li­gen Natio­nal­staat den abso­lu­ten Anspruch auf die Treue sei­ner Bür­ger – und im Beson­de­ren: sei­ner Sol­da­ten – zuge­steht. Objekt der Treue und damit „Opfer” des Ver­rats ist das Vater­land, etwas Kon­kre­tes: „Right or wrong – my country!”
In ihrem 1956 erschie­ne­nen Stan­dard­werk Der Ver­rat im 20. Jahr­hun­dert hat Mar­gret Boveri erst­ma­lig zusam­men­hän­gend aus­ge­führt, auf wel­che Arten die­se (mora­li­sche) Gewiß­heit ero­dier­te. Denn mit dem Bol­sche­wis­mus und sei­nem uni­ver­sel­len Anspruch, erst recht mit dem Beginn eines „euro­päi­schen Bür­ger­krie­ges” wur­de das Vater­land nicht mehr – aus­schließ­lich – „in kon­kre­ten Wor­ten, son­dern ideo­lo­gisch defi­niert”, so der fran­zö­si­sche Phi­lo­soph Ray­mond Aron.
Viel­leicht ist es daher nicht ver­wun­der­lich, wenn in der Lite­ra­tur zwei Phä­no­me­ne – der deut­sche (mili­tä­ri­sche) Wider­stand gegen Hit­ler und der Zulauf aus­län­di­scher Frei­wil­li­ger in die deut­schen Hee­re – mit ein und dem­sel­ben, schein­bar wider­sprüch­li­chen Begriffs­paar cha­rak­te­ri­siert wur­den: näm­lich mit „Ver­rat als patrio­ti­sche Pflicht” (Kle­mens von Klem­pe­rer) im Hin­blick auf Oster, sowie mit der Bezeich­nung „Patrio­tic Trai­tors” (David Litt­le­john) für die euro­päi­schen Kol­la­bo­ra­teu­re der Deut­schen im „Krieg gegen den Bolschewismus”.

Beson­ders schwer­wie­gend war der Loya­li­täts­kon­flikt für die­je­ni­gen deut­schen Oppo­si­tio­nel­len gegen Hit­ler, die den eigent­lich staats­tra­gen­den Beru­fen bei Mili­tär, Ver­wal­tung oder Diplo­ma­tie ange­hör­ten, aus dem Adel, aus dem im wei­tes­ten Sin­ne kon­ser­va­ti­ven Milieu stamm­ten. Ihr Kampf rich­te­te sich ja nicht gegen eine frem­de Besat­zungs­macht, war auf den ers­ten Blick kein natio­na­ler Befrei­ungs­kampf: „Sie lieb­ten ihr Vater­land. Hit­ler hat­te die­ses Vater­land in der Hand. Hit­ler zu besei­ti­gen bedeu­te­te die Erret­tung des Vater­lan­des auf einer Ebe­ne, aber auf der ande­ren eine so unbe­ding­te Gefähr­dung sei­nes Bestan­des, daß die eigent­li­che Erret­tung mög­li­cher­wei­se nicht durch­ge­führt wer­den konn­te, falls näm­lich das Objekt, Deutsch­land, nach der Erret­tung nicht mehr exis­tier­te”, so Boveri. Nach 1939 ver­lief der Wider­stand gegen das Regime nicht im Ein­klang mit den krie­ge­ri­schen Anstren­gun­gen der Nati­on, für deren Erfolg ande­rer­seits gera­de die Mit­glie­der der Offi­ziers­fron­de arbei­te­ten. Einer der ihren, Hen­ning von Tre­sc­kow, faß­te das Dilem­ma wie folgt zusam­men: „Wir klam­mern uns dar­an, daß unser Kampf für den Bestand des Vater­lan­des geführt wird, aber dür­fen wir dabei völ­lig über­se­hen, daß das im Dienst eines – Ver­bre­chers geschieht?” War also ange­sichts der ver­bre­che­ri­schen Staats­füh­rung die „Unge­heu­er­lich­keit” (Tre­sc­kow) gerecht­fer­tigt, wenn hohe Gene­ral­stabs­of­fi­zie­re plan­ten, „wie sie ihren Obers­ten Befehls­ha­ber auf dem bes­ten Wege aus der Welt schaf­fen kön­nen”? Effek­ti­ver Wider­stand gegen Hit­lers Poli­tik und Krieg­füh­rung, die in eine abseh­ba­re Kata­stro­phe führ­ten, muß­te in Ver­rat mün­den; wie umge­kehrt die­ser Ver­rat durch den Wider­stand gerecht­fer­tigt wer­den konn­te: Dies war das Span­nungs­ver­hält­nis, in wel­chem sich die Oppo­si­ti­on befand.
Den Ver­schwö­rern in der Wehr­macht war zudem klar, was ein Treue­schwur gera­de im Krieg bedeu­te­te. „Die Rol­le des Eid­bre­chers wider­sprach sei­ner Erzie­hung und sei­nem Wesen”, äußer­ten Kame­ra­den über Tre­sc­kow. Auch wenn die Eides­for­mel, die alle Sol­da­ten zur Treue gegen­über Adolf Hit­ler als dem „Füh­rer des deut­schen Rei­ches und Vol­kes” ver­pflich­te­te, im nach­hin­ein betrach­tet „rechts­wid­rig und inso­fern revo­lu­tio­när” (Ernst Nol­te) war, weil die ihm zugrun­de­lie­gen­de Ver­ei­ni­gung des Amtes des Reichs­prä­si­den­ten mit dem des Reichs­kanz­lers am 2. August 1934 recht­lich – auch durch das „Ermäch­ti­gungs­ge­setz – nicht gedeckt war: die neue per­so­nen­ge­bun­de­ne Eides­leis­tung als eine Anknüp­fung an mon­ar­chi­sche Tra­di­tio­nen hat­te das kon­ser­va­ti­ve Offi­ziers­korps grund­sätz­lich begrüßt.
Sowohl in ihren eige­nen Über­le­gun­gen als auch in der nach­träg­li­chen Beur­tei­lung des Han­delns der gegen das NS-Regime gerich­te­ten Fron­de spiel­te die Fra­ge nach der Recht­fer­ti­gung ver­rä­te­ri­schen Han­delns eine Rol­le, vor allem bei der for­ma­len Grenz­zie­hung zwi­schen Hoch- und Lan­des­ver­rat. Aus­drück­lich beton­te der an den poli­ti­schen Umsturz­pla­nun­gen maß­geb­lich betei­lig­te Carl Goer­de­ler („Mein letz­ter Wil­le”, 4. Novem­ber 1944) kurz vor sei­ner Hin­rich­tung die Bedeu­tung des Wol­lens der Ver­schwö­rer: „Lan­des­ver­rat liegt nicht vor, das Land soll­te nicht ver­ra­ten, son­dern geret­tet wer­den … Es liegt also nur Hoch­ver­rat vor.”

Einen sol­chen sah das Straf­ge­setz­buch des Deut­schen Rei­ches in dem Unter­neh­men, die Ver­fas­sung oder das Gebiet des Reichs oder eines Bun­des­staa­tes gewalt­sam zu ändern. Ein hoch­ver­rä­te­ri­sches Kom­plott lag vor, wenn meh­re­re Per­so­nen ein nicht zur Voll­endung gekom­me­nes hoch­ver­rä­te­ri­sches Unter­neh­men geplant hat­ten; außer­dem gab es die „hoch­ver­rä­te­ri­sche Kon­spi­ra­ti­on”, wenn sich der Täter zur Vor­be­rei­tung der Tat mit einer aus­wär­ti­gen Regie­rung ein­ließ oder für den Hoch­ver­rat „ihm anver­trau­te Macht miß­brauch­te”. Ihr ent­sprach weit­ge­hend auch die soge­nann­te „lan­des­ver­rä­te­ri­sche Kon­spi­ra­ti­on”, der sich zusätz­lich schul­dig mach­te, wer sich mit einer aus­län­di­schen Regie­rung ein­ließ, um die­se zum Krieg gegen das Reich zu veranlassen.
Unter den Lan­des­ver­rat fie­len außer­dem das „Vor­schub­leis­ten zuguns­ten einer feind­li­chen Macht” sowie die Bekannt­ga­be von Staats­ge­heim­nis­sen oder die Untreue bei der Füh­rung von Staatsgeschäften.
Bereits im Juni 1914 war in Ergän­zung der Vor­schrif­ten des Straf­ge­setz­bu­ches ein zusätz­li­ches „Gesetz gegen den Ver­rat mili­tä­ri­scher Geheim­nis­se” erlas­sen wor­den, in wel­chem jedoch die sub­jek­ti­ve Ein­stel­lung des Täters bei der Straf­be­mes­sung berück­sich­tigt wur­de: Woll­te der Täter bei dem Ver­rat „die Sicher­heit des Rei­ches nicht gefähr­den”, so sahen die Bestim­mun­gen aus­drück­lich eine mil­de­re Stra­fe vor.
For­mal haben die Kon­takt­auf­nah­men des Abwehr­of­fi­ziers Oster mit aus­län­di­schen Diplo­ma­ten ohne Zwei­fel den Tat­be­stand des Lan­des­ver­rats erfüllt. Ins­ge­samt sechs­und­zwan­zig­mal infor­mier­te er den hol­län­di­schen Mili­tär­at­ta­ché Sas über die stän­dig von Hit­ler ver­scho­be­nen Angriffs­ter­mi­ne gegen Frank­reich und die Bene­lux-Staa­ten, wohl­wis­send, daß davon auch der bel­gi­sche Mili­tär­at­ta­ché Goethals unter­rich­tet wer­den wür­de. Daher habe sich auch Oster „aus dem Rah­men der Wider­stands­be­we­gung” her­aus­be­ge­ben, so sein Bio­graph Rome­dio von Thun-Hohen­stein, da er nicht nur „gegen das Ethos sei­nes eige­nen Berufs­stan­des, son­dern auch gegen das patrio­ti­sche Emp­fin­den fast aller sei­ner Mit­ver­schwö­rer verstieß.”
Gera­de Claus von Stauf­fen­berg lehn­te jede Art von mili­tä­ri­scher Zusam­men­ar­beit mit dem Geg­ner aus­drück­lich ab; obwohl weder bei der „Roten Kapel­le” noch beim „Natio­nal­ko­mi­tee Frei­es Deutsch­land” in den Kriegs­ge­fan­ge­nen­la­gern der Sowjet­uni­on der aus­drück­li­che Wil­le vor­lag, Deutsch­land zu scha­den, bezeich­ne­te der spä­te­re Hit­ler­at­ten­tä­ter sol­ches Tun als Lan­des­ver­rat, von dem er sich deut­lich distanzierte.
Etwas ande­res waren jene von ihm gebil­lig­ten Son­die­run­gen bei den West­al­li­ier­ten im Früh­som­mer 1944, deren Ziel sein soll­te, den Umsturz im Innern durch eine güns­ti­ge­re Ent­wick­lung von außen her abzu­si­chern und der nicht-natio­nal­so­zia­lis­ti­schen deut­schen Regie­rung annehm­ba­re Frie­dens­be­din­gun­gen zu verschaffen.
Weil für sol­che Bemü­hun­gen die offi­zi­el­len diplo­ma­ti­schen Kanä­le umgan­gen wer­den muß­ten, ist der Vor­wurf des Lan­des­ver­rats schnell bei der Hand.

In die­sem Zusam­men­hang wies der His­to­ri­ker Peter Hoff­mann in einer sei­ner Ver­öf­fent­li­chun­gen über die Geschich­te des 20. Juli auf ein zeit­ge­nös­si­sches Grund­satz­ur­teil hin. In der Ent­schei­dung des Reichs­ge­richts aus dem Jah­re 1931 (also vor der Macht­über­nah­me der Natio­nal­so­zia­lis­ten) stell­ten die Rich­ter fest: „Beim Lan­des­ver­rat gehört zum Vor­satz das Bewußt­sein und der Wil­le, der deut­schen Kriegs­macht Nach­tei­le zuzu­fü­gen… Ergibt sich, daß das Gesamt­ver­hal­ten durch das Ziel beherrscht ist, von der Kriegs­macht des Deut­schen Rei­ches grö­ße­ren Nach­teil abzu­wen­den und nur zu die­sem Zwe­cke die gerin­ger benach­tei­li­gen­den Hand­lun­gen in Kauf zu neh­men, so fehlt in bezug auf das Gesamt­ver­hal­ten… das Bewußt­sein und der Wil­le der Benach­tei­li­gung.” Für Hoff­mann steht also fest: „Die vom Reichs­ge­richt auf­ge­stell­ten Vor­aus­set­zun­gen für Lan­des­ver­rat waren im Wider­stand nicht gege­ben.” Statt­des­sen gab es eine „Außen­po­li­tik” des Wider­stands als „inte­gra­ler Bestand­teil der Ver­schwö­rung” (Kle­mens von Klem­pe­rer) zur Koor­di­nie­rung des inne­ren mit dem äuße­ren Kampf gegen den Nationalsozialismus.
Genau in die­ser Aner­ken­nung ehren­haf­ter Beweg­grün­de sah der Natio­nal­so­zia­lis­mus den zu über­win­den­den „Geist” der Wei­ma­rer Repu­blik. Zwar hat­te Adolf Hit­ler 1924 in sei­nem eige­nen Hoch­ver­rats­pro­zeß von der Mil­de der dama­li­gen Rich­ter ange­sichts der lau­te­ren Absich­ten des Täters durch­aus pro­fi­tiert und unter dem Ein­druck sei­nes geschei­ter­ten Put­sches in Mein Kampf hoch­ver­rä­te­ri­sches Han­deln recht­fer­ti­gend fest­ge­stellt: „Staats­au­tori­tät als Selbst­zweck kann es nicht geben, da in die­sem Fal­le jede Tyran­nei auf die­ser Welt unan­greif­bar und gehei­ligt wäre. Wenn durch die Hilfs­mit­tel der Regie­rungs­ge­walt ein Volks­tum dem Unter­gang ent­ge­gen­ge­führt wird, dann ist die Rebel­li­on eines jeden Ange­hö­ri­gen eines sol­chen Vol­kes nicht nur Recht, son­dern Pflicht.”
In der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen „Volks­ge­mein­schaft” hat­ten sol­che Sät­ze frei­lich kei­ne Gül­tig­keit mehr. Denn: „Die Revo­lu­ti­on, die wir gemacht haben, ist eine tota­le. Sie hat alle Gebie­te des öffent­li­chen Lebens erfaßt und von Grund auf umge­stal­tet. Sie hat … die Bezie­hun­gen der Men­schen zum Staat … voll­kom­men geän­dert und neu geformt”, so Joseph Goeb­bels im Novem­ber 1933.

Daher wur­de im 1936 erschie­ne­nen Bericht der Amt­li­chen Straf­rechts­kom­mis­si­on als Ziel einer nöti­gen Reform unter ande­rem die Rück­kehr zum (ger­ma­ni­schen) Treu­bruch­ge­dan­ken gefor­dert, um „die Idea­li­sie­rung des Hoch­ver­rä­ters auf­he­ben und durch Kenn­zeich­nung des Hoch- und Lan­des­ver­rats als der schimpf­lichs­ten und schmäh­lichs­ten Treu­lo­sig­keit sowie durch Straf­schär­fun­gen den Ver­rat mit aller Rück­sichts­lo­sig­keit” aus­zu­til­gen. In einem Kom­men­tar zu die­sen Neue­run­gen heißt es: „Das natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Straf­recht wird das Volk in den Mit­tel­punkt der Betrach­tung stel­len und nicht den Staat als sol­chen”. Dar­aus folgt, daß die Tat des Ver­rä­ters „das zwi­schen ihm und der Volks­ge­mein­schaft bestehen­de Treu­band” zer­reißt, und der Ver­rä­ter sich „mit sei­ner Tat außer­halb der Gemein­schaft und damit außer­halb des Rechts über­haupt” set­ze. Daher sei als Stra­fe nur die „völ­li­ge Aus­mer­zung des Ver­rä­ters” ange­bracht. „Für den natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Staat ist der Ver­rat (Hoch- und Lan­des­ver­rat) kein Pro­blem; da die Treue zum eige­nen Volk die obers­te Pflicht jedes Deut­schen ist, die von ihm jedes Opfer bis zum Ein­satz des Lebens ver­langt, ist die Ver­let­zung die­ser Treue das schwers­te Ver­bre­chen”, so der ers­te natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Reichs­jus­tiz­mins­ter Franz Gür­t­ner 1936.
Zum Miß­er­folg der „Außen­po­li­tik” des deut­schen Wider­stands trug ent­schei­dend das man­geln­de Ver­ständ­nis auf sei­ten der alli­ier­ten Gesprächs- oder Ver­hand­lungs­part­ner bei. Dabei spiel­te das grund­sätz­li­che Miß­trau­en gegen­über den Deut­schen eine Rol­le, selbst dann, wenn sie sich als Geg­ner des NS-Regimes bekann­ten; eben­so Inter­es­sen­ge­gen­sät­ze der West­mäch­te unter­ein­an­der sowie die Sor­ge um die Inte­gri­tät des Bünd­nis­ses mit der Sowjetunion.
Vor allem auf bri­ti­scher Sei­te lehn­te man eine inof­fi­zi­el­le Neben-Außen­po­li­tik mit Ange­hö­ri­gen der feind­li­chen Nati­on ab, die ihrer­seits doch in „höchst ver­rä­te­ri­scher Dis­loya­li­tät” han­del­ten, wie es ein Ange­hö­ri­ger des For­eign Office mein­te. Allein die Nen­nung von Namen der­je­ni­gen Gene­ra­le, die der mili­tä­ri­schen Oppo­si­ti­on gegen Hit­ler zuneig­ten, nann­te ein bri­ti­scher Gesprächs­part­ner Goer­de­lers bereits „lan­des­ver­rä­te­ri­sche Rede”.
Das unter den Lon­do­ner Poli­ti­kern und Diplo­ma­ten ver­brei­te­te Unver­ständ­nis gegen­über den Anlie­gen und Moti­ven der anti-natio­nal­so­zia­lis­ti­schen deut­schen Emis­sä­re mag auch dadurch begüns­tigt wor­den sein, daß das bri­ti­sche Straf­recht nicht so strikt zwi­schen Hoch- und Lan­des­ver­rat unter­schied. Die wesent­li­chen Delik­te und deren Sank­ti­on waren nie­der­ge­legt im soge­nann­ten „Sta­tu­te of Tre­asons” aus dem Jah­re 1315, wel­ches glei­cher­ma­ßen den (hoch­ver­rä­te­ri­schen) Auf­ruhr gegen das Staats­ober­haupt wie auch die (lan­des­ver­rä­te­ri­sche) Feind­be­güns­ti­gung sanktionierte.

Vor allem war Eng­land laut Mar­gret Boveri eine der Aus­nah­men in der „Land­schaft des Ver­rats”, weil hier in der Per­son des Mon­ar­chen das Empire über ein Sym­bol, einen kon­kre­ten Bezugs­punkt für die Treue ver­fü­ge. Die schein­bar gespal­te­ne Loya­li­tät, gegen Hit­lers Regie­rung aber doch für Deutsch­land zu han­deln und zu kämp­fen, muß­te unter die­sen Gege­ben­hei­ten schwer nach­voll­zieh­bar sein.
So bedau­er­te der US-Diplo­mat Geor­ge F. Kennan nach dem Krieg das Ungleich­ge­wicht zwi­schen der Abscheu der West­mäch­te vor Hit­ler einer­seits und dem „sehr gerin­gen Wert” ande­rer­seits, den sie „mora­lisch und poli­tisch” den­je­ni­gen auf deut­scher Sei­te bei­ma­ßen, „die enor­me Risi­ken auf sich nah­men, um ihn zu stürzen”.
Doch auch denen war „unum­stöß­lich klar: nie­mals durf­te ein Han­deln, zu dem wir uns durch­rin­gen muß­ten, Gemein­gut des Vol­kes wer­den. Wehe der Jugend, die glaubt, das Recht zu sol­chen Schrit­ten sich neh­men zu dür­fen”, so rück­bli­ckend Carl-Hans von Hardenberg.
Ent­schei­dend für „sol­che Schrit­te” war eben auch, daß Hit­ler sein Land in einen „unter mehr als bloß natio­na­len Aspek­ten” geführ­ten Krieg geschickt hat­te, wie Ernst Nol­te fest­stell­te: Inne­rer Wider­stand hät­te nur dann ver­mie­den wer­den kön­nen, wenn es sich aus­schließ­lich um einen natio­na­len Ver­tei­di­gungs­krieg gehan­delt hät­te. Doch statt­des­sen habe Hit­ler „Sta­lin die ein­zig­ar­ti­ge Gele­gen­heit zu einem sol­chen Krieg” gegeben.
Die­ser Umstand wie­der­um besie­gel­te dann das Schick­sal der­je­ni­gen, die mein­ten, in ers­ter Linie gegen einen bol­sche­wis­ti­schen Dik­ta­tor gekämpft zu haben, und sich nun als „Zwi­schen­front­grup­pe in der Land­schaft des Verrats”(Boveri) zu schein­bar gewöhn­li­chen „Vater­lands­ver­rä­tern” abge­stem­pelt sahen.
Zwar gilt also die Fest­stel­lung, wonach im „Zeit­al­ter der Ideo­lo­gien und der tota­li­tä­ren Regime” poli­ti­sche Loya­li­tä­ten den „Rah­men der natio­na­len Inter­es­sen” (Kle­mens von Klem­pe­rer) spren­gen, anders gesagt: der Ver­rat des Vater­lands durch den Ver­rat an der Par­tei abge­löst wur­de. Aber das gilt nicht ausschließlich.
Auf die bei­den ein­gangs erwähn­ten Bei­spie­le paßt in jedem Fall die Fest­stel­lung Nol­tes: „Lan­des­ver­rat ist ein Begriff aus der Sphä­re der rein natio­na­len Aus­ein­an­der­set­zun­gen und Krie­ge. Ihn allein zum obers­ten Kri­te­ri­um zu machen, heißt die spe­zi­fi­sche Natur des Zwei­ten Welt­kriegs zu ver­ken­nen. Wer ihm jede Bedeu­tung bestrei­tet, erklärt die­sen Krieg aber zu Unrecht für einen rein ideologischen.”

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