Zu jeder Gelegenheit gibt es einen entsprechenden Aphorismus des kolumbianischen Philosophen, der sich als zitierfähig erweist, so auch zum Reaktionär als historische Gestalt:
Der Reaktionär hat Gegenstände der Bewunderung, keine Modelle,
schrieb Dávila und es ließ(e) sich trefflich streiten, ob alle der circa 50 Teilnehmer der 13. Winterakademie des Instituts für Staatspolitik (IfS) in Bad Pyrmont am vergangenen Wochenende (22.–24. Februar) dieser Auffassung folgen.
Auf die gewohnt kundige Einführung des wissenschaftlichen Leiters des IfS, Dr. Karlheinz Weißmann, folgte der Vortrag Prof. Dr. Harald Seuberts. Seubert sieht in der Tat die „Reaktion als geistiges Prinzip“ ohne „Modell“. Die Reaktion sei eine Herausforderung an den Konservativen, dessen Konservatismus sich erst im Verlust seiner eigenen Selbstverständlichkeit artikuliert.
Sehr wohl einem Modell folgte aber die erste Generation der Reaktionäre, die sich nur zum Teil aus der „ersten Reihe der Zuschauer bei einer Revolution“ (Dávila) zusammensetzte. Dr. Felix Dirsch nahm sich der „Politischen Theologie der Gegenaufklärung“ an und präsentierte plastisch wie präzise die Köpfe der Reaktion auf 1789. Joseph de Maistre – „la révolution française est satanique dans son essence“ – war als Ultramontaner, Freimaurer und Vertreter der Philosophia perennis reaktionärer und militanter Feind der jakobinischen Exzesse. Anders als sein Zeitgenosse Louis de Bonald, der sich geistesgeschichtlicher Debatten annahm und einen „philosophischen Traditionalismus“ vertiefte, war de Maistre in der Tat ein ausschließlicher Reaktionär, der politisch wie religiös auf die Welt vor der Französischen Revolution fixiert blieb. Dirschs weitere Erörterungen über Philosophie und Weltanschauung der Denker Friedrich Kleucker und Franz von Baader zeigten in der Folge, daß es auch eine Reaktion auf den virulenten Jakobinismus gab, die eine Erneuerung der Kultur auf der Basis des Bestehenden anstrebte, und nicht, wie noch de Maistre, das Heil ausschließlich in der romantisierten Vergangenheit suchte.
Von der Theorie zur Praxis gelang man am Folgetag im Verlauf des Vortrages von Dr. Karlheinz Weißmann, der Reaktionen aus dem Volk ins Bewußtsein rief. Zwei der bedeutendsten Aspekte seines Streifzuges durch die Geschichte konkret gewordener Reaktion waren die Carlisten Spaniens und vor allem katholisch-royalistische Bemühungen in der Vendée, welche durch die Revolutionäre auf brutale Art und Weise beantwortet wurden.
Joachim Volkmann, Übersetzer Jean Raspails ins Deutsche, machte den interessierten Teilnehmern die französische Monarchie bekannt. Mythen und Symbole, Kontinuitäten wie Zäsuren wurden empathisch veranschaulicht; auch bezüglich der Gründe für die bis heute fortdauernde Dreiteilung monarchistischer Gruppen in Bonapartisten, Orléanisten und Legitimisten wurde Licht ins Dunkel gebracht.
Die Fokussierung auf Frankreich und den Katholizismus bei einigen Vorträgen war insofern naheliegend, als daß das Thema „Reaktion“ zuvorderst im gegenrevolutionär-katholischen Royalismus Frankreichs ein Gesicht (oder mehrere Gesichter) bekommt.
Ebenfalls von Frankreich aus ging die Bewegung der katholischen Tradition des Erzbischofs Marcel Lefebvre. Die meist unter dem Namen Piusbruderschaft genannten vorkonziliaren Katholiken sehen sich in den Medien vorwiegend mit den immer gleichen Vorurteilen und Verkürzungen konfrontiert. Her war es notwendig, Klarheit zu schaffen und die theologische Weichenstellungen sowie die Fundamente des Glaubens aufzuschlüsseln. Hervorzuheben ist sicherlich auch die anschließende Diskussion, in der anhaltend kontrovers über die Stellung der Vereinigung in der Weltkirche, aber auch über die theologisch umstrittenen Auslegungen diskutiert wurde. Dr. Weißmann äußerte schließlich den Gedankengang, daß sich die Piusbrüder aufgrund ihrer vehementen Betonung der Gewissensbefragung als Grund für die fortwährende Distanz zur katholischen Amtskirche just einer genuin lutherischen Argumentationsweise bedienten.
Die Debatten, die im Laufe des weiteren geselligen Abends – vor und nach dem gemeinsam verfolgten Film „Admiral“ – nahtlos in kleineren Gruppen fortgesetzt wurden, zeigten, was vielleicht den eigentlichen Reiz einer solchen Akademie ausmacht: die Begegnung unterschiedlichster Denktypen und Charaktere, die sich – angeregt durch vorausgehende, entsprechend abwechslungsreiche Vorträge – in gegenseitigem geistigen Austausch befruchten. Vorkonziliare Katholiken treffen auf nachkonziliare Katholiken und beide wiederum auf Evangelisch-Lutherische, Bündische auf Großstadtidentitäre, elektrisierte Jungrechte auf behutsame Gärtnerkonservative.
Diese ausgesprochen bunte Heterogenität konnte leider nicht verhindern, daß sich eine ausgesprochen homogene „IG Bunt“ vor der Tagungsstätte positionierte, um mit ihren schätzungsweise 60 Teilnehmern gegen rechts zu demonstrieren. Man wartete vielleicht auf eine Reaktion der vermuteten Reaktionäre – während es die Teilnehmer der Winterakademie freilich bevorzugten, zum gemeinsamen Joggen durch den Kurort aufzubrechen.
Am Sonntagvormittag folgte noch ein Vortrag über das Element der Reaktion im ambivalenten Gesamtwerk des Genfer Philosophen Jean-Jacque Rousseaus, dessen mannigfaltige Ideen nach wie vor „erstaunliche Aktualität“ (Alain de Benoist) aufweisen, bevor es Institutsleiter Dr. Erik Lehnert vorbehalten war, die Entwicklungen monarchistischer Lebenszeichen in Nachkriegsdeutschland zu beleuchten, wobei insbesondere auch das rege Wirken des preußisch-jüdischen Historikers Hans-Joachim Schoeps gewürdigt wurde, der sich neben seiner schriftstellerischen und akademischen Tätigkeiten im Verein „Tradition und Leben“ engagierte. Schoeps zeigte damit auch, daß Reaktion keineswegs zwingend die exklusiv nostalgische Fixierung auf eine vergangene Epoche meinen muß.