Dickicht, Sumpf, wildes Wuchern – der Nationalsozialistische Untergrund

pdf der Druckfassung aus Sezession 53/ April 2013

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von Felix Krautkrämer

Zehn Morde, zwei Bombenanschläge und mindestens 14 Banküberfälle: Die Liste der Verbrechen, die der Gruppierung mit dem ominösen Namen »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) vorgeworfen wird, ist lang. Mehr als 13 Jahre sollen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, unterstützt von Beate Zschäpe (der einzigen Überlebenden des Trios), quer durch die Republik eine »braune Terrorspur« gezogen haben.

Kei­ner kam dabei auf den Gedan­ken, daß es sich bei den Tätern um die 1998 unter­ge­tauch­ten drei Rechts­extre­mis­ten aus Jena han­deln könn­te. Weder Ver­fas­sungs­schutz noch Bun­des­kri­mi­nal­amt und Poli­zei hat­ten auch nur den gerings­ten Ver­dacht, so zumin­dest die offi­zi­el­le Version.

Wer dies­be­züg­lich Zwei­fel hegt, sieht sich schnell mit dem Vor­wurf kon­fron­tiert, ein Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ker zu sein. Doch auch nach bald andert­halb Jah­ren Ermitt­lungs­ar­beit der Behör­den und ver­schie­de­ner Unter­su­chungs­aus­schüs­se sowie zahl­rei­chen Publi­ka­tio­nen wirft der Fall nach wie vor mehr Fra­ge­zei­chen als Erklä­run­gen auf. Und auch der nun bevor­ste­hen­de Pro­zeß gegen Bea­te Zsch­ä­pe vor dem Ober­lan­des­ge­richt in Mün­chen dürf­te wenig zur Klä­rung beitragen.

Da ist zum Bei­spiel das nach wie vor rät­sel­haf­te Ende von Mund­los und Böhn­hardt am 4. Novem­ber 2011 in Eisen­ach. Offi­zi­ell sind ihre letz­ten Stun­den weit­ge­hend rekon­stru­iert. Mund­los soll Böhn­hardt in dem für den Bank­über­fall gemie­te­ten Wohn­mo­bil mit einer Pump­gun in die lin­ke Schlä­fe geschos­sen und anschlie­ßend Feu­er gelegt haben. Danach setz­te er sich im hin­te­ren Teil des Fahr­zeugs auf den Boden, steck­te sich den Lauf sei­ner Waf­fe in den Mund und krümm­te ab. Zu die­sem Ergeb­nis kom­men die Ermitt­ler auf­grund des Aut­op­sie­be­richts, denn in Böhn­hart­ds Lun­ge fan­den sich, anders als bei Mund­los, kei­ne Rauch­par­ti­kel. Er muß also beim Aus­bruch des Feu­ers schon tot gewe­sen sein. Unklar bleibt, ob Mund­los sei­nen Kom­pli­zen mit des­sen Ein­ver­ständ­nis oder im Streit erschoß.

Zu ver­schie­de­nen Berich­ten, wonach die Ermitt­ler im Wohn­mo­bil nicht nur eine, son­dern zwei aus­ge­wor­fe­ne Patro­nen­hül­sen aus Mund­los’ Pump­gun fan­den, schweigt sich die Bun­des­an­walt­schaft aus. Soll­te dies der Fall sein, wür­de sich auto­ma­tisch die Fra­ge stel­len, wer die Waf­fe noch­mals repe­tier­te, nach­dem sich Mund­los damit in den Kopf geschos­sen hat­te. Anders wäre die Hül­se nicht aus­ge­wor­fen worden.

Doch auch zu den Minu­ten vor dem Tod der bei­den mut­maß­li­chen Rechts­ter­ro­ris­ten gibt es Wider­sprü­che und Unge­reimt­hei­ten: Es ist gegen zwölf Uhr, als sich zwei Strei­fen­po­li­zis­ten im Eisen­acher Stadt­teil Streg­da dem Wohn­mo­bil mit dem Kenn­zei­chen aus dem säch­si­schen Vogt­land nähern. Weni­ge Stun­den zuvor sol­len Böhn­hardt und Mund­los eine Spar­kas­se in der Stadt über­fal­len haben. Im Anschluß dar­an par­ken sie ihr Wohn­mo­bil im Neu­bau­ge­biet Wart­burg­blick. Sie hören den Poli­zei­funk ab und sind so über die Fahn­dungs­maß­nah­men infor­miert. Trotz­dem ent­schei­den sie sich, in Streg­da zu war­ten, anstatt über die Auto­bahn in unmit­tel­ba­rer Nähe die Flucht zu ergrei­fen. Die Beam­ten, die auf das Fahr­zeug der bei­den zuge­hen, ver­neh­men zwei Knall­ge­räu­sche, so geben sie es über Funk durch und so steht es auch in den ers­ten Mel­dun­gen, als noch nie­mand weiß, um wen es sich bei den bei­den mut­maß­li­chen Bank­räu­bern wirk­lich han­delt. Kurz dar­auf schla­gen Flam­men aus dem Wohnmobil.

Ent­ge­gen der ers­ten Mel­dun­gen heißt es sei­tens der Bun­des­an­walt­schaft, es habe ins­ge­samt drei Schüs­se gege­ben, einer davon aus dem Wohn­mo­bil her­aus. Zudem habe die im Fahr­zeug gefun­de­ne Maschi­nen­pis­to­le eine Lade­hem­mung auf­ge­wie­sen. Daß sich in dem Wohn­mo­bil eine drit­te Per­son befand, die aus dem Füh­rer­haus klet­ter­te und flüch­te­te, schlie­ßen die Ermitt­ler aus. Genau das hat­te aber ein Anwoh­ner der Bild-Zei­tung geschil­dert. Die Poli­zei in Eisen­ach und Gotha, deren Beam­te als ers­te am Tat­ort waren, will das weder bestä­ti­gen noch demen­tie­ren und ver­weist auf die Bun­des­an­walt­schaft, die allein aus­kunfts­be­rech­tigt sei. Glei­ches gilt für die Fra­ge, ob auf die Poli­zis­ten geschos­sen wur­de. Ihre ent­spre­chen­de Mel­dung vom 4. Novem­ber 2011 hat die Thü­rin­ger Poli­zei mitt­ler­wei­le aus dem Inter­net gelöscht.

Laut Bun­des­an­walt­schaft soll den Ermitt­lern bereits noch am Tag des Über­falls auf­grund von Fin­ger­ab­drü­cken bekannt gewe­sen sein, daß es sich bei den zwei Toten im Wohn­mo­bil um die 1998 unter­ge­tauch­ten Rechts­extre­mis­ten han­delt. Den­noch erfährt die Öffent­lich­keit erst vier Tage spä­ter davon – durch eine Pres­se­mit­tei­lung der Links­frak­ti­on im Thü­rin­ger Land­tag, die den mut­maß­li­chen poli­ti­schen Hin­ter­grund der bei­den Bank­räu­ber enthüllt.

Ähn­lich ver­hält es sich mit einem wei­te­ren ent­schei­den­den Beweis­mit­tel in dem Fall, dem angeb­li­chen Beken­ner­vi­deo des NSU. Die­ses hat­te der Spie­gel öffent­lich gemacht. Der wie­der­um hat­te es exklu­siv vom links­ra­di­ka­len »Anti­fa­schis­ti­schen Pres­se­ar­chiv und Bil­dungs­zen­trum Ber­lin« gekauft. Wie die Ein­rich­tung an die DVD gekom­men ist, will sie nicht sagen. Mög­li­cher­wei­se erhielt sie es von einem der Emp­fän­ger, an die das Video nach dem Tod von Böhn­hardt und Mund­los geschickt wur­de. Zu die­sen zähl­ten auch Büros der Links­par­tei. Offi­zi­ell soll Zsch­ä­pe die Vide­os ver­schickt haben, aller­dings wur­den eini­ge Exem­pla­re auch unfran­kiert in Brief­käs­ten gesteckt, in Städ­ten, in denen sich Zsch­ä­pe auf ihrer mehr­tä­gi­gen Flucht nach­weis­lich nicht auf­hielt. Die Ermitt­ler kön­nen die­ses Rät­sel bis­lang nicht lösen.

Und das sind nicht die ein­zi­gen Fra­gen, die im Zusam­men­hang mit dem Ende von Mund­los und Böhn­hardt unbe­ant­wor­tet blei­ben. War­um schos­sen die bei­den nicht auf die zwei Poli­zis­ten? Immer­hin hat­ten sie drei Pis­to­len, zwei Revol­ver, zwei Pump­guns und eine Maschi­nen­pis­to­le bei sich. Skru­pel, auf Poli­zis­ten zu schie­ßen, dürf­ten die bei­den kaum gehabt haben. Immer­hin sol­len sie 2007 die Poli­zis­tin Mic­hè­le Kie­se­wet­ter in Heil­bronn heim­tü­ckisch erschos­sen und ihren Kol­le­gen lebens­ge­fähr­lich ver­letzt haben. War­um hat­ten sie Kie­se­wet­ters Dienst­waf­fe über­haupt zu dem Bank­raub mit­ge­nom­men? War ihnen nicht klar, daß sie im Fal­le einer Fest­nah­me sofort auch mit die­ser Tat in Ver­bin­dung gebracht wür­den? Glei­ches gilt für die mehr als 23000 Euro, teil­wei­se noch mit Ban­de­ro­len ver­se­hen, die aus einem Über­fall stamm­ten, den Mund­los und Böhn­hardt knapp zwei Mona­te zuvor im thü­rin­gi­schen Arn­stadt began­gen haben sol­len – Über­heb­lich­keit oder Leicht­sinn? Letz­te­res ist so gut wie aus­ge­schlos­sen, sonst hät­ten sie kaum uner­kannt 13 Jah­re lang die ihnen zur Last geleg­ten Ver­bre­chen bege­hen können.

Ende ver­gan­ge­nen Jah­res warf ein Arti­kel des Jour­na­lis­ten Andre­as Förs­ter zusätz­li­che Fra­gen auf. Gestützt auf die Ermitt­lungs­ak­ten berich­te­te Förs­ter, die Poli­zei habe am Tag nach dem Tod der bei­den in dem aus­ge­brann­ten Wohn­mo­bil auch einen Ruck­sack sicher­ge­stellt, der – anders als das Bett, auf dem er gefun­den wur­de – trotz des Feu­ers kei­ne Schmutz­spu­ren auf­wies. Der Ruck­sack ent­hielt Geld aus dem Bank­über­fall in Arn­stadt und meh­re­re Patro­nen­pa­ckun­gen, wie am 5. Novem­ber pro­to­kol­liert wur­de. Sechs DVDs mit dem mut­maß­li­chen Beken­ner­vi­deo des NSU wur­den dage­gen nicht auf­ge­führt. Die­se fan­den Poli­zis­ten erst einen Monat spä­ter, am 1. Dezem­ber, in einer Innen­ta­sche des Ruck­sacks. Es ist schwer vor­zu­stel­len, daß die Ermitt­ler das Gepäck­stück zuvor nur so ober­fläch­lich durch­sucht hat­ten und die DVDs dabei über­sa­hen. Immer­hin gehör­te der Ruck­sack den mut­maß­li­chen Mör­dern einer Kollegin.

Doch die Bun­des­an­walt­schaft hat hier­für eine Erklä­rung: Wäh­rend Geld und Patro­nen bei einer ers­ten Durch­sicht gefun­den wur­den, sei­en die DVDs erst spä­ter, im Zuge der von der Bun­des­an­walt­schaft ange­ord­ne­ten pho­to­gra­phi­schen Doku­men­ta­ti­on der Beweis­stü­cke ent­deckt wor­den. Ein im Schutt der frü­he­ren Zwi­ckau­er Woh­nung des Tri­os gefun­de­nes Exem­plar der DVD mit dem NSU-Video war im übri­gen der Anlaß, daß die Karls­ru­her Behör­de am 11. Novem­ber über­haupt die Ermitt­lun­gen über­neh­men konn­te. Denn nun war ein rechts­extre­mis­ti­scher Hin­ter­grund bei der Mord-Serie gegeben.

Und noch eine wei­te­re Fra­ge will oder kann die Bun­des­an­walt­schaft bis heu­te nicht beant­wor­ten: Etwa drei Stun­den nach dem Tod ihrer mut­maß­li­chen Kom­pli­zen soll Zsch­ä­pe die gemein­sa­me Woh­nung in Zwi­ckau in Brand gesteckt haben. Nie­mand weiß jedoch, wie sie von den Gescheh­nis­sen in Eisen­ach erfuhr. Ein Anruf von Mund­los oder Böhn­hardt wird offi­zi­ell aus­ge­schlos­sen. Laut Bun­des­an­walt­schaft wuß­ten die Ermitt­ler bereits am Abend des 4. Novem­ber, daß ein Zusam­men­hang zwi­schen den toten Bank­räu­bern in Eisen­ach und der abge­brann­ten Zwi­ckau­er Woh­nung, in der das Trio unter fal­schen Iden­ti­tä­ten gelebt hat­te, bestün­de. Zsch­ä­pe befand sich zu die­sem Zeit­punkt noch auf der Flucht. Wie die­ser Zusam­men­hang her­ge­stellt wer­den konn­te, will die Behör­de nicht sagen.

Doch das Ende von Mund­los und Böhn­hardt ist nicht die ein­zi­ge Epi­so­de im Fall des NSU, die Fra­gen auf­wirft. Nach wie vor unklar ist auch der Mord an der Poli­zis­tin Mic­hè­le Kie­se­wet­ter. Nicht nur, weil hier ande­re Tat­waf­fen (eine Toka­rew TT-33 und eine Ran­dom VIS 35) als die Ces­ka 83 zum Ein­satz kamen, mit der die acht Tür­ken und ein Grie­che zwi­schen Sep­tem­ber 2000 und April 2006 erschos­sen wur­den. Auch blie­ben die Hül­sen der abge­feu­er­ten Patro­nen am Tat­ort zurück, was bei der Mord­se­rie an den Aus­län­dern außer am Anfang nicht der Fall war. Die Tat fand zudem über ein Jahr nach dem letz­ten Ces­ka-Mord statt, ohne ein plau­si­bles Motiv. Denn Haß auf Aus­län­der schei­det bei der deut­schen Poli­zis­tin aus.

Anders als bei den ande­ren Mor­den nah­men die Täter ihren Opfern Gegen­stän­de ab, Hand­schel­len, Pfef­fer­spray und Dienst­waf­fen. Und, auch das ein Unter­schied zu den übri­gen Mor­den, es gab zwei Opfer, auch wenn Mar­tin A. schwer ver­letzt über­leb­te. Seit wann die Täter im Besitz der Mord­waf­fen waren und ob mit die­sen auch ande­re Ver­bre­chen began­gen wur­den, dar­über schweigt sich die Bun­des­an­walt­schaft aus. Für sie steht fest, daß Mund­los und Böhn­hardt die 22 Jah­re alte Poli­zis­tin am 25. April 2007 auf der Heil­bron­ner The­re­si­en­wie­se ermor­de­ten. Schließ­lich fand man in ihrem Wohn­mo­bil die den Poli­zis­ten abge­nom­me­nen Gegen­stän­de und Dienst­waf­fen und in der abge­brann­ten Zwi­ckau­er Woh­nung die Tat­waf­fen. Außer­dem wur­de in Heil­bronn am Tat­tag im Zuge der ein­ge­lei­te­ten Ring­fahn­dung das Kenn­zei­chen eines Wohn­mo­bils erfaßt, das, wie sich erst spä­ter her­aus­stell­te, auf den Namen des mut­maß­li­chen NSU-Unter­stüt­zers Hol­ger G. ange­mie­tet war. Für die Ermitt­ler scheint der Fall damit klar.

Ein vom Stern prä­sen­tier­tes Obser­vie­rungs­pro­to­koll des ame­ri­ka­ni­schen Mili­tär­ge­heim­diens­tes Defen­se Intel­li­gence Agen­cy (DIA), nach dem zur Tat­zeit ame­ri­ka­ni­sche Agen­ten und deut­sche Ver­fas­sungs­schüt­zer vor Ort waren, um zwei Per­so­nen aus dem Umfeld der isla­mis­ti­schen Sauer­landgruppe zu beob­ach­ten, wur­de kur­zer­hand als Fäl­schung ein­ge­stuft. Dar­in war von einer Schie­ße­rei zwi­schen zwei Beam­ten des baden-würt­tem­ber­gi­schen oder baye­ri­schen Ver­fas­sungs­schut­zes mit Rech­ten (»right wing ope­ra­ti­ves«) und einer regu­lä­ren Poli­zei­strei­fe die Rede. Nur wer hät­te ein Inter­es­se dar­an, ein sol­ches Doku­ment zu fäl­schen? Und was ist mit dem Auto einer »ame­ri­ka­ni­schen Behör­de«, das am Tat­tag in der Nähe von Heil­bronn in eine Geschwin­dig­keits­kon­trol­le gera­ten war? Dies zumin­dest gab der Lei­ter der für den Mord zustän­di­gen Son­der­kom­mis­si­on »Park­platz«, Axel Möge­lin, ver­gan­ge­nes Jahr vor dem NSU-Unter­su­chungs­aus­schuß des Bun­des­tags an. Nähe­res hier­zu woll­te er mit Blick auf die lau­fen­den Ermitt­lun­gen aller­dings nicht sagen.

Bei einem der bei­den laut dem DIA-Pro­to­koll Obser­vier­ten soll es sich um Mev­lüt Kar han­deln, der als fünf­ter Kopf der Sau­er­land­grup­pe gilt und die­ser bei der Beschaf­fung der Zün­der gehol­fen haben soll. Kar soll aller­dings nicht nur dem CIA als Infor­mant gedient, son­dern auch für den tür­ki­schen Geheim­dienst MIT gear­bei­tet haben. Nur weni­ge Mona­te vor dem Bekannt­wer­den der Zwi­ckau­er Ter­ror­zel­le berich­te­te der Spie­gel in einer aus­führ­lich recher­chier­ten Geschich­te dar­über, die Spur der soge­nann­ten »Döner-Mor­de«, jener Mord­se­rie für die nun Böhn­hardt und Mund­los ver­ant­wort­lich gemacht wer­den, füh­re in eine »düs­te­re Par­al­lel­welt«, in der »eine mäch­ti­ge Alli­anz zwi­schen rechts­na­tio­na­len Tür­ken, dem tür­ki­schen Geheim­dienst und Gangs­tern den Ton angibt«. Auch dies gilt heu­te offi­zi­ell als über­holt und falsch.

Der Mord an Kie­se­wet­ter und das Ende des NSU sind nur zwei Bei­spie­le für die zahl­rei­chen Frag­wür­dig­kei­ten in dem Fall. Längst nicht geklärt ist trotz zahl­rei­cher Unter­su­chungs­aus­schüs­se die Rol­le des Ver­fas­sungs­schut­zes. Die Ver­nich­tung bri­san­ter Akten, teil­wei­se direkt nach dem Auf­flie­gen der Grup­pe, die Rück­trit­te gleich meh­re­rer Ver­fas­sungs­schutz-Chefs sowie das Bekannt­wer­den von V‑Leuten im Umfeld des NSU machen es schwer, zu glau­ben, daß der Inland­ge­heim­dienst von all dem nichts mit­be­kom­men haben will. Hin­zu kommt, daß mit Andre­as T. ein hes­si­scher Ver­fas­sungs­schüt­zer beim letz­ten Ces­ka-Mord in einem Kas­se­ler Inter­net­ca­fé am 6. April 2006 zuge­gen war.

Zwar gab T. an, von dem Gesche­hen nichts mit­be­kom­men zu haben, doch mel­de­te er sich auch nach Tagen nicht als Zeu­ge bei der Poli­zei, nach­dem die Medi­en über den Mord berich­tet hat­ten. Bei einer spä­te­ren Befra­gung soll er sich zudem in Wider­sprü­che ver­wi­ckelt haben. Der Chef der Mord­kom­mis­si­on des Poli­zei­prä­si­di­ums Nord­hau­sen, Gerald Hoff­mann, der die Ermitt­lun­gen nach dem Mord in Kas­sel lei­te­te, sag­te im ver­gan­ge­nen Jahr, er wis­se bis heu­te nicht, wel­che Rol­le T. wirk­lich gespielt habe. Vie­le sei­ner Aus­sa­gen hal­te er für nicht glaub­wür­dig. Den­noch wur­den die Ermitt­lun­gen gegen den Ver­fas­sungs­schüt­zer ein­ge­stellt. Auf­fäl­lig ist nur, daß die Mord­se­rie danach ende­te. Soll­ten Böhn­hardt und Mun­dos die ihnen zur Last geleg­ten Mor­de began­ge­nen haben, war­um hör­ten sie dann so plötz­lich damit auf? Einen Grund dafür hat­ten sie nicht. Schließ­lich tapp­ten die Ermitt­ler völ­lig im dun­keln und ver­mu­te­ten die Täter eher im Umfeld der tür­ki­schen Wett­ma­fia. Und war­um bekann­ten sich die bei­den nie zu Leb­zei­ten zu ihren Taten, wie es Ter­ro­ris­ten gewöhn­lich machen? Angst unter Ein­wan­de­rern konn­ten sie so nicht schü­ren, schließ­lich wuß­te nie­mand, wer die Täter waren. Wenn sie aber nur aus purem Haß auf Aus­län­der mor­de­ten, war­um hör­ten sie dann 2006 damit auf? Und war­um bekann­ten sie sich dann mit einem selt­sa­men Paul­chen-Pan­ther-Video fünf Jah­re spä­ter, post­hum, zu den Taten?

All die­se Fra­ge wer­den von den füh­ren­den Medi­en kaum gestellt. Die Zeit­schrift Com­pact um den Publi­zis­ten Jür­gen Elsäs­ser dage­gen wid­met den Unge­reimt­hei­ten regel­mä­ßig grö­ße­re Auf­merk­sam­keit. Nun ist ein The­men­heft zum NSU erschie­nen, es ist in vier Rubri­ken unter­glie­dert (Staats­fein­de, Agen­ten, Opfer, Epi­log) und fächert die ein­zel­nen Aspek­te, Haupt- und Neben­strän­ge das NSU-Kom­ple­xes auf. Doch so wich­tig es ist, daß die offe­nen Fra­gen stets in Erin­ne­rung geru­fen wer­den, so wich­tig ist es auch, dies bedäch­tig und anhand der Fak­ten zu tun. Der umfas­send ins The­ma ein­ge­ar­bei­te­te Com­pact-Autor Kai Voss faßt sei­ne Recher­che-Ergeb­nis­se noch­mals auf fünf Sei­ten zusam­men, stellt dabei durch­aus die rich­ti­gen Fra­gen, geht aber weit über abge­si­cher­te Ant­wor­ten hin­aus und bie­tet letzt­lich eine kom­plet­te Geschich­te an. Deren Haupt­the­sen: Der NSU ist eine Erfin­dung der Geheim­diens­te; Zsch­ä­pe, Böhn­hardt und Mund­los waren Nazis und an Mor­den betei­ligt, jedoch nicht an allen; Böhn­hardt und Mund­los wur­den liqui­diert, und zwar von dem Geheim­dienst­netz­werk, dem sie wei­sungs­ge­bun­den waren.

Es mag ver­lo­ckend sein, eine frag­wür­di­ge, offi­zi­el­le Ver­si­on durch eine Gegen­ge­schich­te zu spie­geln, in der die Bau­stei­ne bes­ser zuein­an­der­pas­sen. Den­noch bleibt vie­les dar­an Ver­mu­tung und Mut­ma­ßung. Auch Voss hat kei­ne Bewei­se für die von ihm nahe­ge­leg­te Ver­schwö­rung. Die­se Art des Umgangs mit dem The­ma birgt die Gefahr, daß durch­aus berech­ti­ge Fra­gen gene­rell als Ver­schwö­rungs­theo­rie abge­tan und damit zur Sei­te gewischt wer­den kön­nen. Und genau das dürft im Inter­es­se all jener sein, die die offi­zi­el­le Ver­si­on bereits vor Beginn des Pro­zes­ses gegen Zsch­ä­pe als unum­stöß­li­che Wahr­heit fest­schrei­ben wollen.

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